Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg hat durch seine Kammer 2 mit den Mitgliedern Mag. Brandtner, Mag. König und Dr. Herzog über die Berufung des E M, K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom 21.11.2012, Zl IVb-449-2012/0011, zu Recht erkannt:
Gemäß § 66 Abs 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) wird der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.
1. Mit angefochtenem Bescheid wurde dem Betrieb E M, K, ab Zustellung dieses Bescheides untersagt, Rohmilch aus seinem landwirtschaftlichen Betrieb als Lebensmittel in Verkehr zu bringen (sowie kein Ab-Hof-Verkauf, keine Direktvermarktung usw), und wurde festgelegt, dass aus dieser Rohmilch keine Erzeugnisse (wärmebehandelte Konsummilch, Erzeugnisse auf Milchbasis usw) hergestellt werden dürfen (Spruchpunkt I. 1.).
Weiters wurde angeordnet, dass die in Punkt 1. getroffene Verfügung solange gilt, bis der Bescheidadressat durch Einzelergebnisse zweier aktueller, im Abstand von mindestens vier Tagen entnommenen Proben der Behörde nachweist, dass die Zahlenwerte, die für die Grenzwerte nach Anhang III Abschnitt IX Kapitel I Unterkapitel III 3 lit a sublit i der Verordnung (EG) 853/2004 vorgesehen sind, nicht überschritten werden (Spruchpunkt I. 2.).
Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung gegen diesen Bescheid wurde aberkannt (Spruchpunkt II.).
2. Gegen diesen Bescheid hat der Berufungswerber rechtzeitig Berufung erhoben und im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Zu Spruchpunkt I. Z 1:
Gemäß Mitteilung seines Milchkäufers, der M R reg. Genossenschaft mbH, vom 18.11.2012 an die Bezirkshauptmannschaft F, habe die von ihm gelieferte Rohmilch im Monat Oktober 2012 einen geometrischen Mittelwert über drei Monate von 462.000 Zellen erreicht. Im gleichen E-Mail sei der Behörde aber auch mitgeteilt worden, dass die im Monat Oktober durchgeführten amtlichen Proben des Gebietslabors in D einen (mathematischen) Mittelwert von 332.000 Zellen ergeben hätten. Somit habe die von ihm im Oktober 2012 gelieferte Milch den Anforderungen des Anhanges III Abschnitt IX Kapitel 1 Unterkapitel III Z 3 lit a sublit i der Verordnung (EG) 853/2004 entsprochen.
Auch die amtlichen Proben im Monat November mit Einzelergebnissen von 396.000 und 268.000 Zellen würden dieser Verordnung entsprechen. Zusätzlich zu diesen amtlichen Proben seien, um den Erfolg der durchgeführten Sanierungsmaßnahmen zu kontrollieren, auch noch verschiedene Sonderproben vom Gebietslabor D untersucht worden. Diese hätten im Einzelnen folgende Werte ergeben:
27.09.2012: 386.000 Zellen
03.10.2012: 295.000 Zellen
23.11.2012: 380.000 Zellen
26.11.2012: 284.000 Zellen
27.11.2012: 246.000 Zellen (S-Klasse)
Auch diese Sonderproben, jeweils aus der Tankmilch, hätten hinsichtlich Zellzahl den Anforderungen der einschlägigen Verordnung (EG) 853/2004 entsprochen.
Gemäß § 39 Abs 1 LMSVG habe es nunmehr der Landeshauptmann als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung seinem Betrieb untersagt, Rohmilch in Verkehr zu bringen. Dies obwohl § 39 Abs 1 ausdrücklich ausführe, dass die nach Art des Verstoßes und unter Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Maßnahmen zur Mängelbehebung oder Risikominderung anzuordnen seien, wie insbesondere die Einschränkung oder das Verbot des Inverkehrbringens oder der Verwendung. Zum Zeitpunkt der Bescheidausfertigung sei der Behörde bekannt gewesen, dass die aktuell angelieferte Milch den Qualitätsanforderungen voll entsprochen habe. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sei hier nicht beachtet worden. Es gebe keine Mängel zu beheben und auch kein Risiko zu mindern.
Zu Spruchpunkt I. Z 2:
Auch hier sei von der Behörde das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet worden. Sie habe bereits nachweislich seit 18.11.2012 gewusst, dass die durch seinen Betrieb aktuell angelieferte Milch den Anforderungen entspreche. Der angefochtene Bescheid zwinge ihn, über mindestens vier Tage verkehrsfähige Milch zu vernichten. In der Bestimmung der Verordnung (EG) Anhang IV Kapitel II Z 2 sei festgelegt, dass die Lieferung von Rohmilch aus dem Erzeugerbetrieb auszusetzen sei, wenn hinsichtlich des Gehaltes an Keimen und somatischen Zellen keine Abhilfe geschaffen worden sei. In dieser Bestimmung sei aber nicht festgelegt, wie lange die Lieferung von Rohmilch auszusetzen sei. Wieso er nunmehr für mindestens vier Tage genusstaugliche Milch vernichten müsse, sei ihm schleierhaft. Auch hier sei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit missachtet worden. Dies auch umso mehr, als die Behörde nachweislich gewusst habe, dass Abhilfe geschaffen worden sei. Dass hier durchaus andere Regelungen bzw Gestaltungsspielräume möglich seien, belege die Regelung in Baden-Württemberg. Wenn hier ein Milchlieferant im vierten Monat das geometrische Mittel von 400.000 bei den Zellen überschreite, würden die Einzelproben in diesem Monat herangezogen. Sei jedes einzelne Probenergebnis unter 400.000 Zellen, werde am 10. und 14. des folgenden Monats eine Probe gezogen. Seien diese Proben unter dem Grenzwert von 400.000, werde der Lieferant vom Amtstierarzt wieder zur Milchlieferung zugelassen. Es trete somit keine Unterbrechung der Milchanlieferung ein. In Baden-Württemberg würde in seinem Fall keine Liefersperre verhängt, da im Monat Oktober alle Einzelergebnisse unter 400.000 gewesen seien, und auch die laufenden Sonderproben unter 400.000 Zellen liegen würden. Die Probe vom 27.11. habe sogar die S-Klasse erreicht.
Zu Spruchpunkt II.:
Warum durch die Überschreitung der Grenzwerte das Lebensmittel Rohmilch als nicht sicher im Sinne von Art 14 Abs 2 lit b der Verordnung (EG) 178/2002 sein solle, sei nicht nachvollziehbar. In Abs 2 lit b sei folgende Regelung getroffen: Lebensmittel würden als nicht sicher gelten, wenn davon auszugehen sei, dass sie für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet seien. Im angefochtenen Bescheid stehe zu lesen, für den Menschen durch den Menschen ungeeignet. Die angeführten geometrischen Mittelwerte bei den somatischen Zellen der vergangenen drei Monate seien allesamt historische Werte und würden keinesfalls das aktuelle Qualitätsniveau der angelieferten Rohmilch widerspiegeln. Weil die Probenergebnisse in den vergangenen Monaten nicht entsprochen hätten, könne doch nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass sich die Werte nicht verbessert hätten. Vor der Auferlegung einer Milchanlieferungssperre müsse die Behörde zuerst entweder die aktuellen Ergebnisse des Gebietslabors anfordern oder eine Tankmilchprobe ziehen, um eine solche Feststellung treffen zu können. Erst wenn dieses Ergebnis nicht entspreche, wäre eine Liefersperre zu rechtfertigen. Alles andere sei reine Spekulation und Kaffeesatzleserei. Es sei auch paradox, die Milch mit Grenzwertüberschreitungen monatelang anliefern und damit verarbeiten zu lassen. Fast zwei Monate später soll dann qualitativ einwandfreie Milch vernichtet werden. Das widerspreche jeder Logik.
Die Behörde habe nachweislich bereits am 18.11.2012 gewusst, dass die Anlieferungsmilch aus seinem Betrieb im Monat Oktober dem Grenzwert hinsichtlich somatischer Zellen entspreche. Trotz diesem Informationsstand werde ihm die aufschiebende Wirkung eine Berufung aberkannt. Das sei reine Willkür und habe mit Lebensmittelsicherheit nichts zu tun. Auch der Umstand, dass die Behörde von der Verständigung am 18.11. bis zur Zustellung des Bescheides am 27.11., das seien neun Tage, benötige, spreche eindeutig gegen das Vorbringen, dass Gefahr im Verzug sei. Zusammenfassend stelle er fest, dass er sich erfolgreich sehr wohl um eine Verbesserung der Milchqualität bemüht habe. Die nunmehr von der Behörde angeordnete Milchliefersperre betrachte er als vollkommen ungerechtfertigt und überschießend, zumal er in den Monaten zuvor bereits durch Milchgeldabzüge bestraft worden sei.
Es werde daher beantragt, den Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides aufzuheben und der Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Spruchpunkt I. aufzuheben, den Vollzug des bekämpften Bescheides mit sofortiger Wirkung auszusetzen und ihm die sofortige Zulassung zur Rohmilchanlieferung zu erteilen und ihm den durch die vorzeitige Vollstreckung des gegenständlichen Bescheides entstandenen Schaden zu ersetzen.
3.1. Der Verwaltungssenat hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Folgender Sachverhalt steht fest: Der Berufungswerber betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb und hat im Jahr 2012 Rohmilch an die M R reg. Genossenschaft mbH geliefert. Bei der Untersuchung dieser Anlieferungsmilch wurden folgende geometrische Mittelwerte der vergangenen drei Monate festgestellt:
22.08.2012: Zellzahl 463.000
14.09.2012: Zellzahl 512.000
15.10.2012: Zellzahl 567.000
19.11.2012: Zellzahl 462.000.
Diese Zellzahlen wurden vom Gebietslabor D ermittelt, in der Folge dem milchverarbeitenden Betrieb, nämlich der M R reg. GenmbH, übermittelt und von dieser der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch als zuständiger Behörde mitgeteilt. Die Richtigkeit dieser Zahlen wurde vom Berufungswerber nicht bestritten.
3.2. Auf Grund der vom Berufungswerber der Veterinärbehörde übermittelten Milchtankeinzelergebnisse vom 26., 27., 29. und 30.11.2012, die beim Gebietslabor der L V erhoben wurden, wurde seitens der Veterinärbehörde dem Berufungswerber mit Schreiben vom 30.11.2012 mitgeteilt, dass diese Zahlenwerte die Anforderungen der Rohmilch als Lebensmittel erfüllen und die mit dem angefochtenen Bescheid verhängte Milchliefersperre mit sofortiger Wirkung wieder aufgehoben wurde. Es wurde dem Berufungswerber mitgeteilt, dass Rohmilch aus seinem Betrieb wieder als Lebensmittel in Verkehr gebracht werden könne.
4. Dieser Sachverhalt steht auf Grund der vorliegenden Akten und der Ergebnisse der durchgeführten mündlichen Verhandlung fest und wird vom Berufungswerber nicht bestritten.
5.1. Gemäß Anhang III Abschnitt X Kapitel 1 Unterkapitel III Z 3 lit a sublit i der Verordnung (EG) 853/2004 müssen Lebensmittelunternehmer mit geeigneten Verfahren sicherstellen, dass rohe Kuhmilch eine Höchstanzahl von somatischen Zellen von (pro ml) = 400.000 aufweist.
Die Anzahl der somatischen Zellen stellt den über drei Monate ermittelten geometrischen Mittelwert bei mindestens einer Probenahme je Monat dar, es sei denn, die zuständige Behörde schreibt eine andere Methode vor, die saisonalen Schwankungen der Produktionsmenge Rechnung trägt.
Die Bestimmung des Anhanges IV Kapitel II Z 2 der Verordnung (EG) 854/2004 lautet wie folgt: ?Hat der Lebensmittelunternehmer drei Monate nach der ersten Unterrichtung der zuständigen Behörde über die Nichteinhaltung der Kriterien hinsichtlich des Gehalts an Keimen und/oder somatischen Zellen keine Abhilfe geschaffen, so ist die Lieferung von Rohmilch und Kolostrum aus dem Erzeugungsbetrieb auszusetzen oder ? entsprechend einer spezifischen Genehmigung oder allgemeinen Anweisungen der zuständigen Behörde ? bestimmten Anforderungen hinsichtlich ihrer Behandlung und Verwendung zu unterwerfen, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes geboten sind. Diese Aussetzung oder diese Anforderungen sind so lange aufrechtzuerhalten, bis der Lebensmittelunternehmer nachgewiesen hat, dass die Rohmilch und das Kolostrum den Kriterien wieder entsprechen.?
5.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht fest, dass der Amtstierarzt der Bezirkshauptmannschaft F am 19.11.2012 erfahren hat, dass der geometrische Mittelwert der Rohmilch des Betriebes E M eine Zellzahl von 462.000 aufgewiesen hat und somit seit dem 22.08.2012 die Anzahl der somatischen Zellen im geometrischen Mittel während drei Monate über 400.000 pro ml lag. Noch am selben Tag hat der Amtstierarzt den Landeshauptmann über diesen Sachverhalt informiert und ihn ersucht, eine Milchliefersperre zu erlassen. In der Folge wurde der angefochtene Bescheid des Landeshauptmannes vom 21.11.2012 erlassen, welcher am 22.11.2012 ausgefertigt und der Post übergeben wurde, am 27.11.2012 erfolgte ein Zustellversuch und begann die Abholfrist mit der Hinterlegung dieses Bescheides am 28.11.2012.
Da der über drei Monate ermittelte geometrische Mittelwert der somatischen Zellen beim Betrieb des Berufungswerbers nicht eingehalten worden ist, war die belangte Behörde im Sinne des Anhanges IV Kapitel II Ziffer 2 der Verordnung (EG) 854/2004 verpflichtet, die Lieferung von Rohmilch aus dem Betrieb des E M auszusetzen.
Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Milch des Betriebes des Berufungswerbers nachweislich einen niedrigen Zellenwert aufgewiesen hat und der mathematische Mittelwert der Zellzahl unter 400.000 pro ml lag, denn die rechtliche Vorgabe der Aussetzung einer mit zu hohen Zellzahlen belasteten Milch erfolgt aufgrund des geometrischen Mittelwertes, der über drei Monate ermittelt wurde.
5.3. Nach den oa gesetzlichen Bestimmungen ist die Aussetzung der Lieferung von Rohmilch so lange aufrechtzuerhalten, bis der Lebensmittelunternehmer nachgewiesen hat, dass die Rohmilch den Kriterien wieder entspricht.
Dazu wird auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 06.03.2007, GZ: BMGF-75360/0009-IV/7/2007, verwiesen, in dem festgehalten ist, dass der in Anhang IV Kapitel II Z 2 der Verordnung (EG) Nr 854/2004 angeführte Nachweis, dass Rohmilch den Kriterien wieder entspreche, gegeben sei, wenn der Lebensmittelunternehmer durch die Einzelergebnisse zweier im Abstand von mindestens vier Tage entnommener Proben nachweise, dass die Zahlenwerte, die für die entsprechenden Grenzwerte vorgesehen sind, nicht überschritten würden.
Der Verwaltungssenat vermag an einem solchen Nachweisverfahren keine Rechtswidrigkeit zu erkennen, denn die rechtlich zulässigen Grenzwerte für die verhängte Maßnahme orientieren sich an geometrischen Mittelwerten und nicht an Einzelergebnissen. Es ist daher davon auszugehen, dass nur dann mit der aus gesundheitlichen Gründen erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die zulässigen Grenzwerte eingehalten werden, wenn zwischen zwei Einzelergebnissen ein gewisser zeitlicher Abstand eingehalten wurde. Im Übrigen erscheint eine Zeitspanne von vier Tagen zwischen den Einzelergebnissen keinesfalls zu streng um die Einhaltung der zulässigen Anzahl an somatischen Zellen in Rohmilch nachzuweisen, ergibt sich doch aus dem Abstellen auf geometrische Mittelwerte, dass ein Einzelergebnis nicht repräsentativ ist.
Es war daher der Berufung keine Folge zu geben.
6. Bezüglich des Antrages des Berufungswerbers auf Schadenersatz wegen der vorzeitigen Vollstreckung des angefochtenen Bescheides wird der Berufungswerber auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
7. Da mit Schreiben der Veterinärbehörde vom 30.11.2012 die Milchliefersperre beim Berufungswerber aufgehoben wurde, ist der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung gegenstandslos geworden.