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32 STEUERRECHTNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des Gebührengesetzes 1957 über den Kostenersatz für gebührenfrei ausgestellte Reisedokumente an Gemeinden mit Ausnahme von Wien; keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der Gemeinde Wien gegenüber den anderen passausstellenden Gemeinden im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewählte Anknüpfung an rechtliche UnterschiedeRechtssatz
Aufhebung des letzten Satzes des §35 Abs6 GebührenG 1957 (GebG) idF des AbgabenänderungsG 2011 (AbgÄG 2011), BGBl I 76/2011.
Im vorliegenden Fall geht es nicht darum, welche Gebietskörperschaft den Aufwand nach finanzausgleichsrechtlichen Kriterien endgültig zu tragen hätte, sondern darum, dass die Regelung des §35 Abs6 letzter Satz GebG - gleichgültig, ob sie als abweichende Kostentragungsregel (Kostenübernahme) oder als dem Grundsatz des §2 F-VG 1948 entsprechende Kostenersatzregel zu deuten ist - die Gemeinde Wien hinsichtlich bestimmter Kosten der Ausstellung von Reisedokumenten anders behandelt als andere Gemeinden, die solche Dokumente ausstellen.
Der Bund hat durch eine gesetzliche Regelung, nämlich die Verpflichtung zur gebührenfreien Ausstellung von Reisepässen für Kinder bis zu zwei Jahren, anderen Gebietskörperschaften einen zusätzlichen Aufwand verursacht, und hinsichtlich der Kategorie der Gemeinden für alle Gemeinden, die Reisedokumente ausstellen, mit Ausnahme der Gemeinde Wien, den Ersatz der in §35 Abs6 letzter Satz GebG genannten Produktionskosten durch den Bund vorgesehen. Es geht hier um eine Ausnahmeregelung für einen Sonderfall, nämlich den bundesgesetzlich vorgesehenen Entfall einer Gebühr für eine konkrete Verwaltungsleistung.
Wie der VfGH in VfSlg 10633/1985 ausgesprochen hat, hat gemäß §4 iVm §2 und §3 F-VG 1948 der Finanzausgleichsgesetzgeber die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge sowie der Finanzzuweisungen und Finanzzuschüsse in Übereinstimmung mit den Lasten der öffentlichen Verwaltung zu regeln. Jedenfalls dann, wenn bestimmte Gemeinden bzw Gruppen von Gemeinden, die auf Grund der positiven Rechtsordnung als mit besonderen Agenden betraut definierbar sind und die sich deshalb von anderen Gemeinden bzw Gruppen von Gemeinden typischerweise durch eine höhere Kostenbelastung unterscheiden, ist der Finanzausgleichsgesetzgeber gemäß §4 F-VG 1948 verhalten, für sie eine Regelung zu treffen.
Als eine solche Gruppe von Gebietskörperschaften mit im Vergleich zu anderen Gebietskörperschaften aufgrund der rechtlichen Zuordnung anderen Aufgaben hat der VfGH die Städte mit eigenem Statut ohne Bundespolizeidirektion gegenüber den sonstigen Städten mit eigenem Statut qualifiziert.
Bei den passausstellenden Gemeinden - also Statutarstädten und sonstigen Gemeinden, denen gemäß §16 Abs3 PassG 1992 die Ausstellung von Reisepässen übertragen wurde - handelt es sich um eine solche besondere Gruppe von Gemeinden, die sich hinsichtlich ihrer rechtlichen Merkmale von anderen Gemeinden unterscheidet.
Zwar trifft es zu, dass bei einem Kostenersatz durch das Land die Frage sich für Wien wegen der Doppelrolle von Land und Gemeinde von vornherein nicht gestellt hätte. Tatsächlich hat aber der Bund einen anderen Weg, nämlich von vornherein den des Kostenersatzes durch den Bund, gewählt, sodass sich die Frage stellt, ob insofern diese Doppelrolle Wiens eine Ausnahme rechtfertigt.
Wie der VfGH in VfSlg 10933/1986 ausgesprochen hat, ist Wien auch unter den Gesichtspunkten des Finanzausgleichs als einheitliche Gebietskörperschaft zu betrachten. Dies bedeutet aber nicht, dass es dem Gesetzgeber frei steht, bei der an rechtliche Unterschiede anknüpfenden Verteilung von Finanzmitteln Wien einmal nur als Gemeinde und in anderem Zusammenhang nur als Land zu betrachten.
Die Ausnahmeregelung kann auch nicht mit der Sonderstellung Wiens als einwohnerstärkste Gemeinde und einzige Millionenstadt gerechtfertigt werden. Angesichts der vom Gesetzgeber gewählten Anknüpfung an rechtsstrukturelle Unterschiede in der Aufgabenverteilung, wie sie auch der Entscheidung VfSlg 10633/1985 zugrunde lag, bedürfte es einer besonderen Rechtfertigung, einzelne Gebietskörperschaften von der daraus resultierenden Mittelzuteilung auszunehmen. Die bloße Tatsache, dass Wien die mit Abstand einwohnerstärkste Gemeinde und einzige Millionenstadt ist, vermag schon deswegen nicht jegliche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, weil diese Unterschiede im Tatsächlichen schon ihren Ausdruck in der verfassungsrechtlichen Sonderstellung Wiens als Land und Gemeinde finden, sodass diese Sonderstellung allein bei einer Betrachtung von nach rechtlichen Anknüpfungspunkten zugewiesenen Aufgaben eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigt.
Daher geht auch der von der Bundesregierung angestellte Vergleich ins Leere, dass im Falle von Wien der Bund einen Kostenersatz für alle an Kinder unter zwei Jahren ausgestellte Reisepässe leisten müsste, in den anderen Bundesländern hingegen nur für jene, die in Städten mit eigenem Statut (und diesen insofern gleichgestellten Gemeinden) ausgestellt werden. Als gegenüber Wien unter diesem Gesichtspunkt anderes Extrem weist die Bundesregierung auf Vorarlberg hin, für das der Bund überhaupt keinen Kostenersatz zu leisten hat.
Dies ist aber gerade eine Folge der Anknüpfung an rechtliche Unterschiede und des Umstandes, dass in Vorarlberg keine einzige Stadt mit eigenem Statut existiert. Ebenso, wie es ausgehend von dieser Anknüpfung unsachlich wäre, Vorarlberg als einzigem Land einen Kostenersatz zu gewähren, ist es unsachlich, für Wien als einzige Gemeinde keinen Kostenersatz vorzusehen. So betrachtet wären auch andere Länder unsachlich behandelt, hängt doch die Höhe des Kostenersatzes davon ab, wie viele Statutarstädte mit wie vielen Einwohnern in dem jeweiligen Land existieren, also von Unterschieden, die in tatsächlicher Hinsicht nicht weiter begründbar sind.
Es steht daher dem Finanzausgleichsgesetzgeber nicht frei, dann, wenn er Regelungen an rechtsstrukturelle Unterschiede anknüpft, Wien einmal als Land und ein andermal als Gemeinde zu betrachten. Andernfalls könnte der Finanzausgleichsgesetzgeber Wien von Fall zu Fall anders behandeln: Wenn er eine aufwandbezogene Regelung für die Länder trifft, als Gemeinde, und wenn er eine Regelung für die Gemeinden trifft, als Land.
Die vom Gesetzgeber vorgesehene Ausnahme von der von ihm als allgemeine Regel gewählten Anknüpfung an rechtliche Unterschiede entbehrt also ungeachtet des weiten rechtspolitischen Spielraums des Finanzausgleichsgesetzgebers der sachlichen Rechtfertigung iSd Erk VfSlg 10633/1985.
Der Sitz der hier erkannten Verfassungswidrigkeit ist die Wortfolge "(ohne Wien)" im letzten Satz des §35 Abs6 GebG. Da aber eine Aufhebung bloß dieser Wortfolge ein Ergebnis hätte, das dem Gesetz einen gegenüber der Absicht des Gesetzgebers völlig veränderten Sinn gäbe, was auch die antragstellende Landesregierung einräumt, ist ihrem Eventualantrag zu folgen und der gesamte letzte Satz des §35 Abs6 GebG aufzuheben.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gebühr (GebG), Finanzverfassung, Finanzausgleich, Kostentragung, Statutarstadt, Bundeshauptstadt Wien, Passwesen, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:G32.2012Zuletzt aktualisiert am
18.01.2013