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10 VERFASSUNGSRECHTNorm
VfGG §34Leitsatz
Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme von Verfahren nach einem Urteil des EuGH betreffend den Verstoß organisationsrechtlicher Bestimmungen der Datenschutzkommission gegen Unionsrecht; Rechtslage zum Zeitpunkt der verfahrensbeendenden Beschlüsse anzuwendenRechtssatz
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags ist nach §530 Abs1 ZPO der Abschluss eines Verfahrens durch "eine die Sache erledigende Entscheidung". Eine solche liegt immer schon dann vor, wenn durch sie das Verfahren beendet wird. Ein Beschluss, mit dem die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG abgelehnt wird - wie in den beiden nach dem Antrag des Einschreiters wieder aufzunehmenden Verfahren -, ist als verfahrensbeendende Entscheidung im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren (VfSlg 16511/2002, 17908/2006). Der Einschreiter war Verfahrenspartei in den beiden nach seinem Antrag wieder aufzunehmenden Verfahren und stellt innerhalb der vierwöchigen Frist gemäß §534 ZPO den "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus jedem in Betracht kommenden Rechtsgrund der §§529 und 530 ZPO iVm §§34 und 35 VfGG". Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren ist daher zulässig.
Keiner der Wiederaufnahmetatbestände des §530 Abs1 ZPO zielt ausdrücklich auf Sachverhaltskonstellationen ab, wie sie dem vorliegenden Antrag zugrunde liegen. In Frage kommt daher von vornherein nur - unter sinngemäßer Geltung der ZPO - die analoge Anwendung eines Wiederaufnahmetatbestands in §530 Abs1 ZPO. Die Notwendigkeit einer solchen Analogie kann sich im vorliegenden Fall nur aus dem Unionsrecht ergeben.
Der Gerichtshof der Europäischen Union anerkennt, dass die Bestandskraft einer nationalen Entscheidung zur Rechtssicherheit beiträgt, weswegen das Unionsrecht nicht eine grundsätzliche Verpflichtung für eine nationale Behörde aufstellt, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben (vgl EuGH 13.01.04, C-453/00, Kühne & Heitz). Besondere Umstände können jedoch geeignet sein, eine nationale Behörde nach dem in Art4 Abs3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zu verpflichten, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen, um insbesondere einer später vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Unionsrechts Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang sind die Besonderheiten der in Rede stehenden Fälle und Interessen zu berücksichtigen, um einen Ausgleich zwischen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und dem der Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das Unionsrecht zu finden (vgl EuGH 04.10.12, C-249/11, Byankov mwH).
Im vorliegenden Fall kann jedoch eine nähere Prüfung dieser unionsrechtlichen Voraussetzungen unterbleiben. Der VfGH hätte nämlich in den zur Wiederaufnahme beantragten Verfahren jene Rechtslage anzuwenden, die zum Zeitpunkt der verfahrensbeendenden Beschlüsse vom 28.02.06, B1298/05, und vom 11.10.06, B1378/06, maßgeblich war, und es wäre ihm verwehrt, die RL 95/46/EG als Prüfungsmaßstab einer Gesetzesprüfung gemäß Art140 B-VG (zur Beseitigung des Verstoßes der organisationsrechtlichen Bestimmungen der Datenschutzkommission gegen Unionsrecht) heranzuziehen.
Schon aus diesem Grund scheidet die analoge Anwendung eines Wiederaufnahmetatbestands gemäß §530 Abs1 ZPO aus.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Wiederaufnahme, EU-Recht Richtlinie, Datenschutz, Analogie, Rechtskraft, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:B1338.2012Zuletzt aktualisiert am
21.02.2013