TE OGH 2009/2/24 4Ob239/08p

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Silvia B*****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde W*****, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler, Rechtsanwalt in Gmünd, wegen 9.378,84 EUR sA (Streitwert im Revisionsverfahren 5.846,11 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Juni 2008, GZ 16 R 85/08w-47, womit das Urteil des Bezirksgerichts Freistadt vom 15. Februar 2008, GZ 2 C 606/06y-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks, auf dem sie ein Hirschgehege angelegt hat. Entlang des an dieses Grundstück angrenzenden Güterwegs, der im Eigentum der Beklagten steht, ließ sie einen Weidezaun errichten. Vor der Zaunerrichtung (2002 oder 2003) sprachen sie und ihr Lebensgefährte mit dem Bürgermeister der Beklagten. Dass über den Abstand des Zauns zum Güterweg und darüber, dass die Beklagte nicht für allfällige Schäden am Zaun haften solle, gesprochen wurde, konnte nicht festgestellt werden.

Ohne Bewilligungsantrag oder Herstellung des Einverständnisses mit der Straßenverwaltung errichtete die Klägerin innerhalb eines Abstands von 8 m zum Güterweg den Weidezaun. Dieser ist auf nicht frostsicherem Boden und in einer Weise ausgeführt, dass die Zaunfundamente nicht frostbeständig sind. Die Einbindungstiefe der Fundamente im Boden beträgt nur etwa 50 bis 55 cm. Aufgrund des nicht frostbeständigen Betons und der zumindest teilweise nicht frostsicheren Gründungstiefe der Zaunfundamente kam es zu Rissen, Hohllagen und Abplatzungen des Fundamentbetons. Diese Umstände sind aber für die nunmehr vorhandene Schrägstellung der Zaunsteher nicht ursächlich. Diese wurde vielmehr in den Wintermonaten 2005/06 und 2006/07 durch die von der Beklagten im Rahmen der sie treffenden Verpflichtung zum Winterdienst ausgeführten Schneeräumung verursacht. Bei der Schneeräumung wurde Schnee in großer Menge und Höhe vor den Zaun geschoben, wodurch er gegen den Zaun drückte. Dadurch erhöhte sich einerseits der aktive Erddruck und andererseits wirkten Horizontalkräfte auf die Zaunsteher ein, was zu einer wesentlichen Vergrößerung des Kippelements führte. Aufgrund der Schneeräumung bzw der Ablagerung des Schnees entlang des Zauns wurde eine erhebliche Schrägstellung der Zaunsteher bewirkt. Die hiefür angemessenen Reparaturkosten betragen 7.307,64 EUR. Aufgrund der teilweise nicht frostfreien Gründungstiefe und des nicht frostbeständigen Betons der Zaunfundamente ist eine Wertminderung von 20 % abzuziehen, sodass angemessene Sanierungskosten von 5.846,11 EUR feststehen.

Bereits vor dem klagegegenständlichen Vorfall war der Zaun aufgrund der Schneeräumung durch die Beklagte beschädigt worden. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten hatte an die Klägerin Schadenersatz im Ausmaß von 700 oder 750 EUR geleistet. Nicht festgestellt werden konnte, dass mit dieser Zahlung eine Abgeltung sämtlicher zukünftiger Schäden zwischen den Streitteilen vereinbart worden wäre. Die Klägerin veranlasste die Reparatur des Zauns.

In den Wintermonaten 2004/05 und 2005/06 wurde der Zaun abermals aufgrund der Schneeräumungsarbeiten beschädigt. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte ersuchten den ausführenden Gemeindearbeiter, den Schnee nicht gegen den Zaun zu schieben. An der Vorgehensweise änderte sich jedoch nichts. Die Schneeräumung mit einer Fräse wäre möglich, die Beklagte verfügt auch über ein solches Gerät.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten zunächst 9.378,84 EUR sA mit der Behauptung, sie habe durch die Schneeräumungen auf der Gemeindestraße den Schnee gegen den Zaun des Hirschgeheges geschleudert und angepresst, wodurch am Zaun ein Schaden in Höhe des Klagebetrags eingetreten sei. Die Beklagte habe als Eigentümerin des Güterwegs für von ihrem Grundstück ausgehende Einwirkungen auf das Grundstück der Klägerin einzustehen. Die Schneeablagerungen hätten das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt. Der Bürgermeister der Beklagten sei mit der Errichtung des Zauns an jenem Ort, wo er sich nunmehr befinde, einverstanden gewesen.

Die Beklagte wendete ein, dass Bauten und sonstige Anlagen innerhalb von 8 m neben dem Straßenrand nur mit der Zustimmung der Straßenverwaltung errichtet werden dürften. Eine solche Zustimmung habe die Klägerin nie eingeholt. Der Zaun sei so nahe am öffentlichen Güterweg errichtet worden, dass er im Zuge der Schneeräumungsarbeiten in Mitleidenschaft gezogen werde. Der Schnee werde nicht gegen den Zaun geschleudert oder angepresst. Überdies seien allfällige Schäden am Zaun durch unsachgemäße Errichtung und/oder mangelhafte Instandhaltung verursacht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Ausmaß von 5.846,11 EUR sA statt und wies ein Mehrbegehren von 3.532,73 EUR sA (rechtskräftig) ab. Eine Landesstraße sei eine Anlage im Sinn des § 364a ABGB. Von ihr ausgehende, nach § 364 Abs 2 ABGB unzulässige Immissionen verpflichteten verschuldensunabhängig zum Schadenersatz. Dem stehe nicht entgegen, dass der Nachbar öffentlich-rechtlich möglicherweise verpflichtet sei, die Ablagerung von Schnee auf seinem Grundstück zu dulden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach - nach Abänderungsantrag der Beklagten - aus, dass die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung zur Frage, ob die Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften durch den Geschädigten geeignet sei, nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche zu hindern oder wenigstens zu mindern, zulässig sei.

Unmittelbare Zuleitungen aus genehmigten Anlagen seien ebenso wenig zu dulden wie körperliche Einwirkungen, so etwa die Schneeräumung, weshalb der Frage der Ortsüblichkeit keine Relevanz zukomme. Zwar seien die Eigentümer von Grundstücken, die in einem Abstand bis zu 50 m neben einer öffentlichen Straße liegen, gemäß § 21 Abs 3 Oö StraßenG 1991 verpflichtet, den freien, nicht gesammelten Abfluss des Wassers von der Straße und die Ablagerung des im Zuge der Schneeräumung von der Straße entlang ihrer Grundstücke entfernten Schneeräumguts auf ihrem Grund ohne Anspruch auf Entschädigung zu dulden, um diese Duldungspflicht gehe es in diesem Fall aber nicht. Der Klägerin gehe es vielmehr darum, Ersatz für das im Zuge der Schneeräumung beschädigte Eigentum zu erlangen. Dieser Schadenersatzanspruch im Sinne eines Ausgleichsanspruchs nach § 364a ABGB sei zu bejahen, weil es nicht darauf ankomme, ob Schneeräumgut nur mit großer Wucht gegen eine Mauer geschleudert werde oder dass immer wieder ein dichter Eis- und Schneewall direkt an die Mauer angepresst werde oder ob Schnee in großer Menge und großer Höhe gegen den Zaun geschleudert oder geschoben werde, wodurch er gegen den Zaun drücke.

Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des (restlichen) Klagebegehrens anstrebt, ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Gemäß § 364 Abs 2 ABGB steht dem Nachbarn im Fall von Immissionen, die das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks wesentlich beeinträchtigen, ein Abwehranspruch zu; er kann auf Unterlassung der Eigentumsbeeinträchtigung klagen. Dieser Untersagungsanspruch steht ihm allerdings dort nicht zu, wo solche Immissionen von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen. Als Ausgleich dafür gewährt § 364a ABGB einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch. Öffentliche Straßen werden nach ständiger Rechtsprechung als Anlagen im Sinn des § 364a ABGB behandelt (7 Ob 66/02k mwN; RIS-Justiz RS0010596 [T1]); die nachbarrechtlichen Ansprüche gelten also auch im Verhältnis zwischen einem Privatgrundstück und einer öffentlichen Straße (RIS-Justiz RS0010565, RS0010612). Die nachbarrechtliche Haftung einer Gemeinde für Schäden, die von ihrem Eigentum ausgehend auf Nachbargrund eintreten, wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der Schaden durch eine Anlage entstand, die der allgemeinen Daseinsvorsorge dient (RIS-Justiz RS0010537 [T3]).

Der Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB setzt einen der Enteignung verwandten Tatbestand voraus; der Geschädigte hat einen Ersatzanspruch, weil er im Interesse des Nachbarn Eingriffe in sein Eigentum hinnehmen muss, die über die normale Duldungspflicht, wie sie § 364 Abs 2 ABGB vorschreibt, hinausgehen. Die Interessen des Nachbarn sind also von der Rechtsordnung oft wegen dahinter stehender Gründe des öffentlichen Wohles höher bewertet als das Eigentumsrecht des Betroffenen. Jede Analogie zu § 364a ABGB hat an diese Grundsituation anzuknüpfen. Dem Geschädigten muss ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums „an sich" zugestanden wäre (1 Ob 584/78 = SZ 51/47 ua; RIS-Justiz RS0010550).

Es mag zwar zutreffen, dass unmittelbare Zuleitungen aus genehmigten Anlagen ebenso wie unmittelbare körperliche Einwirkungen grundsätzlich vom betroffenen Nachbarn nicht zu dulden sind (vgl Spielbüchler in Rummel3 § 364a ABGB Rz 2), im vorliegenden Fall ist aber zu beachten, dass öffentlich-rechtliche Normen (§ 21 Abs 3 Oö StraßenG 1991) vorschreiben, dass die Eigentümer von Grundstücken, die in einem Abstand bis zu 50 m neben einer öffentlichen Straße liegen, verpflichtet sind, „den freien, nicht gesammelten Abfluss des Wassers von der Straße und die Ablagerung des im Zuge der Schneeräumung von der Straße entlang ihrer Grundstücke entfernten Schneeräumguts auf ihrem Grund ohne Anspruch auf Entschädigung zu dulden". Insoweit liegt also ein besonderer Rechtstitel für eine „unmittelbare Zuleitung oder körperliche Einwirkung" vor (vgl 1 Ob 12/82 = SZ 55/68 ua; RIS-Justiz RS0010528, wonach durch eine behördliche Bewilligung gedeckte Zuleitungen zu dulden sind). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass noch keine nach § 364 Abs 2 ABGB unzulässige Immission vorliegt, wenn eine öffentliche Straße in einer dem öffentlichen Interesse dienenden Weise angelegt, instandgehalten und betreut und dabei das nötige Maß nicht überschritten wird (3 Ob 534/90 = SZ 63/133 ua; RIS-Justiz RS0010596; Zur Ablagerung von Schnee vgl auch 2 Ob 67/83). Der von der Klägerin erhobene Schadenersatzanspruch würde daher voraussetzen, dass die schadenskausale körperliche Einwirkung durch den geräumten und abgelagerten Schnee jenes Maß überschreitet, das für die ordnungsgemäße Instandhaltung und Betreuung der Straße erforderlich ist. Im Gegensatz zu der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht kommt es im vorliegenden Fall daher sehr wohl darauf an, ob die Schneeräumung in den Wintern 2005/06 und 2006/07 in einer das notwendige Ausmaß überschreitenden Weise erfolgte, also eine die ortsübliche Benützung des Straßengrundstücks der Beklagten überschreitende Schneeräumung und -ablagerung erfolgte. Hiezu fehlen bislang Tatsachenfeststellungen. Nur für den Fall, dass die Schneeräumtätigkeit der Beklagten über das für die ordnungsgemäße Benützung der an das Grundstück der Klägerin angrenzenden Straße notwendige Ausmaß hinaus erfolgte, käme ein Ausgleichsanspruch in Betracht (vgl die Haftung des Straßenerhalters für Gebäudeschäden, die durch eine nicht ortsübliche Salzstreuung hervorgerufen werden: 6 Ob 109/02a = SZ 2002/85).

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren zu überprüfen haben, ob die schadensverursachende Schneeräumtätigkeit der Beklagten in den beiden angesprochenen Wintern das für die Sicherheit der Straßenbenützer erforderliche Ausmaß überschritt oder nicht.

Bei schadenskausaler Überschreitung der notwendigen und ortsüblichen Schneeräumung und -ablagerung wäre auch noch der Einwand der Beklagten zu prüfen, die Klägerin habe den Schaden infolge konsensloser Zaunerrichtung innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Abstands von 8 m zum öffentlichen Weg selbst zu tragen.

In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, dass auch dann, wenn die Bestimmungen über eine Gefährdungshaftung - anders als § 7 EKHG - keine entsprechenden Regeln enthalten, ein Mitverschulden des Geschädigten nach § 1304 ABGB beurteilt werden muss (1 Ob 31/81 = SZ 54/13; 10 Ob 520/87 = MietSlg 40.020; vgl RIS-Justiz RS0029786; Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 12/26 ff mwN). Ob das Verschulden des Geschädigten aus der Verletzung eines Schutzgesetzes abzuleiten ist, ist hiebei ohne Belang.

Zu fragen ist aber, ob die hier von der Beklagten ins Treffen geführten straßenrechtlichen Bestimmungen (§ 18 Abs 1 Oö StraßenG 1991) in Bezug auf den hier zu beurteilenden Ersatzanspruch überhaupt als Schutzgesetz aufzufassen sind, also der Verhinderung des geltend gemachten Schadens dienen sollen.

§ 18 Abs 1 Oö StraßenG 1991 lautet:

„Soweit der Bebauungsplan nichts anderes festlegt, dürfen Bauten und sonstige Anlagen, wie lebende Zäune, Hecken, Park- und Lagerplätze, Teiche, Sand- und Schottergruben, an öffentlichen Straßen, ausgenommen Verkehrsflächen nach § 8 Abs 2 Z 3, innerhalb eines Bereichs von acht Metern neben dem Straßenrand nur mit Zustimmung der Straßenverwaltung errichtet werden. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn dadurch die gefahrlose Benützbarkeit der Straße nicht beeinträchtigt wird. ..."

Diese Regelung lässt klar erkennen, dass Schutzziel der Bebauungsbeschränkung die Leichtigkeit, Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs auf der Straße ist (vgl VwGH 2003/05/0202 mwN) und nicht die Verhinderung von Schadenersatzansprüchen wegen nicht ortsüblicher Einwirkungen auf Nachbarliegenschaften. Aus der unterlassenen Einholung des Einverständnisses der Straßenverwaltung vor Errichtung des nunmehr beschädigten Zauns kann daher keine Minderung oder der Ausschluss eines allfälligen Ersatzes abgeleitet werden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E90106

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0040OB00239.08P.0224.000

Im RIS seit

26.03.2009

Zuletzt aktualisiert am

19.09.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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