Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab und Dr. T. Solé sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 6. Februar 2009, GZ 16 Hv 151/08s-22, sowie über mehrere Beschwerden des Angeklagten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I./ Der Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 12. Juni 2009, GZ 16 Hv 151/08s-30, mit dem die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 2 StPO zurückgewiesen wurde, wird Folge gegeben und der genannte Beschluss ersatzlos aufgehoben.
II./ Der Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. Juni 2009, GZ 16 Hv 151/08s-26a, mit dem ein Protokollberichtigungsantrag abgewiesen wurde, wird nicht Folge gegeben.
III./ Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
IV./ Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde gegen den Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
V./ Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael K***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./) und der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB (IV./) schuldig erkannt.
Danach hat er
I./ am 15. August 2008 in Lieboch Sabrina Ko***** mit Gewalt, indem er sie mit beiden Händen im Schulterbereich ergriff und sie auf die Couch drückte, ihr die Hose und Unterhose herunterzog, ihr die Beine auseinanderdrückte und durch die Äußerung „ihr eine reinzuhaun, wenn sie nicht mit ihm schlafe", somit durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) zur Duldung des Beischlafs genötigt;
II./ am 19. September 2008 in Seiersberg Fabienne H***** durch nachgenannte Äußerungen mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
a./ durch die mittelbare, nämlich gegenüber Carmen S***** geäußerten Worte, dass er Fabienne H***** und ihre Familie abfackeln werde;
b./ durch die unmittelbare Äußerung, dass er am Mittwoch aus dem PAZ hinauskomme und sie dann was erleben könne;
III./ am 3. November 2007 in Tobelbad Carmen S***** dadurch, dass er ihr ein Mobiltelefon gegen den Kopf warf, wodurch sie einen Bluterguss erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;
IV./ andere zu nachgenannten Handlungen und Unterlassungen genötigt bzw nötigen versucht, und zwar
a./ am 15. August 2008 in Lieboch Sabrina Ko***** durch die Äußerung, niemandem davon (gemeint Vergewaltigung) zu erzählen, ansonsten werde er sie schlagen, zur Abstandnahme von der Anzeigenerstattung, wobei es infolge Anzeige beim Versuch blieb,
b./ zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juni 2008 in Feldkirchen Carmen S***** dadurch, dass er sie auf der B67 überholte und vor ihr seinen Pkw plötzlich abbremste, zum abrupten Abbremsen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Zu den Beschwerden nach § 285b Abs 2 StPO und nach § 271 Abs 7 StPO iVm § 270 Abs 3 StPO:
Nach Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung in der Hauptverhandlung wurde die Urteilsausfertigung samt dem Hauptverhandlungsprotokoll am 6. Mai 2009 der Verteidigerin zugestellt (S 7/ON 1). Mit einem am 3. Juni 2009, also dem letzten Tag der Rechtsmittelfrist, zur Post gegebenen Antrag begehrte der Angeklagte einerseits eine Protokollberichtigung wegen dreier Schreibfehler und andererseits unter Verweis auf den Umfang des Hauptverhandlungsprotokolls (welches 44 Seiten umfasste) eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels.
Mit Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. Juni 2009 (ON 1 S 11 sowie ON 26a) wurden sowohl der Antrag nach § 285 Abs 2 StPO als auch jener auf Protokollberichtigung abgewiesen und die Verteidigung davon mittels der am 12. Juni 2009 zugestellten Beschlussausfertigung verständigt (ON 1 S 11).
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wurden mit einem am 12. Juni 2009 von der Verteidigerin zur Post gegebenen Schriftsatz ausgeführt (ON 32).
Mit Beschluss vom 12. Juni 2009 wies der Vorsitzende des Schöffengerichts des Landesgerichts für Strafsachen Graz die zu diesem Zeitpunkt angemeldete, aber noch nicht ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285a Z 2 StPO zurück (ON 30).
Die Beschwerde des Verurteilten gegen letztgenannten Beschluss ist berechtigt.
Gemäß § 285 Abs 3 StPO ist die Zeit von der Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist bis zur Bekanntmachung des dazu ergangenen Beschlusses in die Frist zur Ausführung der Gründe der Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzurechnen. Daher erfolgte die Zurückweisung der solcherart rechtzeitig ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde zu Unrecht. Der Beschluss vom 12. Juni 2009 war daher ersatzlos aufzuheben.
Für die Berichtigung von Schreib- und Rechenfehlern im Hauptverhandlungsprotokoll gilt § 270 Abs 3 erster Satz StPO sinngemäß (§ 271 Abs 7 erster Satz StPO). Derartige Fehler kann daher der Vorsitzende jederzeit - allenfalls nach Anhörung der Parteien - berichtigen. Nicht jeder Schreib- und Rechenfehler zwingt indes zu einer Berichtigung:
Bloße Schreibfehler sind solche, die keine inhaltliche Relevanz besitzen (wie etwa Tipp- und Rechtschreibfehler oder ein inhaltliches Vergreifen im Ausdruck); bloße Rechenfehler betreffen hingegen unrichtige Rechenvorgänge ohne unmittelbare Gestaltungswirkung (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 51; Fabrizy, StPO10 § 270 Rz 12; SSt 47/50; RIS-Justiz RS0098882). Derartige Fehler können daher keinen Einfluss auf einen Freispruch bzw einen Schuld- oder Sanktionsausspruch haben. Ungeachtet dessen räumt die im § 271 Abs 7 fünfter Satz StPO vorgegebene sinngemäße Anwendung des § 270 Abs 3 zweiter bis dritter Satz StPO dem Nichtigkeitswerber eine Beschwerde gegen die Zurückweisung jedweden Antrags auf Protokollberichtigung, also auch gegen eine Verweigerung der Berichtigung bloßer Schreib- und Rechenfehler im oben dargestellten Sinn ein. Erfolgreich kann aber ein ausschließlich auf derartige Verbesserungen gerichtetes Rechtsmittelbegehren nicht sein, sind doch dann ausschließlich Fehler ohne Entscheidungsrelevanz betroffen, sodass dem Rechtsmittelwerber die Beschwer für eine derartige Berichtigung fehlt.
Liegt hingegen ein Schreib- oder Rechenfehler vor, durch den erhebliche (iS von für den Freispruch, Schuld- oder Sanktionsausspruch maßgebliche) Umstände oder Vorgänge im Protokoll unrichtig wiedergegeben werden, so kann der Vorsitzende entsprechende Ergänzungen oder Berichtigungen von Amts wegen oder auf Antrag der rechtsmittelberechtigten Personen nach § 271 Abs 7 StPO vornehmen. Diesfalls ist eine Berichtigung auch notwendig im Sinne einer allenfalls im Rechtsmittelweg durchsetzbaren - und die neuerliche Urteilszustellung samt neu ausgelöster Rechtsmittelfrist (§ 271 Abs 7 sechster Satz StPO; vgl 11 Os 19/09t, EvBl 2009/92, 613) bedingenden - Ausbesserung.
Die vom Beschwerdeführer in Richtung einer Maßgeblichkeit im aufgezeigten Sinn nicht substantiiert bemängelten Schreibfehler („das" anstelle von „dass" bzw „hat" anstelle von „habe") sind - wie schon das Erstgericht zu Recht aufgezeigt hatte - weder sinnstörend noch wurden damit im Protokoll der Hauptverhandlung erhebliche Umstände oder Vorgänge unrichtig wiedergegeben. Der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Protokollberichtigung war daher nicht Folge zu geben.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Die Verfahrensrüge (Z 4) richtet sich gegen die Abweisung des Antrags auf Einvernahme des Zeugen Markus M***** zum Beweis dafür, dass Sabrina Ko***** diesen gegenüber nach der angeblichen Vergewaltigung erzählt hat, dass sie mit dem Angeklagten geschlafen hat und jetzt mit ihm gehe bzw etwas mit ihm habe. Durch diese Zeugenaussage sollte bewiesen werden, dass die Zeugin den Angeklagten wissentlich falsch belastet und auch niemals gegenüber dem Zeugen erwähnt hat, dass sie vergewaltigt worden ist (S 39/ON 21).
Dem Schöffensenat ist beizupflichten, dass mit diesem Beweisthema weder ein Schuldausschluss noch eine wissentliche Falschbelastung durch das Tatopfer unter Beweis gestellt werden könnte, zumal aus bloß fehlenden Erzählungen des Opfers über eine Vergewaltigung die vom Beschwerdeführer gezogenen Rückschlüsse nicht gezogen werden können.
Die Mängelrüge (Z 5), mit der eine unzulässige Begründung des Urteils unter Bezugnahme auf nicht verlesene Aussagen von Zeuginnen vor der Polizei behauptet wird, übergeht, dass sich die Zeuginnen Sabrina Ko***** und Fabienne H***** anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung ausdrücklich auf ihre jeweiligen Angaben vor der Polizei bezogen und diese inhaltlich wiederholten (ON 7 S 2 und ON 8 S 3). Diese kontradiktorischen Vernehmungen wurden gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO in der Hauptverhandlung verlesen (ON 21 S 11 und S 15), womit sie im Sinne des § 258 Abs 1 StPO vorkamen und daher bei der Urteilsbegründung auch verwendet werden durften.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) greift ihrem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemeiner menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht eröffnet (vgl RIS-Justiz RS0119583). Gegenstand der Tatsachenrüge sind daher Feststellungen, angesichts der eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt, die somit schlechterdings unerträglich sind (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 391 und 490).
Der Nichtigkeitswerber verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen zur Mängelrüge sowie auf den Umstand, dass die Vergewaltigung von Fabienne H***** gehört hätte werden müssen, wobei er die Angaben der Tatopfer mit der unsubstantiierten Behauptung in Frage stellt, diese würden ihn lediglich aus gekränkter Eitelkeit belasten. Damit vermag der Rechtsmittelwerber aber keine im dargestellten Sinn sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen dazutun.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde gegen den Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E92776European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00102.09F.0827.000Im RIS seit
26.09.2009Zuletzt aktualisiert am
06.10.2010