TE OGH 2010/7/6 1Ob93/10y

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Veröffentlicht am 06.07.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johannes D*****, vertreten durch Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Medizinische Universität Graz, Graz, Universitätsplatz 3, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 20.001 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. Februar 2010, GZ 5 R 181/09s-41, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 7. September 2009, GZ 18 Cg 48/06p-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidungsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger ist seit dem Wintersemester 2004 Studierender der Humanmedizin bei der Nebenintervenientin. Nach dem maßgeblichen Studienplan war bei Lehrveranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter die Teilnehmerzahl im zweiten Studienabschnitt auf 264 Plätze beschränkt. Voraussetzung für die Zulassung zu Lehrveranstaltungen eines bestimmten Moduls des zweiten Studienabschnitts war die positive Absolvierung des ersten Studienabschnitts. Der Kläger hatte ursprünglich den ersten Studienabschnitt nicht positiv abgeschlossen, weil er eine Prüfung am 1. 7. 2005 nicht bestanden hatte; dies gelang ihm erst im Rahmen der Wiederholungsprüfung am 12. 9. 2005. Da die Nebenintervenientin für die Reihung der Studierenden für den zweiten Studienabschnitt darauf abstellt, zu welchem Zeitpunkt die Aufnahmevoraussetzungen erfüllt wurden, belegte der Kläger in dieser Reihung Platz 364. Im Wintersemester 2005/2006 wurden jedoch nur Studierende bis zur Nummer 328 in das zweite Studienjahr aufgenommen. Um die geringstmögliche Verzögerung in seinem Studium zu erreichen, wäre dem Kläger ab dem zweiten Studienjahr (Wintersemester 2005/2006) die Möglichkeit offen gestanden, den erheblichen Teil der Lehrveranstaltungen für das Medizinstudium - auch den Großteil jener des dritten Studienabschnitts - bis zum Ende des Sommersemesters 2009/2010 zu absolvieren. Im darauffolgenden Wintersemester 2010 wären noch zwei Module zu je fünf Wochen zu absolvieren, wobei die Pflichtfamulatur aus Allgemeinmedizin auch schon in der vorlesungsfreien Zeit im Sommer absolviert werden könnte. Diese Famulatur wird in einer Lehrpraxis eines niedergelassenen Arztes absolviert und umfasst zusätzlich je einen Seminartag zu Beginn und am Ende der Praxiszeit. Will ein Studierender diese Famulatur in den Sommerferien absolvieren, bedarf dies einer Genehmigung durch das Vizerektorat für Studium und Lehre, die regelmäßig erteilt wird, wenn dadurch eine Studienverzögerung hintangehalten werden soll. Die erwähnten (eintägigen) Seminare können nur im Rahmen der Vorlesungszeit absolviert werden, also frühestens im Wintersemester 2010.

Der Kläger begehrte nun die Feststellung, dass ihm die Beklagte für sämtlichen zukünftig entstehenden Schaden aus dem Unterlassen des Anbots von Parallellehrveranstaltungen im Wintersemester 2005/2006 hafte. Die Nebenintervenientin habe entgegen § 54 Abs 8 UG 2002 keine zusätzlichen Parallellehrveranstaltungen angeboten, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wäre, um eine Verlängerung der Studienzeit der von der Nichtberücksichtigung betroffenen 114 Studenten, also auch des Klägers, zu verhindern. Der Studienplan (Curriculum) habe entgegen der zitierten Gesetzesstelle keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung von derartigen Studienverlängerungen vorgesehen. Die Beklagte hafte für dieses Fehlverhalten der Universitätsorgane. Sie habe darüber hinaus auch ihrer Aufsichtspflicht nicht entsprochen und den gesetzwidrigen Zustand hingenommen. Wegen der Nichtzulassung zu Lehrveranstaltungen des zweiten Studienabschnitts mit beschränkter Teilnehmerzahl werde der Kläger eine Studienzeitverlängerung von zumindest einem Semester hinzunehmen haben. Er werde dadurch Schäden durch zusätzliche Lebenshaltungskosten während des verlängerten Studiums sowie durch Studiengebühren und darüber hinaus durch den verspäteten Eintritt in das Berufsleben erleiden.

Die Beklagte und die auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenientin wandten im Wesentlichen ein, es sei aus organisatorischen und administrativen, aber auch ressourcentechnischen Gründen (Anzahl der Patienten) nicht möglich, Studienplätze beliebig zu vermehren. Eine bedingungslose Befolgung des § 54 Abs 8 Satz 2 UG 2002 würde letztlich bedeuten, dass eine unbegrenzte Anzahl von Studienplätzen zur Verfügung gestellt werden müsste, um eine unbegrenzte Anzahl von Studierenden, ungeachtet qualitativer Maßstäbe, durch das Studium zu führen. Dies sei mit den Grundsätzen, Aufgaben und Zielen einer Universität nicht vereinbar. Gerade in den medizinischen Studien sei die Bereitstellung von praxisbezogenen Übungs- und Seminarplätzen bei einer übergroßen Anzahl von Studierenden realistischerweise nicht immer möglich. Die Nebenintervenientin habe in Abwägung der Rechtsgüter der §§ 1 und 54 Abs 8 UG 2002 und ihrer Verantwortung, die vom Gesetzgeber bereitgestellten Ressourcen ökonomisch und zielorientiert einzusetzen, gesetzeskonform gehandelt. Im Bereich der medizinischen Studien seien Studienplätze schon deshalb nicht unbeschränkt vermehrbar, weil diese mit der Zahl von Patientinnen und Patienten der Universitätslehrkrankenhäuser korrelieren müssten. § 54 Abs 8 UG 2002 enthalte zwar eine Zielvorgabe für die Universitäten, der Gesetzestext normiere jedoch keine Verpflichtung, allen Interessenten an einer bestimmten Studienrichtung Ausbildungsplätze ohne Beschränkung zur Verfügung zu stellen. Eine ins Gewicht fallende Verlängerung der Studienzeit sei nicht zu befürchten, weil es den Studierenden im zweiten Studienabschnitt möglich sei, abgesehen von den Lehrveranstaltungen mit begrenzter Teilnehmerzahl alle Vorlesungen und Studienmodule zu besuchen, sich auf die entsprechenden Prüfungen vorzubereiten und die vorgeschriebenen Semesterstunden an freien Wahlfächern und Wahlpflichtfächern zu absolvieren. Unter Berücksichtigung des für den Kläger maßgeblichen Studienplans käme es zu einer Verlängerung der Studienzeit von längstens zehn Wochen. Dies ergebe sich bei einem fiktiv angenommenen Studienverlauf daraus, dass der Kläger nach dem sechsten Studienjahr noch die Fächergruppe 3 und die Pflichtfamulatur in der Dauer von jeweils fünf Wochen zu absolvieren habe. Bei Absolvieren der Famulatur in der lehrveranstaltungsfreien Zeit könne diese Verzögerung auf fünf Wochen reduziert werden. Eine solche Verzögerung sei zumutbar, zumal sie auf der Tatsache basiere, dass der Kläger eine Prüfung beim Erstantritt nicht bestanden und nur aufgrund des späten (erfolgreichen) Zweitantritts den Lehrveranstaltungsplatz im zweiten Studienabschnitt nicht bekommen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte im Rahmen der Sachverhaltsfeststellungen über den eingangs dieser Entscheidung wiedergegebenen Sachverhalt hinaus weiters aus, die zehnwöchige Überschreitung der „Studienzeit von sechs Jahren“ wäre bei der Absolvierung der allgemeinmedizinischen Famulatur im Sommer auf fünf Wochen reduzierbar. Rechtlich vertrat es die Auffassung, dass grundsätzlich gemäß § 49 Abs 2 UG 2002 Amtshaftungsansprüche wegen eines gesetzwidrigen Curriculums denkbar seien. Das Feststellungsinteresse des Klägers sei zu bejahen, weil die konkrete Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts bestehe. Dass die verlängerte Dauer eines Hochschulstudiums grundsätzlich die vom Kläger aufgezeigten Vermögensnachteile mit sich bringen könne, sei evident. Aus den Feststellungen ergebe sich die Möglichkeit, dass der Kläger sein Studium mit einer fünfwöchigen Verzögerung abschließe. Es sei von ihm im Sinne seiner Schadensminderungspflicht auch zu erwarten, dass er „diesem Studienplan“ folge und die Famulatur aus Allgemeinmedizin im Sommer nach dem sechsten Studienjahr absolviere. Unter Berücksichtigung der Bestimmungen der §§ 52, 61 Abs 2 und 62 Abs 3 UG 2002 würde der Kläger bei einer fünfwöchigen Verzögerung sein Studium noch innerhalb des zwölften Semesters abschließen. Im Lichte dessen scheine die aus § 54 Abs 8 UG 2002 ersichtliche Verpflichtung, Studienverzögerungen bei zurückgestellten Studierenden zu verhindern, mangels einer relevanten solchen nicht Platz zu greifen, und zwar um so weniger, als es in der Sphäre des Klägers gelegen gewesen sei, erst zu einem späteren Zeitpunkt als andere Studierende die Zulassungsvoraussetzungen zum zweiten Studienabschnitt zu erfüllen. Daraus eine Verpflichtung der Nebenintervenientin abzuleiten, im Bedarfsfall Parallellehrveranstaltungen einzurichten, um eine bloß fünfwöchige, selbst herbeigeführte Verzögerung hintanzuhalten, sei dieser Bestimmung bei einer lebensnahen Interpretation nicht immanent. Da somit ein Verstoß gegen § 54 Abs 8 UG 2002 nicht vorliege, bedürfe es weder einer Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Curriculums durch den Verfassungsgerichtshof noch eines Eingehens auf die Frage einer Aufsichtspflichtverletzung bei der Genehmigung des Curriculums iSd § 45 UG 2002 durch den Bundesminister.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Der Bestimmung des § 54 Abs 8 UG 2002 sei keineswegs zu entnehmen, dass für die Universität die Verpflichtung bestehe, dem Studierenden trotz einer nicht bestandenen Prüfung, deren Absolvierung jedoch Voraussetzung für die Zulassung für den nächsten Studienabschnitt ist, den Studienplan so zu erstellen, dass ihm daraus keine Verlängerung der Studienzeit erwächst. Im Übrigen lege der Kläger nicht dar, worin die konkrete rechtswidrige Handlung der Organe der Beklagten bestanden haben soll. Letztlich sei nach Ansicht des Berufungsgerichts auch das erforderliche Feststellungsinteresse zu verneinen. Werde ein Feststellungsbegehren auf eine Schadenersatzpflicht gestützt, so müsse in jenem Zeitpunkt allerdings nicht auch schon ein Primärschaden eingetreten sein, vielmehr genüge die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts. Dabei setze die Bejahung eines Feststellungsinteresses jedoch die konkrete Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts voraus. Eine theoretisch mögliche künftige Schädigung auf dem Boden einer abstrakten Beurteilung reiche nicht. Der rechtserzeugende Sachverhalt müsse sich vollständig konkretisiert haben. Abstrakte Rechtsfragen würden sich dagegen einer Lösung durch ein Feststellungsurteil entziehen. Wende man diese Grundsätze an, ergebe sich, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch innerhalb der vorgesehenen Mindeststudiendauer von sechs Jahren befunden habe und daher ein Primärschaden noch nicht eingetreten sein konnte. Weiters fehle es am Sachverhaltselement, dass eine alsbaldige gerichtliche Entscheidung wegen eines konkreten und aktuellen Anlasses zur Vermeidung einer tatsächlichen ernstlichen Gefährdung der Rechtsposition des Klägers geboten erscheint. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine oberstgerichtliche Judikatur in Amtshaftungssachen zu einem Verstoß gegen die Bestimmung des § 54 Abs 8 UG 2002 fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

Gemäß § 54 Abs 8 UG 2002 ist im Curriculum - einer Verordnung gemäß § 51 Abs 2 Z 24 UG 2002 - für Lehrveranstaltungen mit einer beschränkten Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Anzahl der möglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie das Verfahren zur Vergabe der Plätze festzulegen. Dabei ist zu beachten, dass den bei einer Anmeldung zurückgestellten Studierenden daraus keine Verlängerung der Studienzeit erwächst. Im Bedarfsfall sind überdies Parallellehrveranstaltungen, allenfalls auch während der sonst lehrveranstaltungsfreien Zeit, anzubieten.

Unstrittig ist, dass die Nebenintervenientin derartige Parallellehrveranstaltungen nicht angeboten hat. Zur Vermeidung von Studienverzögerungen bestimmt Punkt 1.14.2 des maßgeblichen Studienplans (nur), dass Studierende, welchen trotz positiven Abschlusses des ersten Studienabschnitts kein Platz zur Verfügung gestellt werden kann, bei nächster Gelegenheit berücksichtigt werden, und dass diese an sämtlichen Lehrveranstaltungen des zweiten Studienabschnitts, für welche keine Beschränkung der Teilnehmerzahl besteht, teilnehmen können.

Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass der Ausschluss des Klägers von dem betreffenden Studienmodul zu Beginn des zweiten Studienabschnitts sich bei zielstrebigem und geordnetem Fortsetzen des Studiums lediglich in einer fünfwöchigen Verzögerung des Studienabschlusses niederschlagen werde, was auch angesichts der Bestimmung des § 54 Abs 8 UG 2002 insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands hinzunehmen sei, dass er die letzte für die Zulassung zum zweiten Studienabschnitt erforderliche Prüfung erst kurz vor Beginn des folgenden Wintersemesters absolviert hat. Damit haben sie im Ergebnis eine Gesetzwidrigkeit des einschlägigen Curriculums sowie des unterbliebenen Anbietens einer „Parallellehrveranstaltung“ verneint.

Vorweg ist festzuhalten, dass eine Gesetzwidrigkeit des Curriculums schon deshalb nicht vorliegt, weil in dieser Verordnung lediglich das Qualifikationsprofil, der Inhalt und der Aufbau eines Studiums und die Prüfungsordnung festzulegen sind (§ 51 Abs 2 Z 24 UG 2002). Schon nach dem Klagebegehren geht der Vorwurf des Klägers hingegen (nur) dahin, dass keine „Parallellehrveranstaltung“ zu jenen Lehrveranstaltungen zu Beginn des zweiten Studienabschnitts angeboten wurde, zu denen er wegen seiner ungünstigen Reihung nicht zugelassen wurde. Das Anbieten derartiger „Parallellehrveranstaltungen“ ist nun aber nach der genannten Gesetzesstelle nicht notwendiger Gegenstand des Curriculums, zumal regelmäßig erst zu einem relativ späten Zeitpunkt feststeht, ob und inwieweit Bedarf nach einer derartigen Maßnahme besteht. In einem Curriculum als generell-abstraktem Instrument zur Festlegung des Studienverlaufs und der Prüfungsordnung könnte somit allenfalls die gesetzliche Anordnung des § 54 Abs 8 Satz 2 UG 2002 wiederholt werden, wonach „im Bedarfsfall“ Parallellehrveranstaltungen anzubieten sind. Einer solchen Wiederholung bedarf es aber schon deshalb nicht, weil die zur Festlegung der konkreten Lehrveranstaltungen in den jeweiligen Semestern zuständigen Universitätsorgane diese Bestimmung ohnedies zu beachten und gegebenenfalls (kurzfristig) derartige Parallellehrveranstaltungen anzubieten haben. Somit stellt sich weder die Frage nach einer Gesetzwidrigkeit des Curriculums noch nach einer Verletzung der Aufsichtspflicht des Bundesministers wegen der Genehmigung eines gesetzwidrigen Curriculums, sondern ausschließlich jene, ob das Unterlassen des Anbietens einer „Parallellehrveranstaltung“ gegen § 54 Abs 8 Satz 2 UG 2002 verstoßen hat.

Entgegen der Rechtsauffassung der Revisionsgegner bieten weder der Gesetzestext noch die Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte dafür, dass „geringfügige Studienverzögerungen“ wegen einer Zurückstellung bei einer Anmeldung zu Lehrveranstaltungen mit beschränkter Teilnehmerzahl hinzunehmen wären, spricht doch das Gesetz ohne Einschränkung davon, dass aus einer solchen Zurückstellung „keine“ Verlängerung der Studienzeit erwachsen soll.

Nach Auffassung des erkennenden Senats kann es insbesondere auch keinem Zweifel unterliegen, dass § 54 Abs 8 Satz 2 UG 2002 dem Schutz der Studierenden dient, denen grundsätzlich die Möglichkeit offen stehen soll, ihr Studium in der „Mindeststudienzeit“ zu beenden. So wird auch im Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung zur Regierungsvorlage zum UG 2002 ausdrücklich auf das Recht der Studierenden, dass ihnen bei beschränkten Plätzen keine Verlängerung der Studienzeit erwächst, hingewiesen (1224 BlgNR 21. GP 10); von einer bloßen Ordnungsvorschrift für die Universitäten kann daher entgegen der Auffassung der Revisionsgegner nicht gesprochen werden. Da die typische Folge der Verlängerung der Studienzeit in Vermögensnachteilen besteht, soll auch deren Eintritt durch die in Rede stehende Norm verhindert werden. Der gegenfälligen Auffassung von Standeker/Streit/ Pressinger-Buchsbaum (Schadenersatzanspruch Studierender gegen die Universität wegen unzureichenden Lehrveranstaltungsangebots? zfhr 2008, 21, 27 ff) ist hingegen nicht zu folgen. Insbesondere kann entgegen der von den genannten Autoren vertretenen Ansicht keineswegs aus dem Wortlaut der Norm abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber hier keine Verpflichtung der Universität statuieren wollte. Wenn das Gesetz der Universität auferlegt, „zu beachten“, dass den zurückgestellten Studierenden keine Verlängerung der Studienzeit erwächst, handelt es sich zweifellos um eine verbindliche Anordnung. Auch wenn es richtig ist, dass daraus kein subjektives Recht des einzelnen Studierenden auf einen Studienplatz „in einer bestimmten Lehrveranstaltung“ abzuleiten ist, hat der Gesetzgeber doch klar angeordnet, dass geeignete Vorkehrungen zur Vermeidung von Studienverzögerungen zu treffen sind, die gegebenenfalls auch im Anbieten von Lehrveranstaltungen während der sonst lehrveranstaltungsfreien Zeit bestehen können, was die Nebenintervenientin aber unbestrittenermaßen unterlassen hat.

Ebenso wenig kann sich die Beklagte darauf berufen, der Kläger habe sich die Nichtzulassung zur betreffenden (teilnehmerbeschränkten) Lehrveranstaltung selbst zuzuschreiben, weil er eine bestimmte Prüfung des ersten Studienabschnitts erst zu einem späten Zeitpunkt abgelegt hat. Eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt des Erreichens der Zulassungsvoraussetzungen enthalten § 54 Abs 8 Satz 2 und 3 UG 2002 nicht. Eine solche ist ausschließlich im Rahmen der Festlegung der Teilnahmekriterien gemäß Satz 1 von Bedeutung. Allen Studierenden, die zwar die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen für die betreffende Lehrveranstaltung erfüllt haben, jedoch aufgrund der Vergabekriterien zurückgestellt wurden, soll ersichtlich gleichermaßen die durch die Sätze 2 und 3 angestrebte Position zukommen, nämlich die Möglichkeit, die Nichtzulassung - insbesondere durch die Beteiligung an einer Parallellehrveranstaltung - in zeitlicher Hinsicht wieder zu kompensieren. Eine Differenzierung danach, warum ein einzelner Studierender, der die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt hat, in die „Hauptlehrveranstaltung“ nicht aufgenommen wurde, ist damit ausgeschlossen.

Nur der Vollständigkeit halber ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Annahme einer bloß fünfwöchigen Studienverzögerung durch die Vorinstanzen eher fragwürdig erscheint. Richtig weist der Revisionswerber darauf hin, dass die Frage nach der - bei einer zutreffend angestellten ex ante-Betrachtung - zu erwartenden Verlängerung der Studienzeit nicht ausreichend erörtert wurde und es unklar geblieben ist, warum die Vorinstanzen von einer Verlängerung um bloß fünf (bzw zehn) Wochen ausgehen. Angesichts des Gesamtinhalts des Curriculums kann zwar unscharf von einer „Studienzeit von sechs Jahren“ gesprochen werden. Bei näherer Betrachtung ist aber wohl davon auszugehen, dass bei zielstrebigem und erfolgreichem Studienverlauf mit Beginn eines Wintersemesters, also regelmäßig Anfang Oktober, mit dem Studium begonnen und dieses nach rund fünf Jahren und neun Monaten vor Ende der Lehrveranstaltungszeit des betreffenden Sommersemesters, also Ende Juni/Anfang Juli, beendet werden kann. Die Nebenintervenientin nimmt in ihrer Revisionsbeantwortung eine „reguläre“ Beendigung mit Ende Juni (2010) an; nach den aktuellen Angaben auf ihrer Internet-Homepage dauert die „Lehrveranstaltungszeit“ im Sommersemester 2010 vom 1. 3. bis 3. 7. 2010, während der Zeitraum vom 5. 7. bis 30. 9. 2010 als „Sommerferien“ bezeichnet wird. Auch die Beklagte hat nicht etwa behauptet, dass bei regulärem Studienverlauf ein Studienabschluss typischerweise erst nach vollen sechs Jahren erfolgt, was auch schon deshalb unwahrscheinlich erscheint, weil im Regelfall auch die letzten Prüfungen eines Studiums während des laufenden Semesters erfolgen und nicht etwa in der lehrveranstaltungsfreien Zeit im Sommer. Auch in ihrer Revisionsbeantwortung spricht der Beklagte von einem „12 Semester dauernden Medizinstudium“ und nicht etwa von einer („regulären“) Dauer von sechs vollen Studienjahren (vgl die Differenzierung in § 52 UG 2002). Unstrittig ist nun, dass der Kläger zwei jeweils (zumindest) fünfwöchige Ausbildungsmodule erst in einem zusätzlichen Wintersemester absolvieren kann, wobei dies für die Pflichtfamulatur aus Allgemeinmedizin zumindest insoweit zutrifft, als jedenfalls die Seminartage zu Beginn und am Ende dieser Praxiszeit nur während eines Semesters, nicht aber in der lehrveranstaltungsfreien Zeit im Sommer, besucht werden können. Die Frage, wann derartige Seminartage angeboten werden und wann der Kläger realistischerweise die Möglichkeit haben könnte, mit dem Abschlussseminar die Pflichtfamulatur formell abzuschließen, wurde von den Vorinstanzen nicht erörtert. Gleiches gilt für den Zeitpunkt der möglichen Absolvierung der weiteren (fünfwöchigen) Lehrveranstaltung im Laufe des Wintersemesters.

Durchaus fraglich erscheint auch die Rechtsauffassung des Erstgerichts, aus bestimmten Vorschriften des UG 2002, die sich allerdings in erster Linie mit der Zulassung zum Studium und der Meldung der Fortsetzung des Studiums befassen, wäre abzuleiten, dass der Kläger auch bei einer fünfwöchigen Verzögerung sein Studium noch innerhalb des zwölften Semesters abschließen würde. Darauf stellt § 54 Abs 8 Satz 2 UG 2002 allerdings gar nicht ab, sondern trägt den Universitäten auf, dafür Sorge zu tragen, dass den bei einer Anmeldung zurückgestellten Studierenden daraus keine Verlängerung der Studienzeit erwächst. Es spricht nun sehr viel dafür, bei der Frage nach einer Verlängerung der Studienzeit nicht an Formalvorschriften anzuknüpfen, sondern vielmehr - im Rahmen einer generalisierenden ex ante-Betrachtung - zu prüfen, zu welchem (konkreten) Zeitpunkt eine Beendigung des Studiums im Falle der Zulassung zur betreffenden Lehrveranstaltung - bzw zu einer Parallellehrveranstaltung - erfolgen könnte und zu welchem Zeitpunkt der Studierende wegen seiner Zurückstellung das Studium bei (weiterhin) zielstrebigem Bemühen (erst) beenden können wird.

Nachdem feststeht, dass für den Kläger allein wegen seiner Zurückstellung von bestimmten Lehrveranstaltungen zu Beginn des zweiten Studienabschnitts ein gegenüber dem „Regelstudium“ verspäteter Studienabschluss unvermeidbar ist, erweist sich das Unterbleiben des Anbietens von Parallellehrveranstaltungen durch die Nebenintervenientin unter Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen Anordnungen sowie des damit verfolgten Gesetzeszwecks als rechtswidrig. Dass auch die vom Kläger angeführten zukünftigen Vermögensnachteile aufgrund eines verspäteten Studienabschlusses durch § 54 Abs 2 Satz 2 und 3 UG 2002 verhindert werden sollen, wurde bereits dargelegt. Zur Beurteilung der Frage des - von den Revisionsgegnern bestrittenen - Verschuldens von Universitätsorganen an dem unterbliebenen Angebot von „Parallellehrveranstaltungen“ fehlt es allerdings an ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen.

Im Verfahren erster Instanz wurde dazu eingewendet, dass bestimmte Lehrveranstaltungen deshalb nur für eine beschränkte Teilnehmerzahl angeboten werden können, weil die Zahl der „Studienplätze“ mit der Zahl von Patientinnen und Patienten der Universitätslehrkrankenhäuser korrelieren müsse und daher nicht beliebig vermehrbar sei. Dies wird mit den Parteien im fortgesetzten Verfahren noch näher zu erörtern und gegebenenfalls zum Gegenstand eines Beweisverfahrens zu machen sein. Sollte sich dabei ergeben, dass eine „echte“ - also zeitgleich angesetzte - Parallellehrveranstaltung wegen der nicht ausreichenden (und auch durch besondere Maßnahmen - etwa die Einbeziehung weiterer Krankenhäuser - nicht vermehrbaren) Anzahl von Patienten nicht möglich oder aus massiven wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar gewesen wäre, erschiene ein allein daran anknüpfender Verschuldensvorwurf unbegründet. Dann wäre zu prüfen, ob die Abhaltung zusätzlicher einschlägiger Lehrveranstaltungen in der sonst lehrveranstaltungsfreien Zeit, also insbesondere in den „Sommerferien“ nach der Lehrveranstaltungszeit im vierten Semester, möglich gewesen wäre, was schon deshalb keineswegs ausgeschlossen erscheint, weil für eine solche „nachträgliche Parallellehrveranstaltung“ das Problem einer unzureichenden Patientenzahl wohl kaum besteht. Sollte sich letztlich ergeben, dass im unterlassenen Angebot „echter“ Parallellehrveranstaltungen kein Verschulden liegt, wohl aber im Unterbleiben eines entsprechenden Angebots in der sonst lehrveranstaltungsfreien Zeit, wäre letztlich auf Kausalitätsebene zu prüfen, welchen Einfluss ein solches nachträgliches Lehrangebot auf den (frühestmöglichen) Studienabschluss gehabt hätte. Wäre es dem Kläger dadurch möglich gewesen, die ursprüngliche Verzögerung wieder aufzuholen, wäre die Kausalität des Gesetzesverstoßes für die behaupteten zukünftigen Schäden zu bejahen.

Letztlich ist das Verneinen eines Feststellungsinteresses des Klägers durch das Berufungsgericht unverständlich, beruft sich dieses doch selbst auf die Judikatur, nach der ein Feststellungsbegehren grundsätzlich nicht voraussetzt, dass schon ein Primärschaden eingetreten ist, sondern die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts genügt. Sollte letztlich ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten von Universitätsorganen durch das gesetzwidrige Nichtanbieten von Parallellehrveranstaltungen zu bejahen sein, wäre ein haftungsbegründender Sachverhalt verwirklicht, und bestünde jedenfalls die konkrete Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts. Dann erwiese sich das Feststellungsbegehren als berechtigt. Richtig ist auch die Rechtsauffassung des Klägers, dass ungewisse Entwicklungen in der Zukunft die Berechtigung eines Feststellungsbegehrens nicht in Frage stellen können, wenn feststeht, dass durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eine Situation geschaffen wurde, die Quelle für zukünftige Schäden sein kann, die die übertretene Norm verhindern sollte.

Das Erstgericht wird das Verfahren daher im aufgezeigten Sinn zu ergänzen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Schlagworte

4 Amtshaftungssachen,

Textnummer

E94672

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00093.10Y.0706.000

Im RIS seit

07.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

23.07.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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