TE Vwgh Erkenntnis 2000/11/24 99/19/0212

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Veröffentlicht am 24.11.2000
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §19 Abs5;
FrG 1997 §21 Abs3;
FrG 1997 §8;
MRK Art8 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des 1988 geborenen M B, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. September 1999, Zl. 308.389/6-III/11/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 21. August 1998 bei der österreichischen Botschaft in Zagreb (beim Landeshauptmann von Wien eingelangt am 3. September 1998) die erstmalige Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der "Familiengemeinschaft mit Fremden", und zwar mit "VORMUND". Aus den Antragsunterlagen geht hervor, dass der Beschwerdeführer durch eine (im Akt sowohl in Kopie als auch in Übersetzung erliegende) Entscheidung des Zentrums für Sozialfürsorge Beli Manastir (Kroatien) vom 17. August 1998 seiner in Wien wohnhaften Großmutter anvertraut worden war. Die Großmutter des Beschwerdeführers hatte sich nach den Antragsunterlagen vor dem 1. Jänner 1998 in Österreich auf Dauer niedergelassen.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 5. Mai 1999 gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen. Begründend führte der Landeshauptmann von Wien aus, der minderjährige Beschwerdeführer hätte am 21. August 1998 durch eine Familienangehörige bei der österreichischen Botschaft in Zagreb den Antrag auf Niederlassungsbewilligung gestellt, sei jedoch zwischenzeitlich sichtvermerksfrei eingereist und besuche bereits die Volksschule in Wien.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. September 1999 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 bis 3 FrG 1997 abgewiesen. Nach Wiedergabe des Wortlautes des § 21 Abs. 1 bis 3 FrG 1997 führte die belangte Behörde aus, der Familiennachzug sei im Falle des Beschwerdeführers ausgeschlossen, weil eine "Zweckverfehlung" vorliege, da aus § 21 Abs. 1 bis 3 FrG 1997 eindeutig hervorgehe, dass der Familiennachzug ausschließlich auf Ehegatten und deren minderjährige Kinder beschränkt sei und der Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit der Großmutter bzw. mit dem Vormund" nicht vorgesehen sei. Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK sei die Versagung des Aufenthaltstitels, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele notwendig sei. Zwar bestünden durch den Aufenthalt der Großmutter des Beschwerdeführers unabsprechbare familiäre Bindungen in Österreich, dennoch könne unter den gegebenen Umständen keinesfalls ein Aufenthaltstitel erteilt werden, weil im Falle des Beschwerdeführers "eine Zweckverfehlung" vorliege. Darüber hinaus stelle die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung eine Zukunftsprognose dar und sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer beabsichtige, künftig in Österreich eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, was jedoch hinsichtlich der derzeitigen Situation am österreichischen Arbeitsmarkt aussichtslos erschiene. Aus den angeführten Gründen seien daher die öffentlichen Interessen höher zu bewerten gewesen als private und familiäre Interessen des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG 1997 lauten:

"§ 19. ...

(5) Niederlassungsbewilligungen gemäß Abs. 2 sind an den Aufenthaltszweck zu binden. Drittstaatsangehörigen, die sich ohne Erwerbsabsicht auf Dauer in Österreich niederlassen, wird eine Niederlassungsbewilligung für Private erteilt; sie gilt für jeglichen Aufenthaltszweck, außer für Erwerbstätigkeit.

...

§ 20. (1) Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern solcher Fremder, die rechtmäßig auf Dauer in Österreich niedergelassen sind, ist auf deren Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern sie ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12). ...

...

§ 21. ...

(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. Dasselbe gilt für den Familiennachzug quotenpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der nicht gemäß Abs. 2 erfolgte.

...

§ 47. ...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

...

2. Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, ...

... "

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines Fremdengesetzes 1997, 685BlgNR 20. GP, 68, lauten zu § 20 (auszugsweise):

"Im Entwurf wird von Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern als Familie gesprochen. Die Festlegung auf Kinder - ohne den im geltenden Recht vorhandenen Zusatz: ehelich oder außerehelich - soll sicherstellen, dass auch Adoptiv- und Stiefkinder von Fremden in dem vom Gesetz eingeräumten Rahmen (§ 21) das Recht zum Familiennachzug haben."

§ 3 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) lautete (auszugsweise):

"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

1.

von österreichischen Staatsbürgern oder

2.

von Fremden, die ..., ist ... eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt."

Der Beschwerdeführer verfügte weder nach der Aktenlage noch nach seinem Vorbringen jemals über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Die belangte Behörde wertete seinen Antrag daher zutreffend als solchen auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels, näherhin einer Erstniederlassungsbewilligung.

Die belangte Behörde stützt ihre abweisende Entscheidung auf § 21 Abs. 3 FrG 1997. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt ist. Der Beschwerdeführer hat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet.

Wie der Verwaltungsgerichtshof ua. in seinem Erkenntnis vom 13. Juni 1997, Zlen. 96/19/0314, 0315, darlegte, waren unter "minderjährigen Kindern von Fremden" im Sinne des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG nicht auch Enkelkinder zu verstehen. Für diese Auslegung sprach nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch, dass sich § 3 AufG auf "eheliche und außereheliche" Kinder bezog, womit nur die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, nicht aber zwischen Großeltern und Enkelkindern gemeint sein konnten. Das FrG 1997 verwendet in einer Reihe von Bestimmungen ebenfalls den Begriff "Kind" bzw. "Kinder" (so außer den hier primär maßgeblichen §§ 20 und 21 noch in den §§ 7 Abs. 4 Z. 3, 8 Abs. 5, 18 Abs. 1 Z. 1 und 2, 19 Abs. 2 Z. 5, 23 Abs. 6, 24 Z. 2, 28 Abs. 2, 49 Abs. 2 Z. 2, 81 Abs. 1, 89 Abs. 2 Z. 3 und 113 Abs. 10). Weder aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen noch aus den oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien ergeben sich Indizien dafür, dass der Begriff "Kind" im FrG 1997 anders als im AufG auch Enkelkinder umfassen sollte. In dieselbe Richtung weist schließlich der - abweichende - Wortlaut des § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997, der, offenkundig auch Enkelkinder erfassend, "Verwandte in absteigender Linie" nennt. Dass der Beschwerdeführer Enkel einer nach dem Akteninhalt bereits vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassenen Fremden ist, führte demnach zu Recht nicht zur Anwendung des § 21 Abs. 3 FrG 1997 auf ihn. Da auch ein Vormund einem Elternteil nicht gleichzustellen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1999, Zl. 98/19/0234), ergäbe sich die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auch dann nicht, wenn die oben wiedergegebene Entscheidung über eine Anvertrauung des Beschwerdeführers eine Vormundschaftsbestellung seiner Großmutter zum Ausdruck bringen sollte.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Die belangte Behörde wäre nämlich - das Fehlen eines Versagungsgrundes vorausgesetzt - verpflichtet gewesen, im Wege einer Ermessensentscheidung die vom Beschwerdeführer in seinem Antrag vom 21. August  1998 ins Treffen geführten Gründe (Anwesenheit seiner Großmutter im Bundesgebiet) einem zu ihrer Verwirklichung tauglichen Aufenthaltszweck (hier: des privaten Aufenthaltes) zu subsumieren. Die im Beschwerdefall erkennbar unrichtige Benennung des angestrebten Aufenthaltszweckes der für (minderjährige) Kinder gar nicht in Frage kommenden Familiengemeinschaft mit ihrem Vormund bzw. ihren Großeltern, also eine bloße Fehlbezeichnung des Aufenthaltszweckes, hinderte die Behandlung des Antrages des Beschwerdeführers im Rahmen der gemäß § 19 Abs. 5 FrG 1997 festgesetzten Quote nicht (vgl. hiezu das zu einer fehlerhaften Bezeichnung des Aufenthaltszweckes nach dem AufG ergangene hg. Erkenntnis vom 10. September 1999, Zl. 98/19/0203, sowie zur Rechtslage nach dem FrG 1997 das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999, Zl. 99/19/0162).

Die belangte Behörde war daher gehalten, in Anwendung der §§ 8 und 19 FrG 1997 eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob dem Beschwerdeführer im Rahmen der Quote für Private eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen war.

Die von der belangten Behörde vorgenommene Abwägung im Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 2 MRK ist keine solche Ermessensentscheidung. Insbesondere wäre auch der für das Überwiegen der öffentlichen Interessen ins Treffen geführte Grund der "Zweckverfehlung" unzutreffend, weil die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gründe für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet im Rahmen der gemäß § 19 Abs. 5 FrG 1997 festgelegten Quote Berücksichtigung finden könnten (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999).

Soweit die belangte Behörde in der Bescheidbegründung darauf hinweist, es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer beabsichtige, künftig in Österreich eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, was jedoch "hinsichtlich der derzeitigen Situation am österreichischen Arbeitsmarkt aussichtslos" erscheine, ist ihr zu entgegnen, dass dieser Umstand, anders als die belangte Behörde meint, der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für Private, die eine fremdenrechtliche Befugnis zur Erwerbstätigkeit nicht umfasst, keinesfalls entgegensteht.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. November 2000

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999190212.X00

Im RIS seit

19.12.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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