Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eilenberger als Schriftführerin, in den Strafsachen gegen Klaus P***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und weiterer strafbarer Handlungen einerseits sowie wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 2 und Z 3, 15 StGB andererseits über die von der Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. Mai 2008, GZ 28 U 118/05v-107, und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008, GZ 081 EHv 27/08w-65, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
I. Es verletzen das Gesetz:
1. die im Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. Mai 2008, GZ 28 U 118/05v-107, erfolgte Subsumtion der in den Punkten 2 und 4 bezeichneten Taten gesondert als (zwei) Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB in § 29 StGB;
2. das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008, GZ 081 E Hv 27/08w-65, im Schuldspruch B 5 in dem in § 17 Abs 1 StPO normierten Grundsatz „ne bis in idem".
II. Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008, GZ 81 Hv 27/08w-65, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch des Klaus P***** wegen des Punkt B 5 zu Grunde liegenden Sachverhalts, demgemäß auch im Strafausspruch und in den darauf gegründeten Entscheidungen auf Anordnung der Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung gemäß §§ 50 Abs 1, 51 Abs 3 StGB aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Klaus P***** wird von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe am 8. Jänner 2008 in Wien Verfügungsberechtigten des Unternehmens L***** fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Federpennal im Wert von 4,89 Euro und eine Karteikartenbox im Wert von 3,99 Euro, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen versucht, indem er diese Sachen in seiner Stofftasche verbarg und die Kassa, ohne zu bezahlen, passierte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über den Strafausspruch wird die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit (gekürzt ausgefertigtem und seit 13. Mai 2008 rechtskräftigem) Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. Mai 2008, GZ 28 U 118/05v-107, wurde Klaus P***** unter Punkt 1 des Urteilssatzes des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, unter den Punkten 2 und 4 gesondert jeweils des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und unter Punkt 3 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und (rechtlich verfehlt, jedoch zu seinem Vorteil) nach dem Strafsatz des § 88 Abs 1 iVm § 28 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Zufolge Punkt 4 des Urteilssatzes hat er „am 8. Jänner 2008 in Wien 21. versucht, eine rote Karteikartenbox sowie ein schwarzbraunes Federpennal zum Nachteil von Verfügungsberechtigten der Firma L***** wegzunehmen, um sich (erg: durch) die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern". Mit (ebenfalls in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008, GZ 081 E Hv 27/08w-65, wurde Klaus P***** des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 2 und Z 3 und § 15 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde - zu Unrecht im Urteilsspruch und nicht mit gesondert zu verkündendem und auszufertigendem Beschluss (Schroll in WK2 [2006] § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50; 15 Os 76/07a; jüngst 11 Os 164/08i), aber nicht zum Nachteil des Verurteilten - gemäß § 50 Abs 1 StGB für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und dem Verurteilten gemäß § 51 Abs 3 StGB „die Weisung erteilt, sich einer Entwöhnungsbehandlung gegen seine Suchtgiftergebenheit zu unterziehen und den Verlauf der Therapie dem Gericht unaufgefordert alle zwei Monate nachzuweisen". Unter Punkt B 5 des Urteils wurde Klaus P***** - neuerlich - schuldig erkannt, am 8. Jänner 2008 in Wien fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Federpennal im Wert von 4,89 Euro und eine Karteikartenbox im Wert von 3,99 Euro, Verfügungsberechtigten des Unternehmens L***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht zu haben, indem er diese Sachen in seiner Stofftasche verbarg und die Kassa, ohne zu bezahlen, passierte. Zudem erging dieses Urteil in Unkenntnis der eingangs angeführten Vorverurteilung, weshalb die gebotene Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf diese unterblieben ist. Aus zahlreichen im Akt erliegenden Verständigungen über die in der Personenfahdnung aufscheinenden Vormerkungen war jedoch erkennbar, dass Klaus P***** im Verfahren AZ 28 U 118/05v des Bezirksgerichts Leopoldstadt zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben war (vgl etwa ON 49, S 7 in ON 54 und S 7 in ON 54a).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Urteile des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. Mai 2008 und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008 mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1. Der Ausspruch des Bezirksgerichts Leopoldstadt über die rechtliche Unterstellung der unter Punkt 2 und 4 des Schuldspruchs angeführten Taten durch deren getrennte Beurteilung als (zwei) Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB ist verfehlt. Denn zufolge § 29 StGB sind alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen (und allenfalls jede Tat für sich rechtlich verschiedener Art sein), bei ihrer rechtlichen Beurteilung zu einer Subsumtionseinheit (sui generis) zusammenzufassen (Ratz in WK² § 29 Rz 5 und 6; RIS-Justiz RS0114927, RS0112520 ua). Die getrennte Annahme von zwei Vergehen des versuchten Diebstahls ist daher verfehlt; vielmehr liegt nur eine strafbare Handlung vor (vgl Fabrizy StGB9 § 29 Rz 2).
Diese Gesetzesverletzung wirkte sich jedoch im konkreten Fall nicht als nachteilig iSd § 290 Abs 1 StPO aus, weil bei der Strafbemessung zwar das „Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen" (S 561; an diesem Umstand tritt im Übrigen durch den Entfall eines Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB keine Änderung ein), nicht aber auch die mehrfache Tatbegehung beim Diebstahl als aggravierend in Rechnung gestellt wurde (vgl Ratz in WK-StPO § 290 Rz 23 bis 25). Mit der Feststellung der aufgezeigten Gesetezsverletzung konnte es daher sein Bewenden haben.
2. Dem Schuldspruch B 5 des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008, GZ 081 E Hv 27/08w-65, liegt derselbe Sachverhalt zu Grunde, der bereits Gegenstand des Urteils des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. Mai 2008 (Punkt 4 des Urteilssatzes), GZ 28 U 118/05v-107, war. Beide Entscheidungen gehen insoweit auf denselben Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos Floridsdorf (Polizeiinspektion Hermann-Bahr-Straße), GZ B6/9969/2008, vom 11. Jänner 2008 zurück (ON 93 und S 1h im Akt AZ 28 U 118/05v des Bezirksgerichts Leopoldstadt bzw ON 54 und S 3k im Akt AZ 081 E Hv 27/08w des Landesgerichts für Strafsachen Wien).
Dem Schuldspruch B 5 des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2008, GZ 81 E Hv 27/08w-65, steht solcherart der in § 17 Abs 1 StPO normierte Grundsatz „ne bis in idem", mithin das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen. Da das Landesgericht für Strafsachen Wien verpflichtet gewesen wäre, sich vor Urteilsfällung Kenntnis über den Stand eines weiteren wider den Angeklagten anhängigen Verfahrens zu verschaffen, und den Akt des Bezirksgerichts Leopoldstadt angesichts des bereits ergangenen Schuldspruchs insbesondere zwecks Überprüfung der Voraussetzungen der §§ 31, 40 StPO beizuschaffen gehabt hätte, ist ihm das Nichterkennen der bereits rechtskräftigen Verurteilung wegen des am 8. Jänner 2008 begangenen Diebstahls als verfehlt zuzurechnen (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 17). In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war die Gesetzesverletzung daher festzustellen. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), den Schuldspruch im aufgezeigten Umfang, demgemäß auch den Strafausspruch und die darauf gegründeten Entscheidungen auf Anordnung der Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung gemäß §§ 50 Abs 1, 51 Abs 3 StGB aufzuheben und den Angeklagten von dem erneut erhobenen Vorwurf freizusprechen.
Die Bedachnahme auf das erwähnte Vorurteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt gemäß §§ 31, 40 StGB wird bei der demnach erforderlichen Strafneubemessung nachzuholen sein.
Eine allfällige neuerliche Anordnung der Bewährungshilfe und die Erteilung einer Weisung werden in Form eines gesondert zu verkündenden und auszufertigenden Beschlusses zu ergehen haben.
Anmerkung
E8973012Os135.08gEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0120OS00135.08G.1211.000Zuletzt aktualisiert am
18.02.2009