TE Vwgh Erkenntnis 2000/11/24 2000/19/0126

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Veröffentlicht am 24.11.2000
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Index

19/05 Menschenrechte;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
20/09 Internationales Privatrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §90;
ABGB §92 Abs2;
FrG 1997 §34 Abs1 Z3;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs2;
FrG 1997 §8 Abs4;
FrG 1997 §89 Abs2 Z1;
FrG 1997 §94 Abs1;
FrG 1997 §94 Abs4;
IPRG §18 Abs1 Z2;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des 1971 geborenen NG in G, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 3. Juli 2000, Zl. Fr 367/1-1999, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsangehöriger, der sich mit Unterbrechungen seit Dezember 1990 im Bundesgebiet aufhält, war zuletzt im Besitz eines vom 20. April 1998 bis zum 19. Oktober 1998 gültigen Visums D. Am 26. Mai 1998 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner österreichischen Ehegattin, welche er bereits am 10. Juni 1997 geheiratet hatte.

Wie sich aus der mit der Ehegattin des Beschwerdeführers am 25. Februar 1999 aufgenommenen Niederschrift ergibt, bezeichnete diese die mit dem Beschwerdeführer geführte Ehe derzeit als zerrüttet und gab ihre Absicht bekannt, sich vom Beschwerdeführer scheiden zu lassen. Sie habe kein Interesse mehr daran, eine Familiengemeinschaft mit dem Beschwerdeführer aufrecht zu erhalten.

Der Beschwerdeführer erklärte nach dem Inhalt einer mit ihm am 2. März 1999 aufgenommenen Niederschrift, seine Ehegattin würde derartige Dinge öfter sagen; er wolle sich aber auf keinen Fall von seiner Ehegattin scheiden lassen.

Mit Bescheid vom 28. April 1999 wies die Bundespolizeidirektion Graz den Antrag des Beschwerdeführers gemäß den §§ 49 Abs. 1 in Verbindung mit 47 Abs. 1 und § 8 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) ab. Der Beschwerdeführer könne sich auf Grund der Aussage seiner Ehegattin über die beabsichtigte Scheidung nicht mehr auf die Familiengemeinschaft mit einem Österreicher berufen.

Der Beschwerdeführer berief und machte geltend, im Februar hätte es tatsächlich - wie in vielen anderen Ehen auch - gekriselt und man hätte an Scheidung gedacht. Eine intensive Aussprache habe die Ehegatten jedoch erkennen lassen, dass sie die Lebensgemeinschaft doch fortsetzten wollten. Seither habe sich die Situation wesentlich verbessert.

Aus einem Bericht der Berufungsbehörde vom 2. August 1999 geht hervor, dass nach Auskunft des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz das Scheidungsverfahren seit 18. März 1999 ruhte.

Während des Berufungsverfahrens gab der Beschwerdeführer unter anderem an (Niederschrift vom 2. August 1999), seine Ehegattin habe im Februar oder März 1999 die Scheidung eingereicht, er habe einer solchen jedoch nicht zugestimmt. Er wolle sich nicht scheiden lassen, weil er sich mit seiner Ehegattin gut verstehe. Seine Frau wolle sich nur dann von ihm scheiden lassen, wenn sie betrunken sei; wenn sie nüchtern sei, habe sie Derartiges nicht im Sinn. Er könne aber nicht mit ihr zusammenleben, weil er einen Beruf ausübe und sie in der Nacht entweder durch ihre Tätigkeit als Prostituierte oder durch das Einschalten von Fernseher oder Radio zu viel Lärm mache. Er sei daher an einer anderen Adresse gemeldet und wohnhaft. Er bestreite ausdrücklich, dass es sich bei dieser Ehe um eine Scheinehe handle; sie sei vollzogen worden und er hätte mangels finanzieller Mittel auch gar nichts zahlen können.

Der Beschwerdeführer wiederholte diese Angaben im Wesentlichen in einem Schriftsatz vom 10. Juni 2000, nachdem ihm mit Schreiben der belangten Behörde vom 26. Mai 2000 die Absicht der belangten Behörde mitgeteilt worden war, mangels Familiengemeinschaft mit seiner Ehegattin werde die Berufung abzuweisen sein. Unter anderem gab er in diesem Schreiben an, nach dem Zwischenfall vor mehr als einem Jahr, wo es zu einer Wegweisung seiner Ehegattin aus der ehelichen Wohnung gekommen war, sei es "wieder gut gegangen"; angenehme Phasen hätten mit auf Grund ihres nicht kontrollierten Alkoholgenusses sehr drastischen Erfahrungen für ihn abgewechselt. Er habe sich des Öfteren in das Zweitzimmer eingeschlossen, da er im Schlaf nicht sicher sein konnte, dass es nicht zu tätlichen unkontrollierten Aktionen von Seiten seiner Frau kommen könnte. Im Juli 1999 sei es wieder zu bedrohlichen Verhaltensformen von Seiten seiner Frau gekommen und er habe sich entschlossen, um die Situation zu beruhigen für wenige Tage zu einem Bekannten zu gehen, und dann wieder zurückzukehren. Seine Frau habe aber das Schloss zur Wohnungstüre inzwischen ausgewechselt und ihn beim Meldeamt abgemeldet. Leider sei sie auf sein Ersuchen hin, wieder Ordnung und Frieden zwischen ihnen zu schaffen, nicht dazu zu bewegen gewesen, ihn wieder in die eheliche Wohnung aufzunehmen. Zudem habe er feststellen müssen, dass ein junger, ihm unbekannter Mann bei ihr eingezogen sei, entweder als Untermieter oder als neuer Partner. Einige Male habe er sie schon in der Zeit, in der sie getrennt lebten, besucht und manchmal ein schönes Gespräch gefunden. Ja, seine Ehegattin habe sogar geweint, wenn sie auf "ihre" Jahre zu sprechen gekommen seien. Dies sogar einmal nach einem Scheidungstermin beim Bezirksgericht. Ihre Gefühle wechselten je nach der jeweiligen Stimmungslage, und es sei für ihn schwer, wirklich genau zu eruieren, was in ihr vorgehe. Er stimme der Scheidung nicht zu.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 2000 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit den §§ 8 Abs. 4, 47 und 49 Abs. 1 FrG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, dem Beschwerdeführer fehle nach seinen eigenen Angaben bereits seit Anfang April 1999 eine für die Stattgebung des Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit einer Österreicherin" vom Gesetzgeber normierte wesentliche Voraussetzung, nämlich das Zusammenleben mit seiner Ehegattin, einer österreichischen Staatsbürgerin, im gemeinsamen Haushalt. Es treffe zwar zu, dass der Beschwerdeführer mit seiner österreichischen Ehegattin seit 10. Juni 1997 verheiratet sei und die Ehe am 26. Mai 1998, im Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreichern" bereits seit nahezu einem Jahr bestanden habe, jedoch normiere der Gesetzgeber im § 49 Abs. 2 FrG als grundsätzliche Voraussetzung für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels die Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Sinne des Art. 8 MRK. Gemäß § 8 Abs. 4 FrG dürften sich Ehegatten, die kein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK führten, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen. Die Berufungsbehörde gelangte zur Ansicht, dass kein gemeinsames Familienleben mit der Ehegattin des Beschwerdeführers geführt werde und daher eine im § 49 Abs. 2 leg. cit. normierte Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, nämlich die Führung eines gemeinsamen Familienlebens (§ 8 Abs. 4 FrG) weggefallen sei, sodass für den Beschwerdeführer für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung die Bestimmungen der §§ 14 Abs. 2, 18 Abs. 1 Z. 2, 89 Abs. 1 und 23 FrG zur Anwendung kämen.

Wenn der Beschwerdeführer schließlich in einer weiteren Stellungnahme vom 10. Juni 2000 ausführe, er sei der deutschen Sprache ganz gut mächtig, arbeite hier seit mehr als einem Jahr in einer Firma und werde vom Chef sehr geschätzt, so werde hiezu mitgeteilt, dass im Fall des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Aufenthaltes eine Zweckänderung eingetreten sei und er diesbezüglich die Möglichkeit habe, einen Antrag auf Erteilung einer quotenpflichtigen Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "unselbstständige Erwerbstätigkeit" einzubringen, um seinen künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu legalisieren. Weil aber der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreichern" von der Erstbehörde bescheidmäßig zu Recht abgewiesen worden sei, sei spruchmäßig zu entscheiden gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Die §§ 8 Abs. 4, 47 Abs. 1 bis 3 Z. 1, 49, 89 Abs. 2, 94

Abs. 1 und 4 FrG lauten:

"§ 8 ....

(4) Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstitel nicht auf die Ehe berufen.

§ 47. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, unterliegen der Sichtvermerkspflicht.

(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen, wenn sie an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind. Die Niederlassungsbewilligung ist mit fünf Jahren, in den Fällen der beabsichtigten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den EWR-Bürger (§ 46 Abs. 2 Z 3) jedoch mit sechs Monaten ab dem Zeitpunkt seiner Einreise zu befristen.

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1. Ehegatten;

...

§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem ersten Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. Die Gültigkeitsdauer der ihnen die beiden ersten Male erteilten Niederlassungsbewilligung beträgt jeweils ein Jahr.

(2) Die Niederlassungsbewilligung ist solchen Drittstaatsangehörigen auf Antrag unbefristet zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 8 Abs. 1) gegeben sind und die Fremden

1. seit mindestens zwei Jahren mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sind und mit diesem im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt leben;

2. minderjährige Kinder eines österreichischen Staatsbürgers sind und mit diesem im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt leben.

§ 89. ...

(2) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft jedoch die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, wenn es sich um den Aufenthaltstitel

1. für einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem

4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt.

...

§ 94. (1) Über Berufungen gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz.

...

(4) Über Berufungen gegen Bescheide, die im Zusammenhang mit der Erteilung von Niederlassungsbewilligungen vom Landeshauptmann oder von der von ihm ermächtigten Bezirksverwaltungsbehörde erlassen worden sind, entscheidet der Bundesminister für Inneres."

Sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde gehen übereinstimmend davon aus, dass der verfahrensgegenständliche Antrag als einzigen Aufenthaltszweck den der "Familiengemeinschaft mit Österreichern" aufweist und dass es sich dabei um einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung handelt.

Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde vorerst geltend, nicht die belangte Behörde, sondern der Bundesminister für Inneres hätte gemäß § 94 Abs. 4 FrG über die Berufung entscheiden müssen. Der Beschwerdeführer verkennt aber mit diesem Vorbringen, dass es sich bei ihm als Angehörigen einer österreichischen Staatsbürgerin um einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem 4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt (vgl. § 49 Abs. 1 FrG). Gemäß § 89 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. werden Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen in einem solchen Fall von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, getroffen. Dieser Zuständigkeitsvorschrift entsprechend wurde der Bescheid erster Instanz auch von der Bundespolizeidirektion Graz, und nicht vom Landeshauptmann für Steiermark oder der von ihm ermächtigten Bezirksverwaltungsbehörde erlassen. Lediglich über die letztgenannten Bescheide im Zusammenhang mit der Erteilung von Niederlassungsbewilligungen entscheidet gemäß § 94 Abs. 4 FrG der Bundesminister für Inneres. Über Berufungen gegen den vorzitierten Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz entscheidet hingegen gemäß § 94 Abs. 1 leg. cit. die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 98/19/0228). Die belangte Behörde war daher zur Erlassung des angefochtenen Bescheides zuständig.

Der Beschwerdeführer irrt schließlich auch, wenn er meint, die Behörde hätte - ausgehend von ihrer Ansicht, eine Bewilligung für den von ihm geltend gemachten Zweck sei nicht zu erteilen - prüfen müssen, ob ihm eine Bewilligung für einen anderen Aufenthaltszweck hätte erteilt werden dürfen. Einer derartigen Vorgangsweise der Behörde stünde die Bestimmung des § 14 Abs. 3 FrG entgegen, wonach der Antragsteller den jeweiligen Zweck des Aufenthaltes im Antrag bekannt zu geben hat und diesen Zweck während des Verfahrens nicht ändern darf. Auf die Möglichkeit, einen Antrag auf Erteilung einer quotenpflichtigen Niederlassungsbewilligung z.B. für den Aufenthaltszweck "unselbstständige Erwerbstätigkeit" beim Landeshauptmann für Steiermark einzubringen, hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer im Übrigen ausdrücklich hingewiesen.

Der Beschwerdeführer hält weiters die Anwendung der Bestimmung des § 8 Abs. 4 FrG auf den vorliegenden Antrag, welcher allein den Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreichern" verfolgte, deshalb für rechtswidrig, weil diese Bestimmung nur der Verhinderung so genannter "Scheinehen" dienen sollte und auf den gegenständlichen Fall nicht anzuwenden sei. Bei Ehen, welche ursprünglich aus lauteren Motiven geschlossen und noch nicht geschieden worden seien, wo es aber zu einer Trennung der Haushalte gekommen sei, sei diese Bestimmung nicht anzuwenden.

Die belangte Behörde hat keine Feststellung des Inhaltes getroffen, der Beschwerdeführer sei eine Scheinehe eingegangen. Sie hat vielmehr die Ansicht vertreten, der Beschwerdeführer erfülle den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreichern" deshalb nicht, weil er seit Anfang April 1999 mit seiner Ehegattin nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe und sich in der Bescheidbegründung diesbezüglich ausdrücklich auf die Bestimmung des § 49 Abs. 2 FrG 1997 berufen. Damit verkennt sie aber die Rechtslage.

Die von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang mehrfach zitierte Bestimmung des § 49 Abs. 2 (hier: Z 1) FrG 1997, die ausdrücklich als Erfolgsvoraussetzung auf ein "Leben im gemeinsamen Haushalt" abstellt, regelt die Voraussetzungen der Erteilung einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung für Drittstaatsangehörige von Österreichern. Die allfällige Unzulässigkeit der Erteilung einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung stünde aber der Erteilung einer befristeten Erstniederlassungsbewilligung keinesfalls entgegen. Die Nichterfüllung von Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 FrG 1997 kann daher nicht zur Abweisung des vorliegenden, auf die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gerichteten Antrages führen.

Im Spruch des angefochtenen Bescheides bezieht sich die belangte Behörde - insoweit zutreffend - auf die Bestimmungen der §§ 47 und 49 Abs. 1 FrG 1997 und darüber hinaus auf § 8 Abs. 4 FrG 1997. Soweit der Begründung des angefochtenen Bescheides diesbezüglich (implizit) die Ansicht zu entnehmen ist, bei Erteilung einer Bewilligung (auch nach §§ 47 und 49 Abs. 1 leg. cit.) für den geltend gemachten Aufenthaltszweck wäre jedenfalls gemäß § 8 Abs. 4 FrG 1997 darauf abzustellen, ob der Beschwerdeführer ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK führe, was angesichts des Fehlens eines gemeinsamen Wohnsitzes vorliegendenfalls nicht anzunehmen sei, steht sie nicht im Einklang mit dem Gesetz.

Dass ein gemeinsames Familienleben im Sinne des § 8 Abs. 4 FrG nur dann vorliegt, wenn ein gemeinsamer Haushalt geführt wird oder ein gemeinsamer Wohnsitz existiert, geht aus dieser Bestimmung nicht hervor. Vielmehr kommt es im Falle der Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ausschließlich auf die Absicht des Antragstellers, wie die angestrebte Bewilligung zu nutzen sei, an.

Jede andere Interpretation dieser auch auf Erstaufenthaltstitel anwendbaren Bestimmung würde zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen. Der die Erteilung eines Erstaufenthaltstitels zum Zwecke der Familienzusammenführung mit seinem (auch nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden) Ehegatten beantragende Fremde hat regelmäßig in Österreich noch keinen Wohnsitz begründet (gerade dazu bedarf es ja eines solchen Titels). Es würde nun zu einem unsachlichen Ergebnis führen, wollte man die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels mit der Begründung versagen, der Fremde habe noch nicht (unrechtmäßig) einen gemeinsamen Wohnsitz (Haushalt) mit seiner Ehegatten begründet.

Aber auch eine Erfolgsvoraussetzung des Vorliegens einer Absicht des Fremden, einen gemeinsamen Haushalt zu begründen, ist

§ 8 Abs. 4 FrG nicht zu entnehmen.

§ 8 Abs. 4 FrG (und damit im Zusammenhang stehend auch § 34

Abs. 1 Z 3 FrG - vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 34 Abs. 1 Z 3 leg. cit., wonach (auch) diese Bestimmung einen "Bestandteil des Lösungspakets zum Problemkreis der Scheinehe" darstellt) - stellt auf die Verhinderung von Scheinehen ab und beabsichtigt, solche Ehen, die nur zur Erlangung fremdenrechtlicher oder ausländerbeschäftigungsrechtlicher Vorteile geschlossen wurden, als Grundlage für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auszuschließen. Letzteres könnte auch für Ehen gelten, in denen die Absicht des Antragstellers auf das Führen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinne des Art. 8 MRK zwar im Zeitpunkt der Eheschließung gegeben war, jedoch in der Folge weggefallen ist, ohne dass die Ehe aufgelöst worden wäre. Alle anderen Ehen sollten demgegenüber aber unter den Schutz der zur niederlassungsrechtlichen Umsetzung des Art. 8 MRK geschaffenen Normen des FrG 1997, also auch des § 49 Abs. 1 leg. cit., fallen.

Wie bereits dargestellt, hat die belangte Behörde keine Feststellung des Inhaltes getroffen, der Beschwerdeführer sei eine Scheinehe eingegangen. Der Beschwerdeführer hat während des gesamten Verwaltungsverfahrens angegeben, vorübergehend - wegen der Gewalttätigkeiten seiner Ehegattin - einen anderen Wohnsitz bezogen zu haben, an der Aufrechterhaltung seiner Ehe interessiert zu sein, sich nicht scheiden lassen zu wollen und an der Wiederaufnahme des Zusammenlebens mit seiner Ehegattin durch diese gehindert worden zu sein. Dass die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig wären, hat die belangte Behörde nicht dargetan, weshalb von ihrem Zutreffen auszugehen ist.

Nach der - gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 IPRG im vorliegenden Fall auf die Ehe des Beschwerdeführers anzuwendenden - österreichischen Rechtslage (§ 90 ABGB) ist aber ein Ehegatte - mangels entgegenstehender Vereinbarung der Ehegatten - bei unverändert aufrechter Ehe unter anderem zum gemeinsamen Wohnen mit seinem Ehegatten verpflichtet; die unbegründete Weigerung eines Ehepartners, das Eheleben trotz aufrechter Ehe fortzusetzen bzw. wieder aufzunehmen, wäre daher rechtswidrig. Darüber hinaus sieht § 92 Abs. 2 ABGB das Recht eines Ehepartners vor, vorübergehend gesondert Wohnung zu nehmen, solange ihm ein Zusammenleben mit dem anderen Ehegatten, besonders wegen körperlicher Bedrohung, unzumutbar oder dies aus wichtigen persönlichen Gründen gerechtfertigt ist. Auch bei einer solchen gesetzlich vorgesehenen vorübergehenden Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes steht die Ehe selbst unverändert unter dem Schutz des Art. 8 MRK; jeder Ehepartner kann sich diesfalls - ungeachtet des getrennten Wohnsitzes - auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens (hier: seines Ehelebens) berufen.

Der Begriff des in Art. 8 MRK geschützten Familienlebens umfasst jedenfalls das Verhältnis zwischen Ehepartnern untereinander, wobei es nicht darauf ankommt, ob die genannten Personen tatsächlich zusammenleben (vgl. Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761). So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Abdulaziz gegen Vereinigtes Königreich (Urteil vom 28. Mai 1985, 15/1983/71/107) ausgesprochen, dass die zwischen den Ehegatten durch eine rechtmäßige und echte Heirat geschaffene Beziehung als "Familienleben" bezeichnet werden muss (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2000, Zl. 97/18/0163).

Dies hat aber zur Folge, dass sich der Beschwerdeführer, der nach dem maßgeblichen innerstaatlichen Eherecht einen Rechtsanspruch auf die Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung seines Ehelebens am gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Ehegattin hat, trotz des (aus seiner Sicht) vorübergehenden getrennten Wohnsitzes unverändert darauf berufen kann, ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK führen zu wollen. Die Bestimmung des § 8 Abs. 4 FrG 1997 ist auf den Fall des Beschwerdeführers daher nicht anwendbar.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung wurde aus dem Grund des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen, zumal die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtsfrage nicht erwarten lässt, und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. November 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000190126.X00

Im RIS seit

08.02.2001

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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