Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert K***** Luxemburg, vertreten durch Dr. Manfred Morscher und Dr. Monika Morscher-Spießberger, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wider die beklagte Partei Mag. Maria Angelika S*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erlöschens des Unterhaltsanspruchs, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. März 2008, GZ 45 R 763/07z-11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 13. September 2007, GZ 2 C 57/07b-6, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Beschlüsse der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben.
Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, das über die von der beklagten Partei erhobene Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 261 Abs 1 ZPO) neuerlich zu entscheiden haben wird.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Text
Begründung:
Anlässlich ihrer in der Folge mit Urteil ausgesprochenen Ehescheidung schlossen die Streitteile am 11. November 2002 vor einem österreichischen Bezirksgericht einen Vergleich, mit dem sich der Kläger verpflichtete, der Beklagten ab 1. Dezember 2002 monatlich 1.650 EUR an Unterhalt zu zahlen. Bemessungsgrundlage waren ein Erwerbseinkommen des Klägers von monatlich etwa 5.000 EUR und die Einkommenslosigkeit der Beklagten.
Mit Urteil eines luxemburgischen Friedensgerichts vom 5. Juli 2006 wurde der Beklagten zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Unterhaltsforderung von 38.445 EUR und eines Unterhaltsbetrags von 1.691,25 EUR monatlich ab 1. Juli 2006 die Gehaltsexekution bewilligt.
Der im Großherzogtum Luxemburg wohnhafte Kläger, der den geltend gemachten Anspruch auf der ersten Seite der Klageschrift als solchen auf „Unzulässigkeit der Exekution (Opposition)" bezeichnete, begehrte gegenüber der in Österreich ansässigen Beklagten, das Urteil, deren Anspruch aus dem genannten Vergleich auf Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 1.650 EUR ab 1. Dezember 2002, zu dessen Hereinbringung mit Urteil eines luxemburgischen Friedensgerichts die Exekution bewilligt wurde, sei erloschen. Die Zuständigkeit des Erstgerichts richte sich nach Art 2 und 5 Z 2 EuGVVO. In der Sache macht er im Wesentlichen folgende „Einwendungen" geltend:
Es sei unstreitig Vergleichsgrundlage gewesen, dass er lediglich für einen Übergangszeitraum Unterhalt zu leisten habe. Spätestens Ende Juli 2004 sei die Vergleichsgrundlage weggefallen, weshalb er seine Unterhaltsleistung eingestellt habe. Als international versierte Expertin beziehe die Beklagte seither ein zum Großteil nicht versteuertes Einkommen von zumindest 4.000 EUR monatlich. Seit demselben Zeitpunkt ruhe der Unterhaltsanspruch auch wegen einer Lebensgemeinschaft der Beklagten mit einem anderen Mann. Durch listiges Verschweigen dieser Lebensgemeinschaft habe sie zumindest ab August 2004 ihren Unterhaltsanspruch verwirkt. Jedenfalls sei die Geltendmachung von Unterhalt bzw die Exekutionsführung rechtsmissbräuchlich, weil die Beklagte keiner zumutbaren Erwerbstätigkeit nachgehe, die ihr ab August 2004 ein monatliches Einkommen von 4.000 bis 5.000 EUR ermöglichen würde.
Die Beklagte erhob in der ihr freigestellten schriftlichen Stellungnahme zur Klage die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und beantragte die Zurückweisung der Klage; hilfsweise begehrte sie die Abweisung der Klage, weil diese aus im Einzelnen angeführten Gründen auch nicht berechtigt sei. Entgegen der Ansicht des Klägers seien für die vorliegende Oppositionsklage nach Art 22 Z 5 EuGVVO die Gerichte des Vollstreckungsstaats ausschließlich zuständig.
Das Erstgericht wies ohne vorherige mündliche Verhandlung die „Oppositionsklage" mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Eine solche falle unter Art 22 Z 5 EuGVVO.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zugelassen werde. Es trat der erstgerichtlichen Rechtsansicht bei, die auch der herrschenden Meinung in Deutschland und der bereits ergangenen Rechtsprechung des EuGH zur vergleichbaren Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 dZPO entspreche. Zum Hinweise des Klägers, dass sich das luxemburgische Exekutionsgericht für die vom Kläger bei diesem eingebrachte „Widerklage auf Herabsetzung der Unterhaltsrente" für territorial nicht zuständig erklärt habe, werde darauf verwiesen, dass er dort [bloß] ein Herabsetzungsbegehren gestellt habe.
Zur „Zuständigkeit für Oppositionsklagen" liege - soweit überblickbar - eine einhellige Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass des Revisionsrekurses ist eine Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz wahrzunehmen. Einer solchen kommt stets erhebliche Bedeutung (iSd § 528 Abs 1 ZPO) zu (stRsp, RIS-Justiz RS0042743; vgl auch RIS-Justiz RS0041896).
Vom Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO betroffen ist der Ausschluss der Partei von der Verhandlung. Überall dort, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt, bedeutet die gesetzwidrige Hinderung einer Partei, daran teilzunehmen, den Nichtigkeitsgrund (E. Kodek in Rechberger³ § 477 ZPO Rz 7; Pimmer in Fasching/Konecny² § 477 ZPO Rz 43 ff). Nach § 261 Abs 1 ZPO hat das Gericht über die dort aufgezählten Einreden, unter welche auch jene der fehlenden internationalen Zuständigkeit fällt, nach vorgängiger mündlicher Verhandlung zu entscheiden. Die Wahrung der Verhandlungsform steht unter Nichtigkeitssanktion, weil das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt (G. Kodek in Fasching/Konecny² § 261 ZPO Rz 20; 4 Ob 193/01p, 6 Ob 133/08i ua; RIS-Justiz RS0115767).
Das Rekursgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorliegende Nichtigkeit des erstgerichtlichen Beschlusses - auch ohne diesbezügliche Parteienrüge - von Amts wegen wahrzunehmen und diesen aus Anlass des Rekurses der klagenden Partei als nichtig aufzuheben (4 Ob 193/01p; 6 Ob 133/08i mwN). Die der erstgerichtlichen Entscheidung anhaftende Nichtigkeit muss demnach zur Aufhebung sowohl des angefochtenen Beschlusses als auch des Beschlusses des Erstgerichts führen. Diesem ist aufzutragen, über die Prozesseinrede der beklagten Partei nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 261 Abs 1 ZPO neuerlich zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Ein Verschulden einer der Parteien an der Nichtigkeit liegt nicht vor (4 Ob 193/01p).
Textnummer
E89625European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2008:0030OB00221.08H.1217.000Im RIS seit
16.01.2009Zuletzt aktualisiert am
20.06.2011