TE OGH 2008/12/17 2Ob204/08a

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Veröffentlicht am 17.12.2008
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrea I*****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei A*****-AG, *****, vertreten durch Egger & Musey Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 46.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Mai 2008, GZ 2 R 55/08h-45, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. Jänner 2008, GZ 1 Cg 214/06x-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Erstgerichts wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass sie lautet:

„1.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 46.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 14.000 EUR von 22. 11. 2006 bis 6. 11. 2007 und aus 46.000 EUR seit 7. 11. 2007 und die mit 4.666,38 EUR (darin enthalten 777,73 EUR USt) bestimmten Prozesskosten zu bezahlen.

Das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 4 % Zinsen aus 32.000 EUR von 22. 11. 2006 bis 6. 11. 2007 zu bezahlen, wird abgewiesen.

2.) Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem Unfall vom 9. 5. 2005 haftet, wobei die Haftung mit der im KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrag betreffend den LKW mit dem Kennzeichen ***** genannten Versicherungssumme begrenzt ist."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 5.302,44 EUR (darin enthalten 883,74 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 19. 8. 2004 bis 19. 8. 2005 Arbeitnehmerin einer GmbH. Am 9. 5. 2005 war sie gemeinsam mit einem Arbeitskollegen damit beschäftigt, von einem LKW Rollrasen zu entladen. Halterin dieses bei der Beklagten haftpflichtversicherten LKW war die Arbeitgeberin.

Der Laderaum des LKW verfügte auf der linken (Entlade-)Seite über eine obere Ladeklappe, die mit einem Radlader nach außen geschwenkt und anschließend nach oben angehoben wurde. Der Arbeitskollege der Klägerin bediente den Radlader. Das Anheben der Bordwand sollte der Klägerin, die entweder auf der Ladefläche oder auf der Brücke daneben stand, ermöglichen, den Rollrasen palettenweise händisch abzuladen.

Die hochgehobene Ladeklappe konnte in keiner vertikalen oder geneigten Position durch eine entsprechende technische Einrichtung am LKW stabilisiert oder fixiert werden. Sie konnte daher entweder nach außen zurückklappen oder - im Fall des Hochhebens bis zu einer vertikalen Position und darüber hinaus - nach innen durchfallen. Aufgrund dieses - durch das Fehlen einer entsprechenden Einrichtung verursachten - Mechanismus fiel die Ladeklappe entweder nach außen oder nach innen in die Ausgangsposition zurück, wodurch die rechte Hand der Klägerin zwischen der Bordwand und dem Aufbau der Ladefläche eingeklemmt wurde. Nicht festgestellt werden kann, ob eine „möglicherweise, jedoch nicht feststellbar" vorhandene Sicherheitsfeder der Bordwand stark verrostet war und deshalb die Ladeklappe nach unten kippte.

Die Klägerin erlitt schwere Handverletzungen, die hochgradige Funktionseinschränkungen und auffällige Vernarbungen zur Folge hatten. Sie hatte beim Unfall keine Handschuhe getragen. Wenn eine Verminderung der Verletzung durch das Tragen der Handschuhe überhaupt erreicht hätte werden können, so wäre diese lediglich marginal gewesen.

Im Revisionsverfahren ist strittig, ob der Klägerin nach EKHG ein Anspruch aus Gefährdungshaftung zusteht und sie sich auf die in § 333 Abs 3 ASVG angeordnete Durchbrechung des Dienstgeber-Haftungsprivilegs (§ 333 Abs 1 ASVG) berufen kann.

Die Klägerin behauptete, das unfallverursachende Herunterklappen der Bordwand sei auf einen fehlerhaften Mechanismus (verrostete Sicherheitsfeder der Bordwand), also auf ein Versagen der Verrichtungen im Sinn des § 9 Abs 1 EKHG zurückzuführen.

Die Beklagte berief sich auf den Haftungsausschluss durch § 3 Z 3 EKHG, weil die Klägerin beim Betrieb des LKW tätig gewesen sei. Unfallursache sei keinesfalls eine verrostete Sicherheitsfeder gewesen, sondern das Verhalten der Verletzten, die durch das unvorsichtige Positionieren der Hand zwischen LKW und Ladebordwand die Gefahrenlage selbst geschaffen und auch keine Handschuhe getragen hätte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, das auf Zahlung von 46.000 EUR sA (Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung) sowie Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden gerichtet war, statt. Der Haftungsausschluss des § 3 Z 3 EKHG setze voraus, dass der Verletzte oder Getötete seine Tätigkeit beim Betrieb während der Beförderung ausübe. Werde ein weder beförderter noch zu befördernder Arbeitnehmer verletzt, der aber beim Be- und Entladen mitwirke und daher beim Betrieb tätig sei, komme ein Haftungsausschluss nach oder analog § 3 Z 3 EKHG nicht in Betracht. Die Dienstgeberin und Halterin treffe die Gefährdungshaftung nach EKHG. Die fehlende Möglichkeit, die obere Ladebordwand beim Öffnen irgendwie zu fixieren, stelle einen Fehler in der Beschaffenheit des LKW dar, weshalb der Halterin die Haftungsbefreiung des § 9 Abs 1 EKHG nicht zukomme. Die Klägerin treffe kein Mitverschulden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es verneinte mangels Beförderung der Klägerin den Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG und kam im Anschluss daran zum folgenden Ergebnis: Die Klägerin habe das von ihr behauptete Versagen der Verrichtungen im Sinn des § 9 Abs 1 zweiter Fall EKHG (starke Verrostung der Sicherheitsfeder) nicht nachgewiesen. Die fehlende Fixierungsmöglichkeit der geöffneten Bordwand bedeute für sich alleine noch nicht einen Fehler in der Beschaffenheit des LKW im Sinn des § 9 Abs 1 erster Fall EKHG, auf den sich die Klägerin auch gar nicht berufen habe.

Die Klägerin beantragt in ihrer außerordentlichen Revision die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn einer Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Berufungsgericht die Gefährdungshaftung nach EKHG zu Unrecht verneint hat.

1.) Nach § 333 Abs 1 ASVG haftet der Dienstgeber dem Dienstnehmer aus einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit nur bei Vorsatz. Eine Ausnahme von diesem Haftungsprivileg schafft § 333 Abs 3 ASVG, der die Haftungsbefreiung verneint, wenn ein Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht bestand; die Haftung des Dienstgebers ist mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme beschränkt.

2.) Voraussetzung für die Haftung des beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherers ist, dass die Dienstgeberin der Klägerin und Halterin des LKW eine Schadenersatzpflicht trifft. § 2 Abs 1 KHVG begründet nämlich keine von der Ersatzpflicht des Versicherungsnehmers oder der Mitversicherten unabhängige Schadenersatzpflicht des Versicherers (2 Ob 73/05g mwN). In Frage kommt hier die Haftung nach EKHG.

3.) Der Begriff „beim Betrieb" im Sinne des § 1 EKHG ist dahin zu bestimmen, dass entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeug eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs bestehen muss (RIS-Justiz RS0022592). Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs setzt das Abstellen eines Kraftfahrzeugs zum Zweck seines Be- und Entladens dieses noch nicht außer Betrieb; das Be- und Entladen stellt einen Betriebsvorgang dar (2 Ob 67/04y2 Ob 301/04k mwN; 2 Ob 71/08t; RIS-Justiz RS0058248 [T12], RS0022592 [T10]; Apathy, EKHG § 1 Rz 29 ff; Schauer in Schwimann³ VI § 1 EKHG Rz 36). Der Unfall der Klägerin hing mit dem eigentlichen Entladevorgang zusammen. Entgegen der von der Beklagten - erstmals in der Revisionsbeantwortung vertretenen - Auffassung ändert die Tatsache, dass die Ladeklappe durch einen Radlader angehoben wurde, an diesem Zusammenhang nichts. Anders als in den zu 2 Ob 193, 194/75 = ZVR 1976/233 (Entladung mit Hubstapler) und 2 Ob 316/97b = ZVR 2000/42 (Entladung mit Radlader) entschiedenen Fällen erfolgte die eigentliche Ladetätigkeit manuell durch die (dabei verletzte) Klägerin. Der Einsatz des Radladers beschränkte sich hier auf eine einzige „Vorbereitungshandlung" der Ladetätigkeit. Ursächlich für die Verletzung der Klägerin war aber letztlich die mangels Arretierbarkeit rotierende Ladeklappe des LKW. Dieses Problem wäre bei einer anderen Form des Anhebens der Ladeklappe genauso aufgetreten. Damit hat sich im konkreten Fall keine spezifische Gefährlichkeit (nur) des Radladers verwirklicht.

4.) § 3 Z 3 EKHG schließt Ansprüche nach diesem Gesetz im Fall der Tötung oder Verletzung einer durch die Eisenbahn oder das Kraftfahrzeug beförderten Person aus, wenn der Verletzte oder Getötete zum Unfallszeitpunkt beim Betrieb tätig war.

5.) In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung wurde der Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG auch bei einer nicht unmittelbar im Zeitpunkt des Unfalls beförderten, beim Betrieb tätigen Person bejaht, wenn deren eigentliche berufliche Tätigkeit (auch) während der Beförderung ausgeübt wird: Zum Beispiel bei einem Helfer bei der Müllabfuhr, der bei einem Reversiermanöver überrollt und getötet wurde, zu dessen Tätigkeiten es auch gehört hatte, dem Lenker des Müllfahrzeugs zu signalisieren, wann er weiterfahren könne (2 Ob 181/98a = SZ 71/120 = ZVR 1998/123) oder bei einem Lagerarbeiter, der mit der Ladeschaufel des Kraftfahrzeugs befördert werden wollte, um seine eigene berufliche Tätigkeit, nämlich Ladearbeiten mit Hilfe der Ladeschaufel auszuüben (2 Ob 56/00z).

Diese beiden Beispiele finden sich (auch) bei Danzl, EKHG8 § 3 Anm 8a S 93, der bezogen auf den „Müllabfuhrfall" die Art der im Moment des Unfalls verrichteten Tätigkeit für nicht relevant hält, weil es sonst vom Zufall abhängen könnte, ob dem Dienstgeber das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugutekommt.

Schmaranzer, Anm zu 8 ObA 117/02t, ZAS 2004/15, 91 [92] zählt Be- und Entladetätigkeiten zur betrieblichen Beförderung, weshalb sie den Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG nach sich ziehen.

Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 42, lehnt die Differenzierung zwischen beförderten und nicht beförderten Personen generell ab. Diese Unterscheidung, die auf einer zu stark typisierten Vorstellung, dass sich die beim Betrieb tätige beförderte Person in der Regel in noch höherem Maß freiwillig einer Gefahr aussetzt als die nicht beförderte Person und folglich auch in verstärktem Ausmaß die Konsequenzen tragen soll, beruhe, erscheine sachlich nicht gerechtfertigt.

Apathy, Risikohaftung des Arbeitgebers für Personenschäden, JBl 2004, 746 [748], sieht einen sehr engen Zusammenhang mit der Beförderung, wenn der getötete Helfer nach dem Anhalten des Müllfahrzeugs vom Trittbrett gestiegen wäre und vom Fahrzeug beim Zurückfahren erfasst worden sei. Der zitierte Autor lehnt aber den Haftungsausschluss nach oder analog § 3 Z 3 EKHG ab, wenn ein Arbeitnehmer verletzt wird, der zwar beim Betrieb der Eisenbahn oder des Kraftfahrzeugs tätig ist (zB Fahrdienstleiter, Schrankenwärter, Liftwart, jemand, der Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen hilft oder beim Be- und Entladen mitwirkt oder das Fahrzeug anschiebt), aber weder befördert wurde noch befördert werden sollte. Grundsätzlich treffe den Betriebsunternehmer oder Halter die Gefahr; bei beförderten und dabei beim Betrieb tätigen Personen wiege nach der Wertung des § 3 Z 3 EKHG deren Verhalten schwerer als die allgemeine Gefahrenzurechnung. Werde aber die beim Betrieb der Eisenbahn oder des Kraftfahrzeugs tätige Person nicht befördert, so überwiege wieder die Zurechnung der Betriebsgefahr zum Betriebsunternehmer oder Halter, solange nicht der Unfall auf das Verhalten des Geschädigten zurückzuführen sei und die weiteren Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses nach § 9 EKHG nicht gegeben seien.

Eine noch strengere Linie, was das Erfordernis der Beförderung eines beim Betrieb tätigen Geschädigten betrifft, vertritt Schauer in Schwimann3 VI § 3 EKHG Rz 10. Seiner Auffassung nach genügt die Ausübung der beruflichen Tätigkeit nicht für den Haftungsausschluss des § 3 Z 3 EKHG, weshalb dessen Anwendung in den Fällen des überrollten Helfers der Müllabfuhr oder des Beladens/Entladens des Fahrzeugs zweifelhaft sei.

6.) Die Klägerin wurde - soweit sich dies aus den Feststellungen entnehmen lässt - nur zum Entladen eingesetzt. Anhaltspunkte für eine vorangegangene oder beabsichtigte Beförderung lassen sich weder dem Vorbringen der Beklagten, die sich auf den Haftungsausschluss des § 3 Z 3 EKHG beruft und für seine Voraussetzungen beweispflichtig ist, noch dem festgestellten Sachverhalt entnehmen. Scheidet § 3 Z 3 EKHG mangels Beförderung der Klägerin aus, so würde die Dienstgeberin als Halterin des LKW grundsätzlich die Gefährdungshaftung treffen (§ 5 Abs 1 EKHG).

7.) Die von Lehre und Judikatur nicht einhellig beantwortete Frage nach der Anwendung des § 3 Z 3 EKHG, wenn ein verletzter oder getöteter Dienstnehmer zwar beim Betrieb tätig ist (Ladevorgang), diese Tätigkeit aber nicht im Zusammenhang mit einer Beförderung dieses Dienstnehmers steht, stellt sich im konkreten Fall aus folgenden Überlegungen nicht:

8.) Der erkennende Senat hat in der von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 2 Ob 109/04z = ZVR 2007/123 (zust Vonkilch) = ZAS 2007/6 (zust Kissich) = SZ 2006/40 = JBl 2006, 593 = EvBl 2006/128 den Haftungsausschluss nach § 3 Z 3 EKHG abgelehnt und dem Geschädigten die Haftung nach EKHG zugebilligt, wenn risikoerhöhende Umstände hinzutreten, für welche der Halter nach der gesetzlichen Wertung des § 9 EKHG jedenfalls einstehen müsse. Zu beurteilen war der Fall eines Dienstnehmers, der einen Tieflader seines Dienstgebers gelenkt hatte und in der Folge beim Entladen außerhalb des Fahrzeugs durch den herabfallenden Teil der Laderampe verletzt worden war. Ursache dieses Herabfallens war ein gebrochener Federzug gewesen. Der Senat wertete diesen fehlerhaften Lademechanismus als Versagen der Verrichtungen im Sinn des § 9 Abs 1 zweiter Fall EKHG, für das den Dienstgeber jedenfalls die Gefährdungshaftung des EKHG treffe. An den in dieser zitierten Entscheidung entwickelten Grundsätzen hat der Senat in der Folge festgehalten (2 Ob 221/07z). Die Frage, ob der verletzte Dienstnehmer im Unfallzeitpunkt im Sinn des § 3 Z 3 EKHG befördert wurde oder nicht, konnte bei dem in 2 Ob 109/04z erzielten Ergebnis offen bleiben.

9.) Entscheidend ist damit - ähnlich wie in 2 Ob 109/04z -, ob das Herunterklappen der hochgehobenen Bordwand durch einen Fehler in der Beschaffenheit oder ein Versagen der Verrichtungen (§ 9 Abs 1 EKHG) hervorgerufen wurde. Trifft dies zu, haftet die Halterin auch bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt (RIS-Justiz RS0058244; Schauer aaO § 9 EKHG Rz 52). Ein Entlastungsbeweis wäre ausgeschlossen. Die Begriffe „Fehler in der Beschaffenheit" und „Versagen der Verrichtungen" umfassen im Wesentlichen technische Defekte des Fahrzeugs (2 Ob 178/99m; 2 Ob 262/03y; Schauer aaO; Danzl aaO § 9 Anm 3, 209). Eine exakte Grenzziehung ist schon deshalb nicht notwendig, weil in beiden Fällen die gleichen Rechtsfolgen eintreten (Schauer aaO; Apathy, EKHG § 9 Rz 22; Danzl aaO 209). Unerheblich ist, worauf der Fehler in der Beschaffenheit oder das Versagen der Verrichtungen des Kraftfahrzeugs beruht (RIS-Justiz RS0058255).

10.) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts spielt es keine entscheidende Rolle, dass die Klägerin ausdrücklich ein Versagen der Verrichtungen (§ 9 Abs 1 zweiter Fall EKHG) geltend gemacht hat und dies mit der stark verrosteten Sicherheitsfeder der Bordwand begründet hat. Fest steht jedenfalls, dass die Ladeklappe in ihre ursprüngliche Position zurückfiel, weil jegliche Möglichkeit fehlte, sie in ihrer hochgehobenen Position am LKW zu fixieren. Das Durchfallen der Ladeklappe als unmittelbare Unfallursache findet im Parteienvorbringen Deckung. Hält sich der Sachverhalt im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes, ist er der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen (2 Ob 179/06x; RIS-Justiz RS0040318; Rechberger in Fasching/Konecny2 Vor § 266 ZPO Rz 79).

11.) Fehler in der Beschaffenheit betreffen die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs an sich. Dazu zählen zB Konstruktions- und Materialfehler (Schauer aaO § 9 EKHG Rz 53). Die Zulassung eines Fahrzeugs muss einen Mangel in der Beschaffenheit nicht ausschließen (2 Ob 64/91 = RIS-Justiz RS0058215). Als Beispiele aus der Rechtsprechung für Fehler in der Beschaffenheit zitieren Schauer (aaO Rz 54) und Danzl aaO § 9 E 32a, 32b und 32c, unter anderem: Wenn sich das Fenster eines Autobusses aus seiner Verankerung löst; wenn die Ausstiegshilfe einer Sommerrodelbahn keine Haltegriffe aufweist; wenn sich die automatischen Türen einer Straßenbahn während des Einsteigens eines Fahrgasts schließen.

12.) Weist ein mit klappbaren Bordwänden versehener LKW keinen Mechanismus auf, der das Fixieren der nach oben geklappten Ladewand ermöglicht, so ist dieses Manko als Fehler in der Beschaffenheit zu werten. Ein LKW ist für den Gütertransport bestimmt. Mit diesem Transport ist die Be- und Entladung des Transportguts verbunden; abklappbare Bordwände ermöglichen oder erleichtern diese Betriebsvorgänge. Eine Ladeklappe, die mangels Arretierbarkeit rotieren kann, stellt ein hohes Sicherheitsrisiko beim Ladevorgang dar.

13.) Nach den in 2 Ob 109/04z entwickelten Kriterien trifft die Dienstgeberin auch hier die Gefährdungshaftung nach EKHG. Konsequenz ist, dass § 333 Abs 3 ASVG anzuwenden ist und die Beklagte als Haftpflichtversicherer für die Folgen des Arbeitsunfalls der Klägerin einzustehen hat.

14.) Die Höhe der Ansprüche auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung war bereits im Berufungsverfahren kein Thema. Der Mitverschuldenseinwand wird in der Revisionsbeantwortung nicht behandelt. Beide Punkte sind im Revisionsverfahren daher nicht mehr zu erörtern.

15.) Die Klägerin hat das Zahlungsbegehren in der Verhandlung vom 7. 11. 2007 von 14.000 EUR auf 46.000 EUR ausgedehnt, den Zuspruch von 4 % Zinsen aus 46.000 EUR seit 22. 11. 2004 begehrt und dieses Datum mit dem Tag der Zustellung der Klage gleichgesetzt. Die Klage wurde aber am 22. 11. 2006 zugestellt. Bereits das Berufungsgericht hat diesen Fehler bei der Abweisung des Klagebegehrens korrigiert. Bei der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass Zinsen aus dem Betrag von 46.000 EUR erst ab dem Tag der Ausdehnung zustehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E89882

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00204.08A.1217.000

Im RIS seit

16.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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