Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Jänner 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trebuch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mag. Karl N***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 3. April 2008, GZ 17 Hv 3/08d-70, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I 1, III und IV sowie demzufolge auch im Strafausspruch und im Einweisungserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs und des Einweisungserkenntnisses verwiesen. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Mag. Karl N***** jeweils mehrerer Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 StGB (II), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III), mehrerer Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 und Abs 3 Z 1 StGB (IV und V) sowie mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (VI) schuldig erkannt.
Danach hat er
(I) jeweils in mehreren Angriffen andere außer den Fällen des § 201 StGB durch gefährliche Drohung zur Vornahme geschlechtlicher Handlungen genötigt, nämlich
1) in der Zeit vom 17. November 2002 bis zum 18. November 2003 Christina R***** zur Duldung der zu IV 1 beschriebenen Tathandlungen,
2) in der Zeit vom September 2005 bis zum 19. August 2007 Stephanie G***** zur Duldung der zu IV 2 und VI 1 sowie zumindest eines Teiles der zu II 3 beschriebenen Tathandlungen und
3) in der Zeit von der Jahresmitte 2006 bis zum 19. August 2007 Melanie K***** zur Duldung der zu IV 3 und (richtig:) VI 2 sowie zumindest eines Teiles der zu II 4 beschriebenen Tathandlungen, (II) an unmündigen Personen außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen, nämlich
1) in der Zeit vom 17. November 2002 bis zum 26. Oktober 2003 an der am 26. Oktober 1989 geborenen Christina R*****, indem er sie an den Brüsten sowie im Genitalbereich betastete,
2) im Herbst 2004 an der am 10. Juni 1994 geborenen Janine Q*****, indem er sie an den Brüsten und im Genitalbereich betastete,
3) in der Zeit vom September 2005 bis zum 19. August 2007 in zahlreichen Angriffen an der am 11. Jänner 1995 geborenen Stephanie G*****, indem er sie, teils unter Verwendung von Vibratoren, an den Brüsten, am Gesäß sowie im Genitalbereich betastete und sie veranlasste, mit einem Vibrator Massagehandlungen in ihrem Genitalbereich vorzunehmen, sowie
4) in der Zeit von der Jahresmitte 2006 bis zum 19. August 2007 in zahlreichen Angriffen an der am 1. Februar 1994 geborenen Melanie K*****, indem er sie an den Brüsten sowie im Genitalbereich betastete und leckte,
(III) in der Zeit vom Jahr 2005 bis zum 19. August 2007 den Führerschein Robert Gr*****s, über den er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass er im Rechtsverkehr gebraucht werde,
(IV) pornografische Darstellungen minderjähriger Personen hergestellt, nämlich
1) in der Zeit vom 17. November 2002 bis zum 18. November 2003 wiederholt von Christina R*****,
2) in der Zeit vom September 2005 bis zum 19. August 2007 wiederholt von Stephanie G*****, von welcher er auch Laufbilder von sexuellen Aktivitäten herstellte,
3) in der Zeit von der Jahresmitte 2006 bis zum 19. August 2007 wiederholt von Melanie K*****,
wobei er diesen Minderjährigen zum Teil Dessous und „weitere Utensilien" zur Verfügung stellte, sowie
4) im Sommer 2007 von der am 5. Mai 1995 geborenen Almedina H*****, (V) zum Jahresanfang 2006 sich wirklichkeitsnahe Abbildungen pornografischer Handlungen unmündiger Personen an sich selbst, an einer anderen Person und mit einem Tier durch Herunterladen aus dem Internet und Abspeichern auf seinem PC verschafft, weiters (VI) jeweils wiederholt mit unmündigen Personen den Beischlaf oder diesem gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, nämlich
1) in der Zeit vom Sommer 2006 bis zum 19. August 2007 mit Stephanie G*****, indem er ihr die Augen verband, sein mit Schokoladecreme beschmiertes Glied in den Mund einführte, an ihrer Scheide leckte und zum Anal- sowie zum Vaginalverkehr „zumindest" ansetzte, und
2) in der Zeit von der Jahresmitte 2006 bis zum 19. August 2007 mit Melanie K*****, indem er ihr teils nach Verbinden der Augen, teils unter Anlegen von Fesseln sein mit Schokoladecreme beschmiertes Glied in den Mund einführte, ihre Scheide leckte, sie digital penetrierte und mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 4, 5, 9 lit a, 9 lit b und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nur teilweise berechtigt.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit (S 108/III) zu Recht ab (S 111/III). Der Grundsatz der (Volks-)Öffentlichkeit ist im Strafprozess von zentraler Bedeutung. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass seine Verletzung mit Nichtigkeit bedroht (§ 228 Abs 1 StPO) und dass er überdies verfassungsrechtlich garantiert ist (Art 6 Abs 1 MRK, Art 90 Abs 1 B-VG). Demgemäß muss bei der Beurteilung der Voraussetzungen des Ausschlusses der Öffentlichkeit (§ 229 Abs 1 StPO) ein äußerst strenger Maßstab angelegt werden. Ein darauf gerichteter Antrag hat somit jedenfalls ein Vorbringen zu enthalten, nach dem einer der Ausnahmetatbestände des § 229 Abs 1 StPO konkret indiziert ist (RIS-Justiz RS0053667). Diesem Erfordernis wird der gegenständliche Antrag nicht gerecht, indem er sich inhaltlich auf den - in Strafverfahren wegen Angriffen gegen die sexuelle Integrität stets zutreffenden - allgemeinen Hinweis beschränkt, dass höchstpersönliche Lebensbereiche des Angeklagten und der Opfer „dargestellt und besprochen werden sollten" (S 108/III).
Auch dem (zweimal) gestellten Antrag auf Bestellung eines weiteren Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und der Neurologie zum Beweis dafür, „dass eine Abartigkeit beim Angeklagten nicht vorliege, in diesem Punkt das Gutachten des Sachverständigen mangelhaft geblieben sei und in sich widersprüchlich sei, die von dem Sachverständigen in seinem Gutachten angeführten Tathandlungen hätten sich erst im Verfahren ergeben und seien erst im Verfahren zu beurteilen, insbesondere habe der Sachverständige nicht in Erwägung gezogen, dass der Angeklagte unbescholten sei" (S 109/III), mit dem zusätzlichen Vorbringen, dass durch die [in der Hauptverhandlung vorgenommene] Ergänzung „weder die Unschlüssigkeit noch die Widersprüchlichkeit des Gutachtens beseitigt wurden" (S 213/III), folgten die Tatrichter ohne Verletzung von Verteidigungsrechten nicht (S 112, 213/III), weil der Beweisantrag nicht erkennen ließ, aus welchen Gründen der Befund oder das Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen widersprüchlich oder sonst mangelhaft sein sollte (§ 127 Abs 3 StPO).
Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat aufgrund des im Nichtigkeitsverfahren geltenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen. Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) behauptet zum Schuldspruch II mit der Begründung, das Verfahren sei insoweit eingestellt worden, das Vorliegen des Verfolgungshindernisses der res iudicata. Nach der Aktenlage betrifft die angesprochene Verfahrenseinstellung aber einen Vorwurf, der nicht von der angefochtenen Entscheidung umfasst ist (S 3j verso/I). Aus welchem Grund der Umstand, dass in der diesbezüglichen Erklärung der Staatsanwaltschaft der Name des präsumtiven Opfers handschriftlich eingefügt worden ist (S 3j/I), eine Ausweitung des Einstellungsbeschlusses auf sämtliche Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB bewirken soll, vermag die Rüge nicht darzulegen.
Im bisher behandelten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Im Recht ist hingegen der Einwand der Mängelrüge (Z 5), dass das Urteil keine Begründung für die Feststellungen zum Schuldspruch III enthält (Z 5 vierter Fall). Dieser Verfahrensmangel führt insoweit zur Teilaufhebung, sodass auf die weiteren (auf Z 5, 9 lit a und 9 lit b gestützten) Ausführungen zu diesem Schuldspruch nicht einzugehen ist.
Korrespondierendes gilt mit Blick auf die Kassation des Strafausspruchs und des Einweisungserkenntnisses für die Sanktionsrüge.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof überdies davon, dass zum Nachteil des Angeklagten - von diesem ungerügt - das Strafgesetz mehrfach unrichtig angewendet wurde.
Dies betrifft zunächst den Schuldspruch I 1. Der Tatbestand des § 202 Abs 1 StGB verlangt die Nötigung zu einer geschlechtlichen Handlung. Eine solche ist nur dann gegeben, wenn entweder zur Geschlechtssphäre des Opfers gehörige Körperpartien berührt werden oder das Opfer solche Körperpartien des Täters berührt, wobei die Berührung intensiver als bloß flüchtig sein muss (Schick in WK² § 202 Rz 10 bis 13). Das ergibt sich schon daraus, dass § 207a Abs 4 Z 3 StGB in der durch das StRÄG 2004 BGBl I 2004/15 novellierten Fassung zwischen wirklichkeitsnahen Abbildungen einer geschlechtlichen Handlung (lit a) und solchen der Genitalien oder der Schamgegend (lit b) unterscheidet, woraus folgt, dass allein das Darbieten geschlechtsspezifischer Körperregionen nach Ansicht des Gesetzgebers keine geschlechtliche Handlung ist (Hinterhofer, SbgK § 202 Rz 32). In Ansehung der durch das StRÄG 2004 - wie dargestellt - geänderten Rechtslage hat sich auch der Oberste Gerichtshof dieser Auffassung angeschlossen (12 Os 46/05i, 14 Os 142/06y, 12 Os 131/07t). Die Nötigung zu einer anderen (nicht geschlechtlichen) Handlung ist dem Tatbestand des § 105 Abs 1 StGB, bei entsprechend qualifizierter Vorgangsweise auch einem der Tatbestände des § 106 StGB zu unterstellen. Die Feststellungen des Erstgerichts, wonach der Angeklagte Christina R***** durch gefährliche Drohung veranlasst hat, sich „in erotischen Posen darzubieten" (US 11) lassen die insoweit erforderliche rechtliche Abgrenzung nicht zu.
Entsprechendes gilt auch für einen Teil der Konstatierungen zu den Schuldsprüchen I 2 (US 11 f) und I 3 (US 13). Da diese aber auch die zu den Schuldsprüchen II 3 und 4 sowie VI 1 und 2 beschriebenen Handlungen umfassen (US 3 f iVm US 15 f, 17 bis 19) und die im Urteilstenor genannten Handlungen im Rahmen der Strafzumessung nicht gesondert berücksichtigt wurden (US 26), war insoweit ein Vorgehen iS des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO nicht geboten.
Zum Schuldspruch IV beschreibt das Erstgericht die Tathandlungen damit, dass der Angeklagte von den Opfern „pornografische Darstellungen" (US 16) angefertigt habe. Bei diesem Begriff handelt es sich aber um ein sog normatives Tatbestandsmerkmal, das zwecks rechtsrichtiger Subsumtion der - hier nicht vorgenommenen - Wertausfüllung bedarf. Gleiches gilt für den Begriff der „sexuellen Aktivitäten" (US 17).
Hinsichtlich des Schuldspruchs IV 1 kommt hinzu, dass die inkriminierten Handlungen vor dem Inkrafttreten des StRÄG 2004 (1. Mai 2004) gesetzt worden sind. In der damals geltenden Fassung pönalisierte § 207a StGB aber nur pornografische Darstellungen mit Unmündigen, sodass in der Zeit vom 26. Oktober 2003 bis zum 18. November 2003 gesetzte Handlungen mit Blick auf das Geburtsdatum Christina R*****s (US 9) nach dieser Gesetzesstelle nicht strafbar waren. Die allfällige Strafbarkeit der in der Zeit vom 17. November 2002 bis zum 26. Oktober 2003 angefertigten Abbildungen setzt gemäß § 207a StGB aF eine geschlechtliche Handlung voraus; insoweit wird auf die Darlegungen zum Schuldspruch I verwiesen.
Die Feststellungen zum Schuldspruch V werden dem gesetzlichen Konkretisierungsgebot im Zusammenhalt mit dem im - zu deren Verdeutlichung heranzuziehenden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 271; zuletzt 12 Os 12/08v) - Urteilstenor enthaltenen Verweis auf aktenkundige Lichtbilder (US 17 iVm US 6) gerade noch gerecht.
Im dargestellten Umfang waren der Schuldspruch sowie demzufolge auch der Strafausspruch und das Einweisungserkenntnis zu kassieren. Sollte insoweit im zweiten Rechtsgang neuerlich eine Verurteilung erfolgen, werden die normativen Tatbestandsmerkmale derart aufzulösen sein, dass die Tathandlungen durch nicht weiter wertausfüllungsbedürftige Begriffe beschrieben werden. Bezüglich der die Jahre 2002 und 2003 betreffenden Anklagevorwürfe wird zu beachten sein, dass die Bestimmungen des § 207a StGB zwischenzeitig geändert worden sind.
Bei der Strafzumessung wird hinsichtlich des Schuldspruchs I 1 zu berücksichtigen sein, dass § 202 Abs 1 StGB idF vor dem StRÄG 2004 eine geringere Strafdrohung aufgewiesen hat als nunmehr. Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Anmerkung
E8973212Os151.08kEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00151.08K.0115.000Zuletzt aktualisiert am
02.03.2009