Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard R*****, vertreten durch Dr. Johann Grasch, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Piaty Müller-Mezin Schoeller Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 30.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Juli 2008, GZ 2 R 86/08x-41, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 20. April 2008, GZ 20 Cg 125/06a-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.959,48 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 326,58 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger litt an Divertikulose des Dickdarms mit mehreren Entzündungsschüben, weshalb er sich am 15. Februar 2006 in der Krankenanstalt des Beklagten einem medizinisch indizierten, laparoskopisch begonnenen operativen Eingriff zur Entfernung der Divertikel unterzog.
Die chirurgische Abteilung der Krankenanstalt ist mit mehr als 200 Dickdarmoperationen pro Jahr ein Zentrum für Dickdarmerkrankungen. Der dort tätige Oberarzt, der den Kläger operierte, hatte zuvor etwa 200 Dickdarmoperationen, davon fünf laparoskopische Darmresektionen, und viele andere laparoskopische Eingriffe (mehrheitlich Gallenblasenoperationen) durchgeführt. Seine Entscheidung zum laparoskopischen Eingriff am Kläger war aufgrund seiner Erfahrung und auch in Anbetracht des Umstands, dass man die Technik erst nach 40 bis 50 gleichartigen Eingriffen vollkommen beherrscht, aus medizinischer Sicht gerechtfertigt und zum Vorteil des Patienten, weil bei einem beleibten Patienten wie dem Kläger im Gegensatz zur klassischen Methode (Laparotomie = „offenes Vorgehen") nur kleine Bauchschnitte gesetzt werden müssen und damit Nachteile wie Wundinfektionen und Bruchbildung verhindert werden können.
Bereits sechs Wochen vor der Operation hatte der Oberarzt dem Kläger, der sich über die Operationsmethoden schon informiert hatte und laparoskopisch operiert werden wollte, diese Methode und einen möglichen intraoperativen Verfahrenswechsel zur Laparotomie erklärt, ohne ihn über die Anzahl der von ihm laparoskopisch durchgeführten Operationen zu informieren. Am Tag vor der Operation erteilte der Kläger, dem anlässlich der stationären Aufnahme am Vortag eine Aufklärungsschrift überreicht worden war, in der eine bei jeder Operationsmethode mögliche Darmwandverletzung durch Blutstillung mittels höchstfrequentem Ultraschall erwähnt wird, nach einem Aufklärungsgespräch mit dem Abteilungsvorstand und nach einem anästhesistischen Aufklärungsgespräch schriftlich seine Einwilligung in die Operation nach thorakaler Intubationsnarkose.
Der operierende Oberarzt hatte die von ihm lege artis durchgeführte laparoskopische Operation nahezu beendet, als er bei Stillung einer darmnahen Blutung mittels höchstfrequentem Ultraschall eine Darmwand verletzte und - gemäß den Regeln der ärztlichen Kunst - die Operation im offenen Verfahren fortsetzte, um - lege artis - das Leck zu übernähen und die Bauchwunde zu verschließen.
Bis zwei Tage nach der Operation (17:30 Uhr) zeigten sich in der Nachbehandlung des Klägers keine Auffälligkeiten oder Hinweise auf Komplikationen. Dann trat aus einer Drainage „grünliches Sekret" aus. Als zwei Oberärzte (darunter der Operateur) um 19:30 Uhr den Kläger visitierten, fanden sie bei der Kontrolle der Drainage keinen Hinweis auf die Beimengung von Darminhalt. Am Folgetag um 4:30 Uhr erlitt der Kläger eine Schmerzattacke, mit der das Auftreten eines Lecks (im Bereich der Übernähung war die Naht gebrochen) verbunden war; in den Bauchraum austretender Darminhalt verursachte eine Bauchfellentzündung. Mangels objektiver Hinweise auf eine Darmverletzung - laborchemisch und klinisch war das Leck erst gegen Mittag des Folgetags nachweisbar, als das Blut des Klägers einen deutlichen Anstieg der Entzündungswerte zeigte - führte der Oberarzt ab 13:30 Uhr ohne medizinisch vorwerfbare Zeitversäumnis nach Aufklärung des Klägers über den durchzuführenden Eingriff und über einen allenfalls erforderlichen künstlichen Darmausgang kunstgerecht eine Revisionsoperation mit Anlage eines künstlichen Darmausgangs durch, die geeignet war, das Leck im Darm endgültig zu verschließen und die Bauchfellentzündung zu beherrschen.
Nach verzögerter, aber kontinuierlicher Verbesserung seines Allgemeinzustands (die Entzündungsparameter waren rückläufig) zeigte der Kläger fünf Tage nach der Zweitoperation ein angemessenes klinisches Blutbild, als um 17:00 Uhr (zu diesem Zeitpunkt zeigte die Blutbildkontrolle keine besorgniserregenden Veränderungen) und um 23:00 Uhr Blut aus seinem After austrat. Diese Nachblutungen waren sehr seltene, mit einer Wahrscheinlichkeit von 2 % auftretende Anastomoseblutungen (typische Komplikationen bei Darmoperationen), deren Auftreten keinen Bedienungsfehler des Klammernahtgeräts und keine andere fehlerhafte chirurgische Handlung voraussetzt. Als der Kläger am nächsten Tag um 0:30 Uhr einen neuerlichen Blutabgang hatte, um 2:00 Uhr sein Blutdruck das erste und einzige Mal unter 100 mmHG (83) sank und der Laborwert für den roten Blutfarbstoff bloß 6,99 g/dl betrug, führte der Abteilungsleiter am Kläger eine Darmspiegelung durch, in deren Verlauf er eine Blutung an der beim Ersteingriff angelegten Dickdarmverbindung feststellte, die er mit Unterspritzung und mit einem Metallclip stillte. Ohne diesen Eingriff wäre eine dritte Operation erforderlich gewesen. Neun von zehn derartigen Blutungen kommen durch körpereigene Blutstillungs- und Blutgerinnungsmechanismen spontan zum Stillstand. Durch Manipulationen wie Darmspiegelung und Lufteinbringung können neu angelegte Darmverbindungen geschädigt werden, weshalb ein Zuwarten bei postoperativen Darmblutungen solange gerechtfertigt ist, als Laborwerte und Kreislaufparameter keinen instabilen Zustand des Patienten zeigen. Aus den Hämoglobinwerten, den Kreislaufparametern und der Sauerstoffsättigung beim Kläger ergab sich zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr. Der Abteilungsleiter führte den Eingriff vom 24. Februar 2006 (Blutstillung) kunstgerecht und erfolgreich aus.
Der Kläger begehrte 30.000 EUR sA Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für alle zukünftigen Schäden aus der Behandlung beim Beklagten. Die Ärzte hätten den Kläger nicht über die Risiken der Laparoskopie aufgeklärt, in deren Kenntnis sich der Kläger für die konventionelle Methode (Laparotomie) entschieden hätte. Der Oberarzt habe dem Kläger überdies nicht auf seine mangelnde Erfahrung mit der beabsichtigten Operationsmethode hingewiesen. Zwei Tage vor der Operation habe der Abteilungsleiter gegenüber dem Kläger bemerkt: „Ein paar laparoskopische Operationen haben wir ja schon gemacht." Trotz Vereinbarung einer Epiduralanästhesie sei dem Kläger eine Vollnarkose verabreicht worden. Mit der Laparoskopie habe der Oberarzt die medizinisch falsche Methode gewählt, weil der Kläger an Verwachsungen gelitten habe und weil mit dieser Operationsmethode die erhöhte Gefahr einer Darmwandperforation verbunden sei. Die Revisionsoperation sei verspätet ausgeführt worden. Die Colonoskopie vom 24. Februar 2006 sei nur notwendig geworden, weil anlässlich der Revisionsoperation eine Klammer falsch gesetzt worden sei. Auch die Colonoskopie sei verspätet gewesen. Die durch die Aufklärungs- und Behandlungsfehler verursachten qualvollen körperlichen Schmerzen verbunden mit der erlittenen Todesangst rechtfertigten das begehrte Schmerzengeld.
Der Beklagte wendete ein, der Kläger sei aufgrund von dritter Seite eingeholter Informationen zugunsten der laparoskopischen Operationsmethode voreingenommen gewesen. Auch nach ausführlicher schriftlicher und mündlicher Aufklärung über die konventionelle und die laparoskopische Chirurgie durch den Abteilungsleiter habe der Kläger jedenfalls laparoskopisch operiert werden wollen. Der Abteilungsleiter habe auch darauf hingewiesen, dass die Krankenanstalt des Beklagten sich bei laparoskopischen Eingriffen noch im Lernbereich befinde. Daraus habe der Kläger ersehen können, dass in dieser Krankenanstalt noch nicht viele derartige Operationen laparoskopisch durchgeführt worden seien. Eine bestimmte Art der Anästhesie sei nicht zugesagt worden, die Epiduralanästhesie sei nur bei Operationen mit Bauchdeckenöffnung anzuwenden. Die beim Beklagten angestellten Ärzte hätten alle Eingriffe sorgfältig und lege artis durchgeführt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Den behandelnden Ärzten sei weder ein Behandlungsfehler unterlaufen noch eine Verletzung der Pflicht zur Aufklärung anzulasten.
Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Während der Behandlung des Klägers habe sich nicht jenes Risiko verwirklicht, über das ihn die Ärzte nach seinem Standpunkt aufklären hätten müssen. Die Darmwand des Klägers sei mit dem Ultrazision-Gerät verletzt worden, das auch bei einer Laparotomie zum Einsatz gekommen wäre, für die sich der Kläger behauptetermaßen entschieden hätte. Über dieses unabhängig von der gewählten Operationsmethode bestehende Risiko sei der Kläger aufgeklärt worden. Das Vorbringen des Beklagten, wonach der Abteilungsleiter im Zuge des Aufklärungsgesprächs den Kläger darauf hingewiesen habe, dass sich die Krankenanstalt bei laparoskopischen Eingriffen noch im Lernbereich befinde, stehe im Einklang mit dem Vorbringen des Klägers, welcher die Äußerung des Abteilungsleiters behaupte, ein paar laparoskopische Operationen haben wir ja schon gemacht. Insoweit stehe der Sachverhalt unbestritten fest.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers, mit der er die Klagestattgebung anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts mangels Rechtsprechung zum Umfang der Aufklärungspflicht in Ansehung der Vorerfahrung des Operateurs zulässig, aber nicht berechtigt.
Ausgehend von den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen zur aus medizinischer Sicht richtigen Wahl der beim Kläger angewandten Operationsmethode (Laparoskopie), deren Ausführung nach den Regeln der ärztlichen Kunst sowie den weiteren Behandlungsmaßnahmen ohne aus medizinischer Sicht zu erhebenden Vorwürfen (keine Fehlbehandlung) erfolgte, scheidet ein auf einen ärztlichen Kunstfehler gegründeter Schadenersatzanspruch von vornherein aus.
Der mit dem Arzt oder dem Rechtsträger der Krankenanstalt abgeschlossene Vertrag umfasst aber auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten, wobei die Aufklärungspflicht insbesondere auch bei operativen Eingriffen gilt.
Im Hinblick auf die in Ansehung der möglichen und im konkreten Fall angestrebten Operationsmethode und die dabei auftretenden Komplikationsgefahren nach den getroffenen Feststellungen ausreichende Aufklärung beschränkt sich der Kläger in dritter Instanz darauf, eine unzureichende und daher haftungsbegründende Aufklärung dahin zu behaupten, dass ihn der Operateur vor seiner Einwilligung in die Operation nicht darüber informiert habe, dass er erst fünf laparoskopische Dickdarmoperationen selbst durchgeführt habe und erst nach 40 bis 50 gleichartigen Eingriffen davon ausgegangen werden könne, dass ein Operateur die spezielle Operationsmethode vollkommen beherrsche. Es ist im vorliegenden Fall daher zu untersuchen, ob ein Chirurg über seine allenfalls mangelnde Erfahrung für ein sicheres Beherrschen der vorgeschlagenen Operationstechnik aufklären muss, selbst dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine allgemeine umfassende Operationserfahrung vorliegt (200 selbständig durchgeführte Dickdarmoperationen) und auch mehrfach laparoskopische Eingriffe im Bauchraum, etwa Gallenblasenoperationen, ausgeführt wurden.
Harrer (in Schwimann³ § 1300 ABGB Rz 61) vertritt die Auffassung, dass der Arzt, der über die erforderliche Ausbildung verfügt, dem Patienten nicht mitteilen muss, wie oft er den betreffenden Eingriff bereits eigenverantwortlich durchgeführt hat, sofern er über die allfällige Neuheit der anzuwendenden Methode und darüber aufklärt, weshalb er die Anwendung eines neuen Verfahrens empfiehlt.
Juen (in Arzthaftungsrecht² 115) vertritt - allerdings nur im Zusammenhang mit der sogenannten „Neulandmedizin" - die Auffassung, dass der Patient darüber aufzuklären ist, welche Erfahrungen mit der Neulandmethode existieren, sowie insbesondere welche Erfahrungen der behandelnde Arzt mit der vorgeschlagenen Methode bereits besitzt. Auf die besondere Aufklärungsnotwendigkeit, wenn eine neue Behandlungsmethode angewendet wird, verwiesen auch bereits Haslinger (Probleme der ärztlichen Aufklärung und Patienteneinwilligung, AnwBl 1994, 866 [871]) und Giesen (Arzthaftungsrecht4 Rz 285 mwN).
Im vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass die vom Kläger gewünschte und vom Operateur vorgeschlagene laparoskopische Operationsmethode an sich nicht neu ist, sondern sich lediglich die chirurgische Abteilung des Beklagten in der Einführungsphase befand, insbesondere der an sich erfahrene Operateur des Klägers erst fünf derartige Eingriffe vorgenommen hatte, obwohl ein vollkommenes Beherrschen der Methode erst nach 40 bis 50 derartigen spezifischen Eingriffen anzunehmen ist. Ein klassischer Fall von „Neulandmedizin" liegt daher nicht vor.
Das Funktionieren des öffentlichen Gesundheitswesens setzt voraus, dass die Wahlmöglichkeit des Patienten in Bezug auf die Person des ihn behandelnden Arztes in gewissem Maß eingeschränkt wird. Es kann nicht jeder Patient darauf bestehen, nur von jenem Arzt operiert zu werden, der die größte Erfahrung oder sonst die allerbesten Voraussetzungen für ein geringstmögliches Operationsrisiko aufweist. Es muss einen bestimmten medizinischen Ausbildungsstand geben, ab dem ein Chirurg im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Ausbildung und jenen über die Ausübung der ärztlichen Kunst seine erste und dann weitere bestimmte Operationen, hier laparoskopische Dickdarmoperationen, durchführen darf. Ansonsten wäre es weder möglich, in ausreichender Zahl Ärzten die Möglichkeit zur selbständigen Operation und der Sammlung weiterhin notwendiger Erfahrung zu geben noch die aus medizinischer Sicht erforderliche Anzahl von Operationen ausführen zu lassen.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Aufklärung des Patienten über die Anzahl der vorher nach einer bestimmten Methode ausgeführten Operationen nicht erforderlich ist, wenn der Arzt die vorgesehene Operation nach den Regeln der ärztlichen Ausbildung und jenen über die Ausübung der ärztlichen Kunst ausführen darf.
Da im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der den Kläger operierende Oberarzt zur selbständigen Ausführung der laparoskopischen Dickdarmresektion nach den Regeln der medizinischen Ausbildung und jenen über die Ausübung der ärztlichen Kunst nicht berechtigt gewesen wäre, bedurfte es der vom Kläger nunmehr geforderten Aufklärung über die spezifische Vorerfahrung des Operateurs nicht. Dass sich der Kläger etwa von sich aus konkret nach der Vorerfahrung des für die Operation vorgesehenen Oberarztes erkundigt hätte, was eine wahrheitsgemäße Antwort erfordert hätte, wurde nicht behauptet. Die in der Revision darüber hinaus angesprochenen Fragen der Behauptungs- und Beweislast sind mangels Aufklärungspflichtverletzung im vorliegenden Fall nicht zu erörtern.
Der insgesamt unberechtigten Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E89838European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0040OB00166.08B.0120.000Im RIS seit
19.02.2009Zuletzt aktualisiert am
28.10.2010