Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Oliver E*****, geboren am 21. September 2000, und des mj Vincent E*****, geboren am 29. Juni 2003, beide *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung, Fachgebiet Jugendwohlfahrt, Leopoldstraße 21, 3400 Klosterneuburg), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 27. Mai 2008, GZ 20 R 66/08h, 20 R 67/08f-U19, womit über Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, die Beschlüsse des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 27. März 2008, GZ 1 P 100/07x-U12 und U13, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Beschlüsse des Erstgerichts wiederhergestellt werden.
Text
Begründung:
Markus G***** ist aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 16. 10. 2007 (ON U5) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 340 EUR für seinen Sohn Oliver E*****, geboren am 21. September 2000, und von 300 EUR für seinen Sohn Vincent E*****, geboren am 29. Juni 2003, verpflichtet.
Die beiden Minderjährigen, vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger, stellten am 26. 2. 2008 (ON U6 und U7) Anträge auf Gewährung von Titelvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG. Die Exekutionsführung scheine aussichtslos, weil der Unterhaltspflichtige seinen Zivildienst ableiste. Er sei in Kenntnis gesetzt worden, dass er bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde einen Antrag auf Familienunterhalt stellen könne, habe einen solchen Antrag bis dato jedoch nicht gestellt.
Das Erstgericht bewilligte den beiden Minderjährigen die Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe jeweils für den Zeitraum von 1. 2. 2008 bis 31. 1. 2011.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, Folge und änderte die Beschlüsse des Erstgerichts im Hinblick auf begründete Bedenken gegen das Weiterbestehen der Unterhaltspflicht in der im Exekutionstitel festgesetzten Höhe im Sinn einer Abweisung der Vorschussanträge ab. Da für die Zeit der Ableistung des Präsenz- oder Zivildienstes Anspruch auf Auszahlung von Familienunterhalt bestehe, sei § 7 Abs 1 UVG unabhängig davon anzuwenden, ob der Unterhaltspflichtige einen Antrag auf die Leistung stelle oder nicht, vor allem weil „die Behörde", die Kenntnis von der Ableistung des Zivildienstes gehabt habe, zu einem amtswegigen Vorgehen (in Richtung Zuerkennung des Familienunterhalts) verpflichtet gewesen sei. Es könne nicht im Ermessen des Unterhaltspflichtigen liegen, durch eine Nichtantragstellung auf Familienunterhalt die Gewährung dieser Beträge für die Minderjährigen zu verhindern.
Die Zulassung des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht damit, dass sich die vorhandene höchstgerichtliche Judikatur zum Familienunterhalt stets auf Fälle bezogen habe, in denen die Zuerkennung der Leistung bereits erfolgt und sie auch tatsächlich ausgezahlt worden sei, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, mit dem Abänderungsantrag auf Wiederherstellung der die Anträge auf Gewährung der Unterhaltsvorschüsse bewilligenden Beschlüsse des Erstgerichts. Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben. Der Vater als Unterhaltsschuldner und die Mutter als Zahlungsempfängerin haben keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.
Es ist nicht weiter strittig, dass die beiden Minderjährigen - anders als in dem der Entscheidung 1 Ob 419/97t = EvBl 1998/128 zugrunde liegenden Fall - keinen Familienunterhalt nach § 34 Abs 1 ZDG (§ 23 Abs 1 HGG 2001) ausgezahlt erhalten haben. Der Grund für die Abweisung der Vorschussanträge durch das Rekursgericht wegen begründeter Bedenken kann letztlich nur darin liegen, dass es ganz offensichtlich (wenn auch nicht klar ausgedrückt) eine Verpflichtung der beiden Minderjährigen annimmt, den von ihrem Vater nicht gestellten Antrag auf Familienunterhalt in irgendeiner Weise zu substituieren, um so die Auszahlung von Familienunterhalt zu erreichen; würde dieser Schritt nicht unternommen, seien die Minderjährigen fiktiv so zu behandeln, als erhielten sie Familienunterhalt, sodass begründete Bedenken gegen das weitere Bestehen der Unterhaltsverpflichtung in der titelmäßigen Höhe (§ 7 Abs 1 UVG) bestünden.
Abgesehen von hier nicht weiter zu beachtenden Neuerungen (RIS-Justiz RS0119918) bestreiten die beiden Minderjährigen sowohl eine Verpflichtung nachzuforschen, ob der unterhaltspflichtige Vater einen Antrag auf Gewährung von Familienunterhalt gestellt hat, als auch eine Verpflichtung, ein amtswegiges Vorgehen bei der zuständigen Behörde anzuregen. Abgesehen davon lasse die Formulierung des § 33 Abs 2 HGG 2001 den Schluss zu, dass es der Unterhaltspflichtige sehr wohl in der Hand habe, die Gewährung des Familienunterhalts für seine Kinder zu verhindern. Zu begründeten Bedenken (§ 7 Abs 1 UVG) könne es immer nur dann kommen, wenn die tatsächliche Vorschussgewährung parallel zum direkten Bezug von Familienunterhalt zu einer Doppelalimentation führe; ohne Auszahlung von Familienunterhalt könnten keine begründeten Bedenken entstehen.
Diese Ausführungen sind schon deshalb berechtigt, weil das HGG 2001, auf das das ZDG verweist, grundsätzlich nur einen Antrag des Präsenzdieners auf Gewährung von Familienunterhalt vorsieht. Dann, wenn die Behörde „auf andere Weise als durch einen Antrag Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienunterhalt" erlangt, hat sie das Verfahren auf Zuerkennung von Familienunterhalt von Amts wegen einzuleiten, wobei in diesem Fall der Anspruchsbeginn hinausgeschoben sein kann. Es ist also zum einen kein Antrag der Familienangehörigen, denen der Familienunterhalt zugute kommen soll, vorgesehen. Zum anderen besteht auch keine Verpflichtung dieser Familienangehörigen, die potenzielle Antragstellung durch den Präsenzdiener selbst zu überwachen und gegebenenfalls ein amtswegiges Vorgehen bei der Behörde anzuregen. Der Unterhaltspflichtige hat es in der Hand, die Leistung zu beantragen. Wieso die Unterhaltsberechtigten durch eine Nichtantragstellung des Unterhaltspflichtigen auf Familienunterhalt auch ihren Anspruch auf Unterhaltsvorschuss ganz oder teilweise verlieren sollten, ist nicht nachvollziehbar.
Eine Vergleichbarkeit mit der Entscheidung 1 Ob 419/97t = EvBl 1998/128, in der eine analoge Anwendung des Einstellungsgrundes des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG bejaht wurde, ist nicht gegeben: Eine (mögliche) Gesetzeslücke als Voraussetzung des Analogieschlusses wird dort nur für den Fall einer parallelen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen und Familienunterhalt gesehen, weil dann eine Doppelalimentierung verhindert werden müsse. Dass diese Gefahr im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben ist, ist nicht strittig. Dem Revisionsrekurs der beiden Minderjährigen ist daher stattzugeben.
Anmerkung
E8992110Ob86.08gSchlagworte
Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2009/163 S 110 - Zak 2009,110 = iFamZ 2009/143 S 198 - iFamZ2009,198XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00086.08G.0127.000Zuletzt aktualisiert am
11.08.2009