Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alfred K*****, vertreten durch Dr. Georg Grießer und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen 56.182,86 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. August 2007, GZ 10 Ra 12/07v-45, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 9. Oktober 2006, GZ 35 Cga 268/04v-38, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. 10. 1988 bis 31. 12. 2000 in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt, zuletzt als Prokurist und Abteilungsleiter. Das Dienstverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung.
Der Kläger hatte zunächst eine individuelle, leistungsorientierte Betriebspensionszusage, die mit seinem Einverständnis im Jahr 1994 in ein beitragsorientiertes, auf einer Betriebsvereinbarung beruhendes Pensionskassenmodell übergeführt wurde. In der Betriebsvereinbarung („Besitzstandspension" vom November 1994 und „Pensionsstatut 1994" vom November 1994) findet sich insbesondere eine Klausel, wonach eine Nachschusspflicht der Beklagten gegenüber der Pensionskasse besteht, wenn die realisierte Performance nicht den vereinbarten Wert von 7,5 % pa erreicht hat. In der Nachfolgebetriebsvereinbarung vom Jänner 1996 findet sich erneut der Passus einer Mindestverzinsung von 7,5 % pa, deren Nichterreichen eine Nachschusspflicht durch die Beklagte auslösen sollte. Diese Ertragsgarantie und Nachschusspflicht wurde jedoch mit 31. 12. 2003 limitiert. Gespräche zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat, welche seit Mitte des Jahres 2000 geführt wurden, führten zum Abschluss einer weiteren Betriebsvereinbarung im Dezember 2000 („Ablösevereinbarung"), deren wesentlicher Inhalt es war, dass an die Stelle der 7,5 % pa - Performancegarantie der Beklagten und die daraus folgende mögliche Nachschusspflicht eine Einmalzahlung in Form eines Abfindungsbetrags von 8,5 Mio ATS an die Pensionskasse treten sollte. Dieser Betrag sollte im Verhältnis der zum 31. 12. 1999 vorhandenen Deckungskapitalien inklusive Schwankungsrückstellungen auf die Pensionskonten der einzelnen Mitarbeiter der Beklagten aufgeteilt werden, eine weitere Nachschusspflicht der Beklagten sollte dadurch ausgeschlossen werden. Die unterzeichnete Betriebsvereinbarung wurde sowohl im Personalbüro als auch im Betriebsratsbüro hinterlegt, jedoch erfolgte kein Aushang, in welchem auf die Existenz der „Ablösevereinbarung" oder deren Inhalt hingewiesen wurde. Im Betrieb der Beklagten besteht ein Mitarbeiterhandbuch, in dieses fanden und finden jedoch Betriebsvereinbarungen keinen Eingang. In den einzelnen Abteilungen der Beklagten finden etwa alle ein bis vier Wochen Jours fixe statt. Es zählt zu den Pflichten eines Bereichsleiters, dass er seine Mitarbeiter in den Abteilungen vom Abschluss einer Betriebsvereinbarung in Kenntnis setzt. Dies war auch bei der vorliegenden Betriebsvereinbarung vom Dezember 2000 der Fall, doch kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger an einem dieser Jours fixe teilgenommen hat oder teilnehmen hätte müssen. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass anlässlich eines Jour fixe auf die Hinterlegung der Betriebsvereinbarung im Personalbüro bzw im Betriebsratsbüro hingewiesen wurde. Im Betrieb der Beklagten war es üblich, dass anlässlich der Betriebsweihnachtsfeier auch ein Vertreter des Betriebsrats über den Abschluss von Betriebsvereinbarungen Bericht erstattet. Am 12. 12. 2000 fand die Weihnachtsfeier statt und ein Mitglied des Betriebsrats berichtete über den Abschluss der Änderungs-Betriebsvereinbarung. An dieser Weihnachtsfeier nahm der Kläger allerdings nicht teil, die Teilnahme war auch nicht verpflichtend.
Der Kläger begehrte zuletzt den Zuspruch von 56.182,86 EUR sA; in eventu die Verpflichtung der Beklagten, an die V***** Pensionskassen AG einen Nachschuss in der Höhe zu leisten, der es der Pensionskasse ermöglicht, bis rückwirkend 31. 12. 2003 eine durchschnittlich jährliche Mindestverzinsung von 7,5 % des auf das Beitragskonto des Klägers entfallenden Pensionskapitals sicherzustellen; in eventu, die Beklagte zu verpflichten, an die V***** Pensionskassen AG auf das Beitragskonto des Klägers den Betrag von 56.182,86 EUR als Nachschuss zu bezahlen. Der Kläger vertrat im Wesentlichen die Auffassung, dass die Ablösebetriebsvereinbarung vom 1. 12. 2000 für ihn keine normative Wirkung entfalten könne und er daher aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 1. 1. 1996 Anspruch auf die Performancegarantie von 7,5 % pa habe, welche in der von ihm genannten Höhe auch aktuell geworden sei. Die Ablösebetriebsvereinbarung vom Dezember 2000 sei nämlich weder verlautbart worden, noch sei ein gleichwertiger Hinweis im Betrieb der Beklagten auf die Hinterlegung der Betriebsvereinbarung im Personalbüro oder im Betriebsratsbüro erfolgt.
Das Erstgericht wies die Klagehaupt- und Eventualbegehren mit der wesentlichen Begründung ab, dass die Hinweise anlässlich der Abteilungs-jours-fixe und bei der Weihnachtsfeier hinreichen müssten, um dem Publizitätserfordernis des § 30 Abs 1 ArbVG zu entsprechen.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass das Auflegen der Betriebsvereinbarung allein, sei es im Personalbüro oder im Büro des Betriebsrats, nicht ausreichte, um den § 30 Abs 1 ArbVG Genüge zu tun. Die Folge sei, dass diese Ablösebetriebsvereinbarung keine normative Wirkung entfalten könne. Der Kläger habe daher grundsätzlich jene Ansprüche, wie sie aus der Vorgängerbetriebsvereinbarung aus dem Jahr 1996 hervorgingen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil gesicherte Rechtsprechung dazu fehle, ob und inwieweit im Falle der Verlautbarung durch Auflegen im Betrieb Hinweise auf diese Hinterlegung publik gemacht werden müssten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Gemäß § 30 Abs 1 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen vom Betriebsinhaber oder vom Betriebsrat im Betrieb aufzulegen oder an sichtbarer für alle Arbeitnehmer zugänglicher Stelle anzuschlagen. Die Kundmachung der Betriebsvereinbarung in der einen oder anderen Form ist Voraussetzung für deren normative Wirkung für die Arbeitnehmer (RIS-Justiz RS0114617). Bereits zu 9 ObA 206/91 = DRdA 1992/16 [Apathy] sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass eine Betriebsvereinbarung durch bloßes Auflegen im Personalbüro ohne sonstige Hinweise auf die Einsichtsmöglichkeit nicht gehörig im Sinn des § 30 Abs 1 ArbVG kundgemacht ist. Unter Berufung auf Strasser/Jabornegg ArbVG3 § 30 Anm 1c führte der Oberste Gerichtshof zu 8 ObA 170/00h aus, dass zwar nach dem Wortlaut des § 30 ArbVG das „Auflegen" im Betrieb eine zulässige Kundmachungsform darstellt, dass aber von der Lehre zu Recht gefordert wird, dass die Arbeitnehmer in diesem Fall durch Anschlag darauf hingewiesen werden müssen, dass überhaupt eine solche Betriebsvereinbarung aufliegt. Dies entspreche den allgemeinen Publikationserfordernissen für generell wirkende Normen. In dieser Entscheidung wurde auch darauf hingewiesen, dass die Formerfordernisse, insbesondere aber die Anforderungen an den späteren Nachweis ihrer Einhaltung nicht überspannt werden dürfen. Dazu wurde ausgeführt, dass - rückblickend betrachtet - das Auflegen einer Betriebsvereinbarung prima facie den - widerlegbaren - Beweis dafür liefert, dass der Inhalt der Betriebsvereinbarung der Belegschaft seinerzeit auch zur Kenntnis gelangt ist. Vom Erfordernis des eigenen Hinweises auf eine aufgelegte Betriebsvereinbarung wich der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung aber nicht ab. Die weitaus überwiegende Lehre verlangt als Voraussetzung für die normative Wirksamkeit beim Auflegen einer Betriebsvereinbarung den zusätzlichen Hinweis, dass eine solche Betriebsvereinbarung geschlossen wurde und aufliegt:
Strasser/Jabornegg (ArbVG3 § 30 Anm 1c) weisen darauf hin, dass, wenn als Bekanntmachungsmethode das Auflegen im Betrieb gewählt wurde, durch Anschlag an sichtbarer, für alle Arbeitnehmer zugänglicher Stelle auf den Ort der Auflegung und die Zeitdauer der jeweils möglichen Einsichtnahme entsprechend hinzuweisen ist.
Reissner (ZellKomm § 30 ArbVG Rz 7) verlangt dann, wenn die Kundmachungsform des Auflegens im Betrieb gewählt wird, dass durch Anschlag an sichtbarer für alle Arbeitnehmer zugänglicher Stelle auf den Ort der Aufstellung (zB Betriebsratszimmer) und die Zeiten, an denen die Einsichtnahme möglich ist, hinzuweisen ist. Mit Löschnigg (Arbeitsrecht10, 104 f) hält Reissner eine Auflage auch in einer Datenbank eines unternehmensinternen Intranets für möglich, sofern dieses für alle Arbeitnehmer leicht zugänglich ist und die Arbeitnehmer diesbezüglich entsprechend informiert sind. Auch Risak (in seiner Glosse zu 8 ObA 170/00h = ZAS 2001/19) vertritt die Meinung, dass eine Betriebsvereinbarung durch bloßes Auflegen im Personalbüro ohne sonstige Hinweise auf die Einsichtsmöglichkeit nicht gehörig kundgemacht ist. Dieser Ansicht sei deshalb zuzustimmen, weil im Hinblick auf die Zielsetzungen der Kundmachungsvorschrift des § 30 Abs 1 ArbVG ein bloßes Auflegen ohne Information darüber keine ausreichende Publizität der Betriebsvereinbarung bei den hier unterworfenen Arbeitnehmern gewährleiste.
Im Hinblick auf diese überzeugenden Lehrmeinungen sieht sich der erkennende Senat nicht veranlasst, von der bisherigen Entscheidungslinie des Obersten Gerichtshofs abzuweichen. Insbesondere wäre es ein Wertungswiderspruch, wollte man eine hinweislose Hinterlegung einer Betriebsvereinbarung dem Anschlag an sichtbarer, für alle Arbeitnehmer zugänglicher Stelle ohne weiteres gleichsetzen. Um dieselbe Publizitätswirkung zu erlangen ist es daher erforderlich, in geeigneter Form sowohl vom Abschluss einer Betriebsvereinbarung als auch der örtlichen und zeitlichen Möglichkeit der Einsichtnahme informiert zu werden. Da nicht festgestellt werden konnte, dass die Anwesenheit der Arbeitnehmer bei den Abteilungsbesprechungen (Jours-fixe) oder bei der Weihnachtsfeier verpflichtend war und auch nicht feststeht, dass bei diesen Gelegenheiten auf die Einsichtsmöglichkeiten hingewiesen wurde, kann diese Vorgangsweise das aus § 30 Abs 1 ArbVG hervorgehende Publizitätserfordernis nicht ersetzen. Für die normative Wirkung ist es aber erforderlich, die Ablösebetriebsvereinbarung nicht nur aufzulegen, sondern auch in einer geeigneten, den Arbeitnehmern bekannten Verlautbarungsmethode auf den Abschluss und die Einsichtsmöglichkeiten hinzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann es auch nicht hinreichen, wenn Arbeitnehmer diese Information zufällig von einem Kollegen erfahren, zumal auch darin nicht die notwendige objektive Publikation ersehen werden kann.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E90131European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:009OBA00168.07G.0128.000Im RIS seit
27.02.2009Zuletzt aktualisiert am
20.01.2014