Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Spenling und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Alfred Klair als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sophie A*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei IEF-Service GmbH, Geschäftsstelle Wien, 1150 Wien, Linke Wienzeile 244-246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 5.509,84 EUR an Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 2008, GZ 8 Rs 16/08v-12, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5. Dezember 2007, GZ 29 Cgs 144/07i-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 556,99 EUR (darin enthalten 92,83 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die seit 1. 4. 2004 bei der späteren Gemeinschuldnerin als Angestellte beschäftigte Klägerin beendete ihr Dienstverhältnis am 23. 7. 2006 durch berechtigten vorzeitigen Austritt. Ihr war das Gehalt für November 2005 einschließlich der Sonderzahlungen für das Jahr 2005 sowie die Gehälter für Mai und Juni 2006 und der Urlaubszuschuss vorenthalten worden.
Am 28. 8. 2006 erfuhr die Klägerin bei einer gynäkologischen Untersuchung, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Austrittserklärung schwanger war. Bereits drei Tage später, am 31. 8. 2006 wurden die Forderungen der Klägerin einschließlich die Kündigungsentschädigung bis zum 30. 9. 2006 gerichtlich geltend gemacht. Der in diesem Verfahren ergangene Zahlungsbefehl wurde rechtskräftig. Ihre Schwangerschaft teilte die Klägerin am 9. 10. 2006 bei einem Termin beim Arbeitsmarktservice mit, ohne dass ihr dort gesagt wurde, ihre Schwangerschaft beim ehemaligen Dienstgeber zu melden.
Über das Vermögen ihrer früheren Arbeitgeberin wurde mit Beschluss vom 16. 11. 2006 das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete die Ansprüche aus dem Zahlungsbefehl an. Erst mit Forderungsanmeldung vom 20. 12. 2006 machte sie die hier maßgeblichen Ansprüche auf Kündigungsentschädigung vom 1. 10. 2006 bis zum Ende der Schutzfrist am 11. 2. 2007 geltend. Der in weiterer Folge auf Insolvenz-Ausfallgeld für diese Ansprüche gerichtete Antrag der Klägerin wurde mit Bescheid der Beklagten vom 20. 8. 2007 abgelehnt.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin zuletzt Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von 5.509,84 EUR, und zwar die Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 1. 10. 2006 bis 11. 2. 2007 einschließlich Kosten. Sie habe ihre Schwangerschaft der Masseverwalterin mitgeteilt. Die Mitteilung sei auch nicht verspätet.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass die Klägerin nicht innerhalb von fünf Tagen ab Kenntnis der Schwangerschaft ihren ehemaligen Dienstgeber davon informiert habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging rechtlich im Wesentlichen davon aus, dass zwar nach §§ 10 ff des MSchG die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin einen besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz zur Folge habe. Dann, wenn die Arbeitnehmerin im Zeitpunkt der Kündigung selbst noch keine Kenntnis von der Schwangerschaft habe, setze der Kündigungsschutz jedoch voraus, dass sie unmittelbar nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erfahre dies dem Arbeitgeber bekannt gebe. Entsprechend § 10 Abs 1 MSchG könne die Arbeitnehmerin während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung nicht rechtswirksam gekündigt werden, es sei denn, dass die Schwangerschaft dem Arbeitgeber nicht bekannt sei und auch nicht binnen fünf Arbeitstagen nach Ausspruch der Kündigung bekannt gegeben werde. Auch bei einvernehmlichen Auflösungen werde nunmehr davon ausgegangen, dass bei mangelnder Kenntnis von der Schwangerschaft trotz Einhaltung der Formvorschrift durch unmittelbare Bekanntgabe nach Kenntnis von der Schwangerschaft die Unwirksamkeit des Termins der einvernehmlichen Auflösung geltend gemacht und eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses entsprechend § 10a MSchG bewirkt werden könne. Im Falle der mangelnden Kenntnis der Arbeitnehmerin bei einer berechtigten Austrittserklärung sei die Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmerin noch größer, jedoch sei auch hier eine unmittelbare Bekanntgabe der Schwangerschaft zu fordern. Diesem Erfordernis sei die Klägerin jedoch - angesichts eines Zeitraums von fast vier Monaten zwischen Kenntniserlangung und erstmaliger Bekanntgabe - nicht rechtzeitig nachgekommen.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge und änderte es im klagestattgebenden Sinne ab. Grundsätzlich stehe es der Arbeitnehmerin frei, ungeachtet eines allfälligen Kündigungsschutzes ihr Arbeitsverhältnis selbst zu kündigen. Eine allfällige Unüberlegtheit dieser Kündigung berühre die Wirksamkeit nicht, auch wenn sie erst danach von ihrer Schwangerschaft erfahre. Auch ein vorzeitiger Austritt werde selbst bei einer schwangeren Arbeitnehmerin sofort wirksam.
Der Kündigungs- und Entlassungsschutz des Mutterschutzgesetzes ziele aber darauf ab, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur aus ganz bestimmten Gründen und in einer streng geregelten Form zu ermöglichen. Durch § 10 Abs 2 MSchG solle gesichert werden, dass der Arbeitgeber, der von der Schwangerschaft keine Kenntnis hatte und eine Kündigung ausgesprochen hat, durch die im engen zeitlichen Konnex zu erfolgende Mitteilung von der Unwirksamkeit der Kündigungserklärung rasch erfahre. Hier gehe es aber um die Abwicklungsansprüche aus einem bereits beendeten Arbeitsverhältnis. Bei einem berechtigten vorzeitigen Austritt habe die Arbeitnehmerin Anspruch auf Kündigungsentschädigung für den gesamten Zeitraum der Schutzfrist. Ein Rückgriff auf den Kündigungs- und Entlassungsschutz des Mutterschutzgesetzes sei dafür nicht erforderlich. Daran könne auch die Unterlassung der Bekanntgabe der Schwangerschaft nichts ändern. Besondere Dispositionsmöglichkeiten seien dem Arbeitgeber ohnehin nicht zugestanden. Für den Entlassungsschutz nach § 10 MSchG sei es unerheblich, ob dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bekannt sei oder nicht. Doch könne der Arbeitnehmer zwischen dem Entgelt bei aufrechtem Arbeitsverhältnis und dem Schadenersatzanspruch nach § 29 AngG wählen. Für den vorzeitigen Austritt bestehe keine Regelung, dass die Schwangerschaft unmittelbar nach Bekanntwerden mitgeteilt werden müsse. Daher habe die Klägerin Anspruch auf die Kündigungsentschädigung bis zum Ablauf des Kündigungsschutzes.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, da eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zum Umfang der Ansprüche von schwangeren Arbeitnehmerinnen, die in Unkenntnis dieses Umstands berechtigt vorzeitig ausgetreten sind, nicht vorliege.
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grunde zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Die Klägerin beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat hiezu Folgendes erwogen:
Grundsätzlich zutreffend zeigt die Beklagte auf, dass das Berufungsgericht mit seiner Rechtsansicht, dass im Falle der Entlassung dann, wenn die Arbeitnehmerin erst nachträglich von ihrer bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schwangerschaft erfahre, keine Verständigung des Arbeitgebers von der Schwangerschaft erforderlich sei, nicht umfassend die maßgebliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs berücksichtigt (vgl dazu ausführlich 8 ObA 2003/96h = SZ 69/72). Dies ist hier rechtlich aber nicht weiter von Relevanz.
Wesentlich ist es nun, gleich einleitend festzuhalten, dass der Ausgangspunkt hier nicht die Frage eines allfälligen Kündigungs- und Entlassungsschutzes nach dem Mutterschutzgesetz ist, sondern primär die Bestimmung des § 29 AngG. Diese legt unter anderem fest, dass dann, wenn einen Arbeitgeber ein Verschulden an einem berechtigten vorzeitigen Austritt des Angestellten trifft, der Angestellte Anspruch auf Schadenersatz hat. Diese Kündigungsentschädigung steht bei unbefristeten Dienstverhältnissen grundsätzlich in Höhe des Entgelts für den Zeitraum zu, die bis zur Beendigung durch ordnungsgemäße Kündigung durch den Arbeitgeber hätte verstreichen müssen. Daran, dass das Arbeitsverhältnis endgültig beendet ist, ändert dieser Schadenersatzanspruch nichts (vgl allgemein zur Auflösungswirkung; Grillberger in Löschnigg [Hrsg] Angestelltengesetz8 II § 29 Rz 6; Pfeil in ZellKomm § 29 AngG Rz 11 f; zum berechtigten Austritt auch Kuras in Marhold/Burgstaller/Preyer, Komm zum AngG § 29 Rz 29 ff). Dadurch, dass hier vorweg allein § 29 AngG der maßgebliche Ausgangspunkt ist, unterscheidet sich der berechtigte vom Arbeitgeber verschuldete vorzeitige Austritt auch von der unberechtigten Entlassung einer Schwangeren, weil dort ja das MSchG grundsätzlich die Unwirksamkeit der unberechtigten Entlassung und die Möglichkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bewirkt und § 29 AngG nur im Rahmen des Wahlrechts der Arbeitnehmerin, statt dessen die Kündigungsentschädigung zu wählen, zum Tragen kommt.
Die Bestimmungen des MSchG erlangen beim berechtigten, vom Arbeitgeber verschuldeten vorzeitigen Austritt der Arbeitnehmerin also überhaupt nur Bedeutung für die Frage der hypothetischen Vergleichsberechnung des Schadenersatzanspruchs nach § 29 AngG, wie lange es also „hypothetisch" gedauert hätte, bis der Arbeitgeber durch „ordnungsgemäße Kündigung" das Arbeitsverhältnis hätte beenden können. Ist das Arbeitsverhältnis aber bereits durch vorzeitigen Austritt beendet, so fehlt es schon im Ansatz an den Voraussetzungen für die Anwendung der Bestimmungen des § 10 Abs 2 und 3 MSchG im Falle der Kündigung. Zielen diese Verständigungspflichten im Falle der Kündigung durch den Arbeitgeber doch auf die Fortsetzung des durch den Arbeitgeber vor Kenntnis der Schwangerschaft beendeten Arbeitsverhältnisses ab. Dies kommt bei einem durch den Arbeitgeber verschuldeten berechtigten vorzeitigen Austritt der Angestellten nicht in Betracht. Es geht nur noch darum hypothetisch zu beurteilen, ob dann, wenn kein Austritt erfolgt wäre, bei einer Arbeitgeberkündigung die Arbeitnehmerin rechtzeitig die Schwangerschaft bekanntgegeben hätte.
Relevanz kann die Verständigungspflicht nach § 10 Abs 2 und 3 MSchG also überhaupt nur bei der „hypothetischen" Feststellung der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Zeiträume für eine ordnungsgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung, also die Vergleichsberechnung im Sinne des § 29 AngG, haben.
Die wesentliche Frage lautet sohin, ob dann, wenn das Arbeitsverhältnis nicht infolge des Verschuldens des Arbeitgebers vorzeitig beendet worden wäre, sondern sich der Arbeitgeber zur Kündigung entschlossen hätte, die Arbeitnehmerin den Verständigungserfordernissen nach dem § 10 Abs 2 und 3 MSchG nachgekommen wäre, also im vorliegenden Fall nach Erlangung der Kenntnis der Schwangerschaft am 28. 8. 2006 unverzüglich den Arbeitgeber verständigt hätte.
Dazu ist allgemein darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof bei der Berechnung der Ansprüche nach § 29 AngG regelmäßig die nach dem Auflösungszeitpunkt eintretenden Veränderungen auch insoweit berücksichtigt, als sich daraus fiktive Kündigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers, die eine frühere Beendigung ermöglicht hätten, ergeben (8 Ob 2092/96x). Das bedeutet aber, dass jedenfalls mangels anderen Vorbringens für die hypothetische Vergleichsberechnung nach § 29 AngG zugrundegelegt wird, dass die Arbeitsvertragsparteien die ihnen jeweils zukommenden Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Dies ist aber auch bei einer schwangeren Arbeitnehmerin - jedenfalls mangels gegenteiliger Behauptungen - anzunehmen. Das bedeutet also, dass bei der hypothetischen „Vergleichsberechnung", wie lange es gedauert hätte, bis der Arbeitgeber durch „ordnungsgemäße Kündigung" das Arbeitsverhältnis bei einer schwangeren Arbeitnehmerin beenden hätte können, mangels anderen Vorbringens auch zugrundezulegen ist, dass die Arbeitnehmerin im aufrechten Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung rechtzeitig von der Schwangerschaft verständigt hätte.
Legt man dies als den Regelfall der hypothetischen „Vergleichsberechnung" zugrunde, dann steht aber der Arbeitnehmerin der hier der Höhe nach unstrittige Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis 11. 2. 2007 zu.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.
Textnummer
E90120European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:008OBS00009.08V.0223.000Im RIS seit
25.03.2009Zuletzt aktualisiert am
17.09.2010