TE OGH 2009/2/24 10Ob80/08z

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.02.2009
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Kamil B*****, geboren am 28. Februar 1996 und der mj Monika B*****, geboren am 9. Jänner 1998, beide: *****, beide vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Graz, Amt für Jugend und Familie, Jugendwohlfahrtsreferat, Kaiserfeldgasse 25, 8011 Graz), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 8. April 2008, GZ 2 R 85/08x-U38, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 6. Februar 2008, GZ 210 P 108/07w-U33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung:

Der am 28. 2. 1996 geborene Kamil B***** und die am 9. 1. 1998 geborene Monika B***** sind die Kinder von Justyna Dorota und Thomasz Dariusz B*****. Die Minderjährigen, die bei ihrer Mutter in Österreich leben, und ihre Eltern sind polnische Staatsbürger. Der Vater lebt in Polen; sein (konkreter) Aufenthaltsort ist jedoch unbekannt. Die Mutter ist in Österreich als Arbeitnehmerin beschäftigt und sozialversichert.

Das Erstgericht bewilligte den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG für die Zeit vom 1. 6. 2007 bis 31. 5. 2010 von je 40 EUR monatlich (Beschluss vom 4. 7. 2007 [U-8]). Diese Entscheidung wurde vom Rekursgericht bestätigt, weil die Mutter in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachging. Mit Beschluss vom 6. 2. 2008 (U-33) stellte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse jedoch mit Gewährungsbeginn ein, weil sich die Rechtsprechung des Höchstgerichts geändert habe. Die Gewährung österreichischer Unterhaltsvorschüsse setze nach neuester Judikatur (4 Ob 4/07b und 6 Ob 121/07y) nicht die Anwendbarkeit der Verordnung (EWG) 1408/71 auf die Mutter voraus. Der Anspruch auf Familienleistungen nach dieser Verordnung knüpfe vielmehr an die Rechtsstellung des Geldunterhaltsschuldners an. Da dieser im vorliegenden Fall jedoch in Polen wohne, bestünden Ansprüche daher nur gegen Polen.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Es berief sich ebenfalls auf die Entscheidung 6 Ob 121/07y und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil die (zitierte jüngere) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bisher nur selbständig und unselbständig Erwerbstätige eines anderen EU-Mitgliedstaats betroffen habe.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, festzustellen, ob ein Anspruch auf österreichischen Unterhaltsvorschuss bestehe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz als Vertreter des Bundes und der Vater haben keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet. Mit Beschluss des erkennenden Senats vom 14. 10. 2008 wurden die Akten dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, den Beschluss des Rekursgerichts und eine Gleichschrift des Revisionsrekurses auch der Mutter zur allfälligen Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung zuzustellen. Nach fruchtlosem Verstreichen dieser Frist wurden die Akten dem Obersten Gerichtshof neuerlich zur Entscheidung vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin verweist im Wesentlichen auf die frühere ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein Kind bereits dann von der VO (EWG) 1408/71 begünstigt werde, wenn einer seiner beiden Elternteile in einem Mitgliedstaat in das betreffende System sozialer Sicherheit eingebunden und das Kind Familienangehöriger eines Arbeitnehmers im Sinn der VO sei. Bislang sei daher ausschlaggebend gewesen, ob die Mütter in Österreich einer Arbeit nachgingen oder arbeitslos gemeldet gewesen seien und einen Anspruch auf Familienbeihilfe hatten. Außerdem werde bezweifelt, dass aufgrund einer Änderung der Judikatur eine rückwirkende Einstellung möglich sei.

Der Senat, der nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs seit 1. 1. 2008 als Fachsenat für Rechtssachen nach dem UVG (ausschließlich) zuständig ist, hat zu dem von den Antragstellern (allein) auf die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 idgF (im Folgenden: VO 1408/71) gestützten Anspruch auf Unterhaltsvorschuss Folgendes erwogen:

Ungeachtet des Wortlauts des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG („... Wenn eine

der Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse ... wegfällt") sieht

die herrschende Auffassung auch dann einen Grund für eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, wenn der Einstellungsgrund materiell bereits am Beginn der Vorschussgewährung vorlag, aber erst nach der Vorschussbewilligung hervorgekommen ist; in diesem Fall ist die Einstellung rückwirkend ab dem Tag des Beginns der Vorschussgewährung anzuordnen (RIS-Justiz RS0111783 [T1] = 10 Ob 55/08y mwN). Der hier herangezogene Einstellungsgrund (tiefgreifende Judikaturänderung) liegt jedoch nicht vor: Der Senat hat bereits in den Entscheidungen 10 Ob 85/08k, 10 Ob 67/08p und 10 Ob 82/08v jeweils vom 14. 10. 2008 dargelegt, dass zwar in der von den Vorinstanzen zitierten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs - in Widerspruch zur früheren Judikatur in vergleichbaren Fällen (4 Ob 117/02p = SZ 2002/77 ua) - die Ansicht vertreten wurde, für das Bestehen eines Anspruchs auf Unterhaltsvorschüsse nach den Kollisionsregeln der VO 1408/71 wäre (nur) jenes System der sozialen Sicherheit maßgebend, in das der Geldunterhaltsschuldner eingebunden sei; in diesen Entscheidungen aber auch eingehend begründet, weshalb von einer „tiefgreifenden Judikaturänderung" im Sinne einer Änderung der Rechtslage dabei nicht gesprochen werden kann (so auch: 10 Ob 100/08s, 10 Ob 101/08p und 10 Ob 104/08d).

Da das Erstgericht die beantragten Vorschüsse somit zu Unrecht eingestellt hat, war spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E9020310Ob80.08z-2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00080.08Z.0224.000

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten