TE OGH 2009/2/24 9ObA3/08v

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Tanja W*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz und Dr. Paul Wachschütz, Rechtsanwälte in Villach, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Klaus J. Mitzner-Labrés und Dr. Michael Krautzer, Rechtsanwälte in Villach, wegen 8.109,75 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. September 2007, GZ 8 Ra 56/07b-16, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. März 2007, GZ 35 Cga 175/06b-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1. 3. 1998 bei der Beklagten als Fabriksarbeiterin im Schichtdienst beschäftigt. Bis 2006 arbeitete sie abwechselnd von 5:00 Uhr früh bis 13:00 Uhr oder von 13:00 Uhr bis 21:00 Uhr. Ab April 2006 wurde die Klägerin ohne ihre Zustimmung auch zur Nachtschicht von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr eingeteilt. Mit Schreiben vom 10. 10. 2006 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie aus familiären Gründen ihren Betreuungspflichten gegenüber ihren beiden 6- und 8-jährigen Kindern bei Einteilung zur Nachtschicht nicht mehr nachkommen könne und ersuchte daher um die Zuweisung eines Tagesarbeitsplatzes. Tatsächlich war die Klägerin über mehrere Monate nicht in der Nachtschicht verwendet worden, erst für die 43. Kalenderwoche, nämlich in der Zeit vom 31. 10. bis 3. 11. 2006, wurde sie erneut zur Nachtschicht eingeteilt. Mit Schreiben vom 8. 11. 2006 erklärte die Klägerin ihren Austritt aus dem Dienstverhältnis. Außer Streit steht, dass der Beklagten die Versetzung der Klägerin auf einen Tagesarbeitsplatz aus betriebsinternen Gründen nicht möglich war.

Die Klägerin begehrt Abfertigung, anteilige Weihnachtsremuneration und Kündigungsentschädigung mit dem Vorbringen, gemäß Art III des Kollektivvertrags für die holzverarbeitende Industrie berechtigt ausgetreten zu sein. Demnach habe sie aufgrund ihrer Kinderbetreuungspflicht grundsätzlich Anspruch auf Versetzung auf einen Tagesarbeitsplatz. Könne - wie hier - ein solcher aus betriebsinternen Gründen nicht zur Verfügung gestellt werden, sehe der Kollektivvertrag die Möglichkeit des berechtigten vorzeitigen Austritts vor.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Mit 1. 8. 2002 sei das EU-widrige Frauennachtarbeitsgesetz aufgehoben worden. Insbesondere sei § 4c des Frauen-Nachtarbeitsgesetzes außer Kraft getreten. Damit haben Kollektivverträge wie derjenige, auf den sich die Klägerin berufe, ihre Wirksamkeit verloren. Der Klägerin komme daher kein besonderes Austrittsrecht zu. Im Übrigen sei der Austritt verfristet, weil er erst mit Schreiben vom 8. 11. 2006 erklärt worden sei (weiteres Vorbringen betreffend mangelnde Rechtzeitigkeit wurde von der Beklagten im Verfahren erster Instanz nicht erstattet).

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass mit dem EU-Nachtarbeits-Anpassungsgesetz, BGBl I Nr 122/2002 zwar das Frauennachtarbeitsgesetz außer Kraft gesetzt worden sei, der Kollektivvertrag über die Frauennachtarbeit jedoch seine Gültigkeit behalten habe. Insbesondere sei kein gesetzlicher Beendigungsgrund für dessen Geltung eingetreten. Die Klägerin habe zu Recht von ihrem im Kollektivvertrag geregelten Austrittsrecht Gebrauch gemacht, der Austritt sei auch nicht verspätet erfolgt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und wies (diesbezüglich rechtskräftig) das Begehren auf Kündigungsentschädigung ab. Im Übrigen bestätigte es das Ersturteil. Wie das Erstgericht ging es davon aus, dass trotz Wegfalls des § 4c des Frauen-Nachtarbeitsgesetzes der Kollektivvertrag über die Frauennachtarbeit nach wie vor in Geltung stehe. Der Austritt der Klägerin sei auch nicht verspätet erfolgt. Abgesehen davon, dass die Beklagte ihrer Behauptungs- und Beweispflicht für eine Verspätung des Austritts nicht ausreichend nachgekommen sei, müsse der Klägerin auch eine angemessene Überlegungs- und Erkundigungsfrist zugestanden werden. Diese habe sie jedenfalls nicht überspannt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig ist, weil die Frage, ob der Kollektivvertrag für die Frauennachtarbeit in der holzverarbeitenden Industrie noch gültig bzw wie er auszulegen sei, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Das - ohnehin nicht nahtlos geltende - Verbot der Frauennachtarbeit erfuhr mit dem Gesetz über die Änderung des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen, BGBl I Nr 5/1998, eine wesentliche Änderung: Mit dem am 1. 1. 1998 in Kraft getretenen § 4c Frauen-Nachtarbeitsgesetz wurde Folgendes bestimmt: „Ausnahmen durch Kollektivvertrag:

Abs 1: Der Kollektivvertrag kann Ausnahmen vom Frauennachtarbeitsverbot zulassen, wenn der Kollektivvertrag Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gleichermaßen erfasst, einen Anspruch auf Versetzung bei nachweislicher Gesundheitsgefährdung auf einen geeigneten Tagesarbeitsplatz nach Maßgabe der betrieblichen Möglichkeiten vorsieht und geeignete Ausgleichsmaßnahmen zur Milderung oder zum Ausgleich der Belastungen durch die Nachtarbeit festlegt, wobei auf unbedingt notwendige Betreuungspflichten gegenüber Kindern bis zu 12 Jahren Bedacht genommen werden soll.

Abs 2: die Betriebsvereinbarung kann unter den Voraussetzungen des Abs 1 Ausnahmen zulassen, wenn der Kollektivvertrag die Betriebsvereinbarung dazu ermächtigt."

Außerhalb des Rahmenvertrags für die holzverarbeitende Industrie schlossen die Kollektivvertragspartner (Fachverband der holzverarbeitenden Industrie Österreichs und Österreichischer Gewerkschaftsbund/Gewerkschaft Bau-Holz) am 27. 10. 1998 einen mit 1. 10. 1998 in Kraft tretenden und vorläufig bis 30. 6. 1999 befristeten „Kollektivvertrag über die Frauennachtarbeit in der holzverarbeitenden Industrie" ab, der persönlich für alle ArbeitnehmerInnen galt, die in den Betrieben und selbständigen Betriebsabteilungen, die dem Fachverband der holzverarbeitenden Industrie angehörten, beschäftigt waren. Schon damals wurde im Art II des KollV neben der Befristung festgehalten, dass die Absicht bestehe, diesen Kollektivvertrag nach dem 30. 6. 1999 in einen unbefristeten zu verlängern. Art III des KollV gibt in seinem Abs 1 zunächst die Intention des § 4c des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit für Frauen wieder, wonach Frauen gleichermaßen wie Männer auch während der Nacht beschäftigt werden dürfen. Dies ist nach Art III Abs 1 des Kollektivvertrags zulässig, wenn in einer Betriebsvereinbarung bzw in Betrieben, in denen kein Betriebsrat eingerichtet ist, durch schriftliche Einzelvereinbarung geeignete Ausgleichsmaßnahmen zur Milderung oder zum Ausgleich der Belastungen durch die Nachtarbeit vorgesehen sind. Hiebei ist nach Maßgabe des Abs 2, soweit bei Inkrafttreten des Kollektivvertrags Dienstverhältnisse bereits aufrecht sind, bei denen erstmalig eine Tätigkeit in der Nacht aufgenommen wird, auf die Transportmöglichkeiten von und zum Betrieb Bedacht zu nehmen. Diese Maßnahmen müssen für die im betreffenden Betriebsteil in der Nacht ab 1. 10. 1998 beschäftigten Frauen und Männer unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gleich sein. Abs 2 des Art III bestimmt: „Die folgenden Bestimmungen gelten nur für jene Betriebsteile, für die ab dem 1. 10. 1998 Frauennachtarbeit eingeführt wird.

a) Nachtarbeit ist nur zulässig, soweit eine freiwillige abgeschlossene schriftliche Vereinbarung (Dienstzettel) vorliegt. Lehnen Arbeitnehmer eine solche Vereinbarung ab, darf aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis nicht beendet werden und ihnen daraus keine sonstigen Nachteile im Arbeitsverhältnis erwachsen.

b) Der Arbeitgeber ist nach Maßgabe der betrieblichen Möglichkeiten verpflichtet, den Arbeitnehmer auf dessen Verlangen auf einem geeigneten Tagesarbeitsplatz für die Dauer nachfolgender Hinderungsgründe zu verwenden:

- bei nachweislicher Gesundheitsgefährdung

- bei unbedingt notwendigen Betreuungspflichten gegenüber Kindern bis zu 12 Jahren: Diese Begründung kann nicht herangezogen werden, wenn im gemeinsamen Haushalt eine andere Person lebt, die die entsprechenden Betreuungs- und Sorgepflichten durchführen kann. Umstände, die beim Abschluss der Vereinbarung bereits vorgelegen sind, können nicht herangezogen werden. Ist eine Versetzung auf einen anderen geeigneten Tagesarbeitsplatz aus betrieblichen Gründen nicht möglich oder erfolgt sie nicht binnen 14 Tagen, steht dem Arbeitnehmer die Möglichkeit des berechtigten vorzeitigen Austrittes offen. ..."

Am 21. 6. 1999 wurde erneut - außerhalb des Rahmenkollektivvertrags - ein „Kollektivvertrag über die Frauenarbeit in der holzverarbeitenden Industrie" abgeschlossen, der inhaltlich dem Vorgänger-Kollektivvertrag folgt und in dessen Art II „Geltungsdauer" es heißt: „Dieser Kollektivvertrag tritt mit 1. 7. 1999 in Kraft und gilt auf unbestimmte Zeit. Er kann unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist, mittels eingeschriebenen Briefes zum Letzten eines Kalendermonats jederzeit gekündigt werden." Eine solche Kündigung steht genauso wenig fest wie die Ersetzung dieses Kollektivvertrags durch einen nachfolgenden.

Mit dem EU-Nachtarbeits-Anpassungsgesetz, BGBl I Nr 122/2002, wurde das Bundesgesetz über die Nachtarbeit der Frauen mit Ablauf des 31. 7. 2002 außer Kraft gesetzt. Im Arbeitszeitgesetz wurde folgender § 12c eingeführt: „Versetzung. Der Nachtarbeitnehmer hat auf Verlangen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Versetzung auf einen geeigneten Tagesarbeitsplatz entsprechend den betrieblichen Möglichkeiten, wenn

1. die weitere Verrichtung von Nachtarbeit die Gesundheit nachweislich gefährdet oder

2. die Bedachtnahme auf unbedingt notwendige Betreuungspflichten gegenüber Kindern bis zu 12 Jahren dies erfordert, für die Dauer dieser Betreuungspflichten."

Der aus der Aufhebung des § 4c Frauen-Nachtarbeitsgesetz gezogene Schluss der Beklagten, dass der Kollektivvertrag über die Frauennachtarbeit in der holzverarbeitenden Industrie „unwirksam" geworden sei, entbehrt einer rechtlichen Grundlage: Zwar war § 4c Frauen-Nachtarbeitsgesetz unzweifelhaft der Anlass für den Abschluss dieses - trotz seiner Bezeichnung geschlechtsneutralen - Kollektivvertrags, doch hat dieser, wie andere Kollektivverträge auch, seine rechtliche Grundlage in den §§ 2 f des Arbeitsverfassungsgesetzes. Mangels eines der in § 17 ArbVG vorgesehenen Endigungsgründe ist davon auszugehen, dass der Kollektivvertrag über die Frauennachtarbeit in der holzverarbeitenden Industrie nach wie vor in Kraft ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es ohne Belang, dass dieser Kollektivvertrag im Rahmenkollektivvertrag für die holzverarbeitende Industrie Österreichs nicht erwähnt ist, zumal er nie in diesen aufgenommen worden, sondern jeweils selbständig abgeschlossen worden war.

Die Beklagte vermag auch nicht aufzuzeigen, dass der vorliegenden, für ArbeitnehmerInnen gegenüber der AZG-Regelung günstigeren KollV-Bestimmung zwingendes Recht entgegenstünde (RIS-Justiz RS0050828).

Zur eingewendeten Verspätung: Auch für den Austritt des Arbeitnehmers gilt der Grundsatz der unverzüglichen Geltendmachung (RIS-Justiz RS0028687). Doch gilt beim vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers auch, dass der Arbeitgeber für alle den Untergang des Austrittsrechts maßgebenden Umstände behauptungs- und beweispflichtig ist (RIS-Justiz RS0029249 [T9]). In diesem Zusammenhang hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO), dass das einzige Vorbringen der beklagten Arbeitgeberin, das Schreiben der Arbeiterkammer vom 8. 11. 2006 sei nicht rechtzeitig gewesen (AS 26) dieser Behauptungs- und Beweispflicht auch nicht annähernd nachkommt.

Im Übrigen geht das Berufungsgericht auch zutreffend davon aus, dass der rechtsunkundigen Klägerin in ihrer Situation auch eine entsprechende Frist für Überlegung und Auskunftseinholung gewährt werden musste. Zieht man in Betracht, dass in den maßgeblichen Zeitraum ein Feiertag (Allerheiligen) sowie ein Wochenende fielen, ist der mit 8. 11. 2006 ausgesprochene Austritt auch nicht als verspätet zu werten.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E90195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:009OBA00003.08V.0224.000

Im RIS seit

26.03.2009

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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