Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Fabian K*****, geboren am 24. September 2003, *****, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Judenburg, Kapellenweg 11, 8750 Judenburg), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 12. September 2008, GZ 2 R 196/08k-U33, womit infolge Rekurses des Minderjährigen, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger, der Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg vom 25. April 2008, GZ 6 P 23/04t-U21, ersatzlos behoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der bei seiner Mutter lebende Fabian K*****, geboren am 24. September 2003, ist der Sohn von Christine K***** und Mario Z*****. Der Vater wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg vom 23. 6. 2004 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 157 EUR verpflichtet. Mit Beschluss vom 4. 8. 2004 erhöhte das Bezirksgericht Judenburg die dem Kind gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1. 2. 2004 bis 31. 1. 2007 auf die Titelhöhe (ON 6). Mit Beschluss vom 17. 1. 2007 (ON U2) hat es diese Vorschüsse bis 31. 1. 2010 weitergewährt.
Mit rechtskräftigen Beschlüssen vom 14. 4. 2008 stellte das Bezirksgericht Judenburg das Ruhen der Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Dauer der über ihn verhängten Strafhaft vom 27. 12. 2007 bis (voraussichtlich) 7. 5. 2009 fest (ON U15); gleichzeitig stellte es die Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe mit Ablauf des Februar 2008 ein und gewährte dem Kind anstelle des Titelvorschusses Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG (sog „Haftvorschüsse") für die Zeit vom 1. 3. 2008 bis 31. 5. 2009 in der Höhe von derzeit 123 EUR. Das Erstgericht holte am 23. 4. 2008 amtswegig Auskünfte bei der Justizanstalt Graz-Jakomini ein. Diese ergaben, dass die Anhaltung des Vaters (zwar) von 27. 12. 2007, 13:45 Uhr bis 7. 5. 2009, 13:45 Uhr dauern werde, dass er sich (aber) seit 14. 2. 2008 im Projekt „Elektronische Aufsicht" befinde; Wohnadresse: ***** (Haftbestätigung ON U19). Derzeit übe er („laut Wissen" der Auskunftsperson in der Justizanstalt) beim Bezirksgericht Graz-Ost eine Beschäftigung aus. Die Fußfesseln habe er - „solange keine Vorkommnisse stattfinden" - bis 7. 5. 2009 zu tragen (ON U18).
Mit Beschluss vom 25. 4. 2008 ordnete das Erstgericht die „gänzliche Innehaltung" der Auszahlung der dem Kind mit Beschluss vom 14. 4. 2008 gewährten Unterhaltsvorschüsse von - derzeit - 123 EUR mit Ablauf des Monats Februar an, weil geklärt werden müsse, ob es sich bei dem seit 1. 1. 2008 stattfindenden Projekt „Elektronische Aufsicht" um eine Haft im Sinn der Bestimmungen des UVG handle, oder ob zumindest haftähnliche Beschränkungen stattfänden, welche die Vorschussgewährung nach § 4 Z 3 UVG rechtfertigten. Mit der Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen sei innezuhalten wenn fraglich sei, ob Vorschüsse in der bewilligten Form und Höhe noch weiter gebührten (§ 16 Abs 2 UVG).
Das Rekursgericht hob diesen Beschluss über Rekurs des Minderjährigen ersatzlos auf und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Mitteilung der Justizanstalt Graz-Jakomini, dass sich der Vater seit 14. 2. 2008 im Projekt „Elektronische Aufsicht" befinde, stelle für sich allein noch keinen Grund dar, begründete Bedenken gegen die Berechtigung der Gewährung von Haftvorschüssen zu hegen, weil auch die mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2008 (BGBl I 2007/109) eingeführte Maßnahme der elektronischen Aufsicht („Fußfessel") letztlich eine solche des Strafvollzugs - wenn auch in gelockerter Form - sei (vgl § 126 Abs 5 „StGB" [richtig: StVG]). Der Strafgefangene könne sich damit zwar außerhalb einer Vollzugsanstalt bewegen, unterliege aber durch die Fußfessel der ständigen Kontrolle der Vollzugsbehörde. Auch die Maßnahme der elektronischen Aufsicht sei daher als Entzug der Freiheit im Sinn des § 4 Z 3 UVG zu werten. Solange es keinen konkreten Hinweis dafür gebe, dass der Vater trotz des Tragens der Fußfessel einer Beschäftigung nachgehen und Mittel lukrieren könne, die ihm die Erbringung der dem Minderjährigen geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglichten - ein solcher Hinweis sei dem Akt bisher nicht zu entnehmen -, sei eine Innehaltung mit der Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG (noch) nicht indiziert. Das Erstgericht werde aber die vorliegende Mitteilung, dass beim Vater die Maßnahme der elektronischen Aufsicht angewendet werde, zum Anlass entsprechender Erhebungen zu nehmen haben. Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die zu lösende Rechtsfrage auch andere Personen und vergleichbare Fälle berühren könnte.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses.
Das Kind, die Mutter und der Vater haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist mangels Rechtsprechung zur angesprochenen Frage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Nach Ansicht des Revisionsrekurswerbers sind die Voraussetzungen für einen Unterhaltsvorschuss nach § 4 Z 3 UVG ab der Teilnahme des Vaters am Projekt „Elektronische Aufsicht" weggefallen, weil ab diesem Zeitpunkt eine Freiheitsentziehung im Sinn der zitierten Bestimmung nicht mehr vorliege. Außerdem sei der Vater aufgrund des gelockerten Strafvollzugs nicht mehr daran gehindert, einer Beschäftigung nachzugehen und Einkommen zu erwerben, das ihn in die Lage versetzen würde, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen. Insbesondere das zweite Tatbestandsmerkmal des § 4 Z 3 UVG (arg: „und er deshalb ...") sei daher nicht mehr erfüllt. Wenn der Unterhaltsschuldner als Freigänger kein ausreichendes Einkommen erziele (keiner Beschäftigung nachgehe), habe das Kind die Möglichkeit Unterhaltsvorschüsse nach § 3 oder § 4 Z 1 UVG zu verlangen. Die gemäß § 4 Z 3 UVG gewährten (Haft-)Vorschüsse seien hingegen mit Ablauf des Monats Februar 2008 einzustellen.
Dazu wurde Folgendes erwogen:
Ungeachtet des Wortlauts des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG („... wenn eine
der Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse ... wegfällt") sieht
die herrschende Auffassung auch dann einen Grund für eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, wenn der Einstellungsgrund materiell bereits am Beginn der Vorschussgewährung vorlag, aber erst nach der Vorschussbewilligung hervorgekommen ist; in diesem Fall ist die Einstellung rückwirkend ab dem Tag des Beginns der Vorschussgewährung (hier: 1. 3. 2008) anzuordnen (RIS-Justiz RS0111783 [T1] = 10 Ob 55/08y mwN; 10 Ob 80/08z).
Die sinngemäße Anwendung des § 16 UVG in den Fällen der amtswegigen Einleitung eines Herabsetzungs- oder eines Einstellungsverfahrens bedeutet, dass die Innehaltung nur dann anzuordnen ist, wenn beachtliche Gründe dafür sprechen, dass nach den noch durchzuführenden Erhebungen begründete Bedenken gegen eine weitere Auszahlung des Unterhaltsvorschusses (in der bisherigen Höhe) bestehen (vgl RIS-Justiz RS0118178).
Entgegen der Ansicht des Erstgerichts ist mit der Auszahlung also nicht bereits dann innezuhalten, wenn „fraglich ist, ob Vorschüsse in der bewilligten Form und Höhe noch weiter gebühren". Bei begründbaren Zweifeln ist vielmehr - wie erst jüngst ausgesprochen wurde - zu prognostizieren, ob sich diese voraussichtlich zu begründeten Bedenken verdichten werden oder nicht: Ist dies zu erwarten, ist innezuhalten; ist dies nicht zu erwarten (oder liegt eine non-liquet Situation vor), ist nicht innezuhalten (10 Ob 111/08h mit Hinweis auf Neumayr in Schwimann ABGB³ I [2005] § 19 UVG Rz 32 und RIS-Justiz RS0118178).
In zutreffender Anwendung dieser Grundsätze hat das Rekursgericht erkannt, dass hier nicht der erst- sondern der letztgenannte Fall vorliegt.
Gemäß § 4 Z 3 UVG sind Vorschüsse auch dann zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Ein Vorschussanspruch nach der zitierten Bestimmung besteht nicht nur bei einer strafgerichtlichen Haft des Unterhaltspflichtigen im Inland, sondern bei jeder Art von Freiheitsentziehung „auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren".
Der strafgerichtlichen Entscheidung kommt somit Tatbestandswirkung im Vorschussbereich zu, wobei neben der - hier vorliegenden - Verbüßung einer Freiheitsstrafe zum Beispiel auch vorbeugende Maßnahmen nach §§ 21 bis 23 StGB (RIS-Justiz RS0122246) als solche Anordnungen gelten (zu den weiteren Fällen: Neumayr aaO § 4 UVG Rz 67 mwN). Insoweit waren die Gewährungsvoraussetzungen angesichts des Umstands, dass der Vater eine über ihn verhängte Strafhaft verbüßte, also klar erfüllt: Dass die Freiheitsentziehung hier - wie der Revisionsrekurs ausdrücklich zugesteht - in Form des „gelockerten Strafvollzugs" (vgl § 126 StVG) erfolgte, kann daran nichts ändern; auch durch diese Art der Strafverbüßung wurde dem Unterhaltsschuldner nämlich „auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen" (vgl dazu auch die - zuletzt erteilte - Auskunft der Justizanstalt Graz-Jakomini vom 20. 11. 2008, ON U44, wonach sich der Vater dort von 27. 12. 2007 bis 14. 10. 2008 „in Haft befunden" hat).
§ 4 Z 3 UVG verlangt außerdem, dass „er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann". Haftvorschüsse sind ausnahmsweise nicht zu gewähren, wenn der Unterhaltsschuldner trotz der Haft über Mittel verfügt, die ihm die Erbringung der von ihm geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglichen, oder er den Unterhalt entsprechend dem Titel während der Haft weiter zahlen kann; § 4 Z 3 UVG solle nämlich nicht zu einer Doppelalimentation führen (Neumayr aaO § 4 UVG Rz 59). Andernfalls wäre die Wortfolge „deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann" sinnlos (6 Ob 139/07w). Der vom Gesetzgeber hergestellte Kausalzusammenhang bezieht sich nur auf die durch die Haft eingeschränkte Freiheit, ein Einkommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erzielen (6 Ob 139/07w; vgl auch § 51 Abs 1 und 2 StVG, wonach der Ertrag der Arbeit von Strafgefangenen immer dem Bund zufließt und diese für die von ihnen geleistete Arbeit nur eine - geringe - Arbeitsvergütung [vgl zur Höhe: § 52 StVG] zu erhalten haben, wenn sie eine befriedigende Arbeitsleistung erbringen [Drexler, StVG § 51 Rz 1]). Wenn der Vater „trotz der Haft über Mittel verfügt, die ihm die Erbringung der von ihm geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglichen", scheidet die Vorschussgewährung nach § 4 Z 3 UVG demnach aus (RIS-Justiz RS0122247 = 6 Ob 139/07w [dort: ÖBB-Pensionsbezug trotz Unterbringung des Vaters in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher]).
In diesem Zusammenhang steht hier nur fest, dass sich der Unterhaltsschuldner, der seine Strafhaft noch bis voraussichtlich 7. 5. 2009 zu verbüßen hatte (Anm: tatsächliches Haftende war der 14. 10. 2008 [ON U44]), seit 14. 2. 2008 „im Rahmen des Projekts 'Elektronische Aufsicht'" befand. Als Strafgefangener im Strafvollzug in gelockerter Form hatte er also offenbar gemäß § 126 Abs 5 StVG eine „elektronische Fußfessel" (elektronische Aufsicht gemäß § 99 Abs 5 letzter Satz StVG) zu tragen und hielt sich an der in der „Haftbestätigung" angegebenen Wohnadresse auf.
Weitere Feststellungen dazu, dass bzw ob dadurch beim Vater irgendwelche Änderungen hinsichtlich der - infolge nach wie vor bestehender Haft - eingeschränkten Freiheit, ein Einkommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erzielen, eingetreten seien, wurden nicht getroffen. Nach den weiteren Erhebungsergebnissen übte er angeblich beim Bezirksgericht Graz-Ost eine Beschäftigung aus; davon, dass er dadurch Einkünfte erzielt hätte, die ihm die Erbringung der von ihm geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglicht hätten, ist aber schon im Hinblick auf §§ 51 f StVG nicht auszugehen.
Nach der Aktenlage ergaben sich somit auch aus diesem Blickwinkel noch keine begründbaren Zweifel am Weiterbestehen des Unterhaltsvorschussanspruchs in bisheriger Höhe. Die Erhebungen des Erstgerichts haben nicht zu einem solchen Ergebnis geführt. Unter Bedachtnahme auf den Zweck des Unterhaltsvorschusses erweist sich die Anordnung der Innehaltung daher als nicht begründet (vgl 10 Ob 111/08a), weshalb der diese Entscheidung beseitigende Beschluss des Rekursgerichts zu bestätigen war.
Anmerkung
E9034510Ob109.08iSchlagworte
Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2009/269 S 174 - Zak 2009,174 = iFamZ 2009/144 S 199 - iFamZ2009,199XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00109.08I.0317.000Zuletzt aktualisiert am
11.08.2009