TE OGH 2009/3/17 10Ob107/08w

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Veröffentlicht am 17.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Tanercan A*****, geboren am 1. Jänner 2001, und Dogukan A*****, geboren am 23. Dezember 2001, beide: *****, beide vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für den 10. Bezirk, Van-der-Nüll-Gasse 20, 1100 Wien), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. August 2008, GZ 45 R 176/08z-U21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 11. April 2008, GZ 34 P 22/07a-U14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der am 1. 1. 2001 geborene Tenercan und der am 23. 12. 2001 geborene Dogukan A***** sind die Söhne von Serap A***** und Taner Y*****. Die Minderjährigen, die bei ihrer Mutter in Österreich leben, und ihre Eltern sind türkische Staatsbürger. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 24. 3. 2003 wurde der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von jeweils 150 EUR verpflichtet. In Österreich geht er seit 1. 3. 2007 jedenfalls keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nach und bezieht keine Arbeitslosenunterstützung. Ob die Mutter seit der Antragstellung (26. 3. 2008) in Österreich als Arbeitnehmerin unselbständig oder selbständig erwerbstätig oder als Arbeitslose sozialversichert war/ist, steht ebenso wenig fest wie der aktuelle Aufenthaltsort des Vaters. Angeblich lebt er (seit Ende November 2005) in Deutschland (ON U1 S 9 und ON U7). Am 26. 3. 2008 beantragten die Minderjährigen, vertreten durch den Jugenwohlfahrtsträger, die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe. Die Führung einer Exekution scheine aussichtslos, weil keine aktuelle Adresse des Vaters bekannt sei (ON U9 und U10).

Das Erstgericht wies den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab. Da der Vater in Deutschland „möglicherweise" einer Arbeit nachgehe, scheine eine Exekution nicht grundsätzlich aussichtslos. Nach der Rechtsprechung müsse die Exekution im Ausland zumindest einmal versucht werden. Erst danach sei die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gerechtfertigt. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Zur Beurteilung der Aussichtslosigkeit sei die objektive Aktenlage zum Entscheidungszeitpunkt erster Instanz maßgeblich. Danach sei der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthalts und es sei auch unbekannt, ob er (in Deutschland) einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Dass in einem solchen Fall eine Exekutionsführung aussichtslos erscheine, könne nicht zweifelhaft sein. Den Minderjährigen stünden jedoch aus anderen Erwägungen keine Unterhaltsvorschüsse zu:

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hätten türkische Arbeitnehmer und ihre Angehörigen zwar (aufgrund des Assoziationsabkommens der EWG mit der Türkei iVm dem Assoziationsratsbeschluss Nr 3/80 vom 19. 9. 1980 und des darin festgelegten Diskriminierungsverbots bzw Gleichbehandlungsgebots) in gleicher Weise Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse wie Unionsbürger, sofern sie sich in einem Mitgliedstaat aufhielten (6 Ob 183/04m; 2 Ob 172/05s).

Im Gegensatz zur Beurteilung der älteren Judikatur knüpfe der Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse als Familienleistung im Sinn der (auch hier anzuwendenden) WanderarbeitnehmerVO aber nach jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 4/07b; 6 Ob 121/07y und 1 Ob 267/07g) nur (noch) an die Rechtsstellung des Geldunterhaltsschuldners an. Er unterliege - nach den Kollisionsregeln dieser Verordnung - den Rechtsvorschriften jenes Staats, in welchem er seine selbständige oder unselbständige Tätigkeit ausübe. Der Geldunterhaltsschuldner habe nur nach den Rechtsvorschriften dieses Staats Anspruch auf Familienleistungen für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnten. Den Nachweis, dass der geldunterhaltspflichtige Elternteil diese Voraussetzungen erfülle, hätten die Kinder nicht erbracht. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zulässig sei, weil die zitierte jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs von der früheren Rechtsprechung zur entscheidungswesentlichen Frage abweiche und noch nicht beantwortet sei, ob mangels Nachweises der Arbeitnehmereigenschaft des geldunterhaltspflichtigen Elternteils die Arbeitnehmereigenschaft des anderen Elternteils einen ausreichenden Anknüpfungspunkt darstelle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im antragsstattgebenden Sinn abzuändern.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien als Vertreter des Bundes und der Vater als Unterhaltsschuldner ließen den Revisionsrekurs unbeantwortet.

Mit Beschluss des erkennenden Senats vom 22. 12. 2008 wurden die Akten dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, den Beschluss des Rekursgerichts und eine Gleichschrift des Revisionsrekurses der Minderjährigen auch der Mutter zur allfälligen Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zuzustellen. Nach fruchtlosem Verstreichen dieser Frist wurden die Akten dem Obersten Gerichtshof neuerlich zur Entscheidung vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt. Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, die Angehörigeneigenschaft im Sinn der WanderarbeitnehmerVO müsse dem Kind nicht nur vom geldunterhaltspflichtigen Vater sondern auch von der Betreuungsunterhalt leistenden Mutter vermittelt werden können. Dies insbesondere dann, wenn der Geldunterhaltsschuldner unbekannten Aufenthalts sei, weil dann nur eine Anknüpfung hinsichtlich des anderen Elternteils möglich sei. Andernfalls bliebe dem Kind jeglicher Unterhaltsvorschuss (gleich in welchem Mitgliedstaat des EWR-Raums) versagt.

Der Senat, der nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs seit 1. 1. 2008 als Fachsenat für Rechtssachen nach dem UVG (ausschließlich) zuständig ist, hat zu dem von den Antragstellern (allein) auf die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 idgF (im Folgenden: VO 1408/71) gestützten Anspruch auf Unterhaltsvorschuss Folgendes erwogen (vgl die gleichgelagerten Fälle 10 Ob 75/08i, 10 Ob 83/08s und 10 Ob 84/08p, in denen jeweils von einem unbekannten Aufenthalt des Geldunterhaltsschuldners auszugehen war):

1.1. Zunächst ist festzustellen, dass die Vorschriften der VO 1408/71 weiterhin in Geltung stehen, da bisher noch keine Durchführungsverordnung zu der Verordnung (EG) Nr 883/2004 erlassen worden ist (vgl RIS-Justiz RS0121167 ua).

1.2. In diesem Zusammenhang hat bereits das Rekursgericht dargelegt, dass türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen in gleicher Weise Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben wie Unionsbürger, sofern sie sich in einem Mitgliedstaat aufhalten (Neumayr in Schwimann ABGB³

I § 1 UVG Rz 33 ff; vgl auch 10 Ob 14/09w).

2. Weiters steht aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (vgl 15. 3. 2001, Rs C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261; 5. 2. 2002, Rs C-255/99, Humer, Slg 2002, I-1205; 20. 1. 2005, Rs C-302/02, Effing, Slg 2005, I-553) unbestritten fest, dass der von den Antragstellern beanspruchte Unterhaltsvorschuss nach dem UVG eine Familienleistung im Sinn des Art 4 Abs 1 lit h der VO 1408/71 ist und damit in den sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt.

3.1. Der persönliche Geltungsbereich der VO 1408/71 wird in ihrem Art 2 festgelegt. In dessen Abs 1 wird bestimmt, dass die Verordnung für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene gilt. Der Begriff „Familienangehöriger" wird in Art 1 lit f Z i der VO definiert als jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird. Da nach der Rechtsprechung des EuGH die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten grundsätzlich nicht für Familienleistungen gilt (vgl EuGH, 15. 3. 2001, Rs C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261 Rz 34 mwN), kommt es für den unterhaltsberechtigten Antragsteller, um in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 zu fallen, nur mehr darauf an, ob er seine Stellung von einem Elternteil ableiten kann (vgl Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 28. 9. 2000, Rs C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261 Rz 55 ua). Der persönliche Anwendungsbereich nach Art 2 VO 1408/71 ist daher eröffnet, wenn der Antragsteller als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers, Selbständigen oder Studierenden anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fällt somit eine Person, die einen Elternteil hat, der tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger im Sinn des Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 lit f Z i der VO 1408/71 ist, in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung (EuGH, 5. 2. 2002, Rs C-255/99, Humer, Slg 2002, I-1205 Rz 54; RIS-Justiz RS0116311). Dieser Grundsatz wurde auch in der vom Rekursgericht zitierten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 4/07b; 6 Ob 121/07y) ausdrücklich aufrecht erhalten. Der Begriff des „Arbeitnehmers" wird in Art 1 lit a Z i der VO 1408/71 definiert. Danach besitzt eine Person die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO 1408/71, wenn sie gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Dieser Begriff des Arbeitnehmers setzt nicht eine umfassende Vollversicherung voraus, vielmehr genügt schon die Pflichtversicherung gegen ein Risiko - so etwa die verpflichtende Unfallversicherung für geringfügig Beschäftigte zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft (4 Ob 117/02p = SZ 2002/77). Als Arbeitnehmer im Sinn der Verordnung gilt auch eine Person, die die Voraussetzungen für den Bezug aus der Arbeitslosenversicherung erfüllt (4 Ob 124/05x; 10 Ob 36/08d).

3.2. Hier ist in diesem Zusammenhang - nach den Antragsbehauptungen - davon auszugehen, dass der aktuelle Aufenthalt des Vaters (in Deutschland) unbekannt und auch kein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis des Vaters im Inland bekannt sei; es sind daher Feststellungen darüber erforderlich, ob die Mutter der Antragsteller, mit der sie in häuslicher Gemeinschaft leben, seit dem Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (26. 3. 2008) in Österreich als Arbeitnehmerin unselbständig oder selbständig erwerbstätig oder als arbeitslose Arbeitnehmerin sozialversichert war/ist (10 Ob 75/08i; 10 Ob 83/08s). Als tätige oder arbeitslose EWR-Arbeitnehmerin oder Selbständige, die einem Zweig der sozialen Sicherheit im Sinn des Art 4 der VO 1408/71 untersteht, würde sie und damit auch die Antragsteller als ihre Kinder in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 fallen (vgl Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 28. 9. 2000, Rs C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261 Rz 56 f).

4.1. Eine weitere Voraussetzung für die Anwendung der VO 1408/71 ist das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. Diese Voraussetzung ist dahin zu verstehen, dass eine Anwendung der Vorschriften über die Koordination von Leistungen der sozialen Sicherheit nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte in Betracht kommt. Der danach als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu fordernde gemeinschaftliche, grenzüberschreitende Bezug setzt also voraus, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen. Diese Umstände können in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn- oder Beschäftigungsort, dem Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats oder ähnlichen Merkmalen gesehen werden (vgl Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 2 VO 1408/71 Rz 6 und 14 mwN; RIS-Justiz RS0117828 [T1] ua). Dieser notwendige grenzüberschreitende Bezug kann daher nicht nur dadurch zustande kommen, dass der Unterhaltsschuldner von der Freizügigkeit als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger Gebrauch macht oder Grenzgänger ist, sondern auch dadurch, dass dies der Elternteil tut, bei dem sich das Kind aufhält (Neumayr in Schwimann ABGB³ I § 1 UVG Rz 20 mwN).

4.2. Sollte die Voraussetzung zu Punkt 3.2. erfüllt sein, würde der grenzüberschreitende Gesichtspunkt im vorliegenden Fall also darin bestehen, dass die Mutter, bei der sich die Antragsteller aufhalten, eine türkische Staatsangehörige ist, die in Österreich arbeitet und somit von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat (10 Ob 75/08i).

5. Nach Art 3 Abs 1 VO 1408/71 haben die Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, „soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen". Auch dieses Gleichbehandlungsgebot, das dazu dient, Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu beseitigen, die sich aus Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines einzelnen Mitgliedstaats ergeben, führt daher nicht zum Verbot einer unterschiedlichen Behandlung, die sich gegebenenfalls aus Unterschieden der aufgrund von Kollisionsnormen wie Art 13 Abs 2 VO 1408/71 anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften über Familienleistungen ergibt (EuGH 20. 1. 2005, Rs C-302/02, Effing, Slg 2005, I-553 Rz 51; 4 Ob 4/07b).

6.1. Es ist daher im Folgenden zu prüfen, ob auf die Antragsteller, die gemeinsam mit ihrer Mutter in Österreich wohnen, das österreichische Unterhaltsvorschussgesetz oder im Hinblick auf den Wohnort des Vaters (Geldunterhaltsschuldners) in Deutschland das deutsche Unterhaltsvorschussgesetz anzuwenden ist.

6.2. Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für Familienleistungen und damit für den österreichischen Unterhaltsvorschuss richtet sich grundsätzlich nach den Kollisionsnormen der Art 13 ff der VO 1408/71. Ziel dieser Bestimmungen ist es, dass jede Person einer einzigen bestimmten Sozialrechtsordnung unterliegt; es sollen daher durch die Verordnung weder Versicherungslücken noch Doppelversicherungen oder Doppelleistungen entstehen (vgl Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 13 VO 1408/71 Rz 1).

6.3. Gemäß Art 13 Abs 1 VO 1408/71 unterliegen Personen, für die die Verordnung gilt, abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats; dieser ist nach Titel II der Verordnung zu bestimmen. Gemäß Art 13 Abs 2 lit a VO 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staats, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Gemäß Art 73 der VO 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staats (Beschäftigungsstaat), als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staats wohnten. Dabei werden Familienleistungen gemäß Art 75 Abs 1 der VO 1408/71 in dem in Art 73 dieser Verordnung genannten Fall vom zuständigen Träger des Staats gewährt, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder den Selbständigen gelten. Sie werden nach den für diesen Träger geltenden Bestimmungen unabhängig davon gezahlt, ob die natürliche oder juristische Person, an die sie zu zahlen sind, im Gebiet des zuständigen Staats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder sich dort aufhält.

6.4. In der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y, 1 Ob 267/07g) wurde die Ansicht vertreten, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse als Familienleistungen im Sinn der VO 1408/71 an die Rechtsstellung des Unterhaltsschuldners anknüpfe, in dessen Haushalt das Kind nicht lebe und der den ihm auferlegten Geldunterhalt als Familienlast nicht tragen könne oder wolle. Es sei daher für das Bestehen eines solchen Anspruchs nach den Kollisionsregeln der VO 1408/71 (nur) jenes System sozialer Sicherheit maßgebend, in das der Geldunterhaltsschuldner eingebunden sei.

6.5. Dieser Ansicht, die in Widerspruch zur früheren Judikatur des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen (4 Ob 117/02p = SZ 2002/77; 9 Ob 157/02g ua) steht, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Es ist nach den zitierten Kollisionsnormen der VO 1408/71 vielmehr davon auszugehen, dass grundsätzlich das Recht des Mitgliedstaats anwendbar ist, in dem der Arbeitnehmer oder Selbständige beschäftigt ist, der die Anwendung der VO 1408/71 begründet. Eine solche Anknüpfung an den versicherungspflichtigen Arbeitnehmer/Selbständigen ist im Rahmen der VO 1408/71 grundsätzlich auch sachlich gerechtfertigt, weil der überwiegende Teil der erfassten Sozialleistungen auf Versicherungssystemen beruht (vgl Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 25. 5. 2004, Rs C-302/02, Effing, Slg 2005, I-553 Rz 32 f). Eine Einschränkung der Anknüpfung ausschließlich an die Stellung des Vaters als Geldunterhaltsschuldner ist den zitierten Koordinierungsregelungen nicht zu entnehmen und würde überdies auch mit den oben dargelegten Ausführungen, wonach sowohl die Rechtsstellung des Vaters als Arbeitnehmer als auch jene der Mutter als Arbeitnehmerin/Selbständige im Sinne der VO 1408/71 die Anwendung dieser Verordnung zu begründen vermag, in Widerspruch stehen (10 Ob 75/08i; 10 Ob 78/08f; 10 Ob 83/08s; 10 Ob 87/08d). Familienleistungen werden daher in der Regel nach den Vorschriften des Mitgliedstaats gewährt, in dem der Arbeitnehmer bzw Selbständige beschäftigt ist, durch den der Anspruch auf Familienleistungen vermittelt wird (Neumayr aaO § 1 UVG Rz 39).

6.6. Im vorliegenden Fall unterläge die Mutter der Antragsteller, sollte sie seit dem Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung in Österreich als Arbeitnehmerin unselbständig oder als Selbständige erwerbstätig oder als arbeitslose Arbeitnehmerin sozialversichert gewesen sein, nach den dargestellten Kollisionsnormen allein österreichischem Recht. Ausgehend davon hätten die Antragsteller einen Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dem österreichischen UVG. Daran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn der Vater ebenfalls von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte und auch der VO 1408/71 unterliegen würde, da im Falle eines Zusammentreffens von Ansprüchen aus mehreren Mitgliedstaaten der Anspruch im Wohnsitzstaat der Kinder vorgehen würde (10 Ob 83/08s mwN; 10 Ob 78/08f; 10 Ob 87/08d; 10 Ob 84/08p).

7. Das Verfahren erweist sich somit insoweit als ergänzungsbedürftig, als das Erstgericht nicht festgestellt hat, ob die Mutter der Antragsteller seit dem Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung (26. 3. 2008) in Österreich als Arbeitnehmerin unselbständig oder selbständig erwerbstätig oder als arbeitslose Arbeitnehmerin sozialversichert war (10 Ob 75/08i; 10 Ob 83/08s; 10 Ob 84/08p). Dem Revisionsrekurs der Antragsteller ist daher Folge zu geben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung seines Verfahrens im dargelegten Sinn aufzutragen.

Anmerkung

E9034310Ob107.08w-2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00107.08W.0317.000

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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