TE OGH 2009/3/24 11Os26/09x

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Veröffentlicht am 24.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. März 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schörghuber als Schriftführerin, im Verfahren gemäß § 21 Abs 1 StGB gegen Claus S***** über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Betroffenen und seines Sachwalters gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 11. Dezember 2008, GZ 29 Hv 94/08b-51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Ausspruch über die Anlasstat 1 unberührt bleibt, im Ausspruch über die Anlasstat 2 sowie in der Anordnung der Unterbringung des Claus S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Betroffene und sein Sachwalter auf die Kassation des Einweisungsausspruchs verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Claus S***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB eingewiesen, weil er Taten begangen hat, die ihm, wäre er zu den Tatzeiten zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB zuzurechnen gewesen wären. Danach hat er in Linz unter dem Einfluss eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, nachgenannte Personen gefährlich mit dem Tode bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1. am 14. April 2008 Helmut W***** und Mag. Erwin K***** durch die wiederholten Äußerungen „Ich schlitz euch auf, ich stech euch ab", wobei er ein Messer in der Hand hielt;

2. am 26. April 2008 mittelbar seinen damaligen Sachwalter Mag. Dr. Martin E***** durch die gegenüber seinem Bruder Frank S***** getätigte Äußerung, er wolle ihn (Mag. Dr. Martin E*****) „aufschlitzen" (ermorden), wobei Frank S***** diese Erklärung seinem Bruder Wolfgang S***** weitergab, der sie sofort dem Sachwalter telefonisch mitteilte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 11 StPO und die dessen Sachwalters aus Z 3, 5 und 11 leg cit. Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen:

Die Mängelrüge (Z 5) gegen die Begründung (US 6) der zur rechtlichen Annahme von Zurechnungsunfähigkeit getroffenen Feststellungen (US 5) vermag mit dem eigenständig beweiswürdigenden Bezug auf die Verantwortung des Betroffenen, „aus Wut" gehandelt zu haben, keinerlei Willkür in der Ableitung der Tatrichter aufzuzeigen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444).

Das Vorbringen zur Gefährlichkeitsprognose wiederum verlässt mit dem Hervorheben „positiver Umstände (Pensionsanspruch, Beziehung zum Bruder und eigene Wohnung)" und einer behaupteten Behandlungsbereitschaft des Beschwerdeführers den mit Nichtigkeitsbeschwerde möglichen Anfechtungsbereich (vgl 13 Os 136/06h uva).

Eine „genaue Präzisierung" der Prognosetat, „insbesondere im Hinblick auf ihre konkrete Art und Sozialschädlichkeit bzw sonstige Tatauswirkungen", musste der Sanktionsrüge (Z 11) entgegen über die erstgerichtlichen Feststellungen hinaus (konkrete Befürchtung qualifizierter Drohungen des bereits zweimal - davon einmal wegen einschlägiger Anlassdelinquenz - gemäß § 21 Abs 1 StGB angehaltenen Betroffenen - US 5) nicht vorgenommen werden.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Sachwalters:

Die Verfahrensrüge (Z 3) verkennt, dass mit Nichtigkeit nur bedroht ist, wenn überhaupt kein Protokoll über die Hauptverhandlung geführt wird (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 262). Unter diesem Gesichtspunkt kann es daher dahinstehen, ob der Beschwerdeführer eine Seite des Protokolls (das unberichtigt blieb, weshalb § 271 Abs 7 StPO nicht zur Anwendung gelangt) erst nach Zustellung der Urteilsausfertigung erhielt (wodurch die vom Sachwalter gewünschten Überprüfungen somit seinem Vorbringen entgegen gar wohl vor Rechtsmittelausführung möglich waren) und ob das Protokoll (ON 50) von der Schriftführerin gleich nach Verfassen unterschrieben wurde.

Der Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) zuwider liegt weder Unvollständigkeit der Gründe für die Feststellungen zu den Anlasstaten vor noch sind diese unzureichend (US 5 f). Was ein Zeuge „glaubte", musste ebensowenig erörtert werden wie das vom Betroffenen geäußerte Motiv seiner Handlungsweise (Kirchbacher, WK-StPO § 247 Rz 5, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 352 - je mwN; RIS-Justiz RS0088761).

Dem Beschwerdestandpunkt entgegen handelte es sich um kein erhebliches (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421; 11 Os 116/04, EvBl 2005/81, 356 mwN) - und somit zur Erreichung voller Bestimmtheit im Sinne von § 270 Abs 2 Z 5 StPO (11 Os 41/05x ua) gesondert erörterungsbedürftiges - Verfahrensergebnis, dass der Betroffene (erst) unmittelbar vor der Anlasstat 2 erfahren haben soll, einen Sachwalter zu haben.

Mit seinen eigenständig beweiswürdigenden Überlegungen dazu verlässt der Nichtigkeitswerber den gesetzlichen Anfechtungsrahmen. Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) zum „Grad der Wahrscheinlichkeit der Prognosetaten" ignoriert die Konstatierung, solche seien konkret zu befürchten (US 5), und erstattet mit Überlegungen zur Anwendung von § 45 Abs 1 StGB lediglich ein Berufungsvorbringen (Ratz in WK² § 45 Rz 14).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof allerdings von einer nicht geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeit bei den Feststellungen zur Anlasstat 2:

Die Tatrichter nahmen an, der Betroffene habe es („zumindest") ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dass seine Todesdrohung dem Sachwalter übermittelt werde (US 5). Nach nunmehr gefestigter Ansicht ist jedoch (auch) dafür Absicht erforderlich (Schwaighofer in WK² § 107 Rz 7; jüngst 12 Os 185/08k). Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen musste zur Aufhebung des Ausspruchs über die Anlasstat 2 sowie zu einer Verfahrenserneuerung führen (§§ 281 Abs 1 Z 9 lit a, 290 Abs 1 Satz 2 erster Fall, 285e StPO), damit aber auch zur Kassation der Unterbringungsanordnung (11 Os 95/05p mwN).

Die Berufungen waren auf die letztangeführte Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E9037411Os26.09x

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0110OS00026.09X.0324.000

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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