Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** S.A., *****, vertreten durch Dr. Christian Fuchshuber, Mag. Egon Stöger, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei L***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Foglar-Deinhardstein KEG, Rechtsanwälte in Wien, wegen 446.254,60 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2008, GZ 1 R 275/08p-29, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Die Beklagte betreibt eine Reihe von Spinnereibetrieben, in denen Rohmaterial für die Textilindustrie zur weiteren Verarbeitung erzeugt wird. Einer dieser Spinnereibetriebe war die Spinnerei M***** Gesellschaft mbH, ein anderer die Spinnerei L***** Gesellschaft mbH. Jeder Spinnereibetrieb hatte ein eigenes Produktionsprogramm und ein eigenes Vertriebssystem. Beide wurden mit der Beklagten verschmolzen (1989 bzw 1994).
Die Klägerin trat im Jahr 2002 mit Zustimmung der Beklagten in einen seit 14. 6. 1988 bestehenden Handelsvertretungsvertrag betreffend die Spinnerei M***** GmbH ein.
Im Zeitraum 2000 bis 2006 erwies sich die Produktionsmengenentwicklung der Spinnerei M***** marktbedingt als stark rückläufig. Seit 2004 wurden dort nur noch Verluste erwirtschaftet.
Daraufhin traf die Geschäftsführung der Beklagten im Oktober 2006 die Entscheidung, die Produktion der Betriebsstätte M***** in die Produktionsstätte L***** zu verlegen, da dort eine Ausdehnung der Produktion möglich war. Anfangs November 2006 wurde dies der Klägerin mitgeteilt mit dem Wunsch, den Vertrag hinsichtlich der Betriebsstätte M***** 1 : 1 auf L***** zu übertragen. Zusätzlich sollte die Klägerin dabei auch einen Vertrag über bestimmte in L***** produzierte gekämmte Garne erhalten.
Die Klägerin verlangte im Gegenzug schriftliche Garantien über eine geplante Kapazitätssteigerung in L*****, stellte eine Kündigung in den Raum und ein Entschädigungsbegehren, weil sie eine Betriebseinstellung befürchtete.
Daraufhin übermittelte die Beklagte ihr am 12. 12. 2006 den Entwurf eines Handelsvertretervertrags für L***** über die Produkte der zusammengelegten Betriebsstätten M***** und L*****. Der neue Vertrag solle den Vertrag vom 14. 6. 1988 mit Wirkung vom 1. 4. 2007 in modifizierter Form fortsetzen. Er ersetze alle früheren Vereinbarungen zwischen dem Geschäftsherrn und dem Vertreter für Produkte der Spinnerei in M***** und L*****.
Daraufhin übermittelte die Klägerin eine Forderung nach Kündigungsentschädigung und Ausgleichsanspruch nach dem Handelsvertretergesetz.
Den Vertragsentwurf nahm die Klägerin nicht an.
Im Zeitraum Jänner bis April 2007 kam es zu Lieferengpässen infolge der Verlegung. Am 31. 3. 2007 wurde die Betriebsstätte M***** geschlossen. Die Produktion der in M***** produzierten Garne wurde in L***** fortgesetzt.
Beide Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Zahlung eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 12 Abs 1 und 2 HVG und eines Ausgleichsanspruchs nach § 24 HVG ab.
Das Anbot der Beklagten vom 13. 12. 2006 beinhalte weder ausdrücklich eine Kündigung des alten Vertrags noch stelle es eine Änderungskündigung dar. Inhaltlich sei das Schreiben als Anbot aufzufassen, den alten Vertrag inhaltlich aufrecht zu erhalten und auf die neue Produktionsstätte zu übertragen, allenfalls um die Produkte der Spinnerei L***** zu erweitern. Das entspreche auch den zuvor vom Geschäftsführer der Beklagten mündlich erfolgten Ankündigungen, dass der Vertrag der Betriebsstätte M***** „1 : 1 auf L***** übergehen solle" und dass die Klägerin zusätzlich einen Vertrag über die bisher in L***** produzierten Garne erhalten solle. Ein Ausgleichsanspruch nach § 24 HVG komme schon mangels Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht zum Tragen.
Aber auch Entschädigungsansprüche wegen Verhinderung des Verdienstes stünden der Klägerin nicht zu. Es sei weder zu einer Betriebseinstellung gekommen noch sei die Klägerin vertragswidrig darin gehindert worden, Provisionen zu verdienen. Nur willkürliche, ohne irgendeinen sachlich vertretbaren Grund getroffene unternehmerische Entscheidungen könnten eine Entschädigungspflicht nach § 12 HVG auslösen. Dass es während des Zeitraums der Verlegung der Produktion zu Lieferengpässen gekommen sei, müsse die Klägerin hinnehmen, weil es sich nur um Folgen einer unternehmerisch gerechtfertigten Entscheidung der Beklagten gehandelt habe. Ein Anspruch der Klägerin, dass Produkte in einem bestimmten Werk erzeugt würden, bestehe nicht.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil Fragen des Einzelfalls im Vordergrund stünden und im Übrigen ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung gefolgt worden sei. In ihrer außerordentlichen Revision widerspricht die Klägerin der von den Vorinstanzen vorgenommenen Auslegung des ihr im Schreiben vom 13. 12. 2006 erstellten Anbots. Die Klägerin habe den Inhalt dieses Anbots als Änderungskündigung auffassen müssen.
Im Weiteren sei das Berufungsgericht einer Fehleinschätzung unterlegen, weil es sich in Wahrheit nicht um eine Betriebsverlegung, sondern um eine Betriebsschließung der Produktionsstätte M***** gehandelt habe. Deshalb stehe ihr jedenfalls ein Entschädigungsanspruch nach § 12 Abs 2 HVG zu. Durch die schrittweise Reduktion des Betriebs in M***** bis hin zur Betriebsschließung durch Einstellung der Produktion an diesem Standort sei die Klägerin vertragswidrig gehindert worden, Provisionen im vereinbarten Umfang zu verdienen. Es stehe ihr daher jedenfalls bis zur Auflösung des Vertrags am 31. 3. 2007 ein Entschädigungsanspruch nach § 12 Abs 1 HVG zu.
Im Weiteren habe die Beklagte verschuldensunabhängig für ihre unternehmerischen Entscheidungen im Sinn des § 12 Abs 2 HVG einzustehen. Der konkrete Sachverhalt sei den in § 12 Abs 2 HVG bezeichneten Fällen derart ähnlich, dass eine analoge Anwendung dieser Bestimmung geboten sei.
Darüber hinaus macht die Revisionswerberin unter dem Titel der Mangelhaftigkeit des Verfahrens eine unzureichende Auseinandersetzung mit der Beweisrüge im Berufungsverfahren geltend und als sekundäre Mangelhaftigkeit, dass entscheidende Feststellungen, insbesondere über ein schon zuvor bestehendes Exklusivvertriebsrecht der Firma A***** für den Betrieb L***** nicht getroffen worden seien. Auch seien Feststellungen dahin unterlassen worden, dass die Beklagte nach der Betriebsschließung M***** unter Hinweis auf die Nichtannahme des Anbots durch die Klägerin Geschäftsvermittlungen durch die Klägerin betreffend Produkte der Betriebsstätte L***** abgelehnt habe.
Rechtliche Beurteilung
Mit all diesen Ausführungen werden keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
Dass das Schreiben vom 13. 12. 2006 nach seinem Wortlaut keine ausdrückliche Kündigung des bestehenden Handelsvertretervertrags beinhaltet, ergibt sich aus den maßgeblichen und insoweit unbekämpft gebliebenen Feststellungen der Vorinstanzen.
Die Frage, ob damit zwar nicht ausdrücklich aber doch konkludent eine Änderungskündigung ausgesprochen wurde, also der Klägerin durch das Anbot nur die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Beendigung des Vertragsverhältnisses abzuwenden, wenn sie innerhalb der gesetzten Frist die Bedingungen für eine Fortsetzung des Vertrags akzeptiere, also zu gewissen Vertragsänderungen bei sonstiger Beendigung des Vertrags bereit war, hat das Berufungsgericht nach den Regeln der §§ 914 ff ABGB beurteilt und verneint. Die Auslegung einer Willenserklärung nach ihrem objektiven Erklärungswert ist, wie die Revisionswerberin selbst erkennt, nur dann revisibel, wenn mit überzeugenden Argumenten dargetan wird, dass die Auslegung nicht gesetzeskonform ist (vgl RIS-Justiz RS0042871). Ob auch eine andere Auslegung möglich wäre, hat jeweils keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (vgl RIS-Justiz RS0042871 [T15]; RIS-Justiz RS0044298 [T46]). Ganz allgemein könnte ein Problem der Vertragsauslegung oder Auslegung eines Vertragsanbots nur dann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO darstellen, wenn dem Berufungsgericht eine auffällige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RIS-Justiz RS0044298 [T26; T27; T46 ua]).
Wenn auch die Klägerin im Zeitpunkt des Erhalts des Schreibens vom 13. 12. 2006 bezweifelte, dass tatsächlich eine Verlegung des Produktionsbetriebs stattfinden werde und eine Einstellung der Produktion befürchtete, lässt sich dies doch weder der Präambel des Schreibens vom 13. 12. 2006 noch den angebotenen Vertragsbestimmungen entnehmen. Bei Beurteilung des objektiven Empfängerhorizonts (vgl RIS-Justiz RS0014205; RS0113932; RS0017915 ua) konnte das Berufungsgericht auch auf die zuvor zwischen den Streitteilen stattgefundene mündliche Erörterung der Problematik hinweisen. Die in der Revision angestellte Erwägung, das Anbot wäre bezüglich des Betriebs L***** rechtlich gar nicht möglich gewesen, weil dort schon ein Alleinvertriebsrecht der Firma A***** bestanden habe, ist für den hier maßgeblichen, die Produkte der Spinnerei M***** betreffenden Handelsvertretervertrag bedeutungslos. Zum einen steht nicht fest, dass ein solches Alleinvertriebsrecht bereits bestanden hätte, zum anderen beträfe dies nur die Ausweitung eines Handelsvertretungsvertrags auch auf die bisher in L***** erzeugten Produkte. Selbst unter Zugrundelegung der Annahme, dass für die bisher in L***** erzeugten Garne bereits ein Alleinvertretungsrecht bestanden hätte, wäre die Übertragung eines Vertretungsrechts für die vorher in M***** erzeugten Produkte keineswegs ausgeschlossen. Insgesamt vermag die außerordentliche Revision daher nicht aufzuzeigen, dass die vom Berufungsgericht gewählte Vertragsauslegung auf einer unvertretbaren Interpretation des vorliegenden Anbots beruhe.
Damit mangelt es auch den in diesem Tatsachenzusammenhang gerügten Feststellungsmängeln an Relevanz.
Auch mit dem Hinweis auf § 915 ABGB ist für die Revisionswerberin nichts gewonnen, kommt doch diese Bestimmung nur subsidiär in Ermangelung eines ermittelbaren Erklärungsinhalts zum Tragen (vgl RIS-Justiz RS0024429; RS0109295; RS0017951 ua).
Nicht nachvollzogen werden kann die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens im Hinblick auf die Nichtbeachtung des Überraschungsverbots. Die Verfahrensrüge der Berufung war schon insoweit nicht gesetzeskonform ausgeführt, weil dort nicht dargelegt wurde, welches konkrete Tatsachenvorbringen die Klägerin bei rechtzeitiger Erörterung erstattet hätte (vgl RIS-Justiz RS0120056 [T2, T7]; RS0037325 [T4, T5]; RS0037300 [T28]; RS0043039). Soweit in der außerordentlichen Revision als Mangel des Berufungsverfahrens eine unzureichende Auseinandersetzung mit der Beweisrüge ins Treffen geführt wird, kann mit dem Hinweis das Auslangen gefunden werden, dass die behauptete Mangelhaftigkeit (siehe dazu RIS-Justiz RS0043371 ua) nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 ZPO).
Dass die Klägerin selbst eine Auflösung des Handelsvertretervertrags vorgenommen hätte, behauptet sie nicht. Wurde aber eine Auflösung des Handelsvertretervertrags durch das Anbot der Beklagten vom 13. 12. 2006 nicht bewirkt, besteht mangels Beendigung des Vertretungsverhältnisses kein Ausgleichsanspruch nach § 24 HVG. Was den Entschädigungsanspruch wegen Verhinderung des Verdienstes gemäß § 12 Abs 1 und 2 HVG betrifft, ist mit dem Berufungsgericht und ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung davon auszugehen, dass nur willkürliche, ohne sachlich vertretbare Gründe oder überhaupt in der Absicht, den Handelsvertreter zu schädigen, getroffene unternehmerische Entscheidungen eine Entschädigungspflicht nach § 12 HVG auslösen können (vgl 6 Ob 801/77; RIS-Justiz RS0063351; RS0063319; RS0063284; RS0063358; RS0062480; Nocker, Handelsvertretergesetz 1993 Rz 17 zu § 12 HVG). Dem Unternehmer stehen Reorganisationsmaßnahmen zu, doch muss er den Handelsvertretervertrag bis zum Ablauf der Vertragszeit erfüllen.
Nach den maßgeblichen Feststellungen fand eine Verlegung des Produktionsbetriebs, nicht aber eine Betriebseinstellung, statt. Soweit die außerordentliche Revision von diesen Feststellungen abweicht, erweist sie sich als nicht gesetzmäßig ausgeführt. Mit Ausnahme von übersiedlungs- und organisationsbedingten Unterbrechungen bzw vorübergehenden Mängeln der Produktion der zuvor in M***** erzeugten Produkte in der Produktionsstätte L***** steht keine Behinderung der Tätigkeit der Klägerin fest. Dass, weil die Zusammenlegung der Erzeugungsbetriebe wirtschaftlich gerechtfertigt war, die Beklagte daran kein Verschulden trifft, hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt (vgl SZ 51/14; RIS-Justiz RS0063319 ua). Dass die Klägerin vertragswidrig am Verdienen verhindert worden wäre, entspricht nicht den Verfahrensergebnissen. Soweit die außerordentliche Revision unter Anlehnung an die von Jabornegg in „Handelsvertreterrecht und Maklerrecht" 342 ff vertretene Ansicht § 12 Abs 2 HVG auch auf den gegenständlichen Fall der Produktionsverlegung angewendet sehen will, ist ihr mit 9 ObA 65/89 = SZ 62/67 zu entgegnen, dass anders als bei einer Einstellung des Unternehmens auch hier der Betrieb fortgeführt wurde, weshalb es an den bezogenen Voraussetzungen mangelt.
Eine Nichtannahme von vermittelten Geschäften, die im Übrigen nicht feststeht, würde nur bei Willkür bzw Schädigungsabsicht der Beklagten einen Anspruch nach § 12 HVG begründen (vgl Nocker, Handelsvertretervertrag Rz 298 mwH; derselbe, Handelsvertretergesetz 1993 Rz 13 zu § 12 HVG), wofür nicht einmal eine Behauptung vorliegt. Auch der in diesem Zusammenhang geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel über Auftragsablehnungen ist daher nicht relevant.
Insgesamt fehlt es daher an den Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO, sodass die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen war.
Anmerkung
E904985Ob32.09fEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0050OB00032.09F.0324.000Zuletzt aktualisiert am
14.05.2009