TE OGH 2009/3/25 2Ob216/08s

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Veröffentlicht am 25.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** KG, *****, vertreten durch Dr. Horst Brunner ua, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde K*****, vertreten durch Dr. Peter Planer, Dr. Barbara Planer, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen 37.056,59 EUR sA (Revisionsinteresse 35.856,59 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Juni 2008, GZ 1 R 99/08f-31, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Jänner 2008, GZ 59 Cg 187/06k-27, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass sie einschließlich der rechtskräftigen Teile zu lauten haben wie folgt:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 35.856,59 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 11. 2006 sowie die mit 23.601,28 EUR (darin 2.516,33 EUR USt und 8.503,20 EUR Barauslagen enthalten) bestimmten Prozesskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die klagende Partei sei schuldig, weitere 1.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 11. 2006 zu bezahlen, wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.127,48 EUR (darin 326,58 EUR USt und 1.168 EUR Barauslagen enthalten) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im September 2005 führte die beklagte Stadtgemeinde auf zwei dem von der Klägerin betriebenen Fünf-Sterne-Hotel nahe gelegenen Wegen (Gemeindestraßen) Asphaltausbesserungsarbeiten durch. Gegen Ende Feber 2006 bemerkten Mitarbeiter der Klägerin vor allem in den stark strapazierten Hotelbereichen (zB Eingangsbereichen) Teerflecken auf dem Boden, auf den Parketten und Teppichen. In den Zimmern wurden gleiche Verschmutzungen auf Tagesdecken, Vorhängen und auf der Tischwäsche gefunden. Ursache dafür war, dass sich auf den im Herbst 2005 ausgebesserten Stellen der Wege das Bitumen erwärmt hatte, wodurch es zähflüssig und klebrig geworden war. Spaziergänger und Tiere hatten über Schuhe und Pfoten den Teer aufgenommen und ins Hotel der Klägerin getragen.

Bei einer Lufttemperatur von 20° C, was gleichzeitig einer Bodenoberflächentemperatur von ca 30° C entspricht, beginnt Bitumen bei ständiger Sonneneinstrahlung an einer durchgeschwitzten Oberfläche zähflüssig zu werden. Auch in einem solchen Fall bleibt jedoch beim bloßen Begehen kein Bindemittel an den Schuhen kleben. In den „warmen" Frühlings- und Sommermonaten ist das Haftenbleiben von Bitumen an den Schuhen eines Fußgängers möglich.

Die maximalen Lufttemperaturen betrugen im Feber 2006 8,9° C, im März 16,6° C. Weil das Bitumen schadhaft gewesen war, was allerdings im Zeitpunkt des Aufbringens nicht erkennbar gewesen war, hatte es sich in der Folge vom Untergrund abgelöst.

Für Reinigungsarbeiten an Teppichböden, Stoffbezügen, Sessel mit Volants und Natursteinböden verrechnete das beauftragte Reinigungsunternehmen der Klägerin 24.020,28 EUR. Das mit Tapezierarbeiten an Sofas, Betten und Sesseln beauftragte Unternehmen verrechnete der Klägerin 10.196,22 EUR. Für die Miete einer Teppichreinigungsmaschine und für die verwendeten Reinigungsmittel wurden der Klägerin 200,09 EUR verrechnet. Weiters hatte die Klägerin ihren Hausmeister vorrangig zu Reinigungszwecken eingesetzt, wobei sein diesbezüglicher Aufwand etwa 80 Stunden betrug.

Die Neuasphaltierung der vom schadhaften Bitumen betroffenen Wege erfolgte im August oder September 2006.

Die Klägerin begehrte mit der im Oktober 2006 eingebrachten Klage von der Beklagten die Bezahlung von 35.856,59 EUR sA an Schadensbeseitigungskosten, die sich aus den oben genannten Beträgen für Reinigung und Tapezierung sowie 1.440 EUR für den Einsatz des Hausmeisters (somit 18 EUR pro Stunde) errechnen. Weiters begehrte die Klägerin 1.200 EUR an entgangenem Gewinn (infolge Verschmutzung trotz Auslastung nicht vermietete Zimmer). Die Klägerin stützte das Klagebegehren auch auf darüber hinaus entstandene (festgestellte) Kosten für die Sanierung der Böden im Hotel in Höhe von 7.951,74 EUR. Diesen Betrag lasse sich die Klägerin als Abzug „Neu für Alt" anrechnen.

Soweit im Revisionsverfahren noch strittig, stützte die Klägerin die Haftung der Beklagten darauf, die Teerverbringungen in das Hotel der Klägerin stellten eine Immission gemäß § 364 Abs 2 ABGB dar, wofür die Beklagte verschuldensunabhängig hafte.

Die Beklagte wandte ein, der Umstand, dass Gäste Schmutz ins Hotel gebracht hätten, stehe in keinem möglichen „rechtswidrigen Zusammenhang" mit den Arbeiten der Beklagten. Mangels Erkennbarkeit der Schadensursache treffe die Beklagte kein Verschulden. Die Schäden seien „überhöht" und nicht nachvollziehbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Das Wesen einer mittelbaren Immission gemäß § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB sei, dass die Immission von einem Grundstück ausgehe und auf das Nachbargrundstück übergreife. Für ein „Übergreifen" kämen aber nur natürliche Medien wie Luft, Wasser, Erdreich usw in Betracht. Wenn von einem Grundstück abgelöste Materialien von Menschen oder Tieren direkt auf ein Nachbargrundstück transportiert würden, handle es sich jedoch nicht um eine von einem Grundstück ausgehende Einwirkung auf ein benachbartes Grundstück. Die von Menschen oder Tieren in das Hotel der Klägerin transportierten Teerablagerungen seien daher keine Immissionen gemäß § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB. Nach der Rechtsprechung könne zwar ein Ausgleichsanspruch gegen den Liegenschaftseigentümer auch dann erhoben werden, wenn die Einwirkung nicht durch ihn selbst, sondern durch eine Person verursacht worden sei, von der er die Unterlassung des die Beeinträchtigung verursachenden schädigenden Verhaltens erwirken habe können. Voraussetzung eines solchen Ausgleichsanspruchs sei aber, dass durch die Handlung des Dritten eine Immission von einer Liegenschaft auf ein Nachbargrundstück hervorgerufen werde. Auch § 1319a ABGB begründe keine Ansprüche der Klägerin, weil diese Bestimmung nur eine Haftung des Wegehalters gegenüber den Benützern des Weges normiere, nicht aber eine solche für Schädigungen von Anrainern. Eine an sich denkbare Haftung nach § 1319 ABGB scheitere daran, dass die Bestimmung keine Erfolgshaftung, sondern eine Verschuldenshaftung mit Umkehr der Beweislast beinhalte. Eine der Beklagten vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung liege jedoch nicht vor. Aus demselben Grund scheitere auch eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob eine Immission gemäß § 364 Abs 2 ABGB auch vorliege, wenn von einem Grundstück abgelöste Teile durch Personen oder Tiere auf das Nachbargrundstück getragen werden, bislang noch nicht befasst habe und dieser Rechtsfrage für die Rechtsentwicklung eine erhebliche Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren mit 35.856,59 EUR stattgegeben werde. Hinsichtlich des begehrten entgangenen Gewinns von 1.200 EUR ließ die Klägerin die Klagsabweisung rechtskräftig werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Revisionswerberin bringt vor, es liege hier eine § 364 Abs 2 erster Satz ABGB entsprechende Immission vor, weshalb ihr in sinngemäßer Anwendung von § 364a ABGB ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch zustehe.

Diese Ausführungen sind zutreffend.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung wird unter Immissionen grundsätzlich die Zuleitung sinnlich wahrnehmbarer, nicht wägbarer Stoffe auf mechanischem oder physikalischem Weg auf der Erde oder durch die Luft verstanden (RIS-Justiz RS0010627).

Dies schließt aber nicht aus, dass die Zuleitung auch durch andere Medien als Erde oder Luft geschehen kann. In der Entscheidung 6 Ob 642/88 = RIS-Justiz RS0010620 sprach der Oberste Gerichtshof sinngemäß aus, es tue der Beurteilung als Immission keinen Abbruch, wenn Jauche auf öffentlichem Straßengrund austrete und durch Fahrzeugverkehr auf den Privatparkplatz eines Hotels gebracht werde, wodurch dieser verschmutzt werde und sich dort Gestank verbreite.

Damit ist der vorliegende Fall durchaus vergleichbar. Es ist daher davon auszugehen, dass - entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen - die durch Schuhe und Pfoten eingebrachten Verschmutzungen im Hotel der Klägerin Immissionen sind. Diese überschreiten das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß, da derartige von einer mit Bitumen ausgebesserten asphaltierten Straße herrührende Teerverschmutzungen - zumindest im Feber und März - unüblich sind und über normalen Baustellenschmutz deutlich hinausgehen. Dadurch ist die ortsübliche Benützung eines Fünf-Sterne-Hotels wesentlich beeinträchtigt.

Die Voraussetzungen für einen auf § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB gegründeten Unterlassungsanspruch lägen daher vor. In analoger Anwendung des § 364a ABGB hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass ein nachbarrechtlicher, verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch stets dann zu gewähren ist, wenn dem Geschädigten ein Abwehrrecht, das ihm wegen Bestehens einer an sich gefährlichen Situation nach dem Inhalt seines dinglichen Rechts sonst zugestanden wäre, genommen war. Eine derartige gleichartige Gefahrenlage ist insbesondere auch dann anzunehmen, wenn durch die auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführende Einleitung von Schadstoffen jede Unterlassungsklage zu spät käme, sodass sich der von dieser Einwirkung Betroffene in einer Situation wie derjenige befindet, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (8 Ob 48/07b; 1 Ob 132/07d, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0010573; RS0010550; RS0010674).

Ein solcher Fall liegt hier vor: Auch der Klägerin war die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage faktisch genommen, musste sie doch im Winter 2005/2006 keineswegs mit derartigen Verschmutzungen rechnen.

Gemäß § 364a ABGB kann der Geschädigte den Ersatz des zugefügten Schadens verlangen. Nach allgemeinen Grundsätzen ist für einen Schadenersatzanspruch, abgesehen von der hier unzweifelhaften Kausalität der schädigenden Handlung für den Schaden, die Adäquanz erforderlich. Die Adäquanz ist immer dann zu bejahen, wenn die Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines Erfolgs wie des eingetretenen noch irgendwie geeignet erscheint und der (schädliche) Erfolg nicht nur wegen einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen eingetreten ist (RIS-Justiz RS0022914 [T10]). An der Adäquanz fehlt es, wenn die Möglichkeit eines bestimmten Schadenseintritts so weit entfernt war, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte (RIS-Justiz RS0098939 [T4]).

Nach diesen Kriterien ist für die eingeklagten Schadenersatzforderungen die Adäquanz zu bejahen. Selbst wenn - wie die Beklagte mutmaßt, was aber nicht feststeht - ein Teil der Verschmutzungen (etwa auf Sofas oder Stoffbezügen von Sesseln) auf sorgloses Verhalten der Hotelgäste zurückzuführen sein sollte, läge ein solcher Geschehensablauf dennoch nicht außerhalb der Lebenserfahrung und wäre daher adäquat.

Die im Revisionsverfahren noch gegenständlichen Schadenersatzansprüche der Klägerin bestehen daher zu Recht.

Die Kostenentscheidung für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren gründet sich auf die § 43 Abs 2 und § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist nur geringfügig unterlegen. Die verzeichnete Urkundenvorlage ist nach TP 1 zu honorieren.

Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da kein Fall eines doppelten oder mehrfachen Einheitssatzes vorliegt (§ 23 Abs 5 bis 9 RATG), beträgt der Einheitssatz 50 % (§ 23 Abs 3 RATG).

Textnummer

E90593

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00216.08S.0325.000

Im RIS seit

24.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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