Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Vogel und Dr. E. Solé sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Bauer und Dr. Haas als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Praterstraße 31, 1020 Wien, gegen die Antragsgegnerinnen 1. B***** Holding GmbH, 2. B***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch Mag. Dr. Axel Reidlinger, Rechtsanwalt in Wien, 3. D***** AG, *****, 4. D***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, sowie der weiteren Amtspartei Bundeskartellanwalt, Schmerlingplatz 11, 1016 Wien, wegen Feststellung der Zuwiderhandlung nach § 28 Abs 1 KartG 2005 und Verhängung einer Geldbuße gemäß § 142 Z 1 lit a und lit d KartG 1988 sowie § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005, über die Rekurse der Antragstellerin sowie der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 24. Oktober 2008, GZ 29 Kt 132, 133/07-54, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Keinem der Rekurse wird Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die Bundeswettbewerbsbehörde (in der Folge: BWB) beantragt gegenüber den Erst- und Zweitantragsgegnerinnen (wegen Anwendung der Kronzeugenregelung bloß) die Feststellung der Zuwiderhandlung gegen europäisches und innerstaatliches Kartellverbot und in Bezug auf die Dritt- und Viertantragsgegnerinnen die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 1,9 Mio EUR für den Zeitraum 1. Juli 2002 bis 30. Juni 2006. Die Antragsgegnerinnen hätten wettbewerbswidrige Vereinbarungen bzw abgestimmte Verhaltensweisen betreffend das Lagergeschäft für Industriechemikalien durchgeführt. Auf Ebene der Verkaufsleiter, vereinzelt jener der Geschäftsleitung, seien zum Zweck der Beibehaltung der Marktverhältnisse (Stamm-)Kunden zugeordnet, neue Kunden aufgeteilt, Verkaufspreise festgesetzt und wirtschaftlich sensible Marktinformationen ausgetauscht worden. Die Absprachen in den Regionen Ost und West seien Ende 2003 eingestellt worden, die Kontakte in der Region Süd dagegen weiter fortgeführt worden. Im Wesentlichen auf diese Region beziehe sich der Antrag. Die Zweit- und Viertantragsgegnerinnen hätten dabei jeweils die von ihren Muttergesellschaften (Erst- bzw Drittantragsgegnerin) festgelegte Geschäftspolitik verfolgt, ohne eine unabhängige Position am Markt innezuhaben. Die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen hätten die BWB vom Kartell informiert und spätestens mit Erklärung vom 7. August 2007 in Abstimmung mit der BWB ihre Kartelltätigkeit eingestellt.
Die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen bestritten das Feststellungsbegehren der BWB nicht und beantragten auch nicht dessen Abweisung.
Die Dritt- und Viertantragsgegnerinnen bestritten die Vorwürfe. Es habe keinen umfassenden gemeinsamen Plan gegeben, das Marktverhalten zu koordinieren, und auch keine Stammkundenregelung. Aufgrund intensiver Geschäftsbeziehungen sei es zu Kontakten auf Ebene der Vertriebsmitarbeiter gekommen. Die Initiative zu den Zusammenkünften sei großteils von der Zweitantragsgegnerin ausgegangen, die erheblichen Druck auf die Viertantragsgegnerin ausgeübt habe. Die Drittantragsgegnerin habe von den Treffen keine Kenntnis gehabt bzw diese im Laufe des Jahres 2003 unverzüglich abgestellt. Erst ab Mitte Jänner 2004 hätten auf Initiative von Mitarbeitern der Zweitantragsgegnerin wieder Unterredungen stattgefunden. Die bis 2003 beendeten Zuwiderhandlungen seien daher verjährt. Die Zuwiderhandlungen hätten keine wettbewerblichen Auswirkungen gehabt und seien größtenteils nicht umgesetzt worden. Eine Bereicherung sei ebenso wenig eingetreten wie spürbare Auswirkungen auf den Markt. Der Großteil der von der BWB vorgeworfenen Verhaltensweisen bilde nur den Versuch einer Kartellabsprache. Mit der Teilnahme an Treffen sei eine vorgeschlagene Koordinierung nicht konkludent angenommen worden, ebenso wenig verwirkliche eine allfällige passive Mitwirkung der Viertantragsgegnerin einen Kartelltatbestand. Bei der Bußgeldbemessung lasse die BWB Milderungsgründe außer Acht. So sei der Markt eher klein und nicht durch homogene Güter charakterisiert. Auch sei kein Schaden für Konsumenten oder Abnehmer entstanden. Die Dritt- und Viertantragsgegnerinnen seien viel kleiner als die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen, was sich auf die relative Schwere des Tatbeitrags auswirken müsse. Die Antragsgegnerinnen hätten keinen wirtschaftlichen Nutzen aus den vorgeworfenen Handlungen gezogen und es liege kein vorsätzliches Verhalten vor. Auch die sofortige Beendigung des Verstoßes und das Geständnis der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen seien ebenso mildernd zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten im Sinne des erstellten „Compliance Code". Die Höhe der beantragten Geldbuße stünde in keiner vernünftigen Relation zum Betriebsergebnis sowie zum Umsatz und Gewinn der Viertantragsgegnerin auf dem österreichischen Markt, ebenso wenig zur Strafobergrenze und zur nicht eingetretenen Bereicherung.
Das Erstgericht wies den Feststellungsantrag gegen die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen zurück und setzte die Geldbuße gegenüber den Dritt- und Viertantragsgegnerinnen mit 1,9 Mio EUR fest. Es ging dabei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Betroffen ist der Markt für den Vertrieb von Industriechemikalien im Lagergeschäft in der Region Süd (Steiermark, Kärnten und südliches Burgenland). Im Gegensatz zum Streckengeschäft, bei dem Produkte direkt vom Chemieproduzenten zum Abnehmer geliefert werden, erwirbt im Lagergeschäft ein Distributor das chemische Produkt vom Produzenten und verkauft es in der Folge im eigenen Namen weiter. Hauptsächlich betroffen ist der Handel mit Säuren, Laugen und Lösungsmitteln. Die Chemikalien werden beim Distributor gelagert, erforderlichenfalls umverpackt und in der vom Kunden benötigten Sortierung und Menge ausgeliefert. Der Vertrieb erfolgt über die Landesgrenzen Österreichs hinaus in die angrenzenden EU-Mitgliedstaaten. Umgekehrt decken auch österreichische Abnehmer ihren Bedarf durch Importe.
Die Zweitantragsgegnerin ist im Jahr 2000 aus der Übernahme der österreichischen N*****-Gruppe durch die deutsche B***** hervorgegangen und steht seit April 2004 im direkten Eigentum der Erstantragsgegnerin.
Die Drittantragsgegnerin wurde 1997 vom Vorstandsvorsitzenden Alain ***** K***** bzw der Privatstiftung ***** K***** übernommen. Die Viertantragsgegnerin ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Drittantragsgegnerin. Der weltweite Gesamtumsatzerlös des Konzerns, dem die Dritt- und Viertantragsgegnerinnen angehören, betrug im Geschäftsjahr 2006/2007 222,8 Mio EUR, das Betriebsergebnis der Konzerngruppe der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen 7,7 Mio EUR. Die Viertantragsgegnerin erwirtschaftete im selben Jahr einen Umsatz von rund 43 Mio EUR. Im Lagergeschäft mit Industriechemikalien in der Region Süd erzielte die Viertantragsgegnerin im Geschäftsjahr 2004/2005 einen Umsatz von 4,797 Mio EUR. Konzernintern liegt die Budgethoheit bei der Muttergesellschaft, also der Drittantragsgegnerin. Bei wirtschaftlich erheblichen Investitionen erstattet die Tochtergesellschaft Vorschläge, die von der Drittantragsgegnerin genehmigt oder nicht genehmigt werden. Konzernintern wird Alain ***** K***** als Eigentümer angesehen.
Zwischen den Unternehmensgruppen der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen sowie Dritt- und Viertantragsgegnerinnen besteht seit vielen Jahren intensiver geschäftlicher Kontakt. Bereits einige Jahre vor 2002 fanden im Bereich der Vertriebsorganisation Süd regelmäßig persönliche Kontakte zwischen den im Verkauf tätigen Mitarbeitern statt, wobei die Initiative etwa gleichteilig von den beteiligten Unternehmen ausging. Bei diesen Besprechungen wurden bestimmte Kunden bestimmten Unternehmen zugeordnet (Stammkunden) und in diesen Fällen keine konkurrenzierenden Angebote gelegt. Zum Teil dienten die Besprechungen auch dazu, Verkaufspreise für Industriechemikalien festzusetzen und wirtschaftlich sensible Marktinformationen, die Mitbewerbern üblicherweise nicht zugänglich gemacht werden, auszutauschen. Zweck war es, den Wettbewerb auf dem relevanten Markt einzuschränken, das bestehende Preisniveau beizubehalten und durch die Abstimmung des Marktverhaltens den Neueintritt von Mitbewerbern zu erschweren. Auch die Überwachung der Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen, die Besprechung von „Problemfällen" sowie die Neuorganisation des aufgeteilten Markts waren Gegenstand der Treffen. Die Vereinbarungen wurden in größerem Ausmaß nicht eingehalten, sodass es im Zuge der Treffen auch immer wieder zu wechselseitigen Vorwürfen und Anschuldigungen kam. Allgemeine Preisabsprachen wurden nicht getroffen, konkrete Preisabsprachen dienten dem Zweck der Abstimmung von Angebot und Scheinangebot, um die Beauftragung eines der Unternehmen durch bestimmte Kunden sicherzustellen. Teilweise wurden auch Kunden „ausgetauscht" bzw „ersatzweise abgetreten", wenn nach den getroffenen Vereinbarungen „unzulässige Abwerbungen" „kompensiert" werden sollten. Neben den Problemfällen gab es eine nicht mehr näher feststellbare Anzahl von Kunden, bei denen die Vereinbarungen problemlos umgesetzt wurden. Beim Auftreten von Mitbewerbern wurden Informationen ausgetauscht, um sich ein Gesamtbild zu verschaffen, welche Produkte zu welchen Preisen und zu welchen Mengen bezogen oder verkauft würden. Sämtlichen an den Gesprächen beteiligten Mitarbeitern war sowohl das zugrundeliegende Verständnis der Zuordnung von Stammkunden als auch die Marktaufteilung und der Zweck der Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse klar. Dass es Absprachen gab, war auch der Geschäftsführung der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen bekannt. Sie wurden auch vom Vorstandsvorsitzenden wohlwollend zur Kenntnis genommen, der ebenso wie die weiteren Geschäftsführer der Viertantragsgegnerin trotz Kenntnis keine Anweisung gab, das Verhalten abzustellen. Zu einer Unterbrechung der Zusammenarbeit kam es nicht. Zwischen Oktober 2002 und Jänner 2004 hielten die Beteiligten telefonischen Kontakt, dessen Inhalt wiederum Kundenzuteilungen, die Ursache nicht durchgeführter Vereinbarungen und der Austausch von Marktinformationen war.
Alle beteiligten Unternehmen konnten für das Betriebsergebnis positiv ins Gewicht fallende, wirtschaftliche Vorteile ziehen, die der Höhe nach nicht näher bezifferbar sind. Das Verhalten hat sich auch zum Nachteil des Wettbewerbs und der Mitbewerber sowie der Kunden ausgewirkt, wobei die konkreten Auswirkungen ebenfalls nicht näher bezifferbar sind. Zwang zur Teilnahme wurde nicht ausgeübt.
Rechtlich erachtete das Erstgericht den vergangene Zeiträume betreffenden Feststellungsantrag in Bezug auf die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen, insbesondere im Hinblick auf die Befugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden nach der VO Nr 1/2003, für unzulässig.
Bei den Dritt- und Viertantragsgegnerinnen ging das Erstgericht von einem Verstoß gegen das europäische und innerstaatliche Kartellverbot aus. Die wiederholt getroffenen Vereinbarungen hätten eine Verhinderung, Einschränkung und Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt, weshalb ihre tatsächlichen Auswirkungen nicht festgestellt hätten werden müssen, um die Erfüllung der Voraussetzungen des Kartellverbots zu bejahen. Unbestritten sei, dass diese Verhaltensweisen geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinflussen, weshalb die Überlegungen der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen zur räumlichen Marktabgrenzung irrelevant seien. Da die Antragsgegnerinnen nach ihrem eigenen Vorbringen einen Marktanteil von rund 40 % an der Versorgung in Österreich hätten, sei ein Bagatellkartell auszuschließen. Die Anwendung der Bekanntmachung der Europäischen Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung - De-minimis(-Bekanntmachung) - komme wegen Vorliegens eines „Hardcore"-Kartells nicht in Betracht. Da die kartellrechtswidrige Zusammenarbeit nie unterbrochen worden sei, sei Verjährung nicht eingetreten. In einer Mehrzahl der Fälle seien die vereinbarten Zuwiderhandlungen tatsächlich durchgeführt worden, sodass der behauptete bloße Versuch einer Kartellabsprache nicht vorliege. Im Übrigen sei bereits der Abschluss einer die Einschränkung des Wettbewerbs bezweckenden Kartellvereinbarung mit Geldbuße zu ahnden. Da die Viertantragsgegnerin zur Gänze im Eigentum der Drittantragsgegnerin stehe und am Markt nicht selbständig agieren könne, sei über beide die Geldbuße gesamtschuldnerisch zu verhängen.
Aufgrund der festgestellten Gesamtumsatzerlöse des Konzerns der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen betrage die „Kappungsgrenze" für die Geldbuße 22,2 Mio EUR. Die Aufteilung des Markts und die Festsetzung von Preisen gehöre zu den schwerstwiegenden Verletzungen des Kartellverbots und müsse daher besonders streng geahndet werden. Es stehe die Zielsetzung der Teilnehmer und weniger die Frage der tatsächlich eingetretenen Wirkungen im Vordergrund. Dass die Vereinbarungen teilweise nicht umgesetzt worden seien, sei nicht zwangsläufig als mildernd zu berücksichtigen. Der Grad des Verschuldens der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen sei hoch. Die Verkaufsverantwortlichen hätten vorsätzlich und mit zumindest stillschweigender Billigung der Unternehmensleitung gehandelt. Der regional begrenzte Charakter der Absprachen sei mildernd zu berücksichtigen. Die konkret erzielte Bereicherung habe nicht beziffert werden können, umgekehrt könne aber davon ausgegangen werden, dass wesentliche und erhebliche wirtschaftliche Vorteile mit der Bildung und Durchführung des Kartells verbunden gewesen seien. Grundlage für das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seien sowohl Gewinn als auch Umsatz des Gesamtkonzerns. Die beantragte Geldbuße stehe nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen. Um die abschreckende Wirkung der Geldbußen zu garantieren, müssten sie höher sein als die zu erwartenden Mehrerlöse aus der kartellrechtswidrigen Vereinbarung. Auf ein „vernünftiges" Verhältnis zum Betriebsergebnis könne es daher nicht ankommen. Eine Mitwirkung bei der Aufklärung der Rechtsverletzung liege nicht in einem Ausmaß vor, das als mildernd anerkannt werden könne. Einzelne Geständnisse könnten im Verhältnis zum während des gesamten Verfahrens bestrittenen Gesamtverhalten nicht als erheblich und daher strafmindernd angesehen werden. Weder der behauptete Zwang zur Teilnahme noch die untergeordnete Bedeutung des Tatbeitrags der Viertantragsgegnerin ergebe sich aus den Feststellungen. Das Nachtatverhalten führe auch bei mildernder Berücksichtigung zu keiner Verringerung der Geldbuße, die ohnehin im mittleren Bereich angesiedelt sei. Auch hätten die handelnden Personen bis zum Ende des Verfahrens jegliches Unrechtsbewusstsein vermissen lassen. Die Beendigung des Verstoßes nach dem Eingreifen der Wettbewerbsbehörde könne nicht als mildernd berücksichtigt werden. Die Art und Weise der Tatausführung sei wegen des hohen Organisationsgrads erschwerend anzurechnen. Mit dem Fehlen jeglicher offizieller Sitzungsniederschriften oder Dokumente sei versucht worden, das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern. Die beantragte Geldbuße erweise sich der Höhe nach auch unter Außerachtlassung der die Region West betreffenden Zuwiderhandlungen als angemessen.
Gegen die Verhängung einer Geldbuße richtet sich der Rekurs der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen, gegen die Zurückweisung des Feststellungsantrags jener der Bundeswettbewerbsbehörde.
Rechtliche Beurteilung
Beiden Rekursen kommt keine Berechtigung zu.
A. Zum Rekurs der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen:
I. Die Rekurswerberinnen bekämpfen die Höhe der Geldbuße und beantragen nach Vergleich mit anderen Geldbußenfällen deren Herabsetzung mit folgenden Argumenten:
1. Die Vereinbarungen seien in größerem Ausmaß nicht eingehalten worden. Dies rechtfertige einen Abschlag von zumindest 50 % gegenüber dem BWB-Antrag.
2. Eine Mehrzahl der Kunden sei zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr unter die Stammkundenregelung gefallen und daher gerade nicht von Absprachen betroffen gewesen. Auch deshalb sei gegenüber dem Geldbußenantrag ein Abschlag von weit über 50 % gerechtfertigt.
3. Zur Bereicherung habe das Erstgericht keine konkreten Feststellungen getroffen. Eine Schätzung sei gemäß § 34 AußStrG allerdings nur auf einer verlässlichen Sachverhaltsbasis zulässig. Dazu sei auch die Judikatur zu § 273 ZPO heranzuziehen. Diesen Kriterien entspreche die angefochtene Entscheidung nicht. Ihre Begründung erschöpfe sich in Leerformeln. Unerfindlich sei, wie Kundenaufteilungen für Mitbewerber nachteilig sein sollten, die es diesen typischerweise erleichterten, den von den Kartellanten angestrebten Verkaufspreis zu unterbieten. Es gebe kein Beweisergebnis, das eine Bereicherung der Antragsgegnerinnen oder einen Schaden der Kunden belege, sondern eher Hinweise für das Gegenteil. Mangels erwiesenen Nachteils von Kunden oder Mitbewerbern sei die Geldbuße deutlich herabzusetzen, weil ansonsten eine nicht umgesetzte Absprache gleich bestraft werde wie eine umgesetzte.
4. Das Nachtatverhalten sei nicht als mildernd angerechnet worden, ebenso wenig die Einstellung der Zuwiderhandlung sofort nach Eingreifen der Behörde. Hiefür sei ein Abschlag von je 15 % von der Geldbuße vorzunehmen.
Auch weise der betroffene Markt keine oligopolistischen Züge auf und sei nicht durch homogene Güter charakterisiert, was als Milderungsgrund zu berücksichtigen sei.
5. Das Fehlen jeglicher Sitzungsniederschriften und Dokumente könne nicht als Erschwerungsgrund gewertet werden.
6. Das Erstgericht habe den Marktumfang und die Einschränkung auf wenige Kunden ebenso wenig berücksichtigt wie die kartellierten Umsätze. Da keine allgemeinen Preisabsprachen getroffen wurden und hinsichtlich einer Mehrzahl von Kunden überhaupt keine Absprachen erfolgten und darüber hinaus die tatsächlich getroffenen Vereinbarungen in größerem Ausmaß nicht eingehalten wurden, sei es nicht sachgerecht, den gesamten Umsatz der Region Süd als kartellierten Umsatz bei der Bemessung der Geldbuße heranzuziehen. Die Geldbuße sei deshalb nicht ausgehend von 10 % des Gesamtumsatzes der Region Süd, sondern nur von einem Teilumsatz zu berechnen, der unter 50 % des Gesamtumsatzes liegen müsse.
7. Auch der Vergleich mit anderen Geldbußenentscheidungen des Obersten Gerichtshofs als KOG und der Rechtsprechung auf Gemeinschaftsebene lasse die verhängte Geldbuße überhöht erscheinen.
8. Letztlich wird zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgeführt, dass die Kappungsgrenze, die vom weltweiten Konzernumsatz ausgehe, nicht endgültig aussagekräftig für die Leistungsfähigkeit sei. Maßstab dafür sei vielmehr der Gewinn des Konzerns, allenfalls auch die Bilanzsumme. Nur subsidiär könne der Umsatz als Indikator für die Größe oder Finanzkraft eines Unternehmens herangezogen werden. Im Wirtschaftsleben bemesse sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit am Bilanzgewinn oder Bilanzverlust und nicht an anderen Kennzahlen. Dieser habe 162.863,85 EUR betragen und sei vom Erstgericht als vermeintlich irrelevant nicht festgestellt worden. Die verhängte Geldbuße betrage ein Vielfaches des Konzernjahresgewinns und sei daher exzessiv bemessen. Mit der Entscheidung 16 Ok 4/07 habe das KOG die Geldbuße in Höhe von 30 % des Konzernjahresgewinns angesetzt; für den vorliegenden Fall ergäbe sich damit eine Geldbuße von 48.860 EUR.
II. Zur Bemessung der Geldbuße:
1. Wie das KOG erst jüngst ausgesprochen hat, verfolgen die Geldbußen des österreichischen Kartellrechts präventive und repressive Zwecke. Nur eine angemessen hohe Geldbuße kann abschreckende Wirkung erzielen. Die theoretisch optimale Höhe der Geldbuße für einen materiellrechtlichen Wettbewerbsverstoß ist der Betrag des erlangten Gewinns zuzüglich einer Marge, die garantiert, dass die Zuwiderhandlung nicht Folge eines rationalen Kalküls ist (16 Ok 5/08 mwN; 16 Ok 4/07).
Die Festsetzung einer kartellrechtlichen Geldbuße ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung, bei der neben den - nicht taxativ aufgezählten - gesetzlichen Bemessungsfaktoren die Umstände des Einzelfalls und der Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Es handelt sich dabei um eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung aller Umstände, und nicht um das Ergebnis einer schlichten Rechenoperation auf Grundlage etwa des Gesamtumsatzes (16 Ok 4/07; 16 Ok 5/08).
Die Kontrolle der Höhe einer Geldbuße im Rechtsmittelverfahren richtet sich danach, inwieweit das Kartellgericht bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung rechtlich korrekt alle gesetzlichen Faktoren berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Schwere eines bestimmten Verhaltens von Bedeutung sind (16 Ok 5/08; 16 Ok 4/07).
Das Geldbußensystem des Gemeinschaftsrechts (Art 23 VO 1/2003) ist mit jenem des nationalen Rechts nicht deckungsgleich. Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen können deshalb im Verfahren über eine vom Kartellgericht nach nationalem Recht zu verhängende Geldbuße nur in jenem Umfang sinngemäß angewendet werden, in dem die entsprechenden Normen und die ihnen zugrundeliegenden Wertungen vergleichbar sind.
2. Nach der klaren gesetzlichen Vorgabe ist bei Bemessung der Geldbuße vom erzielten (Gesamt-)Umsatz auszugehen. Dabei ist die Zusammenrechnungsregel des § 22 KartG 2005 (§ 2a KartG 1988) anzuwenden (16 Ok 5/08; vgl auch Petsche/Tautscher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 29 Rz 13; Hoffer, KartG 247). Die Bemessung nach dem Umsatz im letzten Jahr des Zuwiderhandelns entspricht den europäischen Vorgaben und stellt den zeitlichen Zusammenhang zwischen Verstoß und Leistungsfähigkeit sicher. Eine Einschränkung allein auf den tatbezogenen Umsatz kommt nicht in Betracht, weil dadurch die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens nicht ausreichend berücksichtigt würde (16 Ok 5/08).
Zwar darf das Kartellgericht keine höhere Geldbuße verhängen als beantragt (§ 36 Abs 2 KartG 2005), dies ändert aber nichts an den für das Kartellgericht maßgeblichen Bemessungskriterien des § 30 KartG. Bei Festsetzung der Geldbuße ist daher nicht vom Antrag auszugehen und davon - entsprechend den Milderungsgründen - allenfalls ein Abschlag vorzunehmen. Vielmehr bleibt der Umsatz Ausgangspunkt der Beurteilung. Lediglich wenn das Kartellgericht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis kommt, dass eine höhere als die beantragte Geldbuße zu verhängen gewesen wäre, darf es diesen Betrag nicht ausschöpfen, sondern lediglich die beantragte Geldbuße verhängen. Soweit die Rekurswerberinnen geltend machen, dass von der beantragten Geldbuße Abschläge vorzunehmen seien, ist ihnen daher schon deshalb nicht zu folgen.
3. Im Hinblick auf den festgestellten Jahresumsatz des Konzerns, dem die Dritt- und Viertantragsgegnerinnen angehören, liegt die höchstzulässige Geldbuße im Bereich von 22 Mio EUR. Die verhängte Geldbuße beträgt daher nicht einmal 10 % der höchstzulässigen. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem festgestellten Verhalten um ein jahrelang ausgeübtes, zentralen Verboten des Wettbewerbsrechts zuwiderlaufendes „Hardcore"-Kartell handelt, bei dem insbesondere Märkte aufgeteilt, aber auch Preise abgesprochen wurden, erscheint die Verhängung eines nicht einmal 10 % der höchstmöglichen Geldbuße erreichenden Betrags - ungeachtet des Ausmaßes der Umsetzung, der ziffernmäßig nicht feststellbaren Bereicherung, des Verhaltens nach Bekanntwerden, aber auch der Art des betroffenen Markts, des Marktumfangs und des vom Kartell betroffenen Umsatzes - grundsätzlich nicht unangemessen. Die von den Rekurswerberinnen angestellten Vergleiche mit den in anderen Verfahren verhängten Geldbußen sind nicht zielführend. Denn es hängt immer von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls ab, wie hoch die Geldbuße sein muss, um die mit ihr verfolgten Zwecke zu erreichen. Dass aber die Geldbuße der Repression und der Abschreckung dient und (nur) vergleichbare Sachverhalte gleich zu behandeln sind, entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH (8. 10. 2008 RS I-69/04 [Schunk GmbH, Schunk Kohlenstoff-Technik GmbH/Kommission] Rn 42, 45).
4. Nicht gefolgt werden kann den Rechtsmittelwerberinnen auch in ihrem Argument, dass die zu verhängende Geldbuße eine gewisse Relation zum Gewinn bzw Konzernjahresüberschuss aufweisen müsse oder sollte. Da sich der Konzernjahresüberschuss aus der Summe der Einzelergebnisse zusammensetzt, steht er in keinem Bezug zu kartellrechtswidrigen Absprachen bestimmter Konzernunternehmen. Seine Heranziehung überließe die festzusetzende Geldbuße den Zufälligkeiten der Ergebnisse einzelner Konzernbereiche und Konzerngesellschaften, die mit dem kartellrechtswidrigen Verhalten in keinerlei Zusammenhang stehen und aus sachfremden Gründen den Gesamtgewinn der Gruppe erhöhen oder verringern könnten.
5. Zuzugestehen ist den Rechtsmittelwerberinnen allerdings, dass das Fehlen offizieller Sitzungsniederschriften oder Dokumente, also einer Dokumentation der Besprechungen oder Vereinbarungen unter den Kartellanten, für sich allein keinen Erschwerungsgrund bildet. Ob ein solcher Erschwerungsgrund vorläge, wenn, wie im Fall der Entscheidung EuGH 14. 5. 1998, Rs T-347/94 [Mayr-Melnhof Kartongesellschaft/Kommission) Rn 257, umfangreiche Maßnahmen zur Verschleierung der Absprachen getroffen worden wären, braucht mangels Vorliegens solcher Umstände nicht geprüft werden. Die Tatsache allein, dass die Kartellmitglieder keine oder nur punktuelle Aufzeichnungen ihrer Besprechungen führten, kann jedenfalls keinen Erschwerungsgrund bilden.
6. Nach § 30 KartG ist bei Bemessung der Geldbuße unter anderem auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung Bedacht zu nehmen. Dabei handelt es sich aber lediglich um ein Bemessungskriterium unter mehreren (16 Ok 4/07). Dies bedeutet umgekehrt, dass eine Geldbuße auch dann verhängt werden kann, wenn überhaupt keine Bereicherung eingetreten ist. Aus diesem Grund, aber auch wegen des weniger formstrengen Charakters des Verfahrens außer Streitsachen, bedarf es bei der Ermessensentscheidung über eine kartellrechtliche Geldbuße keines detaillierten Beweisverfahrens zur Ermittlung des exakten Ausmaßes der erzielten Bereicherung (16 Ok 4/07).
Das Erstgericht konnte lediglich feststellen, dass eine Bereicherung eingetreten ist, nicht aber deren Höhe. Aufgrund der Feststellungen, wonach Stammkunden unter den Kartellmitgliedern in der Weise zugeteilt wurden, dass bei der Anbotslegung dasjenige Kartellmitglied, das nach der Vereinbarung nicht zum Zug kommen sollte, kein konkurrenzierendes Anbot legte (S 33 der Erstentscheidung), und wonach beim „Austausch" von Kunden bzw deren „ersatzweiser Abtretung" der bisherige Lieferant seine Preise derartig erhöhte, dass der Kunde zum anderen Lieferanten wechselte (S 36 der Erstentscheidung), ist der Schluss des Erstgerichts, dass jedenfalls eine Bereicherung bei den Kartellmitgliedern eintrat, auch ohne weitere Tatsachenfeststellungen durchaus plausibel. Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt im Hinblick auf die Negativfeststellung des Erstgerichts zur Höhe der eingetretenen Bereicherung (S 52 der Erstentscheidung) jedenfalls nicht vor.
7. Dass sich die geschilderte Aufteilung von Märkten auch zum Nachteil von Kunden auswirkte, bedarf keiner zusätzlichen sachverhaltsmäßigen Grundlage, auch wenn hier ebenfalls die Höhe des Nachteils nicht feststeht. Es trifft daher keineswegs zu, dass es sich, wie der Rekurs behauptet, bei diesen Darlegungen des Erstgerichts um „substanzlose Leerformeln" handle.
8. Insgesamt geben die ausführlichen Darlegungen des Rekurses der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen daher keinen Anlass zu einer Verringerung der verhängten Geldbuße.
B. Zum Rekurs der Bundeswettbewerbsbehörde:
1. Nach dem Vorbringen der BWB haben die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen spätestens per 7. August 2007 ihre Kartelltätigkeit eingestellt. Der erkennende Senat hat sich kürzlich mit der Frage der Feststellungsfähigkeit beendeten Verhaltens nach § 28 Abs 1 KartG 2005 im Zusammenhang mit beabsichtigten Schadenersatzforderungen ausführlich auseinandergesetzt (16 Ok 8/08).
Die BWB macht geltend, dass wegen der Möglichkeit, eine Geldbuße zu beantragen, die Feststellungsfähigkeit im Sinne der Entscheidung 16 Ok 4/07 vorliege. Tatsächlich hat der Senat in dieser Entscheidung ein rechtliches Interesse an der Feststellung bejaht, wenn mangels Verjährung einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellgesetz eine Geldbuße wegen eines in der Vergangenheit gesetzten Verhaltens verhängt werden könnte.
2. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt aber darin, dass die BWB im Hinblick auf die Anwendung der Kronzeugenregelung gemäß § 11 Abs 3 WettbG von der Beantragung einer Geldbuße Abstand genommen hat.
Die BWB verweist auf das Vorbringen der Dritt- und Viertantragsgegnerinnen im laufenden Verfahren, wonach diese von den Erst- und Zweitantragsgegnerinnen zur Teilnahme an den Absprachen gezwungen worden seien. Hätte sich dieser Vorwurf im Ermittlungsverfahren als zutreffend erwiesen, hätte dies den Verlust des Kronzeugenstatus zur Folge gehabt und die BWB hätte mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 11 Abs 3 WettbG einen Geldbußenantrag nachreichen müssen. Dann wäre im Sinne der Entscheidung 16 Ok 4/07 die beantragte Feststellung als Feststellung einer Vorfrage zum Geldbußenantrag zulässig gewesen. Es könne das Bestehen einer Entscheidungsbefugnis aber nicht vom zufälligen Verlauf eines Falls abhängen.
3. Richtig ist, dass die Frage der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags nicht vom Inhalt oder den Beweisergebnissen des Verfahrens abhängen kann, sondern unabhängig davon von vornherein beurteilbar sein muss.
Das trifft hier auch zu:
Solange die BWB in Anwendung des § 11 Abs 3 WettbG einem Unternehmen Kronzeugenstatus zugesteht, kann sie nicht gleichzeitig unter Negierung dieser Tatsache einen Feststellungsantrag damit begründen, dass wegen des - mittlerweile beendeten - Zuwiderhandelns eine Geldbuße verhängt werden könnte.
Ebenso wenig reicht ein Vorbringen, dass allenfalls in der Zukunft ein Umstand eintreten könnte, der die Zuerkennung des Kronzeugenstatus beseitigen könnte. Es besteht auch nach dem KartG 2005 keine Feststellungskompetenz in Bezug auf einen sich möglicherweise in der Zukunft ereignenden Sachverhalt (16 Ok 19/04 - Tennisbälle). Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung eines vergangenen und beendeten Verhaltens nach § 28 Abs 1 KartG 2005 folgt nicht schon daraus, dass sich in Zukunft ergeben könnte, dass die BWB eine Voraussetzung des § 11 Abs 3 WettbG - insbesondere jene der Nichtausübung von Zwang nach § 11 Abs 3 Z 4 WettbG - zu Unrecht angenommen hat.
Die Frage, ob das Begehren darüber hinaus auch im Hinblick auf gemeinschaftsrechtliche Normen, insbesondere die Entscheidungsbefugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden nach der VO 1/2003, unzulässig wäre, muss daher nicht geklärt werden, ebenso wenig jene, ob der Antrag abzuweisen oder zurückzuweisen wäre (16 Ok 8/98).
Textnummer
E90363European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0160OK00004.09.0325.000Im RIS seit
24.04.2009Zuletzt aktualisiert am
13.12.2013