Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. März 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Manuel D***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten D***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 8. August 2008, GZ 15 Hv 29/08w-31, nach Anhörung der Generalprokuratur den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten D***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Manuel D***** und Manfred H***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (1./), D***** weiters des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB (3./) und H***** überdies des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (2./) schuldig erkannt. Danach haben - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Belang - 1./ Manuel D***** und Manfred H***** am 29. August 2007 in A***** den aufgrund seiner besonders starken Alkoholisierung wehrlosen Florian T***** unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass sie an ihm eine geschlechtliche Handlung vornahmen, indem D***** dessen Penis sowie dessen Hodensack mit einem Filzschreiber bemalte und den Filzschreiber sodann im Analbereich platzierte und indem Manfred H***** mit dem Filzschreiber mehrfach gegen den Penis des Florian T***** schlug;
2./ ...
3./ Manuel D***** am 30. November 2007 in A***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich Wertsachen in insgesamt unbekanntem Wert, Verfügungsberechtigten der Hauptschule A***** durch Einbruch und Einsteigen in ein Gebäude (Einschlagen einer Fensterscheibe zum Konferenzzimmer) mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf die Z 4, 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten D*****, der Zweitangeklagte H***** ließ das Urteil unbekämpft.
Zum Schuldspruch 1./:
Die Verfahrensrüge (Z 4) verkennt mit ihrer Kritik an der Abweisung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass Florian T***** nicht am Körper verletzt wurde (ON 30 S 6), dass es für eine prozessordnungsgemäße Antragstellung einer Darlegung bedurft hätte, inwieweit das Beweisthema für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sein soll, kann doch - der Beschwerde zuwider - aus dem Fehlen einer Verletzung kein tatbestandsrelevanter Schluss gezogen werden.
Im Übrigen wurden durch die Ablehnung des Beweisantrags auch meritorisch gesehen keine Verteidigungsrechte beeinträchtigt, weil das Erstgericht in Anbetracht der Bekundung des Zeugen T*****, keine Verletzungen erlitten zu haben (ON 2 S 23), ohnehin von der unter Beweis gestellten Tatsache ausging und Verletzungen nicht konstatierte (vgl US 6 ff). Aus der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung 12 Os 130, 167/97 (= RIS-Justiz RS0109120), ist für ihn nichts zu gewinnen, weil sich in Ermangelung einer Verletzung die Frage des Unterbleibens der Zurechnung bloß leichter Körperverletzungen bei Verwirklichung des Tatbestands nach § 205 Abs 1 StGB gar nicht stellt.
Mit Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) bringt der Nichtigkeitswerber vor, „in keinster Weise sexuell erregt" gewesen zu sein. Er gab in der Hauptverhandlung vom 28. Mai 2008 an, die Tat „aus Blödheit" begangen zu haben (ON 24 S 4), und konnte in der Hauptverhandlung vom 8. August 2008 auf die Frage, „warum sie das gemacht haben", keine Antwort geben (ON 30 S 4).
Damit wird - mit Ausnahme des hier nicht in Rede stehenden letzten Falls - kein Tatbestandselement des § 205 Abs 1 StGB angesprochen. Es ist nicht erforderlich, dass die geschlechtliche Handlung dem erregten Geschlechtstrieb des Täters entspringt (vgl Fabrizy StGB9 § 202 Rz 3). Der Beschwerde zuwider hindert auch die Tatverübung aus „Jux bzw Blödsinn" nicht die Beurteilung einer Handlung als solche geschlechtlicher Natur (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT III Vorbem §§ 201 ff RN 30).
In diesem Sinn nicht erörterungsbedürftig war die weiters relevierte Aussage des Erstangeklagten, Florian T*****, der sich übergeben hatte, in eine Seitenlage gebracht und sodann auf den Gesäßbacken und im Geschlechtsbereich bemalt zu haben (ON 2 S 37), weil entgegen der Rüge daraus keine zwingenden Rückschlüsse hinsichtlich des Sexualbezugs der inkriminierten Handlungen ermöglicht werden. Soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) die subjektive Tatseite unzureichend begründet ansieht, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Ableitung derselben aus den beschriebenen, gezielt (wenngleich neben der Beschmierung auch anderer Körperteile) gegen Genital- und Analbereich des Tatopfers gerichteten Handlungen (Bemalen, Schlagen gegen den Penis, Einklemmen eines Gegenstands im Gesäßbereich) und dem Fotografieren genau dieser Bereiche (US 9 f) logisch und empirisch korrekt und daher nicht willkürlich vorgenommen wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) knüpft mit ihrer Kritik an der Annahme einer geschlechtlichen Handlung lediglich am Bemalen von Penis und Hodensack sowie am Platzieren des Filzschreibers zwischen den Gesäßbacken an, blendet jedoch das mehrfache Schlagen des Filzstifts gegen den Penis des Opfers, was keine Erektion auslöste, sowie das anschließende Fotografieren das Unterleibs des Betrunkenen (US 6 f iVm US 2), aus. Mangels Festhaltens am gesamten Sachverhaltssubstrat der angefochtenen Entscheidung begibt sich der Beschwerdeführer dadurch einer Erledigung im Sinne der §§ 285c Abs 2, 286 ff StPO. Der Vollständigkeit halber (§ 290 Abs 1 Satz 2 erster Fall StPO) sei allerdings bemerkt:
Der vor allem in der Literatur durchaus schillernde Begriff der geschlechtlichen Handlung umfasst jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt. Entscheidend ist der objektive Sexualbezug, eine sexuelle Tendenz ist (mit gewissen gesetzlich normierten Ausnahmen) nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0078135, RS0113816, RS0095733, RS0095739; Schick in WK² § 202 Rz 9; Hinterhofer SbgK § 202 Rz 24; Kienapfel/Schmoller StudB BT III Vorbem §§ 201 ff Rz 28; Fabrizy StGB9 § 202 Rz 3).
Bei einer Gesamtbetrachtung der mehrfachen Angriffe gegen den Intimbereich des Tatopfers (Bemalen von Penis und Hodensack sowie Schlagen gegen den Penis) ergibt sich, dass im Gegenstand (nicht bloß flüchtige) Berührungen der zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörenden Körperpartien vorliegen, die objektiv sexueller Natur und mit einer unzumutbaren, sozialstörenden Rechtsgutbeeinträchtigung verbunden sind (zur Verwendung eines Gegenstands siehe JBl 1960, 260; 11 Os 4/05f, EvBl 2006/55, 294; Schick in WK² § 202 Rz 9; Fabrizy StGB9 § 202 Rz 3; Hinterhofer SbgK § 202 Rz 24; Kienapfel/Schmoller StudB BT III Vorbem §§ 201 ff Rz 33), mögen sie auch im Zusammenhang mit nicht sexualbezogenen Handlungen (hier Bemalen des übrigen Körpers des Opfers) stehen. Der Sexualbezug geht nicht verloren, wenn derlei Übergriffe (wie hier) aus Langeweile oder „aus Jux" gesetzt werden (dies zur Kritik von Schick in WK² § 205 Rz 13 an EvBl 1994/124).
Den Feststellungen zufolge hielten es beide Angeklagte zumindest ernstlich für möglich, dass sie „durch die beschriebenen Handlungen" zur unmittelbaren Geschlechtssphäre des Florian T***** gehörige Körperpartien sexualbezogen berühren (US 6 letzter Absatz). Demgemäß waren sämtliche „beschriebene Handlungen" (= US 6 vorletzter Absatz) vom gemeinsamen Tatvorsatz getragen.
Diese Konstatierung negiert der Einwand, der Erstangeklagte habe die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung nicht erkannt und sei daher einem Tatbildirrtum erlegen.
Auch die den Schuldausschließungsgrund nach § 9 StGB ins Treffen führende weitere Rechtsrüge (Z 9 lit b) ist einmal mehr inhaltlicher Erwiderung nicht zugänglich, weil sie mit der Spekulation, dem Beschwerdeführer sei aus jugendlichem Leichtsinn das Verbotene des Tuns nicht bewusst geworden, jeglichen Bezug zu den schöffengerichtlichen Sachverhaltsannahmen vermissen lässt. An fehlender Sachverhaltsorientierung leidet auch die eine Verurteilung nach § 83 Abs 2 StGB in Erwägung ziehende Subsumtionsrüge (Z 10), weil sie nicht erklärt, wie ein derartiger Schuldspruch in Ansehung einer nicht stattgefundenen Verletzung auf die tatrichterlichen Feststellungen gegründet werden könnte.
Zum Schuldspruch 3./:
Mit Rechtsrüge (Z 9 lit b) und auf eine Verurteilung bloß wegen § 125 StGB abzielender Subsumtionsrüge (Z 10) reklamiert der Beschwerdeführer den Strafaufhebungsgrund des freiwilligen Rücktritts vom Versuch für sich. Wiederum verfehlt er eine prozessordnungskonforme Darstellung materiell-rechtlicher Nichtigkeit, weil er - unter Vornahme eigenständiger Beweiswürdigung - die Urteilstatsache ignoriert, dass die Fensterscheibe aus Anlass des versuchten Aufzwängens des doppelflügeligen Fensters mit einem Schraubenzieher zerbarst und er aufgrund des dadurch verursachten Lärms die Flucht ergriff (US 7 sechster Absatz).
Diese Konstatierung lässt zur Annahme einer freiwilligen Abstandnahme von der Tatverwirklichung keinen Raum, ist Freiwilligkeit doch schon dann ausgeschlossen, wenn der Täter sich nach Misslingen des ursprünglichen - dem Tatplan entsprechenden - Vorhabens zur Erreichung des verbrecherischen Zieles zu einem neuen Unternehmen entschließen müsste (RIS-Justiz RS0090229; Fabrizy, StGB9 § 16 Rz 8). Bei einem durch Scheitern beendeten Versuch kommt ein Rücktritt schon begrifflich nicht in Betracht (Kienapfel/Höpfel AT12 Z 23 Rz 20 f; Hager/Massauer in WK² §§ 15, 16 Rz 157).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Linz zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Anmerkung
E9077412Os5.09sSchlagworte
Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inEvBl-LS 2009/139XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00005.09S.0326.000Zuletzt aktualisiert am
01.10.2009