Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. März 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab und Dr. T. Solé sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Srdjan A***** wegen Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 4. Juni 2008, GZ 410 Hv 2/08p-82, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Srdjan A***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (§ 83 Abs 1 StGB) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien Violeta A*****
1./ am 30. Oktober 2007 vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihr mit einem Schraubenzieher fünf Stiche in den Hals und einen Stich in den Bauch versetzte;
2./ in der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober 2007, indem er ihr einen Fußtritt gegen den Hals und mehrere Schläge gegen ihren Kopf, ihr Gesicht und ihren Körper, die Hämatome im Bereich des Kopfes, Gesichtes und Halses sowie eine offene Wunde im Bereich der rechten Oberlippe innen und der Unterlippe zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol und den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und in diesem Zustand die Tat begangen hat (die ihm außer diesem Zustand als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zugerechnet würde). Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellte Hauptfrage I./ nach dem Verbrechen des versuchten Mordes und die Hauptfrage II./ nach dem Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung bejaht; die zur Hauptfrage I./ gestellte Zusatzfrage 1./ nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB wurde verneint. Eventualfragen nach Begehung des versuchten Mordes im Zustand voller Berauschung (Eventualfrage 1./), versuchtem Totschlag (Eventualfrage 2./), absichtlicher schwerer Körperverletzung (Eventualfrage 4./) und Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (Eventualfrage 6./), ferner zu den Eventualfragen 2./, 4./ und 6./ jeweils gestellte Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB (Zusatzfragen 2./, 3./ und 4./) sowie Eventualfragen nach der Begehung der in den Eventualfragen 2./, 4./ und 6./ genannten Taten im Zustand voller Berauschung (Eventualfragen 3./, 5./ und 7./) blieben demgemäß unbeantwortet. Die zur Hauptfrage II./ gestellte Zusatzfrage 5./ nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB und die Eventualfrage 8./ nach Begehung des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB im Zustand voller Berauschung haben die Geschworenen bejaht.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 10, 12 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Unter dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund (Z 4) rügt der Beschwerdeführer mit Blick auf § 126 Abs 4 StPO, dass der psychiatrische Sachverständige Dr. P***** in der Hauptverhandlung vom 4. Juni 2008 das chemische Gutachten Dris. Sch***** (S 65 in ON 39) nicht mitberücksichtigt hat, wonach im Harn des Beschwerdeführers berauschende Substanzen festgestellt wurden, die in Beruhigungsmitteln eingesetzt werden, aber auch nach Aufnahme von Diazepam als dessen Stoffwechselprodukt in den Körperflüssigkeiten auftreten und sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken können. Dieses Vorbringen verkennt, dass nur der - hier nicht indizierte, vom Beschwerdeführer daher zutreffend auch nicht behauptete - Fall der Beiziehung eines im Sinne des § 47 Abs 1 StPO befangenen Sachverständigen unter Nichtigkeitssanktion steht (§ 126 Abs 4 zweiter Satz StPO). Die inhaltliche Kritik an der Sachkunde des Gutachters und am Inhalt der Expertise vermag hingegen Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO nicht zu begründen.
Als verfehlt erweist sich auch die unter Z 4 und Z 5, der Sache nach nur Z 5 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Kritik, die Abweisung des in der Hauptverhandlung vom 4. Juni 2008 vom Angeklagten gestellten Antrags auf Ladung des Sachverständigen Dr. Sch***** zur Gutachtenserörterung, insbesondere zur Frage, in welchem Ausmaß die Vergiftung im Körper durch psychotrope Stoffe zum Zeitpunkt der Tat gegeben war, zum Beweis dafür, dass der Angeklagte unter deren Einwirkung, Wechselwirkung und Turbulenzen in einem die Schuld ausschließenden Zustand war (S 93/II), entbehre einer nachvollziehbaren Begründung und sei zu Unrecht erfolgt. Der Beschwerdeführer verkennt nämlich, dass ein Beweisantrag neben Beweisthema und Beweismittel sowie der Relevanz des zu erwartenden Ergebnisses der Beweisaufnahme auch anzuführen hat, aus welchen Gründen erwartet werden könne, dass die Durchführung des beantragten Beweises auch tatsächlich das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben werde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327, 55; § 330 Abs 1 letzter Satz StPO). Fallbezogen ist aus der Antragstellung nicht erkennbar, aus welchem Grund der Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik sowie für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin Prim. Dr. Sch***** aus von ihm in seinem Zuständigkeitsbereich als gerichtlicher Sachverständiger im Harn des Beschwerdeführers identifizierten Wirkstoffen und aus deren Konzentration wissenschaftlich fundierte Angaben zur Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers tätigen könnte. Die Abweisung des vom Schwurgerichtshof demgemäß zutreffend als „nicht gesetzmäßig ausgeführt" bezeichneten (S 95 in ON 81) Beweisantrags erfolgte daher zu Recht. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde zum Beweisantrag nachgetragenen Erwägungen haben außer Betracht zu bleiben, weil bei Prüfung der Berechtigung des Antrags stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt seiner Stellung und den dabei vorgebrachten Gründen auszugehen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325). Im Übrigen fand das Gutachten Dris. Sch***** durch einvernehmlich erfolgten zusammenfassenden Vortrag (S 95 in ON 81) ohnedies in das Beweisverfahren Eingang. Der Sachverständige Dr. P*****, dem die im Harn festgestellten Substanzen und deren Wechselwirkungen mit Alkohol bekannt waren, führte aus, dass die Klärung der Konzentration dieser Medikamente - gemeint im Tatzeitpunkt durch Hochrechnung - angesichts der sehr individuellen Verarbeitung eines Medikaments im Körper schwierig sei. Er bestätigte auch, dass durch die Einnahme derartiger Substanzen die ursprüngliche Erregung erhöht werden könne (jeweils S 63 in ON 81). Weiters führte dieser Sachverständige aus, dass aus psychiatrischer Sicht keine Hinweise auf Störungen der psychophysischen Funktionen des Beschwerdeführers durch die Einnahme von Beruhigungs- bzw Schlafmitteln, auf eine morphologische Hirnschädigung oder eine Beeinträchtigung der cerebralen Funktionen unter anderem durch toxische Prozesse vorlägen (S 15 in ON 63). Damit ließ der psychiatrische Sachverständige das Gutachten Dris. Sch***** keineswegs außer Betracht und stützte lediglich sein Gutachten nicht auf die Höhe nachweisbarer Medikamentenabbauprodukte, sondern auf den von ihm erhobenen Bewusstseinszustand und die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten.
Nicht nachvollziehbar ist die mit Blick auf einen Verstoß gegen § 260 Abs 1 StPO geübte Kritik (Z 4), „die schriftliche Ausfertigung des Wahrspruchs der Geschworenen enthalte nicht den Vorwurf einer anderen Bestimmung als des § 15, 75 StGB und lässt vermuten, dass die rechtliche Belehrung nicht ausreichend erfolgte, da Faktum II./ nicht als versuchter Mord, sondern als § 83 Abs 1 StGB angeklagt wurde". Das angefochtene Urteil gibt nämlich sämtliche an die Geschworenen gestellten Fragen, darunter auch die (anklagekonforme) Hauptfrage I./ (US 2 f) nach dem Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und die (gleichfalls anklagekonforme) Hauptfrage II./ (US 10) nach dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, die oa Zusatz- und Eventualfragen, insbesondere jene zu II./ nach der Begehung des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB im Zustand voller Berauschung sowie deren Beantwortung bzw Entfall wieder. Der auf den Wahrspruch der Geschworenen gegründete Schuldspruch findet sich auf US 12 f und erfolgte entsprechend dem Wahrspruch wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (Punkt 1./) und wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB.
Nach dem im Hauptverhandlungsprotokoll Deckung findenden (S 103 in ON 81) Vorbringen des Beschwerdeführers erfolgte die Strafbemessung unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB, diese Bestimmung fand aber keine Aufnahme in den Urteilsspruch. Da § 260 Abs 1 Z 4 StPO nicht unter Nichtigkeitsdrohung steht, ist dies jedoch sanktionslos. Der aus den behaupteten Verstößen gegen § 260 Abs 1 StPO vom Beschwerdeführer gezogene Schluss auf eine unzureichende Rechtsbelehrung der Geschworenen ist rein spekulativ. Konkrete Kritikpunkte wegen unrichtiger oder unvollständiger Rechtsbelehrung, die im Übrigen mit Instruktionsrüge nach § 345 Abs 1 Z 8 StPO aufzuzeigen wären, werden vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Das Vorbringen ist sohin einer sachlichen Erwiderung nicht zugänglich.
In der Interrogationsrüge (Z 6) reklamiert der Nichtigkeitswerber, lediglich gestützt auf eine seiner Ansicht nach unbeachtet gebliebene, nicht näher zitierte Aussage des Opfers, wonach „die Verletzung durch die Ausführung eines Stichversuches mit dem Schraubenzieher unmöglich gewesen sei", dass beim Versuch „die Tauglichkeitsprüfung sowie die Bestimmung der Ausführungsnähe nach § 15 Abs 2 in die Schuldfrage aufzunehmen" seien. Sie verfehlt jedoch schon deshalb die prozessförmige Darstellung, weil die behauptete Aussage der Zeugin Violeta A***** dem Akt jedenfalls in dieser Form nicht zu entnehmen ist. Gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt jedoch die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragestellung und des sie indizierenden Tatsachensubstrats (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).
Im Übrigen beschrieb das Opfer vor der Polizei (S 419 in ON 21/Band I), vor dem Untersuchungsrichter (S 7 in ON 27/Band II) und in der Hauptverhandlung (S 51 in ON 81/Band II) im Wesentlichen gleichlautend, dass ihr die lebensbedrohlichen Verletzungen im Hals- und Kopfbereich vom Beschwerdeführer mit einem Schraubenzieher zugefügt wurden, er von ihr erst abließ, als sie sich tot stellte und es Srdjan A***** lediglich aufgrund einer von ihr getragenen dicken Lederjacke nicht gelungen ist, mit einem gegen ihren Bauch geführten Stich in ihren Körper einzudringen und sie durch diesen Angriff lediglich Kratzer erlitten hätte (S 419 in ON 21, S 7 in ON 27 und S 53 in ON 81).
Die Forderung nach einer das Vorliegen von Milderungsumständen betreffenden Zusatzfrage sowie nach Aufnahme von für die „Entscheidung über die Entschädigungsansprüche" wesentlichen Umständen in die Hauptfrage setzt sich darüber hinweg, dass - die hier nicht aktuellen Fälle der gesetzlich vorgesehenen strafsatzändernden Erschwerungs- oder Milderungsumstände (§ 316 StPO) ausgenommen - die unter anderem die Strafzumessungsgründe berücksichtigende Entscheidung über die Strafe und die Entscheidung über die Ansprüche der Privatbeteiligten von den Geschworenen nicht anhand von zu beantwortenden Fragen, sondern jeweils gemeinsam mit dem Schwurgerichtshof zu treffen sind.
Mit dem in der Tatsachenrüge (richtig: Z 10a) erhobenen Hinweis auf seine Verantwortung, er habe seiner Frau lediglich Schmerzen zufügen wollen und unter dem Druck der Scheidungsdrohung und des Streites sowie nach Einnahme mehrerer, die Aggression verstärkender und enthemmend wirkender Medikamente ein Blackout erlitten, unternimmt der Beschwerdeführer lediglich den Versuch, seiner von den Geschworenen verworfenen Verantwortung, nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt zu haben, zum Durchbruch zu verhelfen, vermag jedoch angesichts der Angaben des Opfers im Zusammenhalt mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P***** keine erheblichen Bedenken an der Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.
Die Subsumtionsrüge (Z 12) behauptet eine „unrichtige rechtliche Beurteilung des Berauschungszustands des Angeklagten durch psychotrope Stoffe bzw in Verbindung mit Alkohol" und fordert unter Berufung auf den Zweifelsgrundsatz „die Unterstellung auch des angeblich versuchten Mordes unter § 287 StGB". Damit hält sie nicht an der Gesamtheit der durch den Wahrspruch festgestellten Tatsachen fest und bringt die Subsumtionsrüge nicht prozessförmig zur Darstellung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613 iVm 581).
Letztlich versagt auch die einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot bzw eine Überschreitung der Strafbefugnis relevierende Strafzumessungsrüge (Z 13). Das Ersturteil geht nach dem maßgeblichen, mündlich verkündeten, sich insoweit aus S 103 in ON 81 ergebenden Wortlaut, auf den sich auch das Beschwerdevorbringen stützt, zutreffend von der Anwendung des § 28 Abs 1 StGB im Rahmen der Strafbemessung aus. Die erschwerende Wertung des Zusammentreffens mehrerer strafbarer Handlungen verstößt im Hinblick auf die - dem § 28 Abs 1 StGB zu Grunde liegenden Absorptionsprinzip Rechnung tragende - Strafzumessungsbestimmung des § 33 Z 1 StGB nicht gegen das in § 32 Abs 2 erster Satz StGB normierte Doppelverwertungsverbot (12 Os 134/07h, 13 Os 8/07m). Hingegen ist aus der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Entscheidung zu AZ 15 Os 1/93 für ihn nichts zu gewinnen, liegt dieser doch in Ansehung der abgeurteilten Delikte das Kumulationsprinzip nach § 28 Abs 2 StGB zu Grunde. Diese Bestimmung ist gegenständlich nicht anwendbar, weil für das zum Verbrechen des Mordes hinzutretende Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung keine gesonderte Strafe auszusprechen ist.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
Anmerkung
E9052412Os154.08aEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00154.08A.0326.000Zuletzt aktualisiert am
22.05.2009