Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Gregor B*****, geboren am 1. September 1991, Agnes B*****, geboren am 26. Juni 1995, und Dominik B*****, geboren am 2. Juli 1997, wegen § 111 Abs 2 JN, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 6. Oktober 2008, GZ 4 P 102/07h-U36, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Hernals wird genehmigt.
Text
Begründung:
Die im Spruch genannten Minderjährigen wuchsen gemeinsam mit ihrem am 10. 10. 1992 geborenen Bruder Raphael bei ihren Eltern in deren Ehewohnung in Lambichl, Kärnten, auf. Nach der am 10. 9. 2007 erfolgten Scheidung der Eltern wurde die Mutter mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 11. 9. 2007 mit der Obsorge für alle vier Kinder betraut. Während die Mutter Ende des Jahres 2007 mit Gregor, Agnes und Dominik nach Wien 16 übersiedelte, lebt Raphael seither in einer Wohnung seines Vaters in Wien 5. Mit Beschluss vom 27. 2. 2008 entzog das Bezirksgericht Klagenfurt der Mutter die Obsorge für Raphael und übertrug sie dem Vater.
Mit Beschlüssen vom 6. 10. 2008 übertrug das Bezirksgericht Klagenfurt die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN hinsichtlich Raphael an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien und hinsichtlich Gregor, Agnes und Dominik an das Bezirksgericht Hernals. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien übernahm die Zuständigkeit mit Beschluss vom 10. 10. 2008. Das Bezirksgericht Hernals lehnte hingegen die Übernahme des Aktes mit dem Hinweis auf einen seit 4. 10. 2007 offenen Unterhaltsfestsetzungsantrag der Mutter und den ebenfalls noch unerledigten Antrag des Vaters auf Aufhebung der in Ansehung aller vier Kinder gegen ihn erlassenen einstweiligen Verfügung gemäß § 382a EO ab. Außerdem sei aktenkundig, dass sich mittlerweile auch Gregor (laut Auskunft des Vaters seit 19. 9. 2008; laut Auskunft des Jugendwohlfahrtsträgers seit November 2008) nicht mehr im Sprengel des Bezirksgerichts Hernals sondern, wie sein Bruder Raphael, beim Vater in Wien 5 aufhalte. Da die Pflegschaftssache für Raphael bereits beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien geführt werde und die Pflegschaftsakten von Geschwistern nicht getrennt werden sollten, sei eine Übertragung der Zuständigkeit für zwei oder drei der vier Kinder an das Bezirksgericht Hernals nicht zweckmäßig.
Daraufhin legte das Bezirksgericht Klagenfurt, dessen Übertragungsbeschluss unbekämpft in Rechtskraft erwachsen war, die Akten gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist zu genehmigen.
Wenn dies im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium für eine Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist stets das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (8 Nc 2/08i; 9 Nc 14/08w uva). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RIS-Justiz RS0047032).
Im vorliegenden Fall ist weder ein besonderer Vorteil aus der weiteren Sachbearbeitung durch das bisherige Pflegschaftsgericht zu erwarten, noch sprechen Gründe des Kindeswohls dafür, dass die Pflegschaftssache weiterhin von diesem Gericht geführt werden soll. Nach der Aktenlage hält sich keiner der Beteiligten mehr in Kärnten auf. Alle Kinder und die Mutter wohnen in Wien; der Vater, der auch in Tirol einen Wohnsitz hat, bezeichnet die Wohnung in Wien 5 als seine „hilfsweise" Wohnadresse. Das Bezirksgericht Klagenfurt hat ferner zu den Unterhaltsfestsetzungsanträgen der Mutter und zum Antrag des Vaters auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gemäß § 382a EO (vgl § 399a Abs 2 und 3 EO) bisher noch keine Erhebungen gepflogen. Es hat sich somit noch keine Sachkenntnisse verschafft, die eine Entscheidung durch dieses Gericht als sinnvoll angezeigt erscheinen ließen.
Nun trifft es wohl zu, dass eine Aufsplitterung des Pflegschaftsverfahrens für mehrere Kinder aus einer Ehe nach Tunlichkeit vermieden werden soll, weil es in der Regel zweckmäßig ist, wenn die Pflegschaft bei einem Gericht geführt wird (6 Nc 10/05f mwN). Eine solche Aufsplitterung wurde hier aber durch die getrennten Übertragungsbeschlüsse des Bezirksgerichts Klagenfurt und den Übernahmebeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien betreffend Raphael bereits herbeigeführt. Sie könnte auch durch eine Versagung der Genehmigung der hier zu beurteilenden Zuständigkeitsübertragung nicht vermieden werden, hätte dies doch nur zur Konsequenz, dass die Zuständigkeit beim übertragenden Gericht verbliebe. Es ist nach den dargelegten Umständen aber nicht zweifelhaft, dass die Führung der Pflegschaftssache durch das Bezirksgericht Hernals, in dessen Sprengel zumindest zwei der vier Kinder ihren Wohnsitz haben, dem Kindeswohl eher förderlich ist, als die Belassung der Zuständigkeit beim übertragenden Gericht. Dies gilt auch für den bald volljährigen ältesten Sohn Gregor, mag dieser in der Zwischenzeit auch im Sprengel des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien wohnhaft sein. Die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Hernals ist daher in Ansehung aller drei Kinder zu genehmigen.
Anmerkung
E904452Nc1.09hEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0020NC00001.09H.0327.000Zuletzt aktualisiert am
14.05.2009