Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Prim. Univ.-Doz. Dr. Robert S*****, 2. Mag. Ursula S*****, 3. Sophie Patrizia S*****, und 4. Tobias Michael S*****, alle wohnhaft in *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Blum, Mag. Johannes Blum und MMag. Dr. Markus Hagen, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei ***** T***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Stephan Podiwinsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Feststellungsinteresse je klagende Partei 10.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. September 2008, GZ 2 R 109/08a-60, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. Februar 2008, GZ 14 Cg 12/07k-56, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Erstkläger war im Oktober 1999 Mieter einer im zweiten Stock eines Hauses gelegenen Wohnung, die er gemeinsam mit seiner Gattin (der Zweitklägerin) und seiner Tochter (der Drittklägerin) bewohnte. Die Zweitklägerin war damals mit dem Viertkläger schwanger. Die Beklagte führte am 18. Oktober 1999 im Auftrag einer (anderen) Mieterin in deren Kellerabteil Sanierungsarbeiten durch. Im Zuge dieser Arbeiten wurden die Ziegelwände des Kellerabteils mit einem bestimmten Klinkeröl eingelassen.
Die Kläger begehrten mit ihrer am 15. November 2004 eingelangten Klage, es möge festgestellt werden, dass die Beklagte für sämtliche Schäden und sonstigen Folgen aus der Verwendung des Klinkeröls am 18. Oktober 1999 hafte. An diesem Tag sei ein beißender Lösungsmittelgestank schon im Stiegenhaus wahrnehmbar gewesen, dessen Ursache in den im Keller des Wohnhauses ausgeführten Renovierungsarbeiten gelegen gewesen sei. Bei diesen Arbeiten seien insgesamt 40 l Klinkeröl verwendet worden, was das Zehnfache der vorgeschriebenen und erforderlichen Menge dargestellt habe. Der Keller sei nicht entlüftet worden, sodass toxische Gase verblieben seien. In ihrer Wohnung seien - trotz intensiver Lüftungsmaßnahmen - noch nach mehreren Tagen Aromate und Lösungsmittel in deutlichen Mengen festgestellt worden. Im Harn der Zweit- und Drittklägerin seien noch Tage nach dem Vorfall Abbauprodukte von Benzol enthalten gewesen. Aufgrund des Vorfalls seien gesundheitliche Schäden in Form von Krebs nicht ausschließbar, ebenso chronisch auftretende Folgeschäden, deren Art und Umfang noch nicht bekannt sei. Der zwischen der Mieterin und der Beklagten abgeschlossene Werkvertrag entfalte Schutzwirkungen zugunsten der Kläger, sodass die Beklagte für ein Verschulden jenes Mitarbeiters, der das Klinkeröl verarbeitet hatte, gemäß § 1313a ABGB wie für eigenes Verschulden einzustehen habe. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten habe sich geweigert, die Schadenersatzansprüche der Kläger anzuerkennen, sodass ein aktueller Anlass zur Klärung des Anspruchs bestehe.
Die Beklagte wendete ein, ihr Mitarbeiter habe die Verarbeitung des Klinkeröls sach- und fachgerecht vorgenommen; es sei nur die erforderliche Menge verwendet worden. Es bestehe kein Verbot, das Produkt in Innenräumen zu verwenden. Bei der Verarbeitung sei nicht einmal Atemschutz erforderlich. Weder die Beklagte noch ihr Mitarbeiter hätten Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den Klägern schuldhaft verletzt. Messungen des Instituts für Raumbiologie hätten ergeben, dass die Belastungen in der Wohnung der Kläger nicht einmal die unterste Grenze der Richtwerte erreicht hätten und dass die gesetzlichen Richtwerte nicht überschritten worden seien. Es wurde bestritten, dass durch die Arbeiten eine Gesundheitsschädigung eingetreten sei, eine solche drohe oder Spätfolgen auftreten könnten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus traf es folgende wesentliche Feststellungen:
Durch die Anwendung des Klinkeröls kam es zum Entweichen flüchtiger Kohlenwasserstoffe, wobei die in Österreich gültigen wirkungsbezogenen Innenraumrichtwerte für Tetrachlorethen, Styrol und Toluol unterschritten wurden. Der Erstkläger sowie die Zweit- und Drittklägerin gaben am 19. Oktober 1999 sowie am 30. Oktober 1999 bei einem Labor Harnproben ab. Die Untersuchungen ergaben, dass bei der ersten Probe sowohl bei der Zweit- als auch bei der Drittklägerin geringe Mengen von Abbaustoffen aus der Aufnahme von flüchtigen Kohlenwasserstoffen gefunden wurden. Bei der zweiten Probe war dies ausschließlich bei der Drittklägerin der Fall. Bis dato ist noch kein (feststellbarer) Schaden eingetreten. Die Wahrscheinlichkeit, eine überwiegende Kausalität zwischen einer möglichen, später eintretenden Krebserkrankung und der erfolgten Exposition hinsichtlich flüchtiger Kohlenwasserstoffe im Jahr 1999 zu finden oder mit wissenschaftlichen Methoden nachzuweisen, ist als gering einzustufen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die von der Beklagten vorgenommenen Arbeiten für etwaige zukünftige Erkrankungen der Kläger ursächlich bzw mit diesen in Zusammenhang zu bringen sind. Als der Klagevertreter die Beklagte am 12. Februar 2004 (erstmals) aufforderte, die Haftung für sämtliche Schäden und sonstigen Folgen aus dem Vorfall vom 18. Oktober 1999 anzuerkennen, lehnte sie dies ab und bestritt die Ansprüche der Kläger.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Feststellungsklage sei grundsätzlich zulässig, auch wenn bislang noch kein feststellbarer Schaden eingetreten sei. Bei einem Feststellungsbegehren betreffend die Haftung für künftige Schäden müssten aber alle Anspruchsvoraussetzungen feststehen, wozu auch die Kausalität zähle. Ein Zusammenhang zwischen künftigen Erkrankungen der Kläger und den von der Beklagten durchgeführten Arbeiten könne jedoch nicht festgestellt werden. Damit mangle es an der für die Feststellung einer Haftung der Beklagten erforderlichen Kausalität.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens auf. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Aufgrund einer irrigen Rechtsansicht habe das Erstgericht keine für die Abweisung des Klagebegehrens tragfähigen Feststellungen getroffen. Werde die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt, könne sich die Feststellung notwendigerweise nur auf jene des haftungsbegründenden Verhaltens, nicht aber auf die Feststellung eines in Zukunft konkret zu erwartenden Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs beziehen. Dass die Kläger im zukünftigen Leistungsprozess neben dem Eintritt des Schadens auch den Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und dem Schadenseintritt beweisen müssten, vermöge ihnen nicht das Feststellungsinteresse zu nehmen. Wie sich aus den Feststellungen ergebe, bleibe die Möglichkeit offen, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt verursachen könnte, was für die Bejahung des Feststellungsinteresses ausreiche. Daraus folge, dass die vom Erstgericht getätigte Ausführung, ein Zusammenhang zwischen künftigen Erkrankungen der Kläger und den von der Beklagten durchgeführten Arbeiten sei (derzeit) nicht feststellbar, keine tragfähige Begründung für die Abweisung des Feststellungsbegehrens darstelle. Seien künftige Schadensfolgen nicht mit der in der Medizin möglichen Sicherheit auszuschließen, seien ergänzende Feststellungen erforderlich, um beurteilen zu können, ob die Beklagte bzw ihre Erfüllungsgehilfen in der von den Klägern behaupteten Weise rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hätten. Die Klagsforderung sei auch nicht verjährt.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Aufhebungsbeschluss gerichtete Rekurs der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Ein Rechtsverhältnis im Sinn des § 228 ZPO kann auch im Bestehen einer Schadenersatzpflicht liegen. Während die frühere Judikatur das Interesse an der Feststellung für die Haftung künftiger Schäden nur dann zuerkannte, wenn bereits ein (Teil-)Schaden eingetreten war (siehe die ersten Entscheidungen in RIS-Justiz RS0040838), wurde in der Folge darauf abgestellt, dass zwar der Eintritt eines Schadens nicht erforderlich sei, aber schon derart schadensträchtige Vorfälle vorgekommen sein müssten, dass der Schadenseintritt eher zufällig unterblieben sei und sich derartige Vorfälle mit möglichen Schäden jederzeit wiederholen könnten (SZ 56/38). Auch wenn sich die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens nach der gesetzlichen Regelung in § 228 ZPO auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines „gegenwärtigen" Rechtsverhältnisses oder Rechts beschränkt, lässt die herrschende Judikatur unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr auch die Feststellung einer (allfälligen) Ersatzpflicht für künftige Schäden aus einem bestimmten (zumindest potentiell schädigenden) Ereignis zu, wenn - wie hier - noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist (1 Ob 237/08x; 6 Ob 335/00h; vgl die Nachweise bei Rechberger/Klicka in Rechberger3, § 228 ZPO Rz 5; kritisch Fasching in Fasching/Konecny2, § 228 ZPO Rz 58).
Das vom Gesetz geforderte rechtliche Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Feststellung wird in diesem Zusammenhang nicht nur dann bejaht, wenn ohne gerichtliche Geltendmachung die Verjährung zukünftiger Schadenersatzansprüche drohte, sondern ausnahmsweise auch dann, wenn - ohne Verjährungsrisiko - eine zeitnahe Klärung bestimmter Umstände, die für denkbare zukünftige Schadenersatzansprüche von Bedeutung sein können, objektiv zweckmäßig erscheint (1 Ob 237/08x; 8 Ob 73/07d; RIS-Justiz RS0038976). Letztere Voraussetzung ist gegeben. In Fällen, in denen das Auftreten einer (Krebs-)Erkrankung als Folge des schädigenden Ereignisses nicht mit der in der Medizin möglichen Sicherheit ausschließbar ist, wird von der nunmehr herrschenden Rechtsprechung ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung einer (potentiellen) Haftung für zukünftige Schäden grundsätzlich bejaht (RIS-Justiz RS0038976). Kann aufgrund des bestreitenden Verhaltens der Beklagten eine erhebliche objektive Ungewissheit durch die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils beseitigt werden, reicht dies bereits aus, um ein vorbeugendes Rechtsschutzbegehren als zulässig zu erachten (Fasching, Lehrbuch² Rz 1096, 1098; Rechberger/Klicka in Rechberger3, § 228 ZPO Rz 7). Außerdem lassen sich nur mittels Feststellungsklage erhebliche Beweisschwierigkeiten bei der Feststellung des einen Schaden verursachenden Ereignisses, des rechtswidrigen Verhaltens und des Verschuldens vermeiden, die einträten, wenn die Leistungsklage erst nach dem tatsächlichen Eintritt einer (Krebs-)Erkrankung erhoben würde. Insofern besteht ein „Beweissicherungsinteresse" der Kläger. Die Bejahung des rechtlichen Interesses an der Feststellung entspricht in diesen Fällen dem prozessökonomischen Zweck des Feststellungsbegehrens, präventiv die Sach- und Rechtslage dort zu klären, wo ein von der Rechtsordnung anerkanntes Bedürfnis zur Klärung streitiger Rechtsbeziehungen besteht, sei es um weitere Streitigkeiten zu vermeiden, sei es um durch Klärung der Haftungsfrage eine brauchbare Grundlage für weitere Entscheidungen zu schaffen (RIS-Justiz RS0037422; 1 Ob 237/08x; SZ 56/38). Wären die Kläger auf die Leistungsklage als später mögliches Vorgehen verwiesen, wäre ihre rechtliche Position verschlechtert.
Da die Kläger aufgrund des Ereignisses vom 18. Oktober 1999 noch keine (feststellbare) Gesundheitsschädigung erlitten haben, kann sich die Feststellung notwendigerweise nur auf das haftungsbegründende Verhalten, nicht aber auf das Bestehen eines Kausalzusammenhangs in Ansehung einer Gesundheitsschädigung bzw allfälliger in Zukunft zu erwartender Erkrankungen bzw Schäden beziehen (RIS-Justiz RS0038915). Sollte in Zukunft eine (Krebs-)Erkrankung tatsächlich auftreten, müssten die Kläger demnach - ungeachtet eines allfälligen Feststellungsurteils - im Leistungsprozess den Kausalzusammenhang zwischen dem 1999 stattgefundenen Schadensereignis und der Erkrankung unter Beweis stellen (1 Ob 25/91 = JBl 1992,253; SZ 61/43 uva). Allein der Umstand, dass sich der Kausalitätsbeweis nach dem derzeitigen Wissensstand infolge zwischenzeitigen Hinzukommens einer Vielzahl anderer möglicherweise krebserregender Umwelteinflüsse schwierig gestalten wird bzw wenig aussichtsreich erscheint, kann aber nicht dazu führen, den Klägern das Interesse an der begehrten Feststellung abzusprechen. Auch die zwischen dem (angeblich) schädigenden Ereignis und der Einbringung der Feststellungsklage liegende lange Zeitspanne bewirkt nicht, dass den Klägern das rechtliche Interesse an der Feststellung der (potentiellen) Haftung für zukünftige Schäden genommen wäre, zumal die Beklagte nach wie vor die Berechtigung eines Schadenersatzanspruchs bestreitet (vgl RIS-Justiz RS0032800).
2. Feststellungsansprüche sind, weil sie im Prozessrecht (§ 228 ZPO) wurzeln, grundsätzlich unverjährbar, doch besteht an der Feststellung eines verjährten Rechts im Allgemeinen kein rechtliches Interesse (2 Ob 105/05p mwN; RIS-Justiz RS0034403; M. Bydlinski in Rummel3 ABGB § 1479 Rz 1). Es ist daher zu prüfen, ob die dem Feststellungsbegehren zugrunde liegende (allfällige) Schadenersatzforderung bereits verjährt wäre. Nun wurde in der Entscheidung des verstärkten Senats zu 1 Ob 621/95 (= SZ 68/238) bereits ausgesprochen, dass die kurze Verjährung von Ersatzansprüchen (§ 1489 erster Satz ABGB) nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt. Da hier ein (Erst-)Schaden noch gar nicht eingetreten ist, wurde der Lauf der Verjährungsfrist auch nicht in Gang gesetzt. Wäre ein Schaden („Erstschaden") bereits eingetreten und wäre schon in diesem Zeitpunkt mit künftigen Schäden wahrscheinlich zu rechnen bzw deren Eintritt voraussehbar gewesen, hätte die Verjährungsfrist im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zu laufen begonnen (1 Ob 199/00x; 2 Ob 259/01d). Unter diesen Voraussetzungen hätte zur Vermeidung der Verjährung von Folgeschäden die Feststellungsklage innerhalb der für den „Erstschaden" bestehenden Verjährungszeit eingebracht werden müssen (2 Ob 188/00m; Fasching in Fasching/Konecny2 § 228 ZPO Rz 150). Dies war aber hier nicht der Fall. Demnach geht der Verjährungseinwand der Beklagten ins Leere.
3. Entscheidungswesentlich ist daher tatsächlich, ob die Beklagte bzw deren Erfüllungsgehilfen im Zuge der Sanierungsarbeiten vom 18. Oktober 1999 rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Dazu fehlen - wie schon das Berufungsgericht ausführte (Seite 12 f dessen Entscheidung) - die nötigen Feststellungen, die nachzuholen sind.
Der Rekurs der Beklagten erweist sich somit als nicht berechtigt.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E90616European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00004.09H.0331.000Im RIS seit
30.04.2009Zuletzt aktualisiert am
29.10.2010