TE OGH 2009/3/31 1Ob209/08d

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Veröffentlicht am 31.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. Maria H*****, 2. mj. Sophie H*****, und 3. mj. Claus H*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses dieser Personen, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Mai 2008, GZ 43 R 320/08i-U22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 22. Februar 2008, GZ 35 P 134/06i-U14, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Die Kinder leben in gemeinsamer Obsorge ihrer Mutter und ihres Vaters. Sie halten sich überwiegend bei der Mutter auf. Der Vater betreute alle drei Kinder im Jahr 2006 an jedem zweiten Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagabend sowie Sophie und Claus außerhalb der Sommerferien jeden Mittwochnachmittag bis Donnerstag früh. Im Jahr 2007 betreute der Vater Sophie und Claus jeden zweiten Freitagnachmittag bis Sonntagabend sowie bis Juni 2007 jeden Mittwochnachmittag bis Donnerstag früh. Seit September 2007 betreut er Claus jeden Mittwochnachmittag bis Donnerstag früh. Hinzu kommen ausgedehnte gemeinsame Ferien.

Der Vater leistete - aufgrund einer Trennungsvereinbarung aus dem Jahr 2002 - ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von monatlich 5.975,52 EUR im Jahr 2000, für alle drei Kinder gemeinsam Unterhalt von monatlich 2.510 EUR. Ab August 2006 setzte er diese Unterhaltszahlungen auf monatlich 2.024 EUR bzw ab 1. 12. 2006 auf 2.080 EUR herab. Er bezog im Jahr 2006 ein unselbständiges Durchschnittsnettoeinkommen von 54.073,55 EUR und Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 42.035,29 EUR, insgesamt daher 96.108,84 EUR.

Die Antragsteller begehrten, den Vater ab 1. 8. 2006 zur Leistung von monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 950 EUR bzw 830 EUR je Kind zu verpflichten. Er zahle nun weniger Unterhalt als in den vorangehenden Jahren, obwohl sein Einkommen gestiegen sei und die Kinder älter geworden seien.

Der Vater sprach sich gegen den Unterhaltsfestsetzungsantrag aus, da keine hinreichenden Gründe für die Zuerkennung von Unterhalt über den zweieinhalbfachen Regelbedarf hinaus gegeben seien. Er habe überdies zahlreiche zusätzliche Aufwendungen für die Kinder getätigt und übe sein Besuchsrecht in einem die übliche Zeit übersteigenden Maße aus, was eine Reduktion des Unterhaltsanspruchs rechtfertige. Das Erstgericht verpflichtete den Vater unter Anrechnung der von ihm bereits erbrachten Leistungen von insgesamt 39.296 EUR zur Zahlung folgender monatlicher Unterhaltsbeiträge:

Für Maria vom 1. 8. 2006 bis 30. 6. 2007 925 EUR und ab 1. 7. 2007 942,50 EUR;

für Sophie vom 1. 8. 2006 bis 30. 6. 2007 787,50 EUR, vom 1. 7. 2007 bis 30. 9. 2007 802,50 EUR, und ab 1. 10. 2007 942,50 EUR;

für Claus vom 1. 8. 2006 bis 30. 6. 2007 787,50 EUR und ab 1. 7. 2007 802,50 EUR.

Das Mehrbegehren wies es ab.

Das Rekursgericht wies den Unterhaltsfestsetzungsantrag zur Gänze ab und sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Nur bei einer Unterschreitung der gesetzlichen Unterhaltspflicht hätten die Kinder ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Unterhaltsfestsetzung. Aufgrund des hohen Einkommens des Vaters sei nicht mit der „Prozentsatzmethode" vorzugehen, sondern vom Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs auszugehen. Dieses ergebe sich im hier relevanten Zeitraum ab 1. 8. 2006 mit 945 EUR (Maria und Sophie) bzw 805 EUR (Claus). Durch die Berücksichtigung der sogenannten Transferleistungen vermindere sich der monatliche Unterhaltsanspruch auf 796 EUR bis 678 EUR, somit insgesamt auf 2.270 EUR. Weiters mindere die überdurchschnittliche Betreuungsleistung des Vaters den Unterhaltsanspruch um - hier angemessene - etwa 10 % womit der gesetzlich vorgesehene, den Kriterien des § 140 ABGB entsprechende und im konkreten Fall angemessene Unterhalt etwa dem tatsächlich vom Vater bereits bisher geleisteten Unterhalt entspreche. Daraus folge, dass der Vater seiner Unterhaltsverpflichtung hinreichend nachgekommen sei. Da sich aus dem Akt nicht der geringste Hinweis ergebe, dass der Vaters diese Leistungen nicht weiterhin erbringen werde, sei der Unterhaltsfestsetzungsantrag mangels Unterhaltsverletzung abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Kindern dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen darf nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die Angemessenheitsgrenze des § 140 ABGB hinaus zu alimentieren. Bei einem überdurchschnittlichen Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist die Prozentkomponente daher nicht voll auszuschöpfen. Wo die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltspflichtigen angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Maßgebend ist hiebei die Verhinderung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung. Jede (deutliche) Abweichung vom Ergebnis der Prozentsatzmethode bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Einer Begründung bedarf dann aber auch die Setzung des Unterhaltsstopps im jeweiligen Einzelfall; die bloße Angabe eines bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs als starre Rechengröße genügt hingegen nicht (Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 252 mwN; RIS-Justiz RS0007138; RS0047424). Den Unterhaltspflichtigen trifft die Beweislast für die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände (RIS-Justiz RS0006261).

2. Im vorliegenden Fall gingen die Vorinstanzen im Sinne einer starren Begrenzung vom Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs aus, ohne eine individuelle Bewertung der Angemessenheitsgrenze vorzunehmen. Es fand auch der Umstand keinerlei Beachtung, dass der Vater bis Mitte 2006 jahrelang - bei geringerem Einkommen und jüngerem Alter der Kinder - höhere Unterhaltsbeiträge leistete, womit er einen gewissen „Standard" schuf, der nun - auch aufgrund des höheren Alters der Kinder - beträchtlich unterschritten würde und fraglich erscheinen ließe, ob die Weiterzahlung (zumindest) des vormals geleisteten Betrags tatsächlich zu einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung führte. Tatsächlich ist auch nicht einzusehen, warum die Zahlung eines monatlichen Unterhalts von insgesamt (für alle drei Kinder) maximal nicht einmal 2.700 EUR betragenden Unterhalts (ab 1. 8. 2006) monatlich „pädagogisch schädlich" sein sollte, wenn der Vater freiwillig bereits ab 2002 einen monatlichen Unterhalt von 2.510 EUR insgesamt geleistet hat. Der Vater begründete seine Ansicht, dass der Zuspruch von Unterhalt jenseits des zweieinhalbfachen Regelbedarfs einer pädagogisch zu vermeidenden Überalimentierung gleichkomme, im Wesentlichen damit, dass er ohnehin für die gemeinsamen Urlaube aufkomme. Dies stellt aber keine taugliche Begründung dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die vom Vater jahrelang geleisteten - allenfalls betraglich über der gesetzlichen Verpflichtung liegenden - Unterhaltszahlungen den Kindern einen - den Lebensverhältnissen des Vaters entsprechenden - angemessenen Lebensstandard schufen, von dem abzugehen schon im Hinblick auf die noch wesentlich verbesserte Einkommenssituation des Vaters kein Anlass besteht. Ob die seinerzeitige „Trennungsvereinbarung" im Hinblick auf den Kindesunterhalt pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurde oder nicht, ist für die nunmehrige Unterhaltsbemessung ohne Bedeutung.

Die Ausübung eines 14-tägigen Wochenendbesuchsrechts samt halbtägiger Betreuung einmal pro Woche stellt noch keine über das übliche Besuchsrecht gravierend hinausgehende Betreuungsleistung dar. Überdies wäre insoweit nicht von den Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen, sondern ausschließlich von den ersparten Aufwendungen der Mutter auszugehen (6 Ob 20/97b).

Unter Bedachtnahme auf diese Erwägungen ergibt sich - auch unter Berücksichtigung der sogenannten Transferzahlungen - ein angemessener Unterhalt für die drei Kinder, der den vom Erstgericht festgesetzten Beträgen entspricht. Der angefochtene Beschluss ist daher dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Anmerkung

E906081Ob209.08d

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inJus-Extra OGH-Z 4671XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00209.08D.0331.000

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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