TE OGH 2009/3/31 1Ob154/08s

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Veröffentlicht am 31.03.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Karl T*****, vertreten durch Laurer & Arlamovsky Rechtsanwalts-Partnerschaft GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 7.592,40 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. April 2008, GZ 14 R 24/08i-27, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7. August 2007, GZ 33 Cg 21/06k-14, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 618,56 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger stand bis 31. 12. 2002 als technischer Angestellter in einem Vollbeschäftigungsverhältnis und war ab 1. 1. 2003 beim selben Dienstgeber geringfügig beschäftigt. Am 2. 1. 2003 erkundigte er sich beim AMS über seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und erhielt ein Antragsformular ausgehändigt. Als Frist für die Abgabe des ausgefüllten Formulars wurde ihm der 12. 2. 2003 genannt. Am 11. 2. 2003 reichte er den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld ein. Gemeinsam mit dem Antrag legte er eine Arbeitsbescheinigung seines Dienstgebers und einen Dienstvertrag über die geringfügige Beschäftigung ab 1. 1. 2003 vor.

Mit Mitteilung vom 17. 2. 2003 wurde dem Kläger Arbeitslosengeld mit Anfallstag 6. 3. 2003 bis 3. 3. 2004 zuerkannt. Mit Bescheid vom 23. 4. 2004 widerrief das AMS den Bezug des Arbeitslosengelds für den genannten Zeitraum bzw berichtigte die Bemessung rückwirkend. Es sah von der Rückforderung des insgesamt ausbezahlten Betrags von 11.464,89 EUR ab. Gemäß § 24 Abs 2 AlVG sei die Zuerkennung zu widerrufen, wenn diese oder die Bemessung des Arbeitslosengelds gesetzlich nicht begründet sei. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Kläger seit 1. 6. 2002 laufend in einem Dienstverhältnis zum selben Arbeitgeber stehe, weshalb Arbeitslosigkeit nicht vorliege. Der dagegen erhobenen Berufung gab das AMS Wien durch den zuständigen Leistungsausschuss keine Folge.

Der Kläger begehrte 7.592,40 EUR und in eventu die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle finanziellen Schäden, die ihm dadurch entstünden, dass für den Zeitraum der Aberkennung des Arbeitslosengelds Pensionsversicherungsmonate unabänderlich als neutrale Zeiten verblieben und nicht in Beitrags- oder Ersatzzeiten umgewandelt werden könnten. Der eingeklagte Betrag sei notwendig für die Kosten des Nachkaufs von 12 Monaten (Schulzeiten) in der Pensionsversicherung. Der zuständige Sachbearbeiter in der AMS-Geschäftsstelle habe ihm die Auskunft erteilt, dass er ab März 2003 Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Dementsprechend sei auch am 17. 2. 2003 eine Mitteilung über den Leistungsanspruch ausgestellt worden. Da er seine geringfügige Beschäftigung zum selben Dienstgeber nahtlos an das Vollbeschäftigungsverhältnis anschließend eingegangen sei, habe er gemäß § 12 Abs 3 AlVG nicht als arbeitslos gegolten. Dafür wäre eine Unterbrechung zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen von mindestens einem Monat erforderlich gewesen. Er habe den Sachbearbeiter des AMS umfassend über den tatsächlichen Sachverhalt informiert. Dieser habe ihm die falsche Auskunft erteilt, dass bei dieser Konstellation Arbeitslosigkeit gegeben sei. Wäre der Kläger richtig informiert worden, hätte er die Möglichkeit gehabt, sein Beschäftigungsverhältnis noch mit Wirkung vor April 2003 zu lösen und allenfalls nach Abwarten der Frist von einem Monat ein neues, geringfügiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen, um so den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu wahren. Es sei ihm zwar durch den zu Unrecht zuerkannten Bezug von Arbeitslosengeld kein Vermögensschaden entstanden; ein solcher resultiere aber aus der Anwendung des § 227 Abs 1 Z 5 ASVG, wonach nur Zeiten, in denen rechtmäßige Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen würden, Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung seien. Erst nach Einholung eines Versicherungsdatenauszugs im April 2006 habe der Kläger erfahren, dass seine früheren Versicherungsdatenauszüge, denen zufolge er für diesen Zeitraum Ersatzzeiten erworben habe, rückwirkend zu seinen Ungunsten abgeändert worden seien.

Die Beklagte wendete ein, dem Kläger sei irrtümlich Arbeitslosengeld ab 6. 3. 2003 zuerkannt worden. Wenn der Kläger behaupte, bei seiner Antragstellung nicht richtig informiert worden zu sein, und er hätte bei richtiger Auskunftserteilung den „den Leistungsbezug ausschließenden Sachverhalt geändert", fordere er letztendlich eine Anleitung zum Leistungsmissbrauch. Ein derartiger Sinn könne der Auskunftspflicht aber nicht unterstellt werden. Durch die irrtümliche und nachträglich widerrufene Zuerkennung des Arbeitslosengelds sei dem Kläger ein unberechtigter Vermögenszuwachs in Höhe von 11.464,89 EUR entstanden. Dieser Betrag wurde als Gegenforderung eingewendet.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Schon nach dem Vorbringen des Klägers selbst sei er nicht arbeitslos im Sinne des AlVG gewesen. Arbeitslos sei, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden habe. Der Kläger habe sein Vollbeschäftigungsverhältnis gelöst und sofort beim selben Dienstgeber ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis begonnen, woraus folge, dass er nicht arbeitssuchend und daher auch nicht arbeitslos gewesen sei. Der Kläger mache im Amtshaftungsverfahren geltend, dass man ihm die Möglichkeit zum Leistungsmissbrauch hätte einräumen müssen. Der Amtshaftungsanspruch sei daher zu verneinen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Auskunft und Mitteilung des AMS seien hier als Einheit anzusehen. Zutreffend sei, dass statt dieser den Anspruch bejahenden Auskunft ein den Antrag des Klägers abweisender Bescheid nach § 47 Abs 1 AlVG hätte ergehen müssen. Der Kläger gründe seinen Anspruch daher tatsächlich auf das Unterbleiben des ablehnenden Bescheids. Schutzzweck eines solchen sei es aber, den Adressaten davon in Kenntnis zu setzen, dass sein Anspruch nicht anerkannt werde und ihm die Möglichkeit der Überprüfung der Entscheidung durch die übergeordnete Behörde zu eröffnen. Dagegen sei es nicht Zweck einer solchen Entscheidung, den Antragsteller generell über die bestehende Rechtslage zu informieren und ihn im Einzelnen in Kenntnis davon zu setzen, welche anderen Voraussetzungen er erst schaffen müsse, um den geltend gemachten Anspruch überhaupt erwerben zu können. Die verletzte Norm des § 47 Abs 1 AlVG strebe nicht die Verhinderung des Schadens an, der sich hier letztlich realisiert habe, nämlich des Nichterwerbs von Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Dass der öffentlich-rechtliche Fonds „Arbeitsmarktservice" bei der Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld hoheitlich als Organ des Rechtsträgers Bund tätig wird (1 Ob 257/00a), bestreitet die Beklagte ebensowenig wie die Tatsache, dass grundsätzlich die Auskunft des zuständigen Sachbearbeiters über das Bestehen bzw Nichtbestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld und die Mitteilung darüber in Vollziehung der Gesetze erteilt werden und aufgrund ihrer Unrichtigkeit entstandene, nicht abwendbare Schäden daher nach dem AHG geltend gemacht werden können (Schragel, AHG3 Rz 294 mwN).

Verwaltungsorgane sind gemäß Art 20 Abs 4 B-VG verfassungsrechtlich verpflichtet, Auskünfte über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereichs zu erteilen, soweit dem nicht eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht entgegensteht. Mit der Pflicht der Behörden zur Auskunftserteilung, die jedenfalls besteht, wenn präzise, ohne Beeinträchtigung der übrigen Verwaltungsabläufe beantwortbare Fragen gestellt werden, korrespondiert ein subjektives öffentliches Recht des Einschreiters; die Behörde hat eine dem Begehren entsprechende und inhaltlich richtige Auskunft zu geben. Zwar ist die Verwaltung nicht zu umfangreichen Ausarbeitungen, zur Erstellung von Gutachten, zur Beschaffung von auch anders zugänglichen Informationen oder ähnlichem Verhalten verpflichtet und besteht ein Nachrang zu den übrigen Aufgaben der Verwaltung. Die Inhalte von Rechtsvorschriften sind aber richtig und vollständig mitzuteilen (1 Ob 46/00x; 1 Ob 14/00s; RIS-Justiz RS0113716; Schragel aaO 295). Der Behörde kommt darüber hinaus nicht die Funktion eines Rechtsberaters zu, sodass keine Verpflichtung besteht, im Rahmen der Auskunftserteilung gleichsam alle hypothetisch denkbaren weiteren Sachverhaltskonstellationen und -änderungen ebenfalls zum Inhalt der Auskunft zu machen (1 Ob 46/00x).

In Lehre und Rechtsprechung sind allgemeine Verhaltenspflichten des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten anerkannt. Vor allem aus dem sozialversicherungsrechtlichen Schuldverhältnis lassen sich eine Reihe von Auskunfts-, Aufklärungs-, Informations- und Beratungspflichten der Versicherungsträger begründen, deren Verletzung zur Amtshaftung führen kann (1 Ob 113/06h; RIS-Justiz RS0111538). Auch wenn Auskünfte bloße Wissenserklärungen sind, die Rechte weder gestalten noch bindend feststellen, kann die Verletzung von Auskunftspflichten zur Amtshaftung führen (Schragel aaO; 10 ObS 382/01a).

2. Arbeitslos ist nach § 12 Abs 1 AlVG, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Dabei ist zwischen der vertragsrechtlichen und der versicherungsrechtlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu unterscheiden. Für das materiellrechtliche Tatbestandsmerkmal Arbeitslosigkeit ist nicht relevant, ob über das arbeitsvertragsrechtliche Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus ein Entgeltanspruch besteht, weil dieser Umstand eine formalrechtliche Leistungsvoraussetzung darstellt und als Ruhensgrund zum Tragen kommt. Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs 1 AlVG ist somit gegeben, wenn das bisherige Beschäftigungsverhältnis beendet wurde und der Arbeitslose keine neue Beschäftigung gefunden hat, die die Arbeitslosenversicherungspflicht nach sich zieht bzw bestimmte Einkommensgrenzen übersteigt. Bei unselbständig Erwerbstätigen ist das idR mit der vertragsrechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Fall (Dirschmied/Pfeil, AlVG3, 126 f).

Als arbeitslos gilt nach § 12 Abs 6 AlVG auch, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Einkommen erzielt, das die im ASVG angeführten Beträge für geringfügige Beschäftigung (§ 5 Abs 2 ASVG) nicht übersteigt. Geringfügig beschäftigte Personen gelten daher grundsätzlich als arbeitslos im Sinne des AlVG.

3. Eine Ausnahme davon macht § 12 Abs 3 lit h AlVG für Personen, die beim selben Dienstgeber eine geringfügige Beschäftigung aufnehmen, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat liegt. Zweck dieser Bestimmung ist, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung auszuschließen, wenn ein vollversichertes Dienstverhältnis nur zum Schein beendet und als geringfügiges weitergeführt wird (Krapf/Keul, Arbeitslosenversicherungsgesetz, Praxiskommentar Rz 334).

Nach den Gesetzesmaterialien zu dieser Ausnahmebestimmung (RV 72 BlgNR 20. GP, 234) waren vermehrt Fälle aufgetreten, in denen ein Arbeitnehmer beim selben Dienstgeber von einem vollversicherten Dienstverhältnis in ein geringfügiges wechselte und daneben Arbeitslosengeld bezog. Um diese Missbrauchsmöglichkeit zu verhindern, sollte der Anspruch auf Arbeitslosengeld in solchen Fällen ausgeschlossen werden (vgl VwGH 99/08/0078; 2004/08/0073).

Auch wenn die zitierte Bestimmung nur schlecht geeignet ist, tatsächlichen Missbrauch auszuschließen (Krapf/Keul, aaO), ergibt sich aus den zitierten Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung grundsätzlich hintanhalten wollte.

Mit dem Vorbringen, der Kläger hätte seine bereits mit 1. 1. 2003 aufgenommene geringfügige Beschäftigung beendet und erst nach mehr als einem Monat ein neues geringfügiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen, um in den Genuss des Arbeitslosenbezugs zu kommen, macht der Kläger aber gerade geltend, er hätte bei richtiger Rechtsauskunft, ohne dass dies aufgrund seiner Beschäftigungsmöglichkeiten notwendig gewesen wäre, sein Dienstverhältnis beendet bzw unterbrochen, um Arbeitslosengeld lukrieren zu können, obwohl ihm eine durchgehende - den Bezug von Arbeitslosengeld ausschließende - Beschäftigung möglich gewesen wäre. Auch wenn in einem solchen Fall das AMS bei typisierender Betrachtungsweise und ohne Möglichkeit näherer Prüfung der Umstände des Einzelfalls möglicherweise Arbeitslosengeld gewährt hätte, ist bei positiver Kenntnis der vom Kläger hier zur Stützung seines Anspruchs ausdrücklich behaupteten Vorgangsweise - trotz Erfüllung der verba legalia - von beabsichtigter rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme des Arbeitslosengelds auszugehen. Dies soll aber nach den Intentionen des Gesetzgebers gerade verhindert werden.

Schon aus diesen Gründen (Rechtsmissbrauch) ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E90603

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00154.08S.0331.000

Im RIS seit

30.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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