Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Inge L*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel ua, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei b***** GmbH, *****, vertreten durch Schöpf Maurer & Bitschnau, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 33.467,88 EUR sA (Rekursinteresse 19.967,88 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. November 2007, GZ 11 Ra 95/07f-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Juni 2007, GZ 18 Cga 87/07t-17, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil infolge Berufung der Klägerin hinsichtlich der Klageabweisung von 13.500 EUR sA (Schadenersatz) als Teilurteil; im übrigen klageabweisenden Umfang von 19.967,88 EUR sA (Ausgleichsanspruch) hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Das Berufungsgericht begründete die Aufhebung und Zurückverweisung im Wesentlichen damit, dass das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft sei, weil das Erstgericht die Vernehmung von Zeugen unterlassen habe. Diese seien von der Klägerin zum Beweis dafür geführt worden, dass es hinsichtlich der von der Klägerin der Beklagten zugeführten Kunden, wenngleich über Betreiben der Beklagten, zu weiteren Nachbestellungen gekommen sei und die Klägerin einen Provisionsverlust erlitten habe. Dieses Vorbringen sei zumindest abstrakt geeignet, das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs gemäß § 24 HVertrG 1993 zu begründen. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO mit der Begründung zu, dass keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob Kundenbindungsprogramme und Produktzufriedenheit trotz eines bis dahin erst einmaligen Kaufs bei Wirtschaftsgütern mit einem längeren Bestellintervall innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Wiederholungskäufe erwarten lassen und sich aus diesen Umständen eine Stammkundeneigenschaft ergebe. Die Rekurswerberin schloss sich dieser Begründung des Zulassungsausspruchs an. Die Rekursgegnerin beantragte demgegenüber zwar die Zurückweisung des Rekurses mangels erheblicher Rechtsfrage, führte jedoch inhaltlich nichts Näheres zur mangelnden Zulässigkeit des Rekurses aus.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rekurses an die diesbezügliche Beurteilung des Gerichts zweiter Instanz nicht gebunden (§ 526 Abs 2 ZPO). Die Zurückweisung des Rekurses kann sich bei Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
Im Rekursverfahren geht es nur mehr um den mit 19.967,88 EUR bezifferten Ausgleichsanspruch der Klägerin gemäß § 24 HVertrG 1993, die in der Zeit vom 23. 2. 2004 bis zur einvernehmlichen Auflösung des Vertragsverhältnisses per 13. 12. 2004 als Handelsvertreterin der Beklagten im Außendienst tätig war. Die Abweisung der Schadenersatzansprüche der Klägerin aus dieser Tätigkeit im Gesamtumfang von 13.500 EUR sA erwuchs bereits in Teilrechtskraft. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gebührt dem Handelsvertreter gemäß § 24 Abs 1 HVertrG 1993 ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit 1. er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat, 2. zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann, und 3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.
Für den Ausgleichsanspruch ist somit gemäß § 24 Abs 1 Z 1 HVertrG 1993 zunächst entscheidend, dass der Handelsvertreter „neue Kunden" zugeführt hat. Neukunden in diesem Sinn sind jedenfalls diejenigen Kunden, mit denen der Unternehmer zu Beginn des Handelsvertreterverhältnisses noch nicht in Geschäftsbeziehung gestanden ist (Nocker, Ausgleichsanspruch Rz 280 f mwN; ders, HVertrG § 24 Rz 435; RIS-Justiz RS0108023 ua). Für eine ausgleichspflichtige Neukundenwerbung genügt es aber noch nicht, dass der Handelsvertreter dem Unternehmer neue Kunden zugeführt hat. Ein Ausgleichsanspruch kann nämlich nur dann entstehen, wenn alle Voraussetzungen des § 24 Abs 1 Z 1 bis 3 HVertrG 1993 vorliegen (Nocker, HVertrG § 24 Rz 235; RIS-Justiz RS0114585 ua). Aus der Anspruchsvoraussetzung, dass dem Unternehmer auch nach der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses „erhebliche Vorteile" erwachsen müssen, folgt, dass mit den neu zugeführten Kunden eine Geschäftsverbindung entstanden sein muss, wobei Geschäftsverbindung die Aussicht auf weitere Geschäftsabschlüsse innerhalb eines überschaubaren Zeitraums bedeutet (Nocker, Ausgleichsanspruch Rz 311; 6 Ob 170/02x ua).
Die Stammkundschaft ist somit von der übrigen Kundschaft abzugrenzen. „Stammkunden" sind Mehrfachkunden, das heißt diejenigen Kunden, die in einem überschaubaren Zeitraum, in dem üblicherweise mit Nachbestellungen zu rechnen ist, mehr als nur einmal ein Geschäft mit dem Unternehmer abgeschlossen haben oder - bei Wirtschaftsgütern mit einem längeren Bestellintervall wie im vorliegenden Fall - auch Einmalkunden, von denen unter den gegebenen Umständen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nach Vertragsende Wiederholungskäufe zu erwarten sind (vgl Naderhirn, Ausgleichsanspruch des Tankstellenverwalters, RdW 2003, 102 [104] mwN; Nocker, HVertrG § 24 Rz 472 f, 499; Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG § 24 Rz 90; 6 Ob 170/02x; RIS-Justiz RS0112456 ua). Da die dem Unternehmer nach Auflösung des Vertragsverhältnisses verbleibenden Vorteile erheblich sein müssen, muss das mit den neuen Stammkunden und ebenso das mit den intensivierten Altkunden zu erwartende Geschäft überdies einen gewissen Umfang und eine gewisse Beständigkeit aufweisen (6 Ob 170/02x ua). Diese Voraussetzungen hat das Erstgericht bei den Kunden der Klägerin als nicht gegeben erachtet; dies allerdings, ohne die von der Klägerin zum Beweis ihres Vorbringens, dass es hinsichtlich der von der Klägerin der Beklagten zugeführten Kunden, wenngleich über Betreiben der Beklagten, zu weiteren Nachbestellungen gekommen sei und die Klägerin einen Provisionsverlust erlitten habe, beantragten Zeugen zu vernehmen.
Gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ist der Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nur dann zulässig, wenn ein entsprechender Zulassungsausspruch des Rekursgerichts vorliegt, der wiederum gemäß § 519 Abs 2 ZPO nur dann erfolgen darf, wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 ZPO die Revision zulässig ist. Nach dieser Bestimmung ist das Rechtsmittel nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.
Eine Rechtsfrage dieser Qualität liegt hier nicht vor. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob Kundenbindungsprogramme und Produktzufriedenheit trotz eines bis dahin erst einmaligen Kaufs bei Wirtschaftsgütern mit einem längeren Bestellintervall innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Wiederholungskäufe erwarten lassen, betrifft den Tatsachenbereich. Zur weiteren Frage der Stammkundeneigenschaft liegt bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Die Klägerin hat sich in erster Instanz darauf gestützt, dass auch nach ihrem Ausscheiden sehr viele Verträge mit von ihr akquirierten Kunden abgeschlossen worden seien. Eine eigene Werbetätigkeit des Unternehmers schließt die Kundenwerbung durch den Handelsvertreter grundsätzlich nicht aus (Nocker, HVertrG § 24 Rz 464, 466; Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG § 24 Rz 57; 4 Ob 83/97b ua). An der entscheidenden Mitursächlichkeit der Klägerin ändert die eigene Werbetätigkeit des Unternehmers nichts (vgl 6 Ob 170/02x; RIS-Justiz RS0109607 ua). Ob allerdings von der Beklagten tatsächlich sehr viele Verträge mit von der Klägerin akquirierten Kunden nach dem Ausscheiden der Klägerin abgeschlossen wurden, wie von der Klägerin behauptet, wurde zufolge unterlassener Beweisaufnahme bisher nicht verlässlich geklärt. Das Berufungsgericht hob daher das Ersturteil zurecht auf. Im fortgesetzten Verfahren werden gemäß dem Auftrag des Berufungsgerichts die fehlenden Feststellungen nach Aufnahme der beantragten Beweise nachzuholen sein.
Überlegungen der Rekurswerberin, das Erstgericht sei wegen der besonderen Glaubwürdigkeit des Geschäftsführers der Beklagten berechtigt gewesen, von der Vernehmung der von der Klägerin beantragten Zeugen abzusehen, begründen keine erhebliche Rechtsfrage. Prognosen, was diese Zeugen aussagen werden, sind nicht zielführend. Ob das Parteivorbringen hinreichend bestimmt ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der § 502 Abs 1, § 519 Abs 2 ZPO begründet (RIS-Justiz RS0042828 ua). Der Rekurs der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, ungeachtet der erfolgten Zulassung durch das Berufungsgericht, unzulässig. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
Die Rekursgegnerin ist in ihrer Rekursbeantwortung nicht näher auf die mangelnde Zulässigkeit des Rekurses der Beklagten eingegangen, sondern hat sich nur meritorisch mit den Rekursausführungen auseinandergesetzt und eingewendet, dass der geltend gemachte Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht vorliegt. Der bloße, nicht näher zum Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage substantiierte Antrag, den Rekurs zurückzuweisen, diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Von einem Kostenzuspruch an die Klägerin ist daher Abstand zu nehmen (9 ObA 29/05p; RIS-Justiz RS0035979 ua).
Textnummer
E90721European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:009OBA00024.08G.0401.000Im RIS seit
01.05.2009Zuletzt aktualisiert am
20.01.2014