TE OGH 2009/4/16 2Ob21/09s

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Veröffentlicht am 16.04.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Oliver S*****, wegen Besuchsrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Dragan M*****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 5. Dezember 2008, GZ 20 R 100/08t-S258, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mattersburg vom 10. Juli 2008, GZ 4 P 14/02z-S253, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der 1998 geborene mj Oliver S***** ist das uneheliche Kind von Dragan M***** und Manuela S*****, der die alleinige Obsorge zukommt. Der Minderjährige lebt im gemeinsamen Haushalt der Mutter und deren Ehemanns Leopold S*****. Mit Urteil des Erstgerichts vom 14. 11. 2002 wurde die Vaterschaft von Dragan M***** zum Minderjährigen festgestellt. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 25. 6. 2002 wurden erstmals die Besuchskontakte des Vaters so festgelegt, dass er den Minderjährigen alle 14 Tage am Freitag von 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr in den Räumen des Vereins Lichtblick in Anwesenheit der Mutter besuchen könne. Von Mitte 2002 bis Mitte 2003 fanden nur wenige Besuchskontakte zwischen dem Vater und dem Minderjährigen statt. Die meisten angesetzten Besuchstermine fielen aus, weil die Mutter mit dem Minderjährigen nicht erschien. Damals wusste der Minderjährige noch nicht, dass Dragan M***** sein Vater sei. Am 22. 6. 2004 berichtete der Vater dem Gericht, dass seit dem 4. 7. 2003 keinerlei Besuchskontakte mehr stattgefunden hätten. Im September 2005 legte der Sachverständige Univ.-Prof. Dr. Max F***** über entsprechenden Gerichtsauftrag sein schriftliches Gutachten vor, in dem er unter anderem ausführte, nach einer entsprechenden Vorbereitungszeit sollte der Minderjährige erfahren, wer sein leiblicher Vater sei. In den darauf folgenden Wochen solle mit dem Minderjährigen immer wieder über den leiblichen Vater gesprochen werden. Dann solle ein Treffen mit dem leiblichen Vater in einer kindgerechten Atmosphäre an einem Ort stattfinden, an dem der Minderjährige eine neutrale dritte Person als Begleitung vorfinde. Es solle sodann eine Begegnung von je einer Stunde zwischen Vater und dem Minderjährigen rund um Weihnachten, eine weitere rund um Ostern und eine dritte rund um den Geburtstag des Minderjährigen (Anfang März) stattfinden.

Im März 2007 erfuhr der Minderjährige von seiner Mutter, dass Dragan M***** sein leiblicher Vater sei.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 31. 7. 2007 wurde dem Vater ein Besuchsrecht dreimal jährlich je eine Stunde im Kinderschutzzentrum E***** eingeräumt.

Am 23. 10. 2007 beantragte der Vater, ihm ein 14-tägiges Besuchsrecht von Samstag um 9:00 Uhr bis Sonntag um 18:00 Uhr einzuräumen. Der erwähnte Sachverständige erstattete über Gerichtsauftrag am 4. 3. 2008 ein Ergänzungsgutachten, in dem er neuerlich empfahl, bei drei begleiteten Begegnungen im Jahr zu bleiben.

Am 14. 5. 2008 beantragte der Vater schließlich, ihm ein 14-tägiges Besuchsrecht in Abwesenheit der Mutter und des Stiefvaters einzuräumen. Weiters beantragte der Vater (neuerlich) eine Gutachtenserörterung mit dem Sachverständigen, weil nicht erörtert worden sei, warum der Fall seines Sohnes eine derart krasse Ausnahme darstelle, dass die sonst üblichen etwa 14-tägigen Besuchskontakte gerade im vorliegenden Fall dem Kindeswohl nicht zuträglich sein sollten.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters, ihm ein 14-tägiges Besuchsrecht von Samstag um 9:00 Uhr bis Sonntag um 18:00 Uhr ebenso ab wie seinen Antrag auf Gutachtenserörterung. In der Begründung zitierte das Erstgericht zunächst aus dem Erstgutachten des Sachverständigen vom 26. 9. 2005: Der leibliche Vater weise keine hinreichende Erziehungssuffizienz auf, sodass ein 14-tägiges Wochenendbesuchsrecht nicht einmal angedacht werden könnte. Der Vater sei von seinem narzisstischen Gehabe geprägt und fordere „selbstverständlich" die Kontaktnahme zu seinem Sohn und die Kenntnis seines Sohnes über seine Persönlichkeit aus Eitelkeit und Selbstverliebtheit. Auch die von ihm beschrittenen Wege bis hin zur Gerichtsauseinandersetzung zeigten, dass er sein Recht um jeden Preis ohne sonderliche Rücksichtnahme auf die Mutter erreichen wolle, die er schließlich schwer gekränkt habe. Es wäre sehr wohl in einer Mediation das nunmehr geforderte Recht des Vaters in weniger belastender Form zu erreichen gewesen. Die Besuchskontakte könnten auf allfälligen Wunsch ab dem 12. Lebensjahr des Minderjährigen ausgedehnt werden.

Weiters zitierte das Erstgericht aus dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 4. 3. 2008: Für den Minderjährigen sei durch die Kenntnis der leiblichen Vaterschaft eine neue Situation entstanden. In der gegenwärtigen Wahrnehmung des Minderjährigen solle dieser leibliche Vater keinen wesentlichen Raum einnehmen, er könne es durchaus bei nur einem jährlichen Besuch bewenden lassen. Durch die Kenntnis vom leiblichen Vater habe sich in der Lebenswelt des Minderjährigen nichts Wesentliches geändert, außer dass er kundgetan habe, dass er bei einem ausgedehnten Wochenendbesuchsrecht Freizeit mit Freunden verlieren würde. Regelmäßige Treffen zwischen leiblichem Vater und Minderjährigen beförderten nicht unbedingt das Kindeswohl, zumal die vom Minderjährigen angegebene Angst sehr ernst genommen werden müsse. Der Sachverständige empfehle daher, bei drei weiterhin begleiteten Begegnungen im Jahr zu bleiben, da der Minderjährige Angst habe, dass ihm im direkten Kontakt mit seinem Vater „etwas passieren könnte".

Schließlich führte das Erstgericht aus, das Kinderschutzzentrum E***** habe im Frühjahr 2008 berichtet, bislang hätten drei Treffen stattgefunden, die Situation bei den Terminen sei angespannt gewesen, da während der ganzen Besuchsstunde auch der Stiefvater anwesend gewesen sei. Der Minderjährige habe unmissverständlich festgestellt, dass er sich im Moment nicht vorstellen könne, den leiblichen Vater öfter zu sehen. Sollte es dem leiblichen Vater nicht möglich sein, seine Art der Protokollierung (des Verlaufs von Besuchskontakten) einzustellen, könnte im Kinderschutzzentrum kein Besuchskontakt mehr durchgeführt werden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, allein unter dem Gesichtspunkt des ersten Besuchskontakts „seit" September 2002 entbehre die Antragstellung auf Ausdehnung der Besuchskontakte im Jahr 2007 jeglicher vernünftiger Grundlage. Ein Interesse des Vaters am Wohl des Kindes mit der nötigen Sensibilität für die Situation des Minderjährigen sei in dieser Antragstellung nicht zu erkennen. Es wäre im Interesse des Vaters, die Besuchskontakte nicht minuziös wörtlich zu dokumentieren, sondern sich vielmehr in dieser Zeit mit seinem Sohn auseinanderzusetzen, ihm positiv in Erinnerung zu bleiben, um hier die mögliche Grundlage für ein selbstgewähltes Interesse des Kindes an seinem Vater zu schaffen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht im Wesentlichen aus, in der konkreten Situation stelle der leibliche Vater einen Unruhefaktor dar, sodass sich der Minderjährige sogar mit einer jährlichen Begegnung zufrieden gäbe. Angesichts der konkreten Umstände, wozu die Erziehungsinsuffizienz des Vaters und seine narzisstisch strukturierte Persönlichkeitsstruktur ebenso gehöre wie die vom Minderjährigen ausgedrückte Angst, ihm könne im direkten Kontakt mit dem Vater „etwas passieren", erscheine auch dem Rekursgericht aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls ein weitergehendes Besuchsrecht bis zum zwölften Lebensjahr nicht zielführend. Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag ihm ein 14-tägiges Besuchsrecht jeweils von Samstag um 9:00 Uhr bis Sonntag um 18:00 Uhr einzuräumen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Mutter hat die ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellte Revisionsrekursbeantwortung nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Vater macht im Ergebnis zutreffend geltend, nach den derzeitigen Feststellungen seien keine hinreichenden Gründe ersichtlich, die eine derartige Einschränkung seines Besuchsrechts gegenüber dem Normalfall rechtfertigten.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung muss das Besuchsrecht eine gewisse Intensität haben, um seinem Zweck, der Herstellung eines Naheverhältnisses, gerecht zu werden (RIS-Justiz RS0048072 [T1, T2, T3, T5]; RS0049070 [T3, T4, T6, T8, T10, T12]). Bei schulpflichtigen Kindern gewährt die Rechtsprechung typischerweise ein Besuchsrecht im Abstand von zwei Wochen über zwei Tage des Wochenendes mit Übernachtung (Thunhart in Klang3 § 148 Rz 16 mwN; vgl RIS-Justiz RS0049070 [T12, T13]).

Der besuchende Elternteil darf nicht in die Rolle eines gelegentlichen Besuchers gedrängt werden (RIS-Justiz RS0048376). Soweit sich der Oberste Gerichtshof in mehr oder weniger vergleichbaren Fällen zur Intensität des Besuchsrechts äußerte, wurde ein 14-tägiges, ein zweimal monatliches oder wenigstens dreiwöchiges Besuchsrecht für angemessen erachtet (6 Ob 625/86; 5 Ob 581/87; 7 Ob 593/87; 5 Ob 522/88; 3 Ob 264/03z). Ein dreimal jährliches Besuchsrecht jeweils eine Stunde lang ist der oberstgerichtlichen, aber auch der zweitinstanzlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - fremd.

Für den vorliegenden Fall folgt daraus: Dass der im Zeitpunkt der zweiten Untersuchung durch den Sachverständigen zehnjährige Minderjährige den Besuchskontakten zum Vater eher ablehnend gegenübersteht, rechtfertigt für sich allein nicht die Einschränkung des Besuchsrechts (vgl RIS-Justiz RS0047981 [T5, T6, T7]). Mit zunehmenden Alter des Minderjährigen gewinnt freilich seine Einstellung zum Besuchsrecht größeres Gewicht. Der vom Minderjährigen befürchtete Verlust von Freizeit mit Freunden aufgrund des Besuchsrechts des Vaters rechtfertigt ebenfalls an sich keine Reduktion des Besuchsrechts (LG Krems EFSlg 68.695). Soweit die Vorinstanzen auf die Angst des Minderjährigen, dass ihm „etwas passieren könnte", verweisen, so ist anhand der insofern nicht ausreichenden Feststellungen nicht klar, wovor sich der Minderjährige fürchtet, ob diese Furcht begründet ist und ob gegebenenfalls eine unbegründete Furcht des Minderjährigen durch einen entsprechend sorgsam gestalteten Besuchskontakt zum Vater abgebaut werden könnte. Dass bei den letzten Besuchskontakten vor dem erstinstanzlichen Beschluss auch der Stiefvater die ganze Zeit anwesend war, scheint nach der Lebenserfahrung wie auch nach der Beurteilung des Kinderschutzzentrums dem Aufbau eines entspannteren Verhältnisses zwischen dem Vater und dem Minderjährigen abträglich zu sein. Wenn der Vater entsprechend der Einschätzung des Sachverständigen „erziehungsinsuffizient" sein sollte (festgestellt ist dies nicht), so ist darauf zu verweisen, dass die Erziehung als Teil der Obsorge (§ 144 ABGB) ohnehin allein der Mutter zusteht. Der Besuchskontakt zwischen dem Minderjährigen und dem nicht haushaltszugehörigen Elternteil dient ja nicht in erster Linie der Erziehung des Minderjährigen, sondern - wie ausgeführt - dem Aufbau und dem Erhalt einer mit einer gewissen Intensität ausgestatteten (Gefühls-)Beziehung zwischen dem Kind und dem nicht erziehenden Elternteil. Auch aus der Einschätzung des Sachverständigen, der Vater sei narzisstisch, also selbstverliebt und selbstbezogen (sofern diese Einschätzung zutrifft, festgestellt wurde nämlich auch dazu nichts), ist ohne weitere bedenkliche Umstände nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand einem häufigeren Besuchsrecht bzw dem Kindeswohl entgegenstehen soll.

Ausreichende Gründe, das Besuchsrecht des Vaters gegenüber dem Normalfall derart massiv einzuschränken, ergeben sich somit aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht.

Vor allem aber wird der Vater durch bloß dreimal jährlich eine Stunde lang unter Begleitung stattfindende Besuchskontakte rund um Weihnachten, Ostern und den im März gelegenen Geburtstag des Minderjährigen (wodurch sich eine Besuchsabstinenz zwischen Ostern und Weihnachten von fast einem Dreivierteljahr ergibt) gerade in die Rolle eines gelegentlichen Besuchers gedrängt. Dass derart kurze und spärliche Besuchskontakte dem Zweck des Besuchsrechts, der Herstellung eines Naheverhältnisses, nicht gerecht werden können, liegt auf der Hand. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die auf der Empfehlung des Sachverständigen basieren, lassen sich somit mit der zitierten ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht vereinbaren.

Eine abändernde Sachentscheidung durch den Obersten Gerichtshof kommt aber nicht in Betracht, weil selbst für den Zeitpunkt des erstinstanzlichen Beschlusses die Feststellungen nicht ausreichen. Es waren daher die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Unter Beachtung der überbundenen Rechtsansicht und im Hinblick auf die mittlerweile verstrichene Zeit wird das Erstgericht, allenfalls unter Befassung eines anderen Sachverständigen, den Sachverhalt und die Möglichkeiten eines im Einzelfall sinnvollen Besuchsrechts zu erheben haben. Dabei wird das Erstgericht ausreichende Feststellungen zu treffen haben. Da das Gericht in der Beweiswürdigung frei und daher an das eingeholte Sachverständigengutachten nicht gebunden ist, kann die Wiedergabe eines Sachverständigengutachtens entsprechende Feststellungen nicht ersetzen.

Anmerkung

E908192Ob21.09s

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2009/361 S 238 - Zak 2009,238 = iFamZ 2009/182 S 280 - iFamZ2009,280XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00021.09S.0416.000

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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