Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. April 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erwin L***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 17 St 286/08w der Staatsanwaltschaft Graz, AZ 19 HR 400/08k des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 15. Jänner 2009, AZ 11 Bs 13/09h, und einen Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, und des Verteidigers Dr. Vacarescu, zu Recht erkannt:
Spruch
Es verletzt der Vorgang, dem Beschuldigten nach Erhebung einer Beschwerde gegen den Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft eine Erklärung über deren Aufrechterhaltung abzuverlangen und ihn durch inhaltlich unrichtige Darstellung damit verknüpfter Folgen für die Haftfrist zu deren Rückziehung zu bewegen, das Gesetz in der Bestimmung des § 7 Abs 2 StPO.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss des Einzelrichters im Ermittlungsverfahren des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. Jänner 2009 wurde über Erwin L***** wegen des dringenden Verdachts der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB, des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 StGB und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB und des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer und wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit b StPO verhängt (ON 7).
Dagegen erhob der Beschuldigte unmittelbar nach Verkündung des Beschlusses und (richtiger und vollständiger) Rechtsmittelbelehrung Beschwerde (ON 6 S 7, ON 7 S 3 f).
Am 7. Jänner 2009 zog er diese anlässlich einer nur zu diesem Zweck durchgeführten Vernehmung „nach entsprechender Rechtsbelehrung" durch einen unter richterlicher Anleitung agierenden Rechtspraktikanten „über Befragen" zurück (ON 6 S 9). Etwa eine Stunde später wurde Erwin L***** erneut „aus der Untersuchungshaft vorgeführt" und gab „nach entsprechender Rechtsbelehrung, dass die Haftfrist trotz Zurückziehung der Beschwerde einen Monat beträgt", nunmehr an: „Ich möchte, dass mein Verteidiger die von mir erhobene Beschwerde ausführt" (ON 6 S 11).
Einem Rechtsmittelwerber eine Erklärung darüber abzuverlangen, ob er sein Rechtsmittel aufrecht halte, sieht das Gesetz nicht vor. Umstände, die eine derartige Vorgangsweise ausnahmsweise rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Aus der dargestellten Sachlage ergibt sich für den Obersten Gerichtshof (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 292 Rz 6), dass der Beschuldigte nach unrichtiger Belehrung über die mit der Rückziehung der Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungshaft verbundenen gesetzlichen Folgen für die Haftfrist (§ 174 Abs 4 StPO; ErläutRV 25 BlgNr 22. GP 145) - solcherart durch „Versprechungen" - zur Zurückziehung der Beschwerde bewogen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt, wurde durch diesen dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensfehler das Gesetz - nicht in der bloß eine allgemeine Belehrungspflicht normierenden Bestimmung des § 6 Abs 2 StPO, jedoch - in jener des § 7 Abs 2 StPO verletzt. Da die Gesetzesverletzung dem Beschuldigten zufolge zwischenzeitiger Enthaftung (wegen Wegfalls der Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts [ON 23, 27, 28]) nicht (mehr) zum Nachteil gereicht, hat es mit ihrer bloßen Feststellung sein Bewenden.
Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde mit der Behauptung einer Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 89 Abs 2 StPO gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 15. Jänner 2009, AZ 11 Bs 13/09h (ON 28a) wendet, mit dem die am 12. Jänner 2009 vom Verteidiger erhobene Beschwerde gegen den erstgerichtlichen Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft unter Hinweis auf die zuvor erfolgte Zurückziehung als unzulässig zurückgewiesen wurde, ist sie nicht im Recht.
Ein nach Urteilsverkündung sowie richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung im Beisein des Verteidigers und nach Beratung mit diesem von einem prozessfähigen (zum Begriff vgl: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634 und Schwaighofer, WK-StPO § 275 Rz 9 ff) Angeklagten ausdrücklich erklärter Rechtsmittelverzicht ist unwiderruflich, dessen Motiv ohne Bedeutung; eine gegenteilige Mitteilung des Verteidigers oder Angeklagten kann dann trotz notwendiger Verteidigung an der Wirksamkeit vom Angeklagten abgegebener Erklärungen über Verzicht oder Zurückziehung eines angemeldeten Rechtsmittels gegen ein Urteil nichts ändern (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 8 f).
Gegen einen Beschluss kann auch der vertretene Beschuldigte ohne Beisein seines Verteidigers und Beratung mit diesem wirksam auf Beschwerde verzichten, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 57 Abs 2 StPO ergibt (Fabrizy, StPO10 § 174 Rz 5; E. Fuchs, Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren, ÖJZ 2007/77, 895 [901]), und demgemäß auch eine bereits erhobene Beschwerde zurückziehen. Zurückziehung einer Beschwerde wirkt als Rechtsmittelverzicht.
Sieht das Gesetz - wie bereits dargelegt - nicht vor, einem Rechtsmittelwerber eine Erklärung darüber abzuverlangen, ob er sein Rechtsmittel aufrecht halte, besteht auch keine gesetzliche Verpflichtung, ihn - nach bereits zuvor erfolgter umfassender Rechtsmittelbelehrung (ON 7 S 3 f) zusätzlich - über die Folgen einer Rückziehung zu belehren. Dem Gericht bei einer dennoch vorgenommenen derartigen Instruktion unterlaufene Fehlleistungen bewirken demnach nicht per se Unwirksamkeit einer Erklärung über die Zurückziehung eines Rechtsmittels. Sie können aber aufgrund einer von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde behoben werden und - bei hier nicht gegebener nachteiliger Wirkung für den Beschuldigten - zur Zurücksetzung des Verfahrens auf den Zeitpunkt vor der Gesetzesverletzung führen (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28).
Für die von der Generalprokuratur vertretene Ansicht, dass das Oberlandesgericht der Rückziehung der Beschwerde durch den Beschuldigten „keine Wirksamkeit zuerkennen durfte, weil der Genannte im unmittelbaren Anschluss an die ergänzende - nunmehr richtige - Rechtsbelehrung über die (fehlende) Auswirkung der Zurückziehung auf die Haftfrist ... die Beschwerdeausführung durch seinen Verteidiger verlangt hat", die im Ergebnis also die Unwirksamkeit der Rechtsmittelrückziehung bloß aus einer späteren anders lautenden Erklärung des Rechtsmittelwerbers ableitet, fehlt die Deckung im Gesetz.
Demgemäß ging das Oberlandesgericht Graz zu Recht von der Wirksamkeit der Erklärung des Beschuldigten, seine Beschwerde zurückzuziehen, aus. Ein Verstoß gegen § 89 Abs 2 StPO war daher nicht festzustellen und die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit zu verwerfen.
Anmerkung
E9078914Os28.09pSchlagworte
Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inEvBl 2009/100 S 676 - EvBl 2009,676XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0140OS00028.09P.0421.000Zuletzt aktualisiert am
11.08.2009