TE Vwgh Beschluss 2000/12/1 AW 2000/09/0058

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Veröffentlicht am 01.12.2000
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

61998CJ0065 Eyüp VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7 Abs1;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2;
AVG §68 Abs1;
EURallg;
VwGG §30 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des A, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt, der gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom 21. Juli 2000, Zl. LGSV/3/13115/2000 ABA 808808, betreffend Ablehnung der Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen bzw. mit Einstweiliger Anordnung oder Feststellung auszusprechen, dass der Beschwerdeführer bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens berechtigt ist, in Österreich legal zu arbeiten, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem mit Beschwerde (zur hg. Zl. 2000/09/0156) angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Vorarlberg des Arbeitsmarktservice vom 21. Juli 2000 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/1980 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer verbindet seine Beschwerde mit dem Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Er bringt dazu im wesentlichen vor, die Assoziationsintegrität sei für ihn von erheblicher Bedeutung, weil diese Frage im "anhängigen Aufenthaltsverbotsverfahren" wesentlich sei. Im ersten Rechtsgang sei seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Er warte bereits drei Jahre auf Entscheidung über seine Arbeitsberechtigung und sei während dieser Zeit von seiner Familie, von Freunden und von Bekannten "über Wasser gehalten worden", dies im sicheren Wissen, dass er assoziationsintegriert sei und die Arbeitsberechtigung letztlich erhalten werde. Er stellt ferner den Antrag der Verwaltungsgerichtshofe möge eine "Einstweiligen Anordnung oder Feststellung" des Inhaltes erlassen, er sei berechtigt, bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens in Österreich legal zu arbeiten. Zu diesem Begehren referiert der Beschwerdeführer das einem Vorabentscheidungsverfahren unterzogene hg. Beschwerdeverfahren in der Sache Safet Eyüp, Zl. 97/09/0331. Ein auf den Beschwerdeführer (Recep Yaman) bezugnehmendes Vorbringen wird dazu nicht erstattet.

Die belangte Behörde hat zum Aufschiebungsantrag des Beschwerdeführers dahingehend Stellung genommen, dass dieser keine Erlaubnis zur Beschäftigungsaufnahme beinhalte und demnach kein Einwand "auf deren Zuerkennung" bestehe.

Einer Beschwerde ist gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Gemäß § 30 Abs. 3 zweiter Satz VwGG hat die Behörde im Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben.

Der Beschwerdeführer beruft sich erkennbar auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts nicht daran gehindert werden darf, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (vgl. etwa das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1990, in der Rechtssache C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433, und auch die Urteile vom 21. Februar 1991, in der Rechtssache C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen u. a., Slg. 1991, I-0415, vom 9. November 1995, in der Rechtssache Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH u.a. C-465/93, Slg. 1995, I- 3761, und vom 17. Juli 1997, in der Rechtssache KrügerGmbH & Co. KG, C-334/95, Slg. 1997, I-4517; vgl. nunmehr auch das Urteil vom 8. Februar 2000, in der Rechtssache Emesa, C- 17/98).

§ 30 Abs. 2 VwGG ermächtigt dazu, einer Beschwerde mit Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und damit zur Aussetzung des Vollzuges des angefochtenen Bescheides, wobei der Begriff "Vollzug" in einem weiten Sinn zu verstehen ist und sämtliche Rechtswirkungen des angefochtenen Bescheides erfasst.

§ 30 Abs. 2 VwGG ermächtigt jedoch nicht zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen oder zur Zuerkennung von vorläufigen Rechten, mit denen mehr als die Suspendierung der Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit verfügt werden soll. Soweit im Rahmen von Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde die Einräumung von positiven, auch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bestehenden Rechten beantragt wurde, haben die Berichter des Verwaltungsgerichtshofes solche Anträge regelmäßig im Rahmen ihrer Befugnis gemäß § 14 Abs. 2 VwGG im Wesentlichen mit der Begründung abschlägig beschieden, dass die Einräumung von Rechten, die eine beschwerdeführende Partei vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht hatte, und die ihr auch bei der Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht zukäme, gemäß § 30 Abs. 2 VwGG nicht bewirkt werden kann, weil der angefochtene Bescheid einem Vollzug im Sinn dieser Gesetzesstelle insofern nicht zugänglich sei (vgl. etwa die Beschlüsse vom 8. September 1994, Zl. AW 94/08/0023, vom 21. März 1995, Zl. AW 95/20/0084, und vom 12. Jänner 1998, Zl. AW 97/05/0112). Die Beurteilung, welche Rechtsstellung dem Beschwerdeführer im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides zukäme, setzte insofern auch eine Prognose über die Entscheidung in der Sache selbst, nämlich ihrer Rechtsfolgen (vgl. § 42 Abs. 3 und § 63 Abs. 1 VwGG) voraus.

Auch beim vorliegenden Antrag auf Erlassung einer "Einstweiligen Anordnung oder Feststellung" des Inhaltes, dass der Beschwerdeführer bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens berechtigt sei, in Österreich legal zu arbeiten, handelt es sich um einen Antrag auf vorläufige Zuerkennung einer Rechtsstellung, die der Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht hatte. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde nämlich weder eine derartige behördliche Feststellung aufgehoben, noch wird die Rechtsstellung des Beschwerdeführers sonst auf solche Weise durch die Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit verändert. Durch die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Abweisung seines Antrages auf Erteilung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG wurde auch keinesfalls auf bindende Weise ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG - Türkei Nr. 1/1980 nicht erfülle.

Die vorläufige Einräumung des begehrten Rechts kann daher nicht allein auf § 30 Abs. 2 VwGG, sondern allenfalls auf diese Bestimmung in Verbindung mit dem Gemeinschaftsrecht und die dazu ergangene angeführte Rechtsprechung des EuGH gegründet werden. Der in der Beschwerde gestellte Antrag ist - auch wenn der antragstellende Beschwerdeführer seinen Antrag als "Einstweilige Anordnung" bezeichnet und Maßnahmen, nämlich die Erlassung eines Feststellungsbeschlusses mit konkretem Inhalt vorschlägt - letztlich ein Antrag, einer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist dem § 30 Abs. 2 VwGG doch keine Umschreibung, Aufzählung oder Einschränkung von Sicherungsmitteln bzw. von im Einzelfall anzuordnenden Maßnahmen zu entnehmen, die der Verwaltungsgerichtshof in einem Beschluss, mit dem einer Beschwerde "die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird" anordnen dürfte. Werden - wie auch vorliegend - bloß unzulässige oder unstatthafte Sicherungsmittel oder sichernde Anordnungen begehrt, ändert dies nichts daran, dass dennoch nur ein nach § 30 Abs. 2 VwGG zu wertender Antrag vorliegt. Demnach wurden aber auch Anträge, die unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht gestellt wurden, vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG behandelt und entschieden (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 9. April 1999, Zl. AW 99/21/0061, vom 5. November 1999, Zl. AW 99/09/0073, vom 30. November 1999, Zlen. AW 99/21/0246 - 0248, und vom 4. Oktober 2000, Zl. AW 2000/21/0128; vgl. aber den hg. Beschluss vom 29. September 1999, Zl. 99/11/0257), handelt es sich bei den Bestimmungen der §§ 14 Abs. 2 und 30 Abs. 2 VwGG um jene Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, deren Anwendung als nächstliegende Vorschriften im Rahmen der Beurteilung gemeinschaftsrechtlich allenfalls gebotener Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes durch den Verwaltungsgerichtshof in Frage kommt, wobei die letztere Vorschrift durch die gemeinschaftsrechtlichen inhaltlichen Voraussetzungen für Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere auch was den Inhalt und die Art der Sicherungsmittel anlangt, gegebenenfalls entsprechend überlagert ist.

Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache Eyüp, Nr. C-65/98, zufolge können die gemäß Art. 7 Satz 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 bestehenden Rechte unmittelbar geltend gemacht werden, sie stehen dem Berechtigten ohne irgendeine Genehmigung zu (RZ 48), und jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts ist außer Anwendung zu lassen (RZ 42). Die Ausstellung einer Urkunde, mit der das Bestehen dieser Rechte bescheinigt wird, ist gemeinschaftsrechtlich nicht geboten: Insofern ist daher auch die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen nach dem Gemeinschaftsrecht durch ein Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Zugangs zur Beschäftigung zu entscheiden hat, nicht erforderlich (RZ 49). Ist der Beschwerdeführer daher - wie er behauptet - gemäß Art. 6 des angeführten Assoziationsratsbeschlusses berechtigt, so darf ihm die Aufnahme einer Beschäftigung nicht verwehrt und ein Arbeitgeber nicht an seiner Beschäftigung gehindert oder dafür bestraft werden. Verlangt das Gemeinschaftsrecht aber für die Ausübung dieser Rechte nicht die Ausstellung einer Urkunde, mit welcher deren Bestehen dieser Rechte bescheinigt wird, so ist auch die zur vorläufigen Ausübung dieser allenfalls bestehenden Rechte von dem Beschwerdeführer begehrte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. die Erlassung einer einstweiligen Anordnung oder Feststellung im Lichte des angeführten Urteiles des EuGH nicht geboten, weshalb dem vorliegenden Antrag schon aus diesen Erwägungen nicht stattzugeben war.

Wien, am 1. Dezember 2000

Schlagworte

Begriff der aufschiebenden WirkungBesondere Rechtsgebiete ArbeitsrechtRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeRechtskraft Besondere Rechtsgebiete DiversesGemeinschaftsrecht vorläufige Aussetzung der Vollziehung provisorischer Rechtsschutz EURallg6Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:AW2000090058.A00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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