Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann W*****, vertreten durch Mag. Stephan Podiwinsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Wien 1, Rathaus, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen 10.250 EUR sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 12.750 EUR), über die ordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 28. November 2008, GZ 13 R 203/08f-11, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Juni 2008, GZ 2 Cg 33/08z-7, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die beklagte Stadt Wien ist seit 1942 Eigentümerin des Friedhofs M*****. Sie hat für ihre Friedhöfe aufgrund von § 32 Abs 2 des Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes eine privatrechtliche „Bestattungsanlagenordnung“ erlassen, die unter anderem Folgendes vorsieht:
Das Recht an einer Grabstelle ist ein privatrechtliches Benützungsrecht eigener Art und wird durch Vertrag begründet. Grüfte sind nach Beendigung der (Bau-)Arbeiten derart abzudecken, dass sie sicher betreten werden können. Die Grabdeckplatten müssen auf beiden Längsseiten sowie auf der Fußseite mindestens 4 cm breit aufliegen. Der Benützungsberechtigte hat für den dauernden ordnungsgemäßen baulichen und gärtnerischen Zustand der gesamten Grabfläche zu sorgen. Die Friedhofsverwaltung ist berechtigt, bei Gefahr im Verzug geeignete Maßnahmen wie das Abtragen des Grabstelleninventars auch ohne vorherige Verständigung des Benützungsberechtigten auf dessen Kosten zu veranlassen.
Der Kläger ist Benützungsberechtigter eines Familiengrabs auf dem Friedhof M*****. In der Nähe dieses Grabes liegt eine vor etwa 100 Jahren errichtete Gruft. Das Benützungsrecht für diese Gruft war seinerzeit auf die Dauer des Bestehens des Friedhofs eingeräumt worden; dass es erloschen wäre, steht nicht fest. Die letzte der Friedhofsverwaltung bekannte Benützungsberechtigte ist 1989 gestorben.
Am 8. Jänner 2007 wollte der Kläger sein Familiengrab fotografieren. Dabei verlor er auf dem Weg vor dem Grab aus unbekannten Gründen das Gleichgewicht, stürzte auf die benachbarte Gruft und fiel mit deren mittlerer Abdeckplatte in diese hinein.
Der Kläger begehrt 10.250 EUR als Schadenersatz für die beim Sturz in die Gruft erlittenen Verletzungen und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle sich daraus ergebenden Folgen. Die Gruft sei in einem erkennbar gefährlichen Zustand gewesen. Die Abdeckplatten seien um mehrere Zentimeter verschoben und das Fundament sei einseitig geneigt gewesen; weiters hätte es bereits Pflanzenwuchs zwischen dem Rahmen und den aufgelegten Grabplatten gegeben. Die Beklagte habe sich nicht darum gekümmert. Sie hafte als Besitzerin des Grabmals nach § 1319 ABGB sowie aufgrund der Verletzung von allgemeinen Verkehrssicherungspflichten sowie - wegen des Vertragsverhältnisses mit dem Kläger - von vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten. Die von ihr eingesetzten Gehilfen seien untüchtig im Sinne des § 1315 ABGB.
Die Beklagte gesteht zu, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls den Friedhof verwaltete. Sie sei jedoch nicht Besitzerin der Gruft gewesen, und es hätten sie auch keine Verkehrssicherungs- oder Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger getroffen. Jedenfalls habe sie aber nicht fahrlässig gehandelt. Ihre nicht untüchtigen Mitarbeiter würden jährlich sämtliche Gräber auf allfällige Mängel überprüfen. Dabei hätten sie bei der Gruft keine Auffälligkeiten festgestellt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf Negativfeststellungen zum Zustand der Gruft und zur Frage, in welcher Breite die mittlere Grabplatte auf der Umrandung aufgelegen sei. Dabei stützte es sich ausschließlich auf vom Kläger vorgelegte Lichtbilder; den von ihm beantragten Sachverständigenbeweis nahm es nicht auf. Weiters konnte es nicht feststellen, dass die Mitarbeiter der Beklagten untüchtig gewesen seien. Auf dieser Grundlage verneinte das Erstgericht eine Haftung der Beklagten. Die Gruft sei zwar ein Bauwerk iSv § 1319 ABGB, die Beklagte sei aber nicht deren Besitzerin. Vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger bezögen sich nur auf den gefahrlosen Zugang zu dessen Familiengrab, nicht jedoch auf die Instandhaltung von Gräbern entlang des Weges. Soweit die Gruft eine Gefahrenquelle sei, treffe die Verkehrssicherungspflicht nicht die Beklagte, sondern den Nutzungsberechtigten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zunächst nicht zu.
Die Gruft sei zwar ein Werk iSv § 1319 ABGB; Besitzer im Sinn dieser Bestimmung sei jedoch nicht die Beklagte, sondern der Benützungsberechtigte gewesen. Zwar sei die Beklagte nach der „Bestattungsanlagenverordnung“ berechtigt gewesen, bei Gefahr im Verzug geeignete Maßnahmen auf Kosten des Benützungsberechtigten zu veranlassen. Dies setze jedoch ebenso wie eine Haftung nach § 1319 ABGB die zumutbare Erkennbarkeit der Gefahr voraus. Wäre etwa ein Grabstein bereits so stark geneigt, dass er jeden Moment umzustürzen drohte, könne sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen, nicht Besitzerin des Grabes zu sein. Ihre Sorgfaltspflichten seien aber weit geringer als jene des Benützungsberechtigten.
Auf den vom Kläger vorgelegten Lichtbildern wirkten die beiden noch auf der Gruft liegenden Platten unauffällig. Zwar sei links und rechts davon etwas Moos und Pflanzenbewuchs feststellbar, die Platten vermittelten aber einen stabilen Eindruck. Die rechte Grabeinfassung sei zwar leicht nach außen verschoben, wirke aber ebenfalls unauffällig und nicht desolat. Soweit die Gruft auf den Lichtbildern sichtbar sei, wirke sie nicht besonders verwahrlost. Bei dieser Sachlage sei die Gefährlichkeit der Gruftabdeckung nicht ohne weiters erkennbar gewesen; eine Pflicht zum Hochheben der Platten hätte die Sorgfaltspflicht der Beklagten überspannt. Deliktisch hafte die Beklagte daher nicht. Auch eine vertragliche Haftung sei zu verneinen. Der Kläger stehe zwar in einem Vertragsverhältnis mit der Beklagten, weshalb diese vertragliche Schutzpflichten träfen, in deren Rahmen sie auch bei leichtem Verschuldens ihrer Mitarbeiter hafte. Der Kläger habe jedoch keinen Anspruch darauf, gefahrlos fremde Gräber zu betreten. Da zwischen seinem Familiengrab und der Gruft ein Weg liege, habe der Kläger auch nicht bei der Grabpflege auf das Nachbargrab treten müssen. Die Beklagte sei daher gegenüber dem Kläger nicht vertraglich verpflichtet gewesen, die Tragfähigkeit der Gruftplatten zu überprüfen.
Das vom Kläger gerügte Unterbleiben des Sachverständigenbeweises wäre nur dann relevant, wenn die Beklagte bei der Überprüfung des Zustands der Gräber auch ohne besondere Auffälligkeiten zur Beiziehung von Sachverständigen verpflichtet gewesen wäre. Das sei aber nicht der Fall.
Aufgrund eines Antrags nach § 508 ZPO ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung zu den Pflichten eines Friedhofsbetreibers im Zusammenhang mit der Prüfung des Erhaltungszustands von Gräbern fehle.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Die Beklage ist nicht „Besitzerin“ der vor etwa 100 Jahren errichteten Gruft.
1.1. Besitzer iSv § 1319 ABGB ist derjenige, der in der Lage ist, durch die erforderlichen Vorkehrungen die Gefahr rechtzeitig abzuwenden, und der hiezu auch durch eine Beziehung zu dem Gebäude oder Werk verpflichtet ist (3 Ob 83/54 = SZ 28/37; RIS-Justiz RS0010100). Nach moderner Terminologie ist darunter der „Halter“ zu verstehen; es kommt nicht auf das rechtliche, sondern auf das tatsächliche und wirtschaftliche Verhältnis an, in dem der Besitzer (Halter) zur Sache steht. Maßgebend ist eine Sachbeziehung (im Fall des § 1319 ABGB eine Beziehung zum Werk), die den Besitzer in die Lage versetzt und nach der Verkehrsanschauung auch dazu verpflichtet, Gefahren rechtzeitig vorzubeugen (5 Ob 77/97b = ecolex 1997, 658; RIS-Justiz RS0010100 [T12]); diese Sachbeziehung wird gelegentlich auch als „Verfügungsgewalt“ bezeichnet (1 Ob 129/02f = SZ 2002/87; RIS-Justiz RS0010100 [T19]).
1.2. Im vorliegenden Fall ist als „Besitzer“ der Gruft im Zweifel der jeweilige Benützungsberechtigte (Grabberechtigte) anzusehen. Er verfügt in der Regel über ein dingliches Nutzungsrecht auf privatrechtlicher Grundlage (5 Ob 338/59 = SZ 32/119; RIS-Justiz RS0009730; § 27 Abs 1 Wr Leichen- und Bestattungsgesetz), aus dem sich die Verfügungsgewalt über das Grab und damit auch die Pflicht zur Abwehr erkennbarer Gefahren ergibt. Dass ein Sonderfall vorläge, in dem die Verfügungsgewalt (der Besitz) an der Gruft und das Benützungsrecht auseinander fielen (vgl 3 Ob 83/54 = SZ 28/37), wurde hier nicht behauptet. Es steht auch nicht fest, dass das Benützungsrecht erloschen wäre. Damit kann offen bleiben, ob in einem solchen Fall ausnahmsweise die Beklagte selbst als Besitzerin (Halterin) der Gruft anzusehen wäre.
2. Aber auch unabhängig von § 1319 ABGB trafen die Beklagte Verkehrssicherungspflichten gegenüber den Besuchern des Friedhofs.
2.1. Wer einen Verkehr eröffnet, hat grundsätzlich für dessen Sicherheit zu sorgen (RIS-Justiz RS0023355). Diese Pflicht trifft nicht nur denjenigen, der eine Gefahrenquelle schafft, sondern auch denjenigen, der eine Gefahrenquelle in seiner Sphäre bestehen lässt (2 Ob 599/92 = EvBl 1994/8; RIS-Justiz RS0023719). Die Beweislast für das Treffen der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen liegt unabhängig davon, ob sich die Pflicht aus einem Vertrag oder aus allgemeinem Deliktsrecht ergibt, beim Verpflichteten (RIS-Justiz RS0022476).
2.2. Im vorliegenden Fall stand der Friedhof nicht nur den Benützungsberechtigten anderer Gräber und deren Verwandten, sondern auch der Allgemeinheit zum Betreten offen. Die Beklagte war daher verpflichtet, erkennbare Gefahrenquellen auch dann abzusichern, wenn sie nicht selbst deren „Besitzerin“ iSv § 1319 ABGB war. Eine solche Gefahrenquelle war zweifellos auch die (objektiv) mangelhafte Abdeckung der Gruft. Denn es ist auf Friedhöfen nicht unüblich, benachbarte Grabmäler zu betreten, um ein anderes Grab zu erreichen oder zu betreuen. Zudem kann auch ein Unfallgeschehen (Sturz), wie es hier festgestellt wurde, oder ein Betreten im Fall einer größeren Menschenansammlung bei einem Begräbnis nicht ausgeschlossen werden. Die Beklagte musste daher damit rechnen, dass Friedhofsbesucher die Abdeckplatten betreten könnten.
3. Nach dem bisherigen Stand des Verfahrens ist die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen.
3.1. Der Verkehrssicherungspflichtige hat die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten, wobei die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf und die Grenzen des Zumutbaren zu beachten sind (RIS-Justiz RS0023487, RS0023397). Umfang und Intensität der Pflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RIS-Justiz RS0023726).
3.2. Im vorliegenden Fall erstreckte sich die Pflicht zur Absicherung jedenfalls nur auf erkennbare Gefahrenquellen. Zwischen den Parteien ist jedoch strittig, nach welchem Standard diese Erkennbarkeit zu beurteilen ist. Nach Auffassung des Klägers kommt es auf die Erkennbarkeit für eine fachkundige Person an; die Beklagte und die Vorinstanzen nehmen dagegen an, dass nur offenkundige, dh auch für Laien erkennbare Gefahrenquellen eine Absicherungspflicht auslösen könnten. Strittig ist also, ob die Beklagte zu einer fachkundigen Prüfung der Gruft verpflichtet war.
3.3. Im vorliegenden Fall war die Beklagte nach Auffassung des Senats zu einer fachkundigen Prüfung verpflichtet.
3.3.1. Zwar wirkte die Gruft nach den ergänzenden Feststellungen des Berufungsgerichts „nicht besonders verwahrlost“. Allerdings gab es links und rechts der Abdeckplatten Moos und Pflanzenbewuchs, und die seitliche Begrenzung, auf der die Platten auflagen, war leicht nach außen verschoben. Beides war nach den vom Kläger vorgelegten Lichtbildern auch bei einer routinemäßigen Begehung ohne Weiteres zu erkennen. Dazu kommt, dass die letzte der Beklagten bekannte Verfügungsberechtigte 18 Jahre vor dem strittigen Vorfall gestorben war. Damit musste die Beklagte im Zweifel annehmen, dass sich niemand mehr um die über 100 Jahre alte Gruft kümmerte. Unter diesen besonderen Umständen - die freilich auf städtischen Friedhöfen wegen seinerzeit anscheinend unbefristet vergebener Grabrechte und der Auflösung traditioneller Familienbeziehungen nicht untypisch sein dürften - war die Beklagte verpflichtet, fachkundig zu prüfen oder prüfen zu lassen, ob die Abdeckplatten noch fest auflagen. Dies gilt umso mehr, als die (derzeitige) Bestattungsordnung für Gruftplatten nur eine Mindestüberdeckung von 4 cm vorsieht, was im Fall eines altersbedingten Auswanderns der unteren Auflagefläche keine allzu große Sicherheitstoleranz bedeutet.
3.3.2. Eine fachkundige Prüfung hätte sich allerdings nach der oben dargestellten Rechtsprechung auf zumutbare Maßnahmen (etwa durch Besichtigung durch einen Steinmetz) beschränken können. Eine genauere Untersuchung - etwa durch Abheben der Abdeckplatten - wäre nur erforderlich gewesen, wenn die fachkundige Person aufgrund des Alters und des für sie erkennbaren Zustands der Gruft mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf diesbezügliche Mängel hätte schließen müssen. Hätte nach den Ergebnissen einer solchen Prüfung die Gefahr eines Grufteinsturzes bestanden, wäre die Beklagte zu entsprechenden Sicherungsmaßnahmen verpflichtet gewesen.
3.4. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass sie die im konkreten Fall erforderliche fachkundige Prüfung durchgeführt oder veranlasst hätte. Damit hat sie eine sie treffende Verkehrssicherungspflicht verletzt und dadurch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.
4. Diese Unterlassung wäre allerdings nur dann kausal für den Schaden, wenn die Ergebnisse der Prüfung Anlass für eine Beseitigung der Gefahrenquelle gegeben hätten. Damit ist die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif. Denn die Vorinstanzen haben - aus ihrer Sicht folgerichtig - ausschließlich geprüft, ob offenkundige Mängel der Gruft vorlagen. Die vom Erstgericht getroffene und vom Berufungsgericht übernommene Negativfeststellung zum Zustand der Gruft stützte sich ausschließlich auf Schlussfolgerungen, die nicht fachkundige Richter aus den vorgelegten Lichtbildern gezogen hatten. Sie ist daher dahin zu verstehen, dass für einen Laien keine besondere Gefährlichkeit zu erkennen war. Darauf kommt es aber nach dem oben Gesagten nicht an; vielmehr ist zu ermitteln, ob eine fachkundige Prüfung Hinweise auf die Gefahrenquelle ergeben hätte. Das Fehlen diesbezüglicher Feststellungen führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.
5. Sollte die Beklagte im fortgesetzten Verfahren einwenden, dass sie ohnehin die Besichtigung durch fachkundige (eigene) Mitarbeiter veranlasst habe, könnte sie das bei Erkennbarkeit der Gefahr nicht entlasten. Dies gilt unabhängig vom allfälligen Bestehen vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger, der ebenfalls über ein Grabbenutzungsrecht verfügt. Zwar ist bei einer Verletzung von nicht vertraglich begründeten Verkehrssicherungspflichten grundsätzlich § 1315 ABGB anzuwenden, sodass der Verkehrssicherungspflichtige nur für sein eigenes und das Verschulden untüchtiger Gehilfen haftet (RIS-Justiz RS0023938). Allerdings hat die Beklagte als juristische Person für das Verhalten jener Personen einzustehen, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind (RIS-Justiz RS0009113; zuletzt etwa 6 Ob 108/07m); ob deren Wirkungskreis dem eines Organs entspricht, ist unerheblich (2 Ob 107/98v = JBl 1998, 713 mwN). Hat die Beklagte daher die eigenverantwortliche Prüfung der Gräber einem fachkundigen Mitarbeiter übertragen, so haftete sie für ihn als ihren Repräsentanten (vgl zur Prüfung der Standfestigkeit der Balustrade eines Bundesgebäudes 4 Ob 179/99y = RdW 1999, 715; 6 Ob 220/99t = bbl 2000, 237).
6. Aufgrund dieser Erwägungen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zur prüfen haben, ob die Gefährlichkeit der Gruft bei zumutbarer fachkundiger Prüfung erkennbar gewesen wäre; trifft das zu, besteht der Schadenersatzanspruch dem Grunde nach zu Recht.
Allgemein gilt: Der Betreiber eines Friedhofs hat aufgrund seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht die im Einzelfall zumutbare fachkundige Prüfung eines Grabmals durchzuführen oder zu veranlassen, wenn dieses offenkundig nicht mehr betreut wird und sich aus dessen Zustand und Alter nicht ganz vernachlässigbare Zweifel an der Standfestigkeit ergeben. Eine bei fachkundiger Prüfung erkennbare Gefahrenquelle hat der Friedhofsbetreiber durch geeignete Maßnahmen abzusichern.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E91039European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0040OB00075.09X.0512.000Im RIS seit
06.07.2009Zuletzt aktualisiert am
30.03.2011