Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Lukas L*****, vertreten durch Prof. Dr. Strigl Dr. Horak Mag. Stolz Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Univ.-Prof. Dr. Josef D*****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien und 2. Verein „Ö*****", *****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 741.353,23 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2008, GZ 15 R 170/08t-198, womit infolge Berufung aller Parteien das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. April 2008, GZ 15 Cg 90/07a-184, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien werden zurückgewiesen.
2. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wegen Nichtigkeit wird verworfen.
3. Dagegen wird der außerordentlichen Revision der klagenden Partei im Übrigen Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Übrigen aufrecht bleibt, wird in seinen Punkten 1. und 3. und in der Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:
„1.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 628.549,84 EUR samt jeweils 4 % Zinsen aus 177.185,31 EUR vom 1. 4. 1999 bis zum 31. 3. 2004, aus 405.469,12 EUR vom 1. April 2004 bis zum 28. 2. 2007, aus 524.134,06 EUR vom 1. 3. 2007 bis zum 11. 2. 2008, aus 598.655,25 EUR vom 12. 2. 2008 bis zum 23. 4. 2008 und aus 628.549,84 EUR seit 24. 4. 2008 binnen 14 Tagen zu zahlen.
3.) Das Mehrbegehren von 112.803,39 EUR sowie das Zinsenmehrbegehren wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien an Kosten der Berufungsbeantwortung je 1.554,38 EUR (darin je 259,05 EUR USt) zu ersetzen. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand im Ausmaß von 25 % zum Ersatz der Pauschalgebühren des Klägers im Berufungsverfahren verpflichtet."
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 842,64 EUR (darin 140,44 EUR USt) Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Haftung des beklagten Arztes und des Rechtsträgers des Krankenhauses für die aufgrund fehlerhafter Geburtshilfe beim am 26. Jänner 1997 geborenen Kläger verursachten Schädigungen und deren weiteren Folgen steht nach dem ergangenen rechtskräftigen Zwischenurteil (ON 110 iVm ON 124 und 137) dem Grunde nach fest. Die eingetretene Hirnschädigung führte ua dazu, dass der Kläger weder sitzen noch stehen kann. Er kann nicht sprechen und ist Tetraspastiker. Alle vier Gliedmaßen sind spastisch. Der Kläger kann sich nur rollend von der Bauchlage in die Rückenlage und retour bewegen. Gegenstände kann er nur im Faustgriff ergreifen. Der Kläger wird voraussichtlich sein Leben lang rund um die Uhr gepflegt werden müssen. Die Eltern des Klägers ließen seit dessen Geburt zahlreiche schulmedizinisch anerkannte und auch nicht anerkannte Therapien durchführen bzw besorgten diese selbst. Insbesondere sollte damit der durch die Spastik bestehende Leidenszustand verbessert werden. Mit dem zuletzt in der Tagsatzung vom 24. April 2008 (ON 183) ausgedehnten Leistungsbegehren begehrt der Kläger 741.353,23 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für die Geburtsschäden und deren Folgen.
Das Gericht zweiter Instanz verurteilte - abgesehen vom ungefochten bewilligten Feststellungsbegehren - in teilweiser Stattgebung der Berufung des Klägers in der Hauptsache und gänzlicher Stattgebung der Berufung der beklagten Parteien zur Nebenforderung die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 618.059,18 EUR samt Stufenzinsen. Darin enthalten sind 200.000 EUR Schmerzengeld, 29.069,13 EUR Verunstaltungsentschädigung, 55.883,83 EUR an Therapieaufwand für die Jahre 1997 - 2008 und 387.487,63 EUR für Pflegeaufwand (abzüglich 62.994,74 EUR Pflegegeld und einer Zahlung eines Versicherers von 18.168,21 EUR).
A. Zur außerordentlichen Revision des Klägers:
Teil des Leistungsbegehrens sind die Kosten von zwei Therapien in den USA (Delfintherapien). Statt den Kosten dieser durchgeführten Delfintherapien sprachen die Vorinstanzen nur die (geringeren) Kosten einer in Österreich durchgeführten, anerkannten Therapie (3.500 EUR) zu. Zu diesem Thema ist aus den erstinstanzlichen Feststellungen Folgendes hervorzuheben:
Die Eltern des Klägers führten intensiv verschiedene Therapien durch. Die Mutter therapierte nach der sogenannten Pfeiffer-Meisel-Methode über drei Jahre lang neun Stunden täglich, wodurch die Spastizität unterbrochen wurde und der Kläger sich rollend im Bett bewegen konnte. Der Kläger bedarf spezieller Therapien, damit seine Spastik nicht zunimmt. Er nahm zweimal an einer Delfintherapie in den USA teil, wobei er beim ersten Mal das Greifen und Loslassen erlernte, insbesondere das Loslassen ist bei einer ausgeprägten Spastik besonders schwierig zu erlernen. Beim zweiten Aufenthalt in den USA wurde bei der Delfintherapie die Rumpfmotorik verbessert. Zusätzlich wurden von den Eltern regelmäßig Physiotherapie, Ergotherapie, Hyppotherapie, Osteopathie, Logopädie und Energiearbeit durchgeführt. Bei der Delfintherapie wird in einem idealen Ambiente (Wasser, Delfine, gut geschulte Therapeuten) mit hohem therapeutischem Aufwand gearbeitet. Bei der Entwicklung dieser Therapie wurde festgestellt, dass durch ein Belohnungssystem (Schwimmen mit Delfinen) eine bessere und verlängerte Aufmerksamkeit bei Kindern erreicht werden kann. Die Delfintherapie wird als eine sehr konventionelle physio-, ergo- und logotherapeutische Betreuung in einer sehr unkonventionellen Umgebung beschrieben. Eine Evaluierung kontrollierter Daten dieser Therapie gibt es nicht. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.
Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die geltend gemachten Kosten für die noch nicht anerkannten Delfintherapien nicht ersatzfähig seien, dass aber wegen des Umstands, dass mit der Delfintherapie gleichzeitig auch anerkannte Methoden eingesetzt werden, die Kosten für die Reisen und Therapien mit dem nach § 273 ZPO einzuschätzenden Betrag von 3.500 EUR zu vergüten seien.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Teilabweisung mit der wesentlichen Begründung, dass die Kosten einer Sonderbehandlung nur zu ersetzen seien, wenn diese medizinisch zweckmäßig erscheine oder wenigstens ein günstigeres Behandlungsergebnis erwarten lasse. Nach erfolgloser Durchführung einer zumutbaren schulmedizinischen Methode sei vom Krankenversicherungsträger auch eine anerkannte kostenaufwändigere Behandlung zu honorieren, wenn diese erfolgreich war oder sich als erfolgversprechend dargestellt habe. Bei der Delfintherapie sei darauf abzustellen, ob anhaltende palliative Wirkungen auf die Therapie zurückgeführt werden könnten. Die Kausalität sei eine medizinische Fachfrage. Bei der Delfintherapie durch Schwimmen mit Delfinen als eine Art Belohnung werde die Aufmerksamkeit der Kinder verbessert. Die Verbesserung sei auf die Urlaubssituation unter Einbindung der Familie zurückzuführen. Nach dem Stand der Wissenschaft seien bleibende Verbesserungen der motorischen und kognitiven Funktionen bei Patienten mit schweren motorischen Schädigungen aber nicht bestätigt. Eine anhaltende Verbesserung könne nicht auf diese besondere Therapieform zurückgeführt werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass (gleichzeitig) auch anerkannte Methoden (aktive Therapien und intensives Training; Schwimmen, Reiten, Fahrrad fahren, Massagen, Ergotherapie, Physiotherapie, Hyppotherapie) eingesetzt werden. In Österreich seien gleichartige Besserungswirkungen zu erlangen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Kläger den Zuspruch weiterer 10.490,66 EUR, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.
Die Beklagten beantragen mit den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen in erster Linie die Zurückweisung der Revision mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen, hilfsweise aber, dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht in der Frage der Kausalität von den erstinstanzlichen Feststellungen abgewichen und damit zu einem Ergebnis gelangt ist, das mit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung in Widerspruch steht, wonach die Kosten einer alternativen Behandlungsmethode dann zu ersetzen sind, wenn schulmedizinische Methoden erfolglos blieben. Die Revision ist auch berechtigt.
I. Vorauszuschicken ist, dass hier kein Zwischenverfahren nach § 508 ZPO einzuleiten ist, weil es bei der Beurteilung des Werts des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschied, nicht auf die einzelnen Ersatzforderungen sondern auf alle im Berufungsverfahren strittigen Forderungen ankommt, die in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen (§ 55 Abs 1 JN). Dies trifft hier auf jeden Fall für das Leistungsbegehren und das Feststellungsbegehren zu (2 Ob 340/00i).
II. Zur Frage der Kausalität der Delfintherapie für die festgestellten Verbesserungen des Zustands des Klägers infolge Erlernens des Greifens und Loslassens und der Verbesserung der Rumpfmotorik:
1. Das Erstgericht hat zwar nicht ausdrücklich festgestellt, dass die Verbesserungen durch die Delfintherapie eingetreten sind (sondern nur: „wobei ... er erlernte"). Seine Feststellungen können aber nur im Zusammenhang mit den übrigen Erwägungen im Sinne einer Kausalität der Delfintherapie, zumindest einer Mitkausalität, verstanden werden. Auch wenn es zum festgestellten Wesen dieser Therapie gehört, dass neben der unmittelbaren Arbeit mit den Tieren im Wasser auch herkömmliche und anerkannte Methoden angewandt werden, steht doch fest, dass mit letzteren Methoden, welche die Eltern in intensivster Weise bis zu den Reisen in die USA anwandten, gerade nicht der dort erzielte Erfolg erreicht wurde. Wenn nun das Berufungsgericht die Kausalität der Delfintherapie anzweifelt und dazu die besondere Urlaubsstimmung sowie die gleichzeitig angewandten konventionellen Methoden ins Treffen führt, geht es im Ergebnis von einer vom Erstgericht nicht getroffenen Negativfeststellung aus. Da die Delfintherapie nach den Feststellungen eine Kombinationstherapie ist und die besondere Wirkung auf diese Kombination zurückgeführt werden kann, hat der für die Kausalität beweispflichtige Kläger in ausreichendem Maß den Ursachenzusammenhang nachgewiesen. Dass das Erstgericht keine Negativfeststellung treffen wollte, geht schon aus der Begründung der Teilabweisung hervor, dass die Delfintherapie in Österreich keine anerkannte Therapie ist und keine klinischen Studien und Evaluierungen vorliegen. Für das Erstgericht war also die mangelnde schulmedizinische Überprüfbarkeit der Behandlungsmethode in rechtlicher Hinsicht entscheidend und nicht etwa ein Zweifel dahin, dass der erzielte Erfolg insgesamt auf die Kombinationsmethode zurückzuführen sei.
2. Wenn das Berufungsgericht weiters damit argumentiert, dass eine bleibende (anhaltende) Verbesserung der Motorik nach dem Stand der Wissenschaft nicht bestätigt sei, spricht dies nicht gegen die Annahme einer Kausalität im hier zu beurteilenden Fall. Dass die festgestellten Verbesserungen nicht bleibende seien, wurde weder festgestellt noch haben dies die Beklagten bestritten. Dass die Wirkung einer alternativen Behandlungsmethode nach dem Stand der Wissenschaft, also von der Schulmedizin, nicht bestätigt (nicht anerkannt) wird, entspricht der Begriffsdefinition einer alternativen Methode und sagt nichts über deren Effektivität aus, die am eingetretenen Erfolg zu messen ist.
III. Wenn der Erfolg (die Kausalität) einer alternativen Behandlungsmethode (Außenseitermethode) feststeht hat der Schädiger die Kosten zu ersetzen:
1. Vorauszuschicken ist, dass die festgestellten Verbesserungen des Patientenzustands durchaus einen beachtlichen Fortschritt darstellen und grundsätzlich den Aufwandsersatz rechtfertigen.
2. Die zur Kostenübernahme durch Krankenversicherungsträger in der oberstgerichtlichen Judikatur vertretenen Grundsätze sind auch hier anzuwenden:
a) Dem Patienten muss der Beweis zulässig sein, dass im Einzelfall eine wissenschaftlich noch nicht allgemein gesicherte Methode erforderlich und zweckmäßig war (RIS-Justiz RS0083792).
b) Die Kosten einer Außenseitermethode sind zu ersetzen, wenn zunächst eine herkömmliche Behandlungsmethode erfolglos versucht wurde und sodann eine alternative Behandlungsmethode erfolgreich war (RIS-Justiz RS0102470).
c) Kostenersatz für Außenseitermethoden kann immer erst dann erfolgen, wenn entweder eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung steht oder eine solche erfolglos blieb (RIS-Justiz RS0104903).
3. Nach Ansicht des erkennenden Senats hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis in ausreichendem Maß erbracht. Einer uferlosen Ausweitung von Schadenersatzpflichten in Richtung einer Ersatzpflicht von Außenseitermethoden im Ausland steht schon die Beweispflicht entgegen, dass ein Erfolg der Behandlung nachzuweisen ist, der Patient also zunächst auf eigene Kosten die alternative Methode anzuwenden hat. Gerade bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer Methoden wird dieser Nachweis schwer zu erbringen sein und ein Patient als Kläger oft an Negativfeststellungen scheitern. Im vorliegenden Fall rechtfertigen aber die erstinstanzlichen Feststellungen, die das Berufungsgericht übernommen hat und an die der Oberste Gerichtshof als ausschließliche Rechtsinstanz gebunden ist, die Bejahung eines Behandlungserfolgs durch die Delfintherapie.
IV. Die angebliche Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO haftet dem angefochtenen Urteil nicht an, kann doch keine Rede davon sein, das Berufungsgericht, dessen Erwägungen kurz dargestellt wurden, habe im Sinn der Rechtsprechung (E. Kodek in Rechberger³ § 477 ZPO Rz 12 mwN) für seine Entscheidung (im fraglichen Punkt) keine bzw nur unüberprüfbare Gründe oder nur eine Scheinbegründung gegeben.
V. Das Erstgericht hat die Kostenaufstellung des Klägers als Anhang seines Urteils zum festgestellten Sachverhalt gemacht und die für die beiden in den Jahren 2003 und 2004 durchgeführten Therapien und Reisen geltend gemachten Beträge aus nicht zu billigenden rechtlichen Erwägungen vom Zuspruch ausgeschlossen. Da die Beklagten zur Höhe dieser Ansprüche keine substantiellen Einwendungen erhoben, sondern nur auf die fehlende Ersatzfähigkeit abstellten, ist die Sache im Sinne einer Stattgebung der Revision des Klägers spruchreif.
B. Zu den außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien:
Während der Erstbeklagte in dritter Instanz allein einen seiner Ansicht nach überhöhten Zuspruch von Pflegekosten im Ausmaß von 143.198,88 EUR bekämpft, wendet sich die zweitbeklagte Partei noch gegen Zusprüche an Pflegekosten von 209.721,15 EUR, an Schmerzengeld von 70.000 EUR und an Verunstaltungsentschädigung von 14.096,13 EUR (Revisionsinteresse daher 293.817,28 EUR).
Sie vermögen aber in diesen Punkten das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO nicht darzulegen.
I. 1. Die Höhe des angemessenen Schmerzengelds ist eine Frage des Einzelfalls und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042887). Eine eklatante Fehlbemessung, die aus dem Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung fallen würde (RIS-Justiz RS0031075; RS0042887 [T5 und T6]), ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Das zeigt beispielsweise auch der (nur zur Darstellung der Relationen dienende) Vergleich mit der Entscheidung 2 Ob 221/02t vom 13. März 2003 (Mehrfachbehinderung durch Schütteln im Mai 2000), womit der Oberste Gerichtshof dem Kläger das begehrte Schmerzengeld von umgerechnet 181.682,08 EUR (entgegen der nur einen geringeren Betrag anerkennende Entscheidung zweiter Instanz) ungekürzt zusprach. Auch ohne Berücksichtigung der laufenden Inflation ist daher dem Berufungsgericht eine wahrzunehmende Fehlbeurteilung keinesfalls unterlaufen.
2. Nichts anderes gilt für die Verunstaltungsentschädigung (RIS-Justiz RS0031344), auch wenn man in Rechnung stellt, dass dem Kläger allenfalls keine Entschädigung wegen verlorener Heiratschance zusteht, weil er dieser schon durch die Verletzung verlustig ging. Auch in diesem Punkt kann die zweitbeklagte Partei keine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzeigen; dies insbesondere im Hinblick auf besonders schwere vom Obersten Gerichtshof in der Vergangenheit entschiedene Fälle und unter Berücksichtigung einer Inflation von etwas über 20 % in den letzten etwa zehn Jahren (1 Ob 161/00h vom 6. Oktober 2000: umgerechnet etwa 21.800 EUR bei Geburtsschädigung; 10 Ob 86/01x vom 8. Mai 2001: umgerechnet etwa 25.435 EUR bei Geburtsschädigung im August 1988).
II. Im Punkt der Pflegekosten relevieren beide beklagte Parteien, es sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass auch gesunde Kinder in den ersten drei Lebensjahren pflegebedürftig seien, die zweitbeklagte Partei auch noch die Rechtfertigung des Zuspruchs von Bruttolohnkosten professioneller Pflegekräfte, obgleich der Kläger von den Eltern gepflegt werde.
1. Auch damit werden keine erheblichen Rechtsfragen angeschnitten. Zunächst gehen die Revisionswerber nicht von den von den Tatsacheninstanzen für den Obersten Gerichtshof, der allein Rechtsinstanz ist, bindend festgestellten Sachverhalt aus. Nach diesem besteht eine generelle Pflegebedürftigkeit von Kindern in den ersten beiden Lebensjahren und eine schrittweise Verringerung im dritten. Soweit sich die Revisionsausführungen in der Negation der zweitinstanzlichen Rechtsausführungen erschöpfen, liegt keine ordnungsgemäße Rechtsrüge vor. Dagegen, dass nach Ansicht der zweiten Instanz die Kosten einer Pflegeperson auch während der ersten drei Lebensjahre des Klägers wegen Art und Intensität seines Pflegebedarfs nötig war, wird gar nicht argumentiert.
2. Im Punkt der Kosten der Pflegekräfte sah offenbar das Erstgericht unter Anwendung des § 273 ZPO die Berechnung des Klägers (Durchschnittsbetrag für eine Diplom- und eine Hilfsschwester x 2) bei einer angeblich nur sehr geringen Lohndifferenz als gerechtfertigt an. Dass das Berufungsgericht in seiner diese Beurteilung billigenden Entscheidung in Wahrheit die Kosten für zwei diplomierte Schwestern zusprechen habe wollen, lässt sich seiner Entscheidung nicht entnehmen. Zum jährlich erforderlichen Pflegeaufwand liegen wiederum bindende Feststellungen vor. Schließlich kommt einer vom Richter vorgenommenen Schätzung in der Regel keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0121220; RS0040494).
3. Soweit die zweitbeklagte Partei in der Frage der Bruttolohnkosten auf die Entscheidung 6 Ob 143/98t = SZ 71/146 verweist, ist ihr zu erwidern, dass diese „vereinzelt" blieb (2 Ob 176/05d mwN). Die in der Revision ungenau zitierte Kritik von Harrer (schon in Schwimann² § 1325 Rz 15 [nicht wie nach der Revision bei § 1295]; in der 3. Auflage nunmehr in Rz 16 ergänzt) hat der Oberste Gerichtshof bereits abgelehnt (5 Ob 50/99k). Die Meinung Reischauers (in Rummel³ § 1327 Rz 30) betrifft den vorliegenden Fall nicht (vielmehr Ersatzkräfte bei Tötung von Unterhaltspflichtigen).
Die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien sind daher zurückzuweisen, ohne dass es einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
C. Die Kostenentscheidung erster Instanz in der Fassung des Berufungsurteils würde sich durch den Erfolg des Klägers in dritter Instanz rechnerisch nur geringfügig ändern, berücksichtigte man zu seinen Gunsten ab der Tagsatzung vom 1. April 2004 einen um 5 EUR erhöhten Ansatz nach TP 3A des RAT (ein halbes Promille des 363.360 EUR übersteigenden Betrags). Diese geringfügige Verbesserung ist aber angesichts der ihn ohnehin begünstigenden und auch der Prozessökonomie dienenden Regelung des § 43 Abs 2 ZPO zu vernachlässigen, weshalb es bei dieser Entscheidung zu verbleiben hat.
Im Berufungsverfahren erhöht sich dagegen die Quote seines Teilerfolgs auf etwa ein Viertel, weshalb der Kostenzuspruch nach §§ 50, 43 Abs 1 ZPO an die beklagten Parteien auf die Hälfte von deren Rechtsanwaltskosten für die Berufungsbeantwortungen reduziert. Die Kostenentscheidung über die Berufungen der beklagten Parteien wird davon nicht berührt. Im Revisionsverfahren hat dagegen der Kläger nach §§ 50, 41 ZPO Anspruch auf vollen Kostenersatz.
Textnummer
E90835European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0030OB00283.08A.0519.000Im RIS seit
18.06.2009Zuletzt aktualisiert am
28.10.2010