Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juni 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerd H***** wegen Verbrechen nach § 3g VG, AZ 412 Hv 2/08b des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Europäischen Haftbefehl des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. September 2007 (ON 230) sowie die Beschlüsse dieses Gerichts vom 6. März 2009 (ON 283) und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 3. April 2009, AZ 17 Bs 131/09b (ON 297), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Gerd H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird, soweit sie den Europäischen Haftbefehl vom 7. September 2007 (ON 230) und den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. März 2009 (ON 283) bekämpft, zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 3. April 2009 (ON 297) richtet, abgewiesen.
Text
Gründe:
Das Landesgericht für Strafsachen Wien erließ am 7. September 2007 einen Europäischen Haftbefehl gegen Gerd H***** wegen des Verdachts, dieser habe sich in der Zeit vom November 1987 bis zum Frühjahr 2007 in zahlreichen, einzeln angeführten Fällen auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er Druckwerke und Internetschriften verbreitete, in denen insbesondere nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen in Form einer planmäßigen Vernichtung von bestimmten Gruppen in Konzentrationslagern unter Verwendung von Giftgas geleugnet und als lügenhafte Propaganda dargestellt werden, und indem er sich mit Autoren, die diese Ansicht vertreten, identifizierte (ON 230).
Einer (ua) gegen diesen Haftbefehl gerichteten Beschwerde des Gerd H***** (ON 245) gab das Oberlandesgericht Wien nicht Folge (ON 248). Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde (ON 249) wies der Oberste Gerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Mai 2008, AZ 14 Os 56/08d (ON 265), zurück.
Zwischenzeitig hatte das Zentrale Untersuchungsgericht Nr 5 Spaniens am 17. Jänner 2008 die (Nachtrags-)Auslieferung Gerd H*****s an die österreichischen Behörden zur Verfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl vom 7. September 2007 beschriebenen Taten verfügt (ON 253).
Die solcherart der Auslieferung zu Grunde liegenden Tatvorwürfe sind auch Gegenstand der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 18. April 2008, Zl 53 St 53.849/88f, die mit Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 10. Februar 2009 (ON 276) hinsichtlich des Großteils der angeklagten Fakten rechtswirksam geworden ist.
Mit Beschluss vom 6. März 2009 (ON 283) verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über Gerd H***** die Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht- (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO) und der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO). Dabei erachtete es den vom Gesetz geforderten dringenden Tatverdacht (§ 173 Abs 1 StPO) hinsichtlich der Vorwürfe als gegeben, die auch vom rechtswirksamen Teil der Anklageschrift umfasst waren.
Der dagegen erhobenen Beschwerde des Gerd H***** gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 3. April 2009 (ON 297) nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den vom Erstgericht angenommenen Haftgründen fort.
Rechtliche Beurteilung
Soweit sich die Grundrechtsbeschwerde gegen den Europäischen Haftbefehl vom 7. September 2007 (ON 230) wendet, steht ihrer meritorischen Erledigung die Sperrwirkung der res iudicata entgegen (ON 265).
Ebenso ist die Bekämpfung des erstrichterlichen Beschlusses vom 6. März 2009 (ON 283) einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich, weil das außerordentliche Rechtsmittel der Grundrechtsbeschwerde gemäß § 1 Abs 1 GRBG nur nach Erschöpfung des Instanzenzugs und solcherart im (hier vorliegenden) Fall eines solchen nur gegen die Rechtsmittelentscheidung, die ihrerseits keinem weiteren Rechtszug unterliegt, nicht jedoch gegen Entscheidungen der Vorinstanzen zusteht (RIS-Justiz RS0061078).
In Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 3. April 2009 (ON 297) ist die Grundrechtsbeschwerde, die sich inhaltlich nur gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts (§ 173 Abs 1 StPO) richtet, zwar zulässig, aber nicht berechtigt.
Mit dem sinngemäßen Vorbringen, der angefochtene Beschluss gehe insoweit über die Bewilligung der Auslieferung zur Strafverfolgung (ON 253) hinaus, wendet die Beschwerde der Sache nach die Missachtung des Verfolgungshindernisses der Spezialität der Auslieferung ein. Diese Argumentation ist aber schon im Ansatz verfehlt, weil die diesbezügliche Beschwerdeprämisse, die Auslieferung sei ausschließlich wegen des Vorwurfs des „Leugnens der Gaskammern" bewilligt worden, nicht zutrifft. Die Bewilligung erfolgte vielmehr hinsichtlich des im Europäischen Haftbefehl näher beschriebenen Verdachts, der Beschwerdeführer habe sich auf eine andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er Druckwerke und Internetschriften verbreitete, in denen insbesondere nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen in Form einer planmäßigen Vernichtung von bestimmten Gruppen in Konzentrationslagern unter Verwendung von Giftgas geleugnet und als lügenhafte Propaganda dargestellt werden, und indem er sich mit Autoren, die diese Ansicht vertreten, identifizierte (ON 253 iVm ON 230 S 247). Von dieser Verdachtslage geht auch die angefochtene Entscheidung aus (ON 297 S 5). Der Umstand, dass dabei auf die Anklageschrift vom 18. April 2008, in der die inkriminierten Äußerungen näher umschrieben sind, verwiesen wird, vermag hieran nichts zu ändern.
Hinsichtlich der weitwendigen, auf verschiedene auslieferungsrechtliche Bestimmungen gestützten Einwände gegen die Entscheidung des Zentralen Untersuchungsgerichts Nr 5 Spaniens (ON 253) genügt der Hinweis, dass dem Obersten Gerichtshof insoweit keine Prüfungskompetenz zukommt.
Die theoretischen Ausführungen zu den Tatbeständen des Verbotsgesetzes und den dort vorgesehenen Strafdrohungen sind im Grundrechtsbeschwerdeverfahren ebenso unbeachtlich wie die Überlegungen zur - von dem in der Sache selbst nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erkennenden Gericht zu beurteilenden - Schuldfrage.
Die Erwägungen zum Tatbestand des § 3h VG sind mit Blick auf die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Annahme, der Beschwerdeführer habe iS des § 3g VG delinquiert, unverständlich.
Soweit sich die Beschwerde - wenngleich ohne diesbezügliche inhaltliche Argumentation - neben dem Grundrecht des Art 5 MRK auch auf jene der Art 6, 7 und 17 MRK stützt, sei der Vollständigkeit halber festgehalten:
Verfahren, innerhalb derer Maßnahmen im Rahmen eines Strafprozesses - wie etwa die Verhängung oder die Fortsetzung der Untersuchungshaft - überprüft werden, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK, weil sich dieser nur auf die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage selbst, also über Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten bezieht (Grabenwarter EMRK³ § 24 Rz 26).
Korrespondierend dazu ist Art 7 MRK in sachlicher Hinsicht auf Verurteilungen und die Verhängung von Strafen beschränkt (Grabenwarter EMRK³ § 24 Rz 129).
Inwieweit die Garantie des Art 17 MRK gegenständlich tangiert sein soll, bleibt im Dunkeln.
Da die Beschwerde somit im nicht zurückgewiesenen Umfang keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigt, war sie insoweit ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Textnummer
E91134European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0140OS00055.09H.0604.000Im RIS seit
04.07.2009Zuletzt aktualisiert am
11.08.2011