TE OGH 2009/6/9 1Ob103/09t

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Veröffentlicht am 09.06.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden (29 C 102/05k, 9 C 2118/02d), widerbeklagten (29 C 969/05k) und beklagten Partei (9 C 286/03v) B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Prokopp, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte (29 C 102/05k, 9 C 2118/02d), widerklagende (29 C 969/05k) und klagende (9 C 286/03v) Partei K*****GmbH, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.727.343,55 EUR sA (29 C 102/05k, 9 C 2118/02d), 2.993.962,96 EUR sA (29 C 969/05k) und 57.571,15 EUR sA (9 C 286/03v), über die außerordentliche Revision der beklagten, klagenden und widerbeklagten Partei K*****GmbH (Revisionsinteresse 3.809.998,09 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2009, GZ 40 R 252/08t-125, womit das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 19. August 2008, GZ 29 C 102/05k-117, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

§ 1096 Abs 1 Satz 2 ABGB gewährt dem Bestandnehmer einen gesetzlichen Zinsbefreiungs/Zinsminderungssanspruch, wenn der Bestandgeber seine Verpflichtung ua zur Verschaffung des vereinbarten Gebrauchs nicht erfüllt. Sowohl der Umfang der Gebrauchsrechte des Bestandnehmers als auch die Pflicht zu deren Gewährung unterliegt der Parteiendisposition (RIS-Justiz RS0021044), weshalb auch die Modifizierung des gesetzlichen Zinsminderungsanspruchs durch Vertragsvereinbarungen grundsätzlich zulässig ist (6 Ob 59/00w = SZ 73/180). Die ständige höchstgerichtliche Judikatur schließt eine Zinsbefreiung/-minderung dann aus, wenn der Bestandnehmer die Umstände, die seinen Gebrauch behindern, akzeptiert (RIS-Justiz RS0021408). Insbesondere kann die vorbehaltlose Zahlung des Mietzinses bei Kenntnis der bestehenden, die Brauchbarkeit des Bestandobjekts beeinträchtigenden Mängel nach Maßgabe des § 863 ABGB als konkludenter Verzicht auf den gesamten Mietzinsminderungsanspruch gewertet werden (5 Ob 60/04s = SZ 2004/47).

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Widerklägerin (Beklagte) mietete im Jahr 1987 ein Geschäftslokal in einem noch zu errichtenden Einkaufszentrum. Sie begründete ihren Zinsminderungsanspruch damit, dass das Einkaufszentrum entgegen der Projektpräsentation nicht über Gastronomiebetriebe, einen Lebensmittelsupermarkt und eine Besuchern offen stehende Tiefgarage verfüge. Diese Situation hatte sich aber bereits vor Jahren verwirklicht und war der Beklagten bekannt, die selbst bereits Ende der 80er Jahre gegenüber der Vermieterin ua den fehlenden Zugang zur Tiefgarage für Kunden und die von der Vermieterin versuchte, aber gescheiterte Etablierung eines Lebensmittelsupermarkts gerügt hatte. Die Beklagte ersuchte im November 1998 schriftlich, wegen der besonderen Schwierigkeiten des Textileinzelhandels und der Umsatzrückgänge den Mietzins vorübergehend auf eine Miete in Höhe von 8 % des Nettoumsatzes zu senken. Die bis Frühjahr/Sommer 1999 andauernden Verhandlungen über diese Reduktion des Mietzinses scheiterten letztlich. Trotz der von der Beklagten als unbefriedigend empfundenen Situation zahlte sie den Mietzins in voller Höhe ohne Vorbehalt bis November 2001. Die Vorinstanzen sind aufgrund des festgestellten Verhaltens der Beklagten davon ausgegangen, dass die der Projektpräsentation zugrunde gelegte Ausstattung des Einkaufszentrums (mit Supermarkt, Gastronomiebereich und Kundengarage) nicht mehr Grundlage des Bestandvertrags gewesen sei und damit ein Verzicht auf die Geltendmachung von Mietzinsminderungsansprüchen wegen dieser Mängel vorliege.

Die Auslegung von konkludenten Willenserklärungen ist immer nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu beurteilen und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung ist in dieser von singulären Verhältnissen geprägten Geschäfts- und Vertragsbeziehung der Streitteile (siehe die den zwischen den Parteien geführten Kündigungsprozess betreffende Entscheidung 7 Ob 282/05d) nicht zu erkennen. Zwar ist bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts besondere Vorsicht angebracht (RIS-Justiz RS0014190; 2 Ob 63/08s), vor allem wenn dieser sich in die Zukunft auswirkt. In den Fällen der nachträglichen Geltendmachung einer im Bestandvertrag vereinbarten Wertsicherung durch den Vermieter hat der Oberste Gerichtshof die bloße Untätigkeit des Vermieters über einen jahrelangen Zeitraum nicht per se für ausreichend erachtet, um daraus einen Verzicht abzuleiten (2 Ob 63/08s; 4 Ob 3/09h ua). Wie generell bei der Auslegung konkludenter Willenserklärungen war aber auch in diesen Fällen relevant, wie das Verhalten des „Verzichtenden“ aus der Sicht des redlichen Vertragspartners verstanden werden konnte. Im konkreten Fall war die gesamte Entwicklung der Geschäftsbeziehung dadurch geprägt, dass die Beklagte nicht nur jahrelang keine Konsequenzen aus der unbefriedigenden Situation gezogen hat (entweder durch Auflösung des Vertrags oder Geltendmachung eines Zinsminderungsanspruchs, ausdrücklich gestützt auf die bekannten Mängel), sondern auch die im Frühjahr/Sommer 1999 gescheiterten Verhandlungen über eine Mietzinsminderung akzeptierte und bis November 2001 die vorgeschriebenen Mietzinse in voller Höhe ohne Vorbehalt leistete. Wurden die Mängel aber bereits gerügt und führten letztlich Verhandlungen nicht zur angestrebten Reduktion des Mietzinses, so handelt es sich eben nicht um eine bloß vom Vertragspartner kommentarlos zur Kenntnis genommene Untätigkeit. Das Verhalten der Mieterin lässt aus der Sicht der Vermieterin die Interpretation zu, dass die Mieterin die gegebene Situation des Einkaufszentrums und damit den Entfall einer Verpflichtung der Vermieterin, den Zustand entsprechend der Projektplanung herzustellen, akzeptiert. Wurde aufgrund dieser konkludenten Vereinbarung der Umfang der Benutzung des Bestandobjekts verändert, ist für den damit verbundenen Verzicht auf das Zinsminderungsrecht auch nicht relevant, dass ab November 2001 neuerlich über eine Mietzinsreduktion verhandelt wurde: Diese Verhandlungen scheiterten nämlich, weshalb eine neuerliche Änderung des Gebrauchsrechts nicht zustande kam. Das im Mietvertrag vereinbarte Schriftlichkeitsgebot steht einer konkludenten Änderung nicht zwingend entgegen, können doch Parteien grundsätzlich jederzeit vom Formvorbehalt abgehen (P. Bydlinski in KBB² § 884 ABGB Rz 2). Hier beruft sich ja die Beklagte selbst darauf, dass die Projektpräsentation, die nach dem festgestellten Sachverhalt nicht im schriftlichen Mietvertrag festgehalten wurde (S 26 Ersturteil), ungeachtet der vereinbarten Schriftform Vertragsbestandteil des Mietvertrags wurde.

Bei diesem Ergebnis ist die in der Revision thematisierte Frage, ob die in der Projektpräsentation vorgesehene, nicht verwirklichte Ausstattung des Einkaufszentrums - vergleichbar umfangreichen Leerstehungen in Einkaufszentren (dazu: RIS-Justiz RS0114566) - den Zinsminderungsanspruch rechtfertigt, nicht zu erörtern.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E91006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00103.09T.0609.000

Im RIS seit

09.07.2009

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2016
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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