TE OGH 2009/6/9 1Ob88/09m

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Veröffentlicht am 09.06.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Barbara F*****, vertreten durch Dr. Brigitte Birnbaum, Dr. Rainer Toperczer und Mag. Diether Pfannhauser, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Thomas K*****, vertreten durch Dr. Manfred Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über die Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2009, GZ 44 R 599/08a-102, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. September 2008, GZ 5 C 187/04x-93, teilweise abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 297,41 EUR (darin enthalten 49,57 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Streitteile wurde im Jahr 2007 gemäß § 55 EheG rechtskräftig geschieden. Der Beklagte und Widerkläger (Beklagte) hat der Klägerin und Widerbeklagten (Klägerin) wegen des Verschuldensausspruchs nach § 61 Abs 3 EheG Unterhalt wie bei aufrechter Ehe zu leisten. Er ist sorgepflichtig für die gemeinsame, am 9. 8. 2003 geborene Tochter.

Die Klägerin begehrte monatlichen Unterhalt von 1.025 EUR vom 1. 8. 2003 bis 31. 5. 2004 und 1.516 EUR ab 1. 6. 2004. Das Teilanerkenntnisurteil vom 21. 11. 2005 (ON 27) verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von monatlich 1.250 EUR ab 20. 10. 2005. In seiner Widerklage begehrte er die Herabsetzung dieser Unterhaltsverpflichtung auf 1.070 EUR ab 1. 6. 2006. Im Revisionsverfahren sind die vom Berufungsgericht mit einem 2%igen Abzug berücksichtigte Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner Mutter und die Bemessungsgrundlage ab 1. 6. 2006 strittig. Das Berufungsgericht ließ nachträglich die Revision zu der Frage zu, unter welchen Voraussetzungen bzw mit welchen Einschränkungen einem unterhaltsberechtigten Elternteil die Heranziehung des eigenen Vermögensstamms, insbesondere die Veräußerung eines selbst bewohnten Einfamilienhauses, zumutbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Der Unterhaltsanspruch gegen Nachkommen, der nach der Wertung des § 143 ABGB einen Ausnahmefall darstellt (1 Ob 156/97s = SZ 70/146), setzt nach § 143 Abs 1 ABGB fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit der unterhaltsberechtigten Eltern voraus (RIS-Justiz RS0047912). Die in jedem einzelnen Fall zu prüfende (RIS-Justiz RS0107949) Selbsterhaltungsfähigkeit ist nicht zwingend anzunehmen, wenn - wie hier - der Unterhaltsberechtigte eine „Mindestpension" bezieht (1 Ob 156/97s; 3 Ob 157/05t). Geschuldet wird der angemessene, nicht bloß der notdürftige Unterhalt (RIS-Justiz RS0107948), maßgeblich sind die Lebensverhältnisse des Kindes und des Elternteils (6 Ob 128/05z = SZ 2005/103). Der Unterhaltsanspruch eines Elternteils mindert sich nach § 143 Abs 3 Satz 1 ABGB insoweit, als ihm die Heranziehung des Stammes des eigenen Vermögens zumutbar ist (RIS-Justiz RS0048127). Das setzt ein verwertbares Vermögen voraus (RIS-Justiz RS0107952). Der Unterhaltsanspruch wird nicht zwingend dadurch ausgeschlossen, dass der Elternteil den Mangel seiner Selbsterhaltungsfähigkeit selbst verschuldet hat (Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 143 ABGB Rz 5; Gitschthaler, Unterhaltsrecht² § 143 ABGB Rz 560/10 mwN).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner Mutter anzunehmen, hält sich im Rahmen dieser, von Lehre und Judikatur entwickelten Kriterien zum Unterhaltsanspruch eines Elternteils. Das einzige Vermögen der Mutter des Beklagten ist das von ihr gemeinsam mit ihrem 1995 geborenen Enkel (Neffe des Beklagten) bewohnte Einfamilienhaus samt einer 1.029 m² großen Liegenschaft, die mit einer (mit ca 90.000 EUR aushaftenden) Hypothek belastet ist. Die Mutter des Beklagten erhielt bei einem letztlich auf 145.345 EUR herabgesetzten Kaufpreis keine konkreten Angebote. Die drohende Zwangsversteigerung konnte nur durch einen vom Beklagten zur Umschuldung aufgenommenen Kredit abgewendet werden. Im (theoretischen) Fall eines Verkaufs um 145.345 EUR hätte die Mutter des Beklagten mit dem nach Kreditabdeckung verbleibenden Betrag von 50.000 EUR auf die Dauer von fünf Jahren eine 70 bis 75 m² große Mietwohnung finanzieren können. Die von der Klägerin als zumutbar gesehene Verwertung der Liegenschaft samt Haus hätte den Verlust der einzigen (adäquaten) Wohnmöglichkeit der Eigentümerin und ihres Enkels bedeutet. Ansonsten wäre ihnen nur eine 30 m² große, seit Jahren leerstehende Mietwohnung der mütterlichen Großmutter des Beklagten „zur Verfügung gestanden", die (bei der nach den Feststellungen zweifelhaften Eintrittsberechtigung der Mutter des Beklagten) weder eine rechtlich gesicherte, noch eine den bisherigen Wohnverhältnissen adäquate Unterkunft gewesen wäre. Der (theoretische) Verkaufserlös hätte die Finanzierung einer Wohnmöglichkeit nur für fünf Jahre gedeckt; wie die Mutter des Beklagten ihren Wohnbedarf danach gedeckt hätte, lässt die Revision offen. Gemessen an durchschnittlichen Lebensverhältnissen erzielte der Beklagte aus seinen Dienstverhältnissen jeweils ein überdurchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in der Größenordnung von ca 4.000 bis ca 5.000 EUR (inklusive Sonderzahlungen und Sachbezügen). Seine Mutter bezog eine Pension samt Ausgleichszulage von monatlich 719 EUR (2004), 790 EUR (2007) und 810 EUR (seit 2008). Bei den Lebensverhältnissen des Beklagten ist es vertretbar, seine Mutter nicht auf den notdürftigen, aus der „Mindestpension" samt Ausgleichszulage zu deckenden Unterhalt zu beschränken. Dass die Mutter des Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt von ihren ersten beiden Ehemännern keinen Unterhalt bezieht, weil sie nach der Scheidung keine Zahlungen wollte, ist für die subsidiäre Unterhaltspflicht ihres Sohnes schon deshalb irrelevant, weil ein allfälliger Unterhaltsanspruch jeweils mit der Wiederverehelichung erloschen wäre (§ 75 EheG). Das Motiv für den anlässlich der einvernehmlichen Scheidung von ihrem dritten Mann erklärten Unterhaltsverzicht der Mutter des Beklagten steht nicht fest, insbesondere nicht, ob das bis zur ihrer Pensionierung aus einer selbständigen Tätigkeit erzielte Einkommen, die Verschuldensfrage oder einfach der Wunsch nach einer raschen und konfliktfreien Scheidung eine Rolle gespielt haben. Selbst ein unbegründeter Unterhaltsverzicht führt nicht zwingend zum Verlust einer Unterhaltsberechtigung (vgl Gitschthaler aaO). Für die grundsätzliche Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner Mutter als eine die Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin reduzierende Belastung ist nicht darauf abzustellen, ab welchem Zeitpunkt er sie tatsächlich erfüllt hat. Dem in der Revision betonten zeitlichen Zusammenhang zwischen der tatsächlichen finanziellen Unterstützung der Mutter ab ihrem 65. Geburtstag am 31. 5. 2003 und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen der Klägerin kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu.

Das Berufungsgericht ist ab 1. 6. 2006 von einer Bemessungsgrundlage (ohne Abfertigung) von 4.185 EUR ausgegangen, während die Revision ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 4.281 EUR (1. 6. 2006 bis 31. 12. 2006) und 4.210 EUR (1. 1. 2007 bis 31. 12. 2007) annimmt. Die Differenz beträgt damit maximal 96 EUR. Da Unterhaltsentscheidungen grundsätzlich Ermessensentscheidungen und keine reinen Rechenexempel sind (RIS-Justiz RS0047419), begründet eine Differenz in dieser Höhe keine erhebliche Rechtsfrage. Dasselbe gilt für die Aufteilung der vom Beklagten bezogenen Abfertigung, die sich immer nach den Umständen des Einzelfalls richtet (1 Ob 2266/96h ua). Das Berufungsgericht hat die vom Beklagten nach Ende seines damaligen Dienstverhältnisses mit September 2005 ausbezahlte Abfertigung auf den Zeitraum vom 1. 10. 2005 bis 31. 8. 2007 umgelegt, um auch während der Zeit der Arbeitslosigkeit bzw nach Aufnahme eines neuen Dienstverhältnisses mit einem geringeren Nettoeinkommen die frühere Bemessungsgrundlage von 5.130 EUR aufrecht zu erhalten. Diese Methode berücksichtigt den Überbrückungscharakter einer Abfertigung (vgl 7 Ob 211/02h) und wird von der Klägerin grundsätzlich auch nicht bezweifelt. Sie kommt nur aufgrund des von ihr angenommenen höheren Durchschnittsnettoeinkommens zu einem um ein Monat längeren Aufteilungszeitraum, was keine erhebliche Rechtsfrage verwirklicht (vgl 6 Ob 202/06h).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

Anmerkung

E910221Ob88.09m

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2009/497 S 312 - Zak 2009,312XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00088.09M.0609.000

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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