TE OGH 2009/6/10 2Ob35/09z

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Veröffentlicht am 10.06.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Abdulla Y*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. W***** Versicherung AG *****, 2. K***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung (Revisionsinteresse 2.750 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2008, GZ 6 R 238/08a-46, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 8. Juli 2008, GZ 5 C 106/07x-38, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit 410,83 EUR (darin 68,47 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15. Dezember 2005 ereignete sich in Graz ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Radfahrer und ein bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherter, von der Zweitbeklagten gehaltener LKW beteiligt waren. Der Kläger erlitt bei diesem Verkehrsunfall schwere Verletzungen, der Eintritt von Spät- und Dauerfolgen ist nicht ausgeschlossen.

Die Unfallstelle befindet sich an der Kreuzung der Keplerstraße mit der Mariengasse. Die Keplerstraße führt in West-Ost-Richtung, wobei im näheren Kreuzungsbereich in der ursprünglichen Fahrtrichtung der Unfallsbeteiligten (Richtung Osten) ein Fahrstreifen für Linksabbieger und ein Fahrstreifen für geradeausfahrende Fahrzeuge und Rechtsabbieger vorgesehen ist. Südlich der südlichen Fahrbahn befindet sich baulich abgegrenzt ein Radfahrstreifen, der als Radfahrerüberfahrt über die Mariengasse geführt ist. Die Mariengasse mündet aus Süden in die Keplerstraße im rechten Winkel ein. Die Kreuzung ist durch eine Verkehrsampel geregelt.

Der Kläger näherte sich der späteren Unfallstelle aus Westen kommend auf dem Radweg. Aus großer Entfernung sah er zunächst, dass die für ihn gültige Fußgängerampel rot zeigte; im Laufe der Annäherung des Klägers schaltete diese Ampel dann auf grün. Er beabsichtigte, nach rechts in die Mariengasse einzubiegen und achtete nicht auf den übrigen Verkehr, sondern behielt nur die Fußgängerampel im Auge. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger ein Handzeichen (zum Abbiegen) gab. Er bog mit einer Geschwindigkeit von ca 15 km/h in die Mariengasse ein; vier Sekunden vor der Kollision betrug die Geschwindigkeit noch etwa 20 km/h. Er verließ den befestigten Radweg in dessen südöstlichster Ecke im Übergang zur Asphaltdecke der Fahrbahn. Beim Anstoß der beiden Fahrzeuge befand sich der Kläger rund 2,2 m östlich des westlichen Fahrbahnrands der Mariengasse, somit etwa in der Mitte des in Richtung Süden führenden Fahrstreifens, was einem harmonischen Einbiegevorgang aus dem befestigten Radweg entspricht. Das Einhalten einer weiter rechts gelegenen Fahrlinie in der Mariengasse unmittelbar nach dem Verlassen des befestigten Radwegs hätte vorausgesetzt, dass der Kläger beim Verlassen des Radwegs praktisch anhalten hätte müssen, um einen sehr engen Kurvenradius und danach eine rechts gelegene Fahrlinie einhalten zu können.

Johann P***** lenkte den LKW ebenfalls in Richtung Osten an die Kreuzung mit der Mariengasse. Er hatte vor, dort nach rechts in die Mariengasse einzubiegen. Ihm war bewusst, dass sich rechts von ihm ein Radweg befand. Er nahm den Kläger darauf jedoch nicht wahr. In Annäherung an die Kreuzung setzte Johann P***** den rechten Blinker und hielt sein Fahrzeug zunächst infolge Rotlichts der Ampel 28 m westlich der Haltelinie als drittes oder viertes Fahrzeug an. Nachdem die Ampel auf grün umgeschaltet hatte, beschleunigte er sein Fahrzeug zuerst auf rund 15 km/h, in weiterer Folge noch abflachend auf 19 km/h und bog nach rechts in die Mariengasse ein, ohne zuvor den Kläger in den Fahrzeugspiegeln wahrzunehmen. In der Folge fuhr er im mittleren Bereich des Schutzwegs über die Mariengasse auf den Kläger von hinten auf, bemerkte dies aber nur in Form eines Krachens, worauf er sein Fahrzeug 7,5 m nach der Kollision zum Stillstand brachte. Die Relativgeschwindigkeit zwischen den beiden Fahrzeugen lag im Bereich von ca 10 km/h, die Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers betrug ca 9 bis 10 km/h, wobei die Geschwindigkeitsverminderung des Klägers auf den Rechtseinbiegevorgang zurückzuführen ist.

Eine Reaktionsverspätung ist dem LKW-Lenker nicht nachweisbar.

Im Zeitraum von vier bis zwei Sekunden vor der Kollision legte der LKW rund 10 m zurück, der Kläger 8 m. Der LKW überfuhr die Haltelinie vier Sekunden vor der Kollision, wobei zu diesem Zeitpunkt der Körper des Klägers 5 m vom rechten Fronteck des LKW entfernt war. In dieser Relativstellung war der Kläger im Sichtbereich des LKW-Lenkers, zu diesem Zeitpunkt war die Sichtmöglichkeit des LKW-Lenkers auf den Kläger noch besser als zwei Sekunden vor der Kollision. In diesem Zeitpunkt war der Körper des Klägers vom rechten Fronteck des LKW 4,5 m entfernt, sodass der LKW-Lenker direkt Sichtmöglichkeit auf den Kläger hatte. In der letzten Sekunde vor der Kollision war der Kläger für den LKW-Lenker mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr erkennbar, da die Sicht aus dem Fahrerhaus auf den bereits nahe vor der Front des LKW befindlichen Kläger nicht gegeben war. Zusammengefasst bewegte sich der Kläger somit von mindestens vier Sekunden vor der Kollision bis etwa eine Sekunde vor der Kollision im Sichtbereich des LKW-Lenkers. Während dieses Zeitraums war für den Kläger der LKW nicht mehr wahrnehmbar, da dieser sich hinter ihm befand.

Während der letzten zwei Sekunden vor der Kollision legte der LKW 10 m zurück, der Kläger legte in der selben Zeit bei einer mittleren Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h 5,6 m zurück.

Der LKW-Lenker hätte erkennen können, dass der Kläger, den Radweg verlassend, auf die Fahrbahn der Mariengasse einfahren werde, als sich das Fahrrad etwa zwei Meter westlich vom Ende des befestigten Radwegs befand. In diesem Zeitpunkt hatte der LKW-Lenker direkte Sichtmöglichkeit auf den Kläger. Dabei hatte dieser eine deutliche Schrägstellung in Richtung Südosten, die ebenfalls für einen äußeren Beobachter erkennbar machte, dass der Kläger mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit seine Fahrt rechtseinbiegend in die Mariengasse fortsetzen werde. Diese Auffälligkeit eines erkennbaren Rechtseinbiegevorgangs bei gleichzeitigem Verlassen des befestigten Radwegs bestand bereits 1,3 Sekunden vor der Kollision.

Im Zeitpunkt, als der Kläger den befestigten Radweg verließ, bewegte sich die Front des LKW relativ zur Kopfposition des Klägers 0,5 m westlich davon; in diesem Zeitpunkt befand sich der LKW annähernd fahrbahnparallel auf der Keplerstraße, eine Verschwenkung nach rechts war noch nicht gegeben. Der Kläger hätte in diesem Zeitpunkt den LKW wahrnehmen können, wenn er eine Kopfwendung nach links um etwa 120 Grad vorgenommen hätte; er hätte dabei auch den rechten Blinker des LKW wahrnehmen können.

Der Kläger passierte den LKW, als sich dieser im Stillstand westlich von der Haltelinie befand. Nach dem Bewegungsbeginn des LKW bewegte sich der Kläger stets rechts vor dem LKW. Bei Annäherung an die Kreuzung hätte der Kläger den LKW nur bei sehr starker Kopfwendung nach links mit einem Winkel von mindestens 135 Grad wahrnehmen können. Während des Passiervorgangs des Klägers am LKW hätte der Kläger den eingeschalteten Blinker am LKW wahrnehmen können.

Ob bei einer weiter rechts gelegenen Fahrlinie des Klägers, insbesondere einer solchen, bei der das Fahrrad maximal 0,7 m vom westlichen Fahrbahnrand der Mariengasse entfernt gewesen wäre, die Kollision unterblieben wäre, kann nicht festgestellt werden, da dies insbesondere von der weiteren Fahrlinie des LKW abgehangen wäre. Jedenfalls hätte der LKW relativ zum Kläger an Tiefenabstand aufgeholt.

Infolge der Kollision wurde sowohl das Fahrrad des Klägers als auch er selbst vom rechten Vorderrad des LKW überrollt.

Der Kläger begehrte die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für die Spät- und Dauerfolgen aus dem vorliegenden Verkehrsunfall, wobei die Haftung der erstbeklagten Partei mit dem sich aus dem für den LKW abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag ergebenden Höchstbetrag begrenzt ist. Er brachte vor, den Lenker des LKW treffe das Alleinverschulden, da er den Vorrang des Klägers nicht wahrgenommen, die beim Rechtsabbiegen gebotene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen und darüber hinaus auch noch verspätet reagiert habe. § 19 und § 68 Abs 3a StVO seien im vorliegenden Fall einer lichtgeregelten Kreuzung nicht anzuwenden. Gemäß § 38 Abs 4 Satz 3 StVO sei der Kläger berechtigt gewesen, in die Kreuzung einzufahren, ohne vom Lenker des Beklagtenfahrzeugs daran behindert oder gefährdet zu werden. Der Vorrang gehe auch nicht dadurch verloren, wenn der Radfahrer über die Begrenzung der Bodenmarkierung hinaus auf dem daneben befindlichen Schutzweg fahre.

Die Beklagten wandten ein, der Kläger habe beim Abbiegen in die Mariengasse den Radfahrstreifen verlassen und sei damit im Verhältnis zum LKW benachrangt gewesen. Der Kläger habe das Rechtsabbiegen nicht in engem, sondern in weitem Bogen durchgeführt und eine fahrstreifenmittige Fahrlinie eingehalten. Dem Kläger treffe das Alleinverschulden am Unfall. Für den Lenker des Beklagtenfahrzeugs sei der Unfall ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG gewesen.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren zu 80 % statt und wies das Mehrbegehren von 20 % ab. Es traf die bereits wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, der Lenker des LKW habe gegen § 38 Abs 4 Satz 3 StVO verstoßen, überdies sei er gravierend unaufmerksam gewesen. Der Kläger hingegen habe gegen § 19 Abs 6a StVO verstoßen, auch ihn treffe eine Verletzung seiner Aufmerksamkeitspflicht, wenn auch in geringerem Maße als den LKW-Lenker. Eine Verschuldensteilung von 1 : 4 zu Lasten der Beklagten sei angemessen.

Beide Seiten erhoben Berufung, der Kläger gegen den abweisenden Teil des erstgerichtlichen Urteils, die Beklagten, soweit eine Haftung der Beklagten von mehr als 25 % ausgesprochen wurde.

Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen nicht Folge. Es erwog in rechtlicher Hinsicht: § 19 StVO sei nicht anzuwenden, da hier eine lichtgeregelte Kreuzung vorliege. Der LKW-Lenker habe gegen § 38 Abs 4 Satz 3 StVO verstoßen. Die Unterlassung der dort vorgeschriebenen Vorsicht sei als schweres Verschulden zu werten. Dass er im Zuge des Einbiegens den Kläger in den letzten vier Sekunden vor der Kollision nicht wahrgenommen habe, begründe ein weiteres Verschulden. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG liege nicht vor. Der Kläger sei gemäß § 38 Abs 4 Satz 3 StVO gegenüber dem LKW bevorrangt gewesen. Es könne nämlich für den Zeitpunkt des Einfahrens in die Kreuzung und die zu diesem Zeitpunkt anzuwendende Bestimmung keinen Unterschied machen, ob der Radfahrer auf dem Radweg oder hier sogar auf einer Radfahrerüberfahrt weiterfahre oder von dieser nach rechts abbiege. Dem Kläger sei jedoch ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 StVO vorzuwerfen, da er nicht die von ihm geforderte rechts gelegene Fahrlinie eingehalten habe. Von dieser Verpflichtung habe ihn auch nicht die dann bestehende Notwendigkeit, das Fahrrad beim Einbiegen nahezu zum Stillstand zu bringen, befreien können. Dass die dem § 7 StVO nicht entsprechende Fahrlinie nicht unfallkausal gewesen wäre oder sich die Kollision ungeachtet des Verstoßes mit denselben Folgen ereignet hätte, habe der Kläger weder vorgebracht, noch habe es entsprechende Beweisergebnisse gegeben. Bei Abwägung der Verschuldenskomponenten sei das vom Erstgericht vertretene Ergebnis gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 4.000 EUR, aber nicht 20.000 EUR, und ließ die Revision zunächst nicht, sodann über den Antrag der Beklagten gemäß § 508 Abs 3 ZPO doch zu. Der Wortlaut von § 38 Abs 4 Satz 3 StVO schütze nur Verkehrsteilnehmer, die die Fahrbahn überqueren. Höchstgerichtliche Rechtsprechung für eine derartige oder vergleichbare Situation liege nicht vor, eine solche verwirkliche sich jedoch vielfach im täglichen Verkehr.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass die Haftung der Beklagten nur zu 25 %, begrenzt mit der Haftungshöchstgrenze gemäß § 15 EKHG, festgestellt und das Mehrbegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Beklagten bringen vor, beide beteiligten Lenker seien bei Grünlicht nach rechts abgebogen, weshalb für beide § 38 Abs 4 Satz 1 StVO gegolten habe. Der Kläger habe nicht die Radfahrerüberfahrt zur Überquerung der Mariengasse benützt, sondern habe den Radweg verlassen und sei nach rechts abgebogen. Gemäß § 19 Abs 6a StVO sei er in Bezug auf das rechtsabbiegende Beklagtenfahrzeug benachrangt gewesen. Der LKW-Lenker hätte erst zu jenem Zeitpunkt eine Abwehrhandlung setzen müssen, als für ihn das vorrangverletzende Einfahren des Klägers in die Mariengasse erkennbar gewesen wäre. Daher liege aus Sicht der Beklagten zwar kein unabwendbares Ereignis, jedoch auf Beklagtenseite kein Verschulden vor.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 19 Abs 6a StVO haben Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben. Gemäß § 38 Abs 4 Satz 3 StVO dürfen beim Einbiegen die Benützer der freigegebenen Fahrstreifen sowie Fußgänger und Radfahrer, die die Fahrbahn im Sinne der für sie geltenden Regelungen überqueren, weder gefährdet noch behindert werden.

Wenngleich § 19 Abs 6a StVO nach seinem Wortlaut den vorliegenden Fall zu erfassen scheint, entspricht es doch ständiger Judikatur, dass bei einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung wie im vorliegenden Fall die Frage, wer fahren darf und wer anzuhalten hat, ausschließlich nach § 38 StVO zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0075067). § 19 Abs 6a StVO ist daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dagegen spricht auch nicht die von den Revisionswerbern ins Treffen geführte Entscheidung 2 Ob 151/07f, in der der erkennende Senat § 19 Abs 6a StVO heranzog, weil dort eine ungeregelte Kreuzung vorlag, vor der ein Radweg endete. Auch der der Entscheidung 2 Ob 31/09m zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

§ 38 Abs 4 Satz 3 StVO, welche Bestimmung keine Vorrang-, sondern eine allgemeine Verhaltensregel enthält (RIS-Justiz RS0124317) ist nach seinem Wortlaut nicht direkt anwendbar, da der Kläger die Fahrbahn der querenden Mariengasse weder überquerte noch beabsichtigte, sie zu überqueren. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann es aber für den Zeitpunkt des Einfahrens in die Kreuzung durch den Radfahrer keinen Unterschied machen, ob der Radfahrer auf der Radfahrerüberfahrt weiterfährt oder nach rechts abbiegt. Das Gefährdungspotenzial ist nämlich im Falle von geradeaus weiterfahrenden, die Kreuzung überquerenden Radfahrern sogar größer als bei rechts einbiegenden, weil sich im erstgenannten Fall die Gefahr einer Kollision bereits im Bereich der Radfahrerüberfahrt verwirklicht, während bei einem rechts einbiegenden Radfahrer ein möglicher Kollisionspunkt nach rechts versetzt ist und somit sowohl die Annäherungsstrecke als auch der Zeitraum bis zu einer möglichen Kollision und damit auch die Reaktionszeit verlängert wird.

Dazu kommt, dass für die Lenker der auf dem Fahrstreifen fahrenden rechts abbiegenden Fahrzeuge oftmals nicht erkennbar ist, ob sich der Kreuzung auf dem Radweg annähernde Radfahrer geradeaus die Kreuzung auf der Radfahrerüberfahrt überqueren oder rechts abbiegen wollen, weil etwa die Lenker der abbiegenden Fahrzeuge unter Umständen das Handzeichen der Radfahrer (§ 11 Abs 3 StVO) nicht erkennen können. Eine Differenzierung zwischen überquerenden und rechts abbiegenden Radfahrern würde daher zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen.

Es erweist sich somit als sachgerecht, § 38 Abs 4 Satz 3 StVO sinngemäß auch auf rechts einbiegende Radfahrer anzuwenden.

Dem Lenker des LKW fällt ein Verstoß gegen diese Bestimmung unter gröblicher Vernachlässigung der Aufmerksamkeit bezüglich des Klägers zur Last. Demgegenüber wiegt der Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 7 StVO weit geringer, weshalb die vorinstanzliche Verschuldensteilung von 4 : 1 zugunsten des Klägers nicht zu beanstanden ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Textnummer

E91166

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00035.09Z.0610.000

Im RIS seit

10.07.2009

Zuletzt aktualisiert am

27.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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