Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Juni 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Ralf H***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 3 StGB, AZ 27 HR 26/09d des Landesgerichts Feldkirch, über die Grundrechtsbeschwerde des Ralf H***** gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom 17. März 2009, GZ 27 HR 26/09d-110, und des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 21. April 2009, AZ 6 Bs 204/09i (ON 160 des HR-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Ralf H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird, soweit sie den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 17. März 2009 (ON 110) bekämpft, zurückgewiesen, soweit sie sich aber gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. April 2009, AZ 6 Bs 204/09i (ON 160), richtet, abgewiesen.
Text
Gründe:
Gegen Ralf H***** und einen anderen Beschuldigten ist bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch zu AZ 6 St 3/09k ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 3 StGB in Betreff der Vorlage in Wahrheit wertloser Silber-Zertifikate bei der V***** e. Gen. anhängig, die zu einer Kontogutschrift von weit mehr als 50.000 Euro führen sollte.
Mit Beschluss vom 21. April 2009 (ON 160) gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Beschwerde des Beschuldigten Ralf H***** gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 17. März 2009, GZ 27 HR 26/09d-110, nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO an.
Der Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch hatte mit dem Beschluss vom 17. März 2009 die Fortsetzung der am 23. Jänner 2009 über den Beschuldigten verhängten und vom Oberlandesgericht Innsbruck am 17. Februar 2009 fortgesetzten Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO angeordnet.
Gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom 17. März 2009 (ON 110) und des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. April 2009 (ON 160) wendet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
1. Soweit sich die Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch wendet, war sie als unzulässig zurückzuweisen. § 1 Abs 1 GRBG setzt die Erschöpfung des Instanzenzugs voraus, weshalb Beschlüsse, gegen die der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) Beschwerde ergreifen kann, in diesem Umfang nicht Gegenstand der Grundrechtsbeschwerde sind.
2. Das Oberlandesgericht ging in seiner Entscheidung nach Ansicht des Beschuldigten zu Unrecht nicht von absoluter Untauglichkeit des in Rede stehenden Versuchs aus (§ 15 Abs 3 StGB), ohne dass dieser Umstand indes gegen den Fortsetzungsbeschluss des Einzelrichters ins Treffen geführt worden wäre (§ 1 Abs 1 GRBG).
Gleiches gilt zur - zudem irrelevanten (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 146 Rz 59) - Frage, ob der Betrugsschaden bei der vom Getäuschten vertretenen Bank oder einem Dritten eingetreten wäre.
Indem die Beschwerde die Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht, die das Oberlandesgericht dem Haftfortsetzungsbeschluss (ON 160) zugrunde legte, als „falsch" bezeichnet und ihnen eigene Erwägungen zur inneren und äußeren Tatseite gegenüberstellt, orientiert sie sich nicht an den insoweit maßgebenden Anfechtungsmöglichkeiten aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO (§ 10 GRBG; RIS-Justiz RS0114488, RS0110146).
Die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz des Art 6 Abs 2 MRK ist schon deshalb sachfremd, weil Untersuchungshaft nach gesetzlichem Nachweis der Schuld gar nicht mehr vorgesehen ist und § 14 StPO ebenfalls die jeweilige Entscheidung in der Hauptsache meint (vgl RIS-Justiz RS0124583).
Dem Beschwerdevorbringen betreffend das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO), die vom Oberlandesgericht herangezogenen Haftgründe (§ 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO) und das Verhältnismäßigkeitsgebot (§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) steht gleichfalls mangelnde Ausschöpfung des Instanzenzugs entgegen (RIS-Justiz RS0114487 [insbesondere T6, T8, T9, T11 bis T15]). Der - ordnungsgemäß durch einen Verteidiger vertretene - Beschuldigte hatte in der Haftverhandlung bloß unsubstantiiert Beschwerde ergriffen. Sodann hatte er vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber in einem „an die Staatsanwaltschaft Feldkirch" gerichteten Schreiben den dringenden Tatverdacht in sachverhaltsmäßiger Weise bestritten und Staatsanwalt Mag. M***** ersucht, seine Enthaftung zu beantragen (ON 120). Zwar war dieses Schreiben aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO als nachträglich bekannt gewordener Umstand bei der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu berücksichtigen (13 Os 95/08g, EvBl 2008/182, 965), unter dem Aspekt der Ausschöpfung des Instanzenzugs jedoch unbeachtlich. Nach Maßgabe der durch § 1 Abs 1 GRBG verlangten, nicht bloß formalen (nämlich durch Anrufung des Rechtsmittelgerichts), vielmehr auch inhaltlichen Ausschöpfung (vgl § 88 Abs 1 erster Satz StPO) sind im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nämlich nur jene - nicht allein die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts betreffenden - Argumente im Sinn des § 3 Abs 1 GRBG beachtlich, welche der Beschwerdeführer bereits in einer zulässigen Beschwerde gegenüber dem Rechtsmittelgericht geltend gemacht hatte. Die durch § 61 Abs 1 Z 1 StPO angeordnete notwendige Verteidigung „im gesamten Verfahren, wenn und solange" der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) „in Untersuchungshaft oder gemäß § 173 Abs 4 StPO angehalten wird", ermöglicht ohne weiteres die Einhaltung dieser (bloß) in Betreff der Beschwerdeführung vor dem Höchstgericht geltenden Prozessvoraussetzung. Da kein Fall des § 88 Abs 2 erster Fall vorliegt, bleibt für Erwägungen, das an die Staatsanwaltschaft gerichtete Schreiben als Ausführung von Beschwerdegründen zu verstehen, kein Raum.
Somit wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
3. Der vorliegenden „Ergänzung zur Grundrechtsbeschwerde" steht der im Grundrechtsbeschwerdeverfahren geltende Grundsatz der Einmaligkeit entgegen (vgl § 3 Abs 1 GRBG; 13 Os 160/98, 15 Os 89/05k; Nordmeyer, WK-StPO § 196 Rz 4). Dieser zweite Schriftsatz ist daher unbeachtlich (vgl Ratz WK-StPO § 285 Rz 7).
4. Anzumerken bleibt, dass dem Akt Missverständnisse des Erst- und des Oberlandesgerichts in Betreff der Vorschrift des § 174 Abs 4 StPO zu entnehmen sind, was das Erstgericht anlangt, auch hinsichtlich § 175 Abs 1 erster Satz letzter Teilsatz StPO:
Die in § 174 Abs 4 erster Satz StPO getroffene Anordnung („Eine Beschwerde des Beschuldigten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft löst die Haftfrist nach § 175 Abs. 2 Z 2 aus.", wobei jene Bestimmung „einen Monat ab erstmaliger Fortsetzung der Untersuchungshaft" nennt) bedeutet, dass die Frist bis zur ersten Haftverhandlung (von 14 Tagen ab Verhängung der Untersuchungshaft, § 175 Abs 2 Z 1 StPO) um einen Monat ab Erhebung der Beschwerde verlängert wird (vgl Kirchbacher, Das neue Haftrecht, ÖJZ 2008/30, 268 [272]).
Der im Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft vom 23. Jänner 2009 (ON 13) neben Anführung des Ablauftags (§ 175 Abs 1 StPO) mit 6. Februar 2009 gegebene Hinweis, im Fall einer Beschwerde des Beschuldigten gegen diesen Beschluss sei Ablauftag der 23. Februar 2009, ist aber nicht nur in Betreff der Fristberechung, sondern schon im Ansatz verfehlt: Das Gesetz kennt nur eine einzige, auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft abgestellte Anführung eines Ablauftags.
§ 174 Abs 4 zweiter Satz erster Teilsatz StPO („Ein darauf ergehender Beschluss des Oberlandesgerichts auf Fortsetzung der Untersuchungshaft löst die nächste Haftfrist aus") besagt, dass jeder über eine Beschwerde des Beschuldigten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft - vor Einbringen der Anklage (§ 175 Abs 5 StPO) - ergehende Beschluss des Oberlandesgerichts auf Fortsetzung der Untersuchungshaft eine Haftfrist von zwei Monaten ab der Beschwerdeentscheidung auslöst (s abermals Kirchbacher aaO). Der Hinweis in der Beschwerdeentscheidung vom 17. Februar 2009 (ON 78), dass diese bis längstens 17. März 2009 (also nur für einen Monat) wirksam sei, entsprach dem nicht.
Textnummer
E91124European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0130OS00055.09A.0618.000Im RIS seit
18.07.2009Zuletzt aktualisiert am
11.08.2011