Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juni 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Dr. T. Solé sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schneider als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian E***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems als Schöffengericht vom 20. November 2008, GZ 16 Hv 94/08i-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian E***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und der geschlechtlichen Nötigung nach (richtig) § 202 Abs 1 StGB (III) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er in L*****
I/ von September 2004 bis April 2005 dadurch, dass er während des Musik-Einzelunterrichts mindestens zehn Mal mit der Hand die Brüste der am 29. Oktober 1991 geborenen Katharina S***** betastete, geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen; II/ durch die unter I/ angeführten Taten unter Ausnützung seiner Stellung als Musiklehrer mit der seiner Ausbildung unterstehenden Schülerin Katharina S***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und III/ von Anfang 2005 bis April 2005 zwei bis drei Mal außer den Fällen des § 201 StGB Katharina S***** mit Gewalt, indem er sie von hinten mit beiden Armen packte, festhielt und dabei ihre Brüste betastete, zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Dr. Franz F***** zum Beweis dafür, „dass die Zeugin Katharina S***** im Anklagezeitraum beim Zusammentreffen mit dem Angeklagten stets dessen Nähe gesucht hat und keinesfalls Angst gezeigt oder den Angeklagten gemieden hätte, was bei der Richtigkeit der Anklagevorwürfe zwangsläufig zu erwarten gewesen wäre, daher die angelasteten Tathandlungen nicht stattgefunden haben" (ON 11 S 63), Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Ungeachtet des Verbots vorgreifender Beweiswürdigung hat das Schöffengericht nämlich eine Relevanzprüfung dahingehend durchzuführen, ob und inwieweit das vom Antragsteller angestrebte Ergebnis der Beweisaufnahme geeignet ist, die im Antragszeitpunkt gegebene Beweislage maßgeblich zu verändern (RIS-Justiz RS0099523). Gerade diese Erheblichkeit vermochte der Beschwerdeführer durch sein - allein ausschlaggebendes - Vorbringen in der Hauptverhandlung nicht darzustellen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327, 332 und 340 f), zumal der Umstand, dass das Opfer trotz der inkriminierten Taten weiterhin den Musikunterricht besuchte und den Umgang mit dem Beschwerdeführer (vorerst) nicht mied, ohnehin nicht in Frage stand (vgl ON 11 S 67; US 4 und 12).
Gleiches gilt für den Antrag auf Vernehmung der Zeugin Manuela E***** zum Beweis dafür, dass Katharina S***** im Mai 2005 „öffentlich und vor mehreren Leuten voll frei und unbefangen behauptet habe, vom Angeklagten sexuell belästigt worden zu sein, womit die Unrichtigkeit der Aussage der Zeugin Katharina S*****, sie habe über die Sache nicht sprechen können und deshalb keine Anzeige erstattet, erwiesen sei; sowie die gleiche Zeugin auch zum Beweis dafür, dass die Katharina S***** damals gleichzeitig (vor) mehreren Leuten frei von der Leber diese Vorwürfe gegenüber dem Angeklagten erhoben hat" (ON 11 S 63 f). Da das Erstgericht die zu beweisende Tatsache nämlich ohnedies zu Gunsten des Beschwerdeführers als erwiesen angesehen und in die beweiswürdigenden Erwägungen einbezogen hat (US 11 f), durfte es von der Beweisaufnahme Abstand nehmen, ohne sich dem Vorwurf (unzulässiger) vorgreifender Beweiswürdigung auszusetzen (RIS-Justiz RS0099135; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342).
Mit dem im Rahmen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) erhobenen Einwand, das Erstgericht habe keine logisch zwingende Begründung für die Annahme „bereits entwickelter Brüste" des Opfers im Tatzeitraum geliefert (US 4 iVm US 13), übersieht der Beschwerdeführer, dass eine solche gar nicht gefordert ist (RIS-Justiz RS0111358; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 449). Weshalb der kritisierte Hinweis auf die Verwendung eines Büstenhalters gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungswerte verstoßen soll (vgl RIS-Justiz RS0116732), vermag die Rüge ebenso wenig zu erklären wie die eigene Schlussfolgerung, eine Körpergröße von 1,50 Metern des im Verhandlungszeitpunkt 17-jährigen Opfers spreche für dessen „körperliche Spätentwicklung".
Soweit der Beschwerdeführer unter dem Aspekt der Tatsachenrüge (Z 5a) versucht, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin Katharina S***** mit dem Hinweis auf einzelne - in den Entscheidungsgründen ohnehin erörterte (US 7) - Abweichungen in deren im gesamten Verfahren abgelegten Aussagen sowie mit spekulativen Überlegungen zu ihrer Aussagemotivation in Frage zu stellen, übersieht er, dass die von den Tatrichtern aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung von der Glaubwürdigkeit einer Beweisperson einer Anfechtung aus der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO entzogen ist (RIS-Justiz RS0099649).
Mit den aus seiner eigenen Verantwortung, aus den polizeilichen Erhebungen zu seiner Tätigkeit an der Musikschule R***** und den Angaben der Zeugin Andrea S***** gezogenen, für ihn günstigen Schlussfolgerungen, überschreitet der Beschwerdeführer abermals die Grenze zur im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (RIS-Justiz RS0099674).
Im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) bezeichnet der Rechtsmittelwerber die Feststellungen zum körperlichen Entwicklungsstand des Opfers (vgl US 4 f) als „für die Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit" unzureichend, ohne den Erfordernissen prozessordnungsgemäßer Darstellung entsprechend methodengerecht aus dem Gesetz abzuleiten, welche Konstatierungen konkret bezogen auf die einzelnen Tatbestände seiner Ansicht nach erforderlich gewesen wären (RIS-Justiz RS0099620, RS0116565). Soweit nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) das Unterbleiben weitergehender Beweisaufnahme zur „altersgemäßen Entwicklung der Brüste" des Tatopfers kritisiert wird, legt der Beschwerdeführer nicht dar, wodurch er an einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Zuordnung der Brustgegend eines unmündigen Mädchens zur Geschlechtssphäre nach gefestigter Judikatur nicht generell und ausschließlich davon abhängt, ob die physische Entwicklung gerade in dieser Körperregion so weit fortgeschritten ist, dass die Brüste als Sekundärmerkmal weiblicher Geschlechtlichkeit ausgeprägt sind, sondern vielmehr der gesamte Reifezustand des Opfers in die solcherart aus Sicht eines mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen anzustellende Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist (RIS-Justiz RS0095113; vgl Schick in WK2 § 207 Rz 7 und Fabrizy, StGB9 § 207 Rz 8).
Mit dem im Rahmen der Subsumtionsrüge (Z 10) schließlich mit Bezug auf den Schuldspruch III erstatteten Vorbringen, „die der Entscheidung zu Grunde liegenden Tathandlungen sind nicht unter § 201 Abs 1 StGB zu subsumieren", nimmt der Beschwerdeführer gesetzwidrig nicht Maß am gesamten Urteilsinhalt, dem - ungeachtet des bloß in der schriftlichen Urteilsausfertigung enthaltenen (nicht unter dem Aspekt der Z 3 geltend gemachten) Schreibfehlers (US 2, vgl demgegenüber ON 11 S 69) - unzweifelhaft ein Schuldspruch (bloß) wegen mehrerer Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB zu entnehmen ist (US 1, 2, 16 und 18), weshalb es mit der (einleitend vorgenommenen) Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 622 ff) sein Bewenden haben kann und eine Urteilsangleichung (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 56 f) fallbezogen nicht erforderlich ist.
Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 285d Abs 1 StPO) folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Anmerkung
E9147714Os49.09aEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0140OS00049.09A.0623.000Zuletzt aktualisiert am
26.08.2009