Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Mag. Ziegelbauer, die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingeborg Bauer-Manhart und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alois F*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei L. ***** Gesellschaft m.b.H., *****, FN *****, vertreten durch Dr. Mag. Harald Jelinek, Rechtsanwalt in Wien, wegen 412,27 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Februar 2008, GZ 7 Ra 10/08d-25, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 3. September 2007, GZ 5 Cga 2/07k-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 222,91 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 37,15 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist bei der Beklagten als Feuerungsmaurer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Streitteile ist der Kollektivvertrag Feuerfest- und Schornstein-(Kamin-)bau anzuwenden. Er arbeitete vom 18. 9. 2006 bis 1. 10. 2006 auf der Baustelle der Beklagten im E-Werk Simmering als Feuerungsmaurer an einem Schornstein 63 Stunden auf einem über 25 m hoch gelegenen Arbeitsgerüst, bei dem es sich um ein bereits fertig montiertes Rohrgerüst handelte. Für den Materialtransport wurde eine maschinelle Hebevorrichtung, nämlich eine Seilwinde, verwendet. Der Kläger selbst gelangte über eine fix an der Kaminwandung montierte Aufstiegsleiter mit Rückenschutz unter Zuhilfenahme eines Sicherheitsgurts an seinen Arbeitsplatz. Eine gesicherte maschinelle Hebevorrichtung wie etwa ein Kran, eine Arbeitsbühne oder ein Personenaufzug war an der Baustelle nicht vorhanden.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung einer Zulage von 80 % zum Stundenlohn gemäß § 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags für diese Tätigkeit.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass dem Kläger nur eine Zulage von 40 % zum Stundenlohn gemäß § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags gebühre, weil er von einem Rohrgerüst aus gearbeitet habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger habe in einer Arbeitshöhe von mehr als 25 m gearbeitet, eine gesicherte maschinelle Hebevorrichtung sei an der Baustelle nicht vorhanden gewesen. Der Kläger habe vielmehr eine Aufstiegsleiter benutzt, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Ihm gebühre daher die Zulage von 80 % zum Kollektivvertragslohn gemäß § 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Der Zweck der in § 5 des Kollektivvertrags geregelten Zulagen liege darin, das erhöhte Sicherheitsrisiko für Arbeiten in „schwindelerregenden" Höhen abzugelten. Das Risiko werde neben der Höhe auch durch die Art der durchzuführenden Arbeiten und der dafür verwendeten Hilfsmittel bestimmt. Die Zulage von 80 % gebühre unabhängig von der Art des Gerüsts, eine höhere Zulage stehe nur bei Arbeit auf freien Gerüsten zu. § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags sehe eine geringere Zulage dann vor, wenn weitere Sicherheitsvorkehrungen zu Hilfe genommen werden, worunter aber - weil die Frage der Beschaffenheit des Gerüsts bereits in § 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags angesprochen sei - nur das Risiko der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes zu verstehen sei. Die geringere Zulage gebühre daher nur dann, wenn eine gesicherte maschinelle Hebevorrichtung, wie etwa ein Arbeitskorb vorhanden sei, die jedoch an der konkreten Baustelle gefehlt habe.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung zu § 5 Abs 1 des hier anzuwendenden Kollektivvertrags fehle und dessen Auslegung nicht völlig klar und eindeutig sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten mit dem erkennbaren Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinn einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
§ 5 Abs 1 des Kollektivvertrags in der hier anzuwendenden Fassung vom 1. 5. 1994 trägt den Titel „Schmutz- und Erschwerniszulagen" und lautet auszugsweise:
„§ 5 (1) Für die Zeit der Beschäftigung mit nachstehend angeführten Spezialarbeiten werden den im § 4 angeführten Arbeitnehmern nachfolgende Zulagen bezahlt. [...]
1. Ofenbau [...]
2. Schornstein-(Kamin-)bau
a) [...]
b) für Reparatur- oder Abbrucharbeiten mit Absturzhöhen bis 25 m ............. 40%
Für darüber hinausgehende Absturzhöhen, sofern sie nicht unter lit. c fallen, unabhängig von der Art des Gerüsts .................................... 80%
c) Für Reparatur- und Abbrucharbeiten bei Absturzhöhe von mehr als 25 m bei Zuhilfenahme von gesicherten maschinellen Hebevorrichtungen (Arbeitskörben, Rohrgerüsten sowie ähnlich gesicherten Vorrichtungen ........................... 40%"
d) Bei Reparatur- oder Abbrucharbeiten unter Verwendung von Kunst- oder Klettergerüsten (freien Gerüsten) ............................... 100%
[...]"
Dazu ist zunächst auszuführen, dass die Kollektivvertragsparteien mit dem ab 1. 5. 2008 in Geltung stehenden Kollektivvertrag vom 25. 2. 2008 (XIV/63/1) die Bestimmung des „§ 5 Abs 2 lit c" (richtig: § 5 Abs 1 Z 2 lit c) geändert haben, der nunmehr lautet:
„c) Für Reparatur- und Abbrucharbeiten bei Absturzhöhe von mehr als 25 m bei Zuhilfenahme von gesicherten maschinellen Hebevorrichtungen (Arbeitskörben), Rohrgerüsten sowie ähnlich gesicherten Vorrichtungen ....... 40%"
Für den hier zu beurteilenden Sachverhalt ist allerdings § 5 Abs 2 lit c des Kollektivvertrags in der früheren Fassung anzuwenden, in der die geschlossene Klammer nach dem Wort „Arbeitskörben" fehlt.
In erster Linie ist bei der Auslegung einer Bestimmung eines Kollektivvertrags ihr Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Parteien des Kollektivvertrags zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Eine von den Kollektivvertragsparteien mit einer Regelung verfolgte Absicht kann jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Text in hinreichender Weise ihren Niederschlag gefunden hat (9 ObA 119/08b). Unter gewissen Umständen ist bei der Auslegung eines Kollektivvertrags auch ein „Blick über den Kollektivvertrags-Rand" zu werfen, wobei den Parteien des Kollektivvertrags unterstellt werden kann, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen finden wollten (RIS-Justiz RS0008828).
Die Revisionswerberin führt zusammengefasst aus, dass nach dem Wortsinn des § 5 des Kollektivvertrags in erster Linie auf die zu verrichtenden Arbeiten abgestellt werde, nicht aber auf das - nur wenige Minuten in Anspruch nehmende - Erreichen des Arbeitsplatzes auf dem Gerüst. Die Problematik der Erreichbarkeit werde überdies durch besondere Sicherheitsbestimmungen geregelt. Der Kollektivvertrag sehe einen geringeren Zuschlag dann vor, wenn weitere Sicherheitsvorkehrungen für die von den Arbeitnehmern zu verrichtenden Arbeiten zur Verfügung stünden. Daher sei „die Frage des Gerüsts" das allein relevante Kriterium für die Bemessung des Zuschlags.
Dem ist entgegenzuhalten:
§ 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags sieht einen Zuschlag von 80 % zum Kollektivvertragslohn für Arbeiten in Absturzhöhen, die 25 m übersteigen, vor, dies ausdrücklich unabhängig von der Art des Gerüsts. Der niedrigere Zuschlag von 40 % gebührt gemäß § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags hingegen bei Zuhilfenahme von gesicherten maschinellen Hebevorrichtungen, solche waren nach den Feststellungen jedoch auf der Baustelle nicht vorhanden. Unzweifelhaft ist in der (nicht geschlossenen) Klammer nur demonstrativ der Arbeitskorb als Beispiel für eine gesicherte maschinelle Hebevorrichtung genannt. Entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin spielt die Frage der sicheren Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes auf dem Gerüst durchaus eine Rolle, was sich schon allein aus der ausdrücklichen Nennung gesicherter maschineller Hebevorrichtungen in § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags ergibt.
Es trifft zu, dass bei einer bloßen Wortinterpretation ein unauflösbarer Widerspruch zwischen den Bestimmungen der lit b) und c) in § 5 Abs 1 Z 2 des Kollektivvertrags deshalb entstünde, weil der Zuschlag in lit b) unabhängig von der Art des Gerüsts gebührt, während in lit c) ausdrücklich das Rohrgerüst genannt ist. Unzweifelhaft ist ein Rohrgerüst aber keine maschinelle Hebevorrichtung, sodass es auch keinen (in der nicht geschlossenen Klammer genannten) Beispielsfall für eine solche Hebevorrichtung darstellen kann. Geht man davon aus, dass die Parteien des Kollektivvertrags eine vernünftige und zweckentsprechende Regelung im oben genannten Sinn treffen wollten, so ist § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags so zu lesen, als wäre die Klammer nach dem Wort „Arbeitskörben" geschlossen.
Nach § 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags gebührt die Zulage von 80 % zum Kollektivvertragslohn für Arbeiten auf Gerüsten, die in einer Höhe von mehr als 25 m zu verrichten sind (arg: „Absturzhöhe"), wenn nicht einer der in lit c) genannten Ausnahmefälle vorliegt. Es gibt (vgl nur § 5 Abs 1 Z 2 lit d des Kollektivvertrags) einerseits mehrere Arten von Gerüsten. Andererseits spielt aber auch der Zweck eines Gerüsts eine entscheidende Rolle, worauf der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist. Die in lit c) genannten Ausnahmefälle, in denen nur eine geringere Zulage von 40 % gebührt, sind nämlich nur dann verwirklicht, wenn die Erreichbarkeit der Arbeitshöhe von über 25 m (arg neuerlich: „Absturzhöhe") entweder mit gesicherten maschinellen Hebevorrichtungen, oder mit Hilfe eines Rohrgerüsts (hier zur Ermöglichung des Aufstiegs), oder mit Hilfe ähnlich gesicherter Vorrichtungen ermöglicht wird.
Mit dem Begriff des „Rohrgerüsts" in § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags ist daher nicht ein Arbeitsgerüst in einer (Absturz-)Höhe von mehr als 25 m gemeint, sondern ein Gerüst, das eine gesicherte Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes in einer solchen Höhe ermöglicht. Zusammengefasst gebührt die höhere Gebühr gemäß § 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags nur dann, wenn in einer Arbeitshöhe von mehr als 25 m zu arbeiten ist und die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes in dieser Höhe nicht mit einer der in § 5 Abs 1 Z 2 lit c des Kollektivvertrags genannten gesicherten Aufstiegshilfen ermöglicht wird.
Zutreffend gelangt daher das Berufungsgericht zur Anwendbarkeit von § 5 Abs 1 Z 2 lit b des Kollektivvertrags, weil nach den Feststellungen keine der in lit c) dieser Bestimmung genannten gesicherten Vorrichtungen zur Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes auf dem Gerüst vorhanden war und dies von der Beklagten auch gar nicht behauptet wurde.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E91433European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:009OBA00081.08I.0629.000Im RIS seit
29.07.2009Zuletzt aktualisiert am
17.01.2011