Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingeborg Bauer-Manhart und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Mag. Gregor Olivier Rathkolb, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K***** KG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Oktober 2007, GZ 9 Ra 121/07s-24, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. März 2007, GZ 4 Cga 74/06i-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 6. Februar 1956 geborene Kläger war seit 1978 ununterbrochen bei der Beklagten (bzw deren Rechtsvorgängerin) beschäftigt, zuletzt als Prüftechniker im Bereich der Leiterplattenproduktion. Am 25. April 2006 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers zum 30. September 2006 auf. Im Rekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Kündigung wesentliche Interessen des Klägers beeinträchtigt und dass seiner Weiterbeschäftigung im Betrieb betriebliche Erfordernisse entgegenstehen.
Der Kläger begehrte die Unwirksamerklärung der Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG. Aus dem Aspekt der Fürsorgepflicht des Dienstgebers ergebe sich die Verpflichtung der Beklagten, ihn nicht nur im Betrieb, sondern „auch im Konzern und sogar konzernübergreifend zu beschäftigen".
Die Beklagte bestritt eine solche Verpflichtung und führte überdies aus, dass infolge Einstellung der Leiterplattenproduktion keine Möglichkeit für eine Beschäftigung des Klägers mehr bestehe und auch eine Umschulung des Klägers oder dessen Verwendung in anderen Bereichen nicht möglich sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, bejahte die betriebliche Notwendigkeit der Kündigung des Klägers und führte aus, dass die Beklagte nicht gegen ihre soziale Gestaltungspflicht verstoßen habe.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf. Es verwies auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 10. 12. 1993, 9 ObA 310/93, aus der die Notwendigkeit einer konzernweiten Betrachtung der Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung eines zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers hervorgehe, wies aber darauf hin, dass diese Entscheidung vereinzelt geblieben sei. Zusätzlich verwies das Berufungsgericht auf Literaturmeinungen über eine in gewissem Umfang bestehende konzernweite soziale Gestaltungspflicht des Arbeitgebers, ohne aber inhaltlich zu diesen Lehrmeinungen Stellung zu nehmen. Zur Vermeidung einer „Überraschungsentscheidung" sei es daher notwendig, die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen, das mit den Parteien die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Konzern zu erörtern und bei entsprechendem Vorbringen die Parteien zu weiterem Sach- und Beweisvorbringen anzuleiten haben werde. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, da gesicherte Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen sich der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG auf die Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Konzern berufen könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.
Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 9 ObA 310/93 im Rahmen einer Kurzbegründung nach § 48 ASGG davon ausging, dass der Arbeitgeber im Rahmen seiner sozialen Gestaltungspflicht dazu verpflichtet sei, im Fall des Wegfalls eines Arbeitsplatzes aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen die Möglichkeit der Weiterverwendung des betroffenen Arbeitnehmers „in einem anderen Bereich des Konzerns" zu prüfen. Diese Entscheidung ist auf erhebliche Kritik gestoßen, in der die Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs als zu weitgehend oder überhaupt als „Versehen" bezeichnet wurde (Jabornegg, Arbeitsvertragsrecht im Konzern [Teil II], DRdA 2002, 118 f; Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III4, 443; Mazal, Glosse zu 9 ObA 310/93, ecolex 1994, 188; Runggaldier, Interessenabwägung, soziale Gestaltungspflicht und Sozialvergleich bei betriebsbedingter Kündigung, RdW 1994, 110 f; Tomandl, Die sozialwidrige Kündigung 61).
Schima (Konzerndimensionaler Kündigungsschutz? RdW 1994, 352, [355]) spricht das Hauptproblem eines generellen konzerndimensionalen Kündigungsschutzes an: Bei Erfüllung einer konzernweit verstandenen sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers komme es regelmäßig entweder zu einem Vertragspartnerwechsel auf Arbeitgeberseite oder zumindest zu einer Versetzung mit Beschäftigerwechsel in Form einer Arbeitskräfteüberlassung. Es sei daher immer ein drittes Rechtssubjekt mit einem - mehr oder weniger gebundenen - Willen involviert. Zwischen nicht miteinander wirtschaftlich bzw durch Beteiligungen verbundenen Unternehmen sei dieser „Drittbezug" ein unübersteigliches Hindernis für eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes über das konkrete Unternehmen hinaus. Der Konzern sei aber dadurch gekennzeichnet, dass die Willensentscheidungen der einzelnen (beherrschten bzw einheitlich geleiteten) Konzernunternehmungen mehr oder weniger stark determiniert sei. Dies sei die nötige, keinesfalls aber ausreichende Voraussetzung für die Einbeziehung von Konzernaspekten bei der sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers. Keineswegs ausreichend sei diese Voraussetzung deshalb, weil sich der Arbeitnehmer im „Normalfall", in dem er stets nur in einem Konzernunternehmen tätig gewesen sei und ihm gegenüber auch keinerlei Bezüge zu anderen Konzernunternehmen deutlich gemacht worden seien, nicht auf die Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Konzern berufen könne.
Mazal (ecolex 1994, 188) weist darauf hin, dass die Annahme einer Verpflichtung des kündigenden Arbeitgebers, andere Arbeitgeber für eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu gewinnen, den Kündigungsschutz zu einer weitergehenden „Arbeitsplatzgarantie" machen würde.
Gegen eine generelle konzernweite Betrachtung spricht ferner der Umstand, dass nach der Betriebsverfassung nur derjenige Betriebsrat in das Kündigungs-(vor-)verfahren einzubeziehen ist, der im Betrieb des zu kündigenden Arbeitnehmers installiert ist. Dieser Betriebsrat wird in der Regel nicht in der Lage sein, seinen eigenen Erwägungen im Vorverfahren eine konzernweite Betrachtung zugrunde zu legen. Zudem ergeben sich Bedenken daraus, dass nur dieser Betriebsrat, nicht aber derjenige des anderen Betriebs einbezogen wird, der von Dispositionen im Rahmen der Gestaltungspflicht betroffen sein kann.
Aufgrund all dieser Erwägungen kommt daher die generelle Annahme einer „konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht" des Arbeitgebers im Sinn der Verpflichtung, die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz wegfällt, konzernweit zu prüfen bzw für die Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers in einem anderen Konzernbetrieb „zu sorgen", nicht in Betracht.
Richtig ist aber, dass in der Lehre verschiedene Konstellationen erwogen wurden, in denen ausnahmsweise eine konzernweite Betrachtung der sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers geboten sein könnte. Den dazu vertretenen, im Detail unterschiedlichen Lehrmeinungen ist aber jedenfalls gemein, dass die ausnahmsweise Annahme einer konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht nur im Falle eines "konzernbezogenen Arbeitsverhältnisses" erwogen werden könne. Ein solches konzernbezogenes Arbeitsverhältnis sei dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer dazu aufgenommen worden sei, um in verschiedenen Betrieben des Konzerns tätig zu werden (sei es als Führungskraft oder als „Springer"), wenn der Arbeitgeber sich ein derartiges „Verschieben" ausdrücklich vorbehalten habe oder wenn es in der Vergangenheit faktisch zu solchen Wechseln des Arbeitnehmers zwischen verschiedenen Betrieben gekommen sei (Grillberger, Neue Tendenzen im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz? wbl 1990, 7 [10]; Schima, RdW 1994, 352 [355]; Mazal, ecolex 1994, 188; Jabornegg, DRdA 2002, 118 f; Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III4, 443 f; Kreil, Arbeitsverhältnisse im Konzern 209 f). Nach Tomandl (Die sozialwidrige Kündigung 61) sind auch in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer zum Kündigungszeitpunkt gleichzeitig in zwei verschiedenen Betrieben beschäftigt war, beide Betriebe auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu überprüfen. Diese Prüfung habe auch in Fällen zu geschehen, in denen aus der bisherigen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses wahrscheinlich ist, dass der Arbeitnehmer in naher Zukunft in einen anderen Betrieb transferiert worden wäre.
All diese in der Lehre erwogenen Ausnahmefälle liegen aber nach dem ausreichend festgestellten Sachverhalt hier nicht vor: Nach diesem ist der Kläger seit 28 Jahren ununterbrochen im Betrieb seiner vertragsgemäßen Arbeitgeberin, der Beklagten (bzw deren Rechtsvorgängerin), beschäftigt, sodass für die Annahme eines „konzernbezogenen" bzw eines betriebsübergreifenden Arbeitsverhältnisses jeder Ansatzpunkt fehlt. In einem solchen Fall besteht daher im Sinne der dargestellten Rechtslage für die Annahme einer konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers keine Grundlage.
Das Erstgericht hat daher das Klagebegehren im Ergebnis zu Recht abgewiesen, sodass sein Urteil wiederherzustellen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 erster Satz ASGG iVm § 41 ZPO.
Textnummer
E91426European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:009OBA00034.08B.0629.000Im RIS seit
29.07.2009Zuletzt aktualisiert am
20.01.2014