Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, gegen die beklagte Partei Gemeinde N*****, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Mai 2008, GZ 2 R 506/07m-51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Imst vom 12. September 2007, GZ 7 C 1781/05-40, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Im Gemeindegebiet der Beklagten wurden in den Jahren 1910 und 1911 insgesamt drei Geschieberückhaltebecken errichtet, nachdem es 1910 zu Hochwasserschäden in der Gemeinde und an der durchführenden (nunmehr Bundes-)Straße gekommen war. Aufgabe dieser Rückhaltebecken ist es, das von den Gebirgsbächen mitgebrachte Geschiebe (grober Schotter) zurückzuhalten. Das oberste dieser drei Rückhaltebecken liegt als öffentliches Wassergut auf dem Gebiet der klagenden Partei. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Beklagten und der damaligen Reichsstraßenverwaltung (heute Bundesstraßenverwaltung) sind die Kosten der Erhaltungsarbeiten zu 60 % von der Beklagten und zu 40 % von der Straßenverwaltung zu tragen, wobei es die Wildbach- und Lawinenverbauung durch Vereinbarung übernommen hat, regelmäßig die Bauten und Schutzmaßnahmen - insbesondere hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit - zu prüfen. Die Rückhaltebecken dienen dem Schutz der Beklagten, deren Bürger und Einrichtungen, aber auch der durchführenden Verkehrswege, daher auch der Bundesstraße. Das oberste Rückhaltebecken wurde vor 1992 etwa 30 Jahre hindurch nie geräumt, sodass es sich mit Schotter anfüllte und das Wasser über die Oberkante der Staumauer abfloss. Beim Bau der Umfahrungsstraße wurde Schotter benötigt und dieser aus dem Rückhaltebecken entnommen, sodass dieses wieder eine Tiefe von 3 bis 5 m erreichte. Durch von den Bächen antransportiertes Geschiebe und Holz verlegte sich die im Rückhaltebecken angebrachte Dole, weshalb es zu einem Wasseraufstau kam. Dadurch ging die Schleppkraft des Wassers im Becken praktisch auf Null zurück, das von den dorthin entwässernden Bächen mittransportierte Geschiebe sank plötzlich nach unten und bildete einen bis zu 45 Grad steilen, konvex geformten Schwemmkegel, dessen Böschung sehr instabil war. Wenn sich eine Person mit einem Körpergewicht von nur 25 kg diesem Bereich näherte, konnte sie bereits 0,5 bis 1 m vor der Böschungskante ins Rutschen kommen und entlang der steilen Böschung im aufgestauten Wasser versinken. Die Rettung einer so versinkenden Person war infolge des losen Gerölls und der instabilen Böschung ohne spezielle Ausrüstung nicht möglich. Die besondere Gefährlichkeit dieser Schwemmkegelböschung war auch für einen sorgfältigen - nicht besonders ausgebildeten - Menschen nicht erkennbar. Die einheimische Bevölkerung nutzte diesen Stausee als Badesee, es war sogar ein Sprungbrett am Ufer vorhanden. Hinweisschilder auf die Gefährlichkeit oder sonstige Sicherungsmaßnahmen waren mit Ausnahme eines Zauns im Bereich der Geschiebesperre nicht vorhanden. Der von der Bundesstraße abzweigende Zufahrtsweg war ohne Behinderung zu befahren.
Am 11. 7. 1995 wurde ein rund zehn Jahre altes Kind in das Rückhaltebecken hineingezogen, worauf seine Tante und in der Folge sein Großvater in den Stausee sprangen, um ihm zu Hilfe zu kommen. Sie versanken ebenfalls im losen Schotter der steilen Böschung. Alle drei Personen konnten nur mehr tot geborgen werden. In der Folge wurde die klagende Partei von der Ehegattin bzw Mutter und Großmutter der Verstorbenen wegen Ersatzes der Begräbniskosten und entgangenem Unterhalt in Anspruch genommen; es wurden aber auch Verfahren im Rahmen des sozialversicherungsrechtlichen Regresses gegen sie angestrengt, die zur Verurteilung der klagenden Partei führten. In einem dieser Regressverfahren (18 Cg 141/98d des Landesgerichts Innsbruck) waren beide Streitteile ursprünglich Beklagte. Im Zuge des Verfahrens ließen die dort klagenden Parteien mit dem Argument, die Haftung der hier klagenden Partei stehe dem Grunde nach fest, ihr Begehren gegen die hier Beklagte fallen. Die hier klagende Partei verkündete daraufhin der hier Beklagten im dortigen Verfahren den Streit, die hier Beklagte schloss sich dem Verfahren als Nebenintervenientin an. Im zweiten Rechtsgang wurde in diesem Verfahren die nunmehr klagende Partei zur Leistung an die dort klagenden Versicherungsanstalten verurteilt. Nach einer Feststellung in diesem Verfahren war „Bauherr" hinsichtlich der Geschiebesperre die Beklagte.
Im nunmehrigen Verfahren begehrte die klagende Partei die Feststellung, dass die beklagte Gemeinde zum Rückersatz sämtlicher von der klagenden Partei zu leistenden Zahlungen aus dem Unglücksfall verpflichtet sei. Die Beklagte träfen - ausgehend von der Gefährlichkeit des Rückhaltebeckens - Verkehrssicherungspflichten in viel stärkerem Maße als die klagende Partei, weil sie 60 % der Erhaltungskosten des Beckens zu tragen habe, Konsenswerberin für den Bau dieses Beckens gewesen und alleine für die Räumung des Beckens verantwortlich sei. Sie habe die alleinige Verfügungsgewalt über dieses Becken. Nach § 101 Abs 6 ForstG habe sie die Verpflichtung, einen durch ihr Gebiet fließenden Wildbach samt seinen Zuflüssen mindestens einmal jährlich begehen zu lassen und die Entfernung vorgefundener Übelstände wie Holz und anderer den Wasserlauf hemmender Gegenstände sofort zu veranlassen. Dies treffe auch auf die Räumung eines „im Zuge eines Wildbachs angelegten" Rückhaltebeckens zu. Das Becken sei ausschließlich im Interesse der Beklagten errichtet worden. Die Aufstellung von Warntafeln bedürfe keines besonders fachkundigen Personals.
Die Beklagte bestritt, dass sie die Gefährlichkeit des Rückhaltebeckens habe erkennen können. Es habe sie daher auch keine Verpflichtung getroffen, auf die besondere Gefahr hinzuweisen. Das Rückhaltebecken sei Bestandteil öffentlichen Wasserguts, weshalb gemäß § 8 WRG der Allgemeinheit der gleiche Gebrauch des Wassers ohne besondere Bewilligung unentgeltlich erlaubt sei. Auch aus § 101 Abs 6 ForstG könnten keine Ansprüche abgeleitet werden, weil die klagende Partei daraus keinen Rechtsanspruch auf Erfüllung der dort genannten Verpflichtungen gegenüber der Beklagten habe. Weder die Verunfallten noch die Beklagte hätten die Gefährlichkeit der Böschung des Rückhaltebeckens erkennen können. Die Beklagte sei für die Erhaltung und damit Absicherung des Beckens nicht primär zuständig, sie sei auch nicht Konsenswerberin für das Rückhaltebecken gewesen, und dieses sei nicht zum besonderen Schutz ihres Eigentums oder ihrer Rechte errichtet worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, dass vor dem Jahr 1995 ein „Erdbewegungsunternehmer" von der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft die Erlaubnis erhalten habe, Schotter aus dem Rückhaltebecken zu entnehmen, wobei der Beklagten „keine Zustimmungsfunktion" für die Schotterentnahme zugestanden worden sei. Vielmehr habe der zuständige Landesbeamte mit dem „Wasserbaureferenten" die Entnahme vereinbart. Dieser habe aufgrund seiner Ausbildung keine „spezielle Voraussetzung" gehabt, die Gefährlichkeit der Schotterentnahme zu erkennen. Dies treffe in noch höherem Maß auf die Beklagte zu. Deren Waldaufseher habe zwar die Aufgabe gehabt, Wildbäche und angrenzende Wälder regelmäßig zu kontrollieren; dies beziehe sich aber in erster Linie auf die Bäche selbst und „nicht so sehr auf den See". Die spezielle Instabilität der Böschung sei von der Beklagten nicht annähernd einschätzbar gewesen.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Beklagte sei weder Eigentümerin des Rückhaltebeckens, noch sei ihr die Absicherungspflicht in irgendeiner Weise übertragen worden, noch hätte sie bzw hätten die dafür abgestellten Personen die Gefährlichkeit des Rückhaltebeckens einschätzen können. Ein Versäumnis sei ihr daher nicht anzulasten.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei. Zum Vorbringen der Beklagten, sie habe in einem Übereinkommen vom März 1913 den Aufsichts- und Erhaltungsdienst der Reichsstraßenverwaltung übertragen, sei näher festzustellen, ob von dieser Übertragung auch die Räumpflicht umfasst gewesen sei. Bejahendenfalls würde eine Haftung der Beklagten schon deshalb nicht in Frage kommen. Sollte dagegen eine derartige Übertragung nicht festgestellt werden können, sei erst in dem Zeitpunkt, als die für den Unfall maßgebliche Böschungsgestaltung eingetreten sei, eine Pflicht der Beklagten im Sinne des § 101 Abs 6 ForstG bzw § 41 Abs 4 WRG, die als Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen seien, entstanden, weil die Beklagte gewusst habe, dass der See von Menschen als Bademöglichkeit benutzt wurde. Jeder, der ein Bauwerk errichte - wie die Gemeinde hier das Geschiebebecken -, habe Verkehrssicherungspflichten zu erfüllen, wenn er die Gefahr beherrschen könne. Da die Gemeinde das Gewerk (auch) errichtet habe, könnten sie solche Verkehrssicherungspflichten treffen, sofern - gemessen am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB - für einen sorgfältigen Errichter und Betreiber einer solchen Anlage die besondere Gefährlichkeit erkennbar gewesen sei. In diesem Zusammenhang werde zu erörtern und festzustellen sein, wie Gemeinden ganz allgemein mit derartigen, zumindest auch zu ihrem Nutzen angelegten Rückhaltebecken „umgingen", also ob und welche Sicherungsmaßnahmen üblich seien. Es sei auch zu prüfen, ob etwa durch Beiziehung externer Sachverständiger oder Berater, die über einschlägiges Wissen verfügten, die Gefahr hätte erkannt werden können, bzw ob die klagende Partei gewusst habe, dass im konkreten Fall die beklagte Gemeinde nicht über die erforderlichen Kenntnisse im Zusammenhang mit der Gefährlichkeit der Böschung verfügt habe. Da zur Frage, ob sich aus den Bestimmungen des § 101 Abs 6 ForstG bzw der §§ 50 Abs 6, 41 Abs 4 WRG überhaupt - wenn ja, unter welchen Voraussetzungen - eine Haftung ableiten lasse bzw ob von einer Gemeinde eine Kontrolle von Rückhaltebecken tatsächlich verlangt werden könne, höchstgerichtliche Judikatur fehle und dieser Frage Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukomme, sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die Rechtsmittelwerberin macht eingangs geltend, die Beklagte habe sowohl die Behauptungs- als auch die Beweislast für die Übertragung der Räumpflicht getroffen. Dass von der angeblichen Übertragung der Aufsichts- und Erhaltungsdienste an eine Rechtsvorgängerin der klagenden Partei auch die Räumpflicht mitumfasst gewesen sei, habe die Beklagte aber nicht einmal vorgebracht. Daher treffe die Beklagte die entsprechende Verkehrssicherungspflicht.
2. Ob im Hinblick auf den Inhalt von Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828; 3 Ob 210/03h). Die Beklagte hat nun in ihrem Schriftsatz vom 26. 6. 2007 ausdrücklich vorgebracht, dass ihr eine Verletzung des § 101 ForstG nicht angelastet werden könne, weil der forsttechnische Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung als dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft unterstehende Dienststelle Überwachungs- und Erhebungstätigkeiten im Sinne des § 102 Abs 6 ForstG durchzuführen habe und die Beklagte durch ihren Beitritt zu dem in ihrem Bezirk bestehenden Betreuungsdienst zulässigerweise die Verkehrssicherungspflicht übertragen habe. Die Sicht des Berufungsgerichts, dass von diesem Vorbringen auch jenes der Übertragung der Räumpflicht mitumfasst ist, begegnet keinen Bedenken.
3. Es ist daher auf die weiters relevierte Frage einzugehen, ob - wie die Rekurswerberin meint - eine Übertragung der Rechtspflichten des § 101 Abs 6 ForstG rechtlich unmöglich ist.
Die Eindämmung der Lawinen- und Wildbachgefahr ist das Ziel verschiedener Gesetze. Neben dem Forstgesetz enthalten das Wasserrechtsgesetz, das Wasserschutzförderungsgesetz und das Gesetz betreffend Vorkehrungen zur unschädlichen Ableitung von Gebirgswässern, RGBl 1884/117 idF BGBl 1959/54 (WildbachverbauungsG) derartige Bestimmungen (Kalss, Forstrecht, 97 f). Nach § 1 WildbachverbauungsG sind bei der Anordnung und Durchführung der Vorkehrungen zur unschädlichen Ableitung von Gebirgswässern oder zur Verhinderung der Entstehung oder des schädlichen Abgangs von Lawinen die Vorschriften des Wasserrechtsgesetzes und des Forstgesetzes insofern anzuwenden, als nicht im WildbachverbauungsG selbst eine abweichende Bestimmung enthalten ist. Das WildbachverbauungsG sieht die Durchführung der in ihm geregelten Vorkehrungen durch „Unternehmer" vor. Dies können nach seinem § 9 die Staatsverwaltung, beteiligte Länder, Bezirke, Gemeinden oder andere Interessenten einzeln oder in Gemeinschaft sein. Nach § 18 WildbachverbauungsG sind die mit der Ausführung des Unternehmens verbundenen Kosten von den Unternehmern zu tragen, denen auch die Kosten für die fernere Erhaltung des Werks obliegen, falls die Erhaltungspflicht nicht in anderer Weise geregelt wird. Die Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes über eine etwaige Heranziehung Anderer zu Beiträgen für die Erhaltung des Werks bleiben dadurch unberührt. In Bezug auf die Instandhaltung der nach diesem Gesetz errichteten Vorkehrungen führt § 19 WildbachverbauungsG aus, dass bei Unternehmen, die nicht von der Staatsverwaltung selbst ausgeführt werden, die politische Landesbehörde geeignete Organe zur nötigen Aufsicht zu bestimmen hat, die die gesetzmäßige Durchführung zu überprüfen haben. Die fernere Aufsicht über die Instandhaltung des durch die Vorkehrungen geschaffenen Zustands obliegt unbeschadet der sonstigen Vorschriften über die Gewässeraufsicht der zuständigen Sektion der Wildbach- und Lawinenverbauung. Bei letzterer handelt es sich um eine in § 102 ForstG geregelte Dienststelle des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, die in Sektionen mit dem Wirkungsbereich auf das Gebiet eines oder mehrerer Bundesländer, und in Gebietsbauleitungen mit dem Wirkungsbereich auf Teilgebiete eines Sektionsbereichs gegliedert ist.
4. Das ForstG schränkt in § 98 Abs 2 die Geltung des WildbachverbauungsG insoweit ein, als Regelungen in den §§ 99 bis 102 ForstG getroffen sind. Das Wasserrechtsgesetz wiederum bezieht seit der Novelle 1959 in § 41 Abs 1 auch „Vorkehrungen zur unschädlichen Ableitung von Gebirgswässern" nach dem WildbachverbauungsG (in Arbeitsfeldern) mit ein, enthält aber im Übrigen in seinen §§ 41 bis 49 Regelungen zur Abwehr von Wassergefahren, die Maßnahmen im Sinne des § 101 Abs 2 lit a ForstG auch außerhalb von Arbeitsfeldern decken und die nach den §§ 60 ff WRG durchsetzbar sind (Brawenz/Kind/Reindl, Forstgesetz 1975 § 101, Anm 11). Soweit die genannten Gesetze keine eigenständigen Regelungen treffen, ist von ihrer kumulativen Anwendbarkeit auszugehen (Hattenberger, Rechtliche Aspekte betreffend Lawinenschutzbauten, bbl 2004, 221 ff).
5. Der von der klagenden Partei angesprochene § 101 Abs 6 ForstG regelt, dass jede Gemeinde, durch deren Gebiet ein Wildbach fließt, verpflichtet ist, diesen samt Zuflüssen innerhalb der in ihrem Gebiet gelegenen Strecken jährlich mindestens einmal, und zwar tunlichst im Frühjahr nach der Schneeschmelze, begehen zu lassen und dies der Behörde mindestens zwei Wochen vorher anzuzeigen. Die Beseitigung vorgefundener Übelstände, wie insbesondere das Vorhandensein von Holz oder anderen den Wasserlauf hemmenden Gegenständen, ist sofort zu veranlassen. Über das Ergebnis der Begehung, über allfällige Veranlassungen und über deren Erfolg hat die Gemeinde der Behörde zu berichten. Abs 7 leg cit bestimmt, dass die von der Gemeinde gemäß Abs 6 zu besorgende Aufgabe eine solche ihres eigenen Wirkungsbereichs ist.
Dem Gesetzeswortlaut ist zu entnehmen, dass die Gemeinde Wildbachstrecken in ihrem Gebiet „begehen zu lassen" hat, nicht aber, dass sie dies selbst durchführen muss. Ob bei rechtsgeschäftlicher Übertragung der tatsächlichen Begehung eine allfällige Haftung der Gemeinde aus einer Schutzgesetzverletzung bereits von vornherein zu verneinen wäre, braucht hier nicht näher behandelt zu werden, weil im konkreten Fall die behauptete Übertragung ohnehin an eine Dienststelle der klagenden Partei selbst erfolgt wäre und eine Haftung der Gemeinde dem eigentlich schädigend Handelnden gegenüber ausschiede.
6. § 50 Abs 6 WRG, wonach auf Wasseranlagen, die nicht der Wasserbenutzung dienen, die für Wasserbenutzungsanlagen getroffenen Instandhaltungs- regelungen der vorangehenden Absätze des § 50 WRG sinngemäß anzuwenden sind, bestimmt, dass der Eigentümer einer solchen Wasseranlage diese mangels ausdrücklicher Verpflichtung nur insoweit zu erhalten hat, als es zur Verhütung von Schäden notwendig ist, die durch den Verfall der Anlage entstehen könnten. In der Praxis wird die Bewilligung von Schutz- und Regulierungswasserbauten im Sinne der §§ 41 ff WRG vielfach mit der Auflage der Erhaltung in bewilligungs- und projektgemäßem Zustand verbunden, also eine öffentlich-rechtliche Instandhaltungspflicht auferlegt (Oberleitner, WRG² § 50 Rz 27; vgl auch 1 Ob 71/08k; RIS-Justiz RS0123642). „Ausdrückliche Verpflichtungen" zur Instandhaltung im Sinne der zitierten Bestimmung können aber auch privatrechtlicher Natur sein, wie zB rechtsgültige Instandhaltungsverpflichtungen anderer als des Eigentümers (Oberleitner aaO Rz 24 f). Auch nach dieser Bestimmung ist daher grundsätzlich die rechtsgeschäftliche Übertragung der Instandhaltungspflicht möglich und zulässig.
7. Wie bereits erwähnt sieht § 18 des WildbachverbauungsG vor, dass „den Unternehmern" die Kosten für die Erhaltung des Werks obliegen, „falls die Erhaltungspflicht nicht in anderer Weise geregelt wird".
Sind aufgrund der einschlägigen Gesetzesbestimmungen aber privatrechtliche Vereinbarungen über Instandhaltungspflichten zulässig, widersprechen auch aus früherer Zeit stammende Übereinkommen - wie das vom Berufungsgericht erwähnte vom März 1913 - nicht dem Gesetz und sind daher nicht obsolet geworden. Der Auftrag des Berufungsgerichts, entsprechende Feststellungen zu treffen, erging daher zu Recht.
8. Kann im fortgesetzten Verfahren eine Übertragung der Instandhaltungspflicht bzw Räumpflicht durch die Beklagte nicht festgestellt werden, wird zu klären sein, nach welchen Normen das Bauvorhaben bewilligt wurde und wen daher die Instandhaltungspflicht trifft, bzw ob eine solche allfällige Feststellung zu den notwendigen Elementen der Entscheidung eines Vorprozesses, insb 18 Cg 141/98d des Landesgerichts Innsbruck, iS RIS-Justiz RS0107338 zählte. Im Übrigen sind Tatsachenfeststellungen - entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelwerberin - nicht der Rechtskraft fähig (vgl Fasching/Klicka in Fasching/Konecny², § 411 ZPO Rz 74 bzw Rz 62).
Die Räumpflicht nach dem WildbachverbauungsG trifft - wie bereits dargelegt - den oder die „Unternehmer". § 50 Abs 6 WRG knüpft die Instandhaltung dagegen - wenn kein Wasserberechtigter vorhanden ist und keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung angeordnet wurde - an das Eigentum an der Anlage (vgl VwGH 2007/07/0060; VwGH 98/07/0114). Wer als Eigentümer anzusehen ist, ist nach den zivilrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Das Eigentumsrecht ergibt sich nicht aus der Eigenschaft als Träger des Konsenses der Regulierungsbewilligung nach dem Wasserrechtsgesetz. Der wasserrechtliche Eigentumsbegriff knüpft vielmehr an jenen des Zivilrechts an (Oberleitner aaO Rz 28).
Sollte sich insoweit eine der Beklagten obliegende Instandhaltungs- oder Räumpflicht herausstellen, wird auch für sie das in 2 Ob 47/01b zu den Verkehrssicherungspflichten der klagenden Partei Ausgeführte zu beachten sein und wäre daher die Bekanntheit bzw Erkennbarkeit der objektiv gegebenen Gefahr für die Beklagte, insbesondere auch im Hinblick auf die Nutzung der Sperre als Badegelegenheit durch die Bevölkerung, und die Zumutbarkeit von Abwehrmaßnahmen zu prüfen. Allein der Umstand, dass für einen sorgfältigen Menschen ohne besondere Ausbildung die Gefahr nicht erkennbar war, reicht nicht aus, dies auch von einer Gemeinde anzunehmen, deren Gebiet sich in alpine Bereiche erstreckt. Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, werden gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen sein, welcher Kenntnis- und daraus resultierend Sorgfaltsmaßstab iSd § 1299 ABGB auf eine solche Gemeinde anzulegen ist.
9. Der Vollständigkeit halber wird darauf verwiesen, dass - was von den Parteien auch unbestritten blieb - für das vorliegende Verfahren der Rechtsweg zulässig ist. Die klagende Partei wurde aufgrund sie treffender Verkehrssicherungspflichten zum Schadenersatz verhalten. Mit der Behauptung ebensolcher Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte in Bezug auf das Unfallgeschehen vom Juli 1995 fordert die klagende Partei nun eine Haftung der Beklagten als Mitschuldnerin und damit die Berechtigung zum Regress nach § 896 ABGB. Sie macht damit einen privatrechtlichen Anspruch geltend, der auf dem Rechtsweg zu entscheiden ist.
10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
Textnummer
E91294European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00197.08I.0630.000Im RIS seit
30.07.2009Zuletzt aktualisiert am
03.11.2010