TE OGH 2009/7/16 12Os56/09s

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Veröffentlicht am 16.07.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Burghard H***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Dezember 2008, GZ 23 Bs 398/08k-12, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Dezember 2008, GZ 23 Bs 398/08k-12, verletzt das Gesetz in §§ 195 Abs 1, 513 zweiter Satz StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass der Antrag des Stephan K***** auf Fortführung des Verfahrens abgewiesen wird.

Text

Gründe:

Am 27. Dezember 2007 erstattete der Strafgefangene Stephan K***** Anzeige gegen den im Bundesministerium für Justiz tätigen Staatsanwalt Dr. Burghard H*****, weil ihm dieser nach Ablehnung eines am 6. November 2007 eingebrachten Gnadengesuchs die mit Antrag vom 19. November 2007 unter Hinweis auf § 513 StPO beantragte Akteneinsicht in die Ergebnisse der Erhebungen bezüglich der Gnadenbitten vom 6. März 2007 und 6. November 2007 verweigert habe (ON 2). Nach Einholung einer Stellungnahme des Leiters der Abteilung IV/4 im Bundesministerium für Justiz, wonach im gegenständlichen Fall keine Erhebungen stattgefunden hätten (ON 9), stellte die gemäß § 28 StPO mit der Sache befasste Staatsanwaltschaft Eisenstadt das Verfahren gegen Staatsanwalt Dr. Burghard H***** am 15. Juli 2008 gemäß § 190 Z 1 StPO ein und verständigte Stephan K***** mit dem Beisatz, dass nach dem AVG Akteneinsicht nur den Verfahrensparteien zu gewähren sei, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs einem Gnadenwerber jedoch keine Parteistellung zukomme (ON 1/S 3).

Mit dem am 7. August 2008 bei der Staatsanwaltschaft Eisenstadt eingelangten Schreiben vom 5. August 2009 (ON 10) beantragte Stephan K***** die Fortführung des Verfahrens mit der Begründung, dass der eingebrachten Sachverhaltsdarstellung keine Verletzung des AVG, sondern eine Missachtung des § 513 StPO zu Grunde liege, der im Gnadenverfahren ein Recht auf Akteneinsicht ausdrücklich einräume.

Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt vertrat in ihrer Stellungnahme vom 7. August 2008 (ON 11) die Ansicht, dass die Bestimmung des § 513 StPO, die sich lediglich auf fakultativ einzuholende Erhebungsergebnisse beziehe, fallaktuell nicht zum Tragen komme, weil Gnadenerhebungen nicht vorgenommen worden waren.

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2008, AZ 23 Bs 398/08k (ON 12), gab das Oberlandesgericht Wien dem Fortführungsantrag statt. Im Gnadenverfahren bestehe kein Recht auf Begnadigung, weshalb auch niemandem Parteistellung im Sinne des § 8 AVG samt den damit verbundenen Ansprüchen zukomme. Allerdings räume § 513 zweiter Satz StPO dem Verurteilten ein nach dem AVG den Parteien vorbehaltenes Recht auf Akteneinsicht ausdrücklich ein, weil ein diesbezügliches Interesse des vom Gnadenverfahren und dessen Ergebnis „Betroffenen" anzuerkennen sei. Das Recht auf Akteneinsicht sei im Zusammenhang mit dem Recht auf Gehör zu sehen, das als subjektiv-prozessuales Recht den Parteien die Erlangung genauer Kenntnis vom Gang des Verfahrens und von den Entscheidungsgrundlagen der Behörde in diesem Verfahren ermöglichen soll. Demselben Zwecke diene auch das im § 513 zweiter Satz StPO ausdrücklich normierte Einsichtsrecht des Verurteilten, weshalb Akteneinsicht auch zu gewähren sei, wenn keinerlei Erhebungen durchgeführt worden seien. Die rechtliche Einschätzung der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zum Fortsetzungsantrag sei daher aus der Sicht des Oberlandesgerichts Wien ebenso wenig haltbar wie der Verweis auf das Nichtvorliegen eines Rechts auf Akteneinsicht wegen fehlender Parteistellung nach dem AVG in der Einstellungsbegründung.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Dezember 2008, AZ 23 Bs 398/08k, steht - wie die Generalprokuratur in der von ihr erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht in Einklang:

§ 513 erster Satz StPO normiert, dass bei den Erhebungen im Gnadenverfahren die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 sinngemäß anzuwenden sind. Gemäß § 513 zweiter Satz StPO ist dem Verurteilten auf Verlangen Einsicht in die Ergebnisse der Erhebungen zu gewähren. Dass dem Verurteilten im Gnadenverfahren darüber hinaus keine Akteneinsicht zukommt und ihm daher hinsichtlich weitergehender Aktenteile (wie etwa behördeninterne Überlegungen zur Entscheidungsfindung) - vergleichbar mit dem Ausschluss der Einsicht in gerichtliche Beratungsprotokolle (vgl § 272 StPO) oder in Tagebücher der Staatsanwaltschaft (§ 35 StAG) - keine Einsicht zustehen soll, ergibt sich unmissverständlich aus der Gesetzesgenese, zumal der Entwurf zu § 513 StPO nach der Regierungsvorlage noch auf ein Recht zur Akteneinsicht nach § 17 AVG abgestellt hatte (vgl RV 1280 BlgNR XVIII. GP, 2 und 9), währenddessen der Justizausschuss die sodann Gesetz gewordene restriktivere Fassung des § 513 StPO beschloss (vgl JA 1329 BlgNR XVIII. GP, 2). Durch die mit dem Strafprozessreformbegleitgesetz I (BGBl I 2007/93) vorgenommene Anpassung des § 513 StPO erfolgte keine inhaltliche Änderung dieser Vorgaben.

Da im gegenständlichen Fall keine Erhebungen zum Gnadengesuch des Verurteilten Stephan K***** stattgefunden hatten, konnte diesem auch keine Akteneinsicht gewährt werden. Demnach begründete die auf korrekter Anwendung der zuvor genannten Bestimmung basierende Verweigerung der Akteneinsicht durch Dr. Burghard H***** schon objektiv keine Anhaltspunkte für ein im Sinne des § 302 Abs 1 StGB tatbildliches Handeln des Genannten, sodass der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Eisenstadt vom 15. Juli 2008 auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Z 1 StPO kein Rechtsfehler anhaftet.

Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Wien entgegen § 513 zweiter Satz StPO ein generelles Akteneinsichtsrecht des Verurteilten im Gnadenverfahren bejaht und deshalb dem Fortführungsantrag in Verkennung des Umstands, dass die hiefür in § 195 Abs 1 StPO geforderten Voraussetzungen nicht vorlagen, zu Unrecht stattgegeben.

Da die Entscheidung Dr. Burghard H***** zum Nachteil gereicht, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, den Beschluss gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben und den Fortführungsantrag abzuweisen.

Textnummer

E91440

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00056.09S.0716.000

Im RIS seit

15.08.2009

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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