Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin in der Strafsache gegen Emre B***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 11. März 2009, GZ 142 Hv 19/09v-73, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Emre B***** und Mustafa Y***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) sowie Volkan Ba***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB als Beteiligter gemäß § 12 dritter Fall StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach haben am 5. Jänner 2009 in Wien
I./ Emre B***** und Mustafa Y***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) eine Person mit Gewalt sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Vornahme des Beischlafs zu nötigen versucht sowie zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem Emre B*****, während Sabrina P***** von Volkan Ba***** und Mustafa Y***** festgehalten und zu Boden gedrückt wurde, ihre Vagina mit den Fingern betastete, ihr unter Versetzung von Schlägen gegen ihr Gesicht und ihre Oberarme unter Mithilfe von Volkan Ba***** und Mustafa Y***** ihre Hose sowie Unterhose herunterziehen konnte, von seinem Vorhaben einen vaginalen Geschlechtsverkehr durchzuführen jedoch Abstand nahm, als er bemerkte, dass Sabrina P***** ihre Menstruation hatte, und anschließend mit bereits geöffneter Hose mehrmals seinen entblößten Penis in den Mund der Sabrina P***** einführen wollte, was ihm trotz heftiger Gegenwehr der Sabrina P***** unter der Mithilfe von Mustafa Y***** schlussendlich auch gelang sowie Mustafa Y***** ebenfalls versuchte, seinen entblößten Penis in den Mund der Sabrina P***** einzuführen, was ihm jedoch aufgrund ihrer heftigen Gegenwehr misslang, wodurch Sabrina P***** Hämatome auf den Armen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen erlitt; II./ Volkan Ba***** zur Ausführung des unter Punkt I./ dargestellten Verbrechens beigetragen, indem er die dort genannten Unterstützungshandlungen vornahm.
Bilal Ö***** wurde hingegen vom Vorwurf, er habe die drei genannten Angeklagten zur Ausführung des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB bestimmt, indem er diesen von Sabrina P***** erzählte, welche alles mit sich machen lasse und mit der man jedenfalls Oralsex haben könnte, er selbst habe diese bereits in ihrem Keller entjungfert, in weiterer Folge ein Treffen zwischen Sabrina P***** und den Genannten arrangierte und - bevor er den Tatort verließ - zu diesen auf Türkisch sagte „geht's da nach hinten und macht mit dem Mädchen was ihr wollt, sie steht auf so etwas", gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, welcher keine Berechtigung zukommt.
Der Mängelrüge (Z 5 erster bis fünfter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter eingehend mit den - im Verfahrensverlauf miteinander sowie teilweise in sich selbst widersprüchlichen - Verantwortungen aller Angeklagten zu einer allfälligen Tatbeteiligung des leugnenden (und bei der Tatausführung abwesenden; vgl US 8) Bilal Ö***** auseinandergesetzt (US 11) und aufgrund dieser divergierenden Angaben logisch und empirisch einwandfrei begründet, weshalb eine an die übrigen drei Mitangeklagten gerichtete Aufforderung des Genannten zur gewaltsamen Erzwingung einer geschlechtlichen Handlung am Tatopfer Sabrina P***** ebenso wenig mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit konstatiert werden konnte, wie auch nur ein ernstliches Für-möglich-halten einer solchen Gewalthandlung durch die Mitangeklagten (US 8, 11).
Soweit die Rechtsmittelwerberin zwischen diesen (Negativ-)Feststellungen und den (aus dem Gesamtzusammenhang gelösten) teilweise in der Urteilsbegründung angeführten - Bilal Ö***** angeblich belastenden - Angaben der Mitangeklagten Emre B*****, Mustafa Y***** und Volkan Ba***** (ON 71/S 9, 21, 27; US 11) einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu erblicken vermeint, ignoriert sie die diesbezüglichen Erwägungen des erkennenden Gerichts (US 11). Damit berücksichtigt sie jedoch das Urteil nicht in seiner Gesamtheit und lässt auch insoweit eine prozessordnungskonforme Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes vermissen, als sie nicht darzulegen vermag, inwiefern dadurch verschiedene - sich gegenseitig ausschließende - Tatsachen festgestellt beziehungsweise Schlussfolgerungen tatsächlicher Art gezogen worden wären, welche nach den Denkgesetzen nebeneinander nicht bestehen können (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394).
Indem den Urteilsannahmen bloß eigene Auffassungen und Erwägungen gegenübergestellt werden, wird in unzulässiger Weise lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichts bekämpft (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 439, 451).
In gleicher Weise versagt die Undeutlichkeit und Unvollständigkeit (Z 5 erster und zweiter Fall) monierende Rüge, indem sie - wieder die tatrichterlichen Erwägungen zu den unterschiedlichen Angaben der Angeklagten (US 11) außer Acht lassend - eine nähere Auseinandersetzung des Schöffensenates zur (Un-)Glaubwürdigkeit der Aussagen des Emre B***** und Mustafa Y***** zu vermissen glaubt. Die Rechtsmittelwerberin vermag nicht aufzuzeigen, warum die - von der Rüge übergangene - durch das Erstgericht erörterte Divergenz in den Angaben der Angeklagten sowie der Hinweis auf die Aussage des Angeklagten Mustafa Y*****, der eine Aufforderung zur Gewaltanwendung durch Bilal Ö***** ausdrücklich ausschloss, nicht für die getroffenen (Negativ-)Feststellungen hinreichen sollten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419).
Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrem - unzutreffenden (US 11) - Einwand, das erkennende Gericht hätte sich mit seinen Erwägungen zur (Un-)Glaubwürdigkeit der erst in der Hauptverhandlung vorgebrachten - Bilal Ö***** belastenden - Angaben des Emre B***** in einer bloßen Scheinbegründung ergangen, bekämpft sie abermals - den Prozessgesetzen widersprechend - die Beweiswürdigung des Kollegialgerichts.
Der Mängelrüge zuwider hat sich das Erstgericht vielmehr eingehend mit den Einlassungen aller Angeklagten auseinandergesetzt und die Verantwortung des Bilal Ö***** letztlich für glaubhaft bzw nicht hinreichend widerlegbar befunden. Dabei waren die Tatrichter - dem Gebot gedrängter Darstellung folgend - aber nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen oder sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, erst in der Rüge konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen.
Mit der pauschalen und nicht näher substanziierten Behauptung einer Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) entzieht sich das Rechtsmittel - mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung der Nichtigkeit begründenden Umstände - einer prozessordnungskonformen Darstellung und sachbezogenen Erwiderung. Im Übrigen lässt die Beschwerde nicht erkennen, inwiefern die Behauptung eines „Widerspruchs" zwischen den (auf freier Beweiswürdigung beruhenden) Urteilsannahmen und den diesen zugrunde gelegten Beweismitteln (Angaben der Angeklagten) den - nur einen formalen Vergleich gestattenden - Nichtigkeitsgrund der Aktenwidrigkeit aufzuzeigen geeignet wäre (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 468).
Im Übrigen ist zu bemerken: Die dem Volkan Ba***** als Unterstützungshandlungen vorgeworfenen gewaltausübenden Tatmodalitäten sind Teil der Ausführungshandlung des § 201 StGB, sodass bei diesem mehraktigen Delikt unmittelbare Täterschaft anzunehmen gewesen wäre (vgl Schick in WK2 § 201 Rz 46; Kienapfel/Schmoller StudB BT III §§ 201 - 202 Rz 47 mwN). Der misslungene versuchte Beischlaf und die vollendete Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung wären bei allen drei Tätern als Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung zu beurteilen gewesen (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT III §§ 201 - 202 Rz 49; RIS-Justiz RS0118627).
Diese fehlerhafte rechtliche Beurteilung betrifft einerseits jeweils keine entscheidende Tatsache (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 645 f) und wirkt sich andererseits nicht zum Nachteil der Angeklagten aus. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung (§ 285i StPO).
Anmerkung
E9145512Os85.09fEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00085.09F.0716.000Zuletzt aktualisiert am
09.09.2009