TE OGH 2009/7/23 13Os61/09h

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Veröffentlicht am 23.07.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Gernot T***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 28. November 2008, GZ 30 Hv 29/08b-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Gernot T***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 „dritter" (richtig: vierter) Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im Mai oder Juni 2005 in Salzburg Michaela S***** mit Gewalt, indem er sie an den Händen festhielt und anschließend gewaltsam ihren Kopf zu seinem Geschlechtsteil führte, zur Vornahme eines Oralverkehrs an ihm genötigt, wobei die vergewaltigte Person in besonderer Weise durch Ejakulieren in den zwangsweise geöffneten Mund erniedrigt worden ist.

Die Geschworenen bejahten die Hauptfrage I nach Vergewaltigung gemäß § 201 Abs 1 StGB mit fünf zu drei Stimmen, verneinten die (nicht iSd § 316 StPO, sondern gemäß § 317 Abs 3 StPO gestellte) Zusatzfrage I nach der Qualifikation gemäß § 201 Abs 2 erster Fall StGB mit sechs zu zwei Stimmen und erachteten schließlich das zum Gegenstand einer weiteren Zusatzfrage (iSd § 317 Abs 3 StPO) nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB gemachte „Ejakulieren in den zwangsweise geöffneten Mund" mit sechs zu zwei Stimmen für gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Gründe der Z 1, 4, 5, 6, 8, 9 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der Hinweis im Rahmen der Besetzungsrüge (Z 1) auf die Bedienstetenstellung eines Geschworenen bei der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung geht schon im Ansatz fehl. Bezugspunkt für die Beurteilung behaupteter Fehlbesetzung der Geschworenenbank iSd § 345 Abs 1 Z 1 StPO ist die nach § 13 Abs 1 GSchG zu bildende Dienstliste der Geschworenen. Weicht das Gericht von dieser willkürlich, also in sachlich unvertretbarer Weise ab, bewirkt dies - soweit der Rügeobliegenheit (§ 345 Abs 2 StPO) entsprochen worden ist - Nichtigkeit aus Z 1 (RIS-Justiz RS0121700). In concreto wird aber nicht das Abweichen von der Dienstliste, sondern eine nicht korrekt zusammengesetzte Dienstliste eingewendet. Insoweit sieht das Gesetz ein besonderes Verfahren vor, in dem mangelnde persönliche Voraussetzungen (§§ 1 bis 3 GSchG) und Befreiungsgründe (§ 4 GSchG) geltend zu machen sind (§§ 5 bis 9, 12 f, 15 GSchG), wobei diesbezügliche Anträge nur bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten über den Inhalt der Anklage zulässig sind (§ 15 Abs 2 GSchG). Der konkreten Bestellung (§ 14 Abs 1 erster Satz GSchG) ist die Dienstliste - gegebenenfalls in der nach den hiefür vorgesehenen Verfahrensbestimmungen von den dazu berufenen Entscheidungsträgern geänderter Form - zu Grunde zu legen, womit eine Rüge nach § 345 Abs 1 Z 1 StPO nicht auf die Behauptung gegründet werden kann, ein in Entsprechung der Dienstliste herangezogener Geschworener sei, zu Unrecht in diese aufgenommen worden (vgl auch 15 Os 45/04, SSt 2004/42 = RIS-Justiz RS0119077). Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass es sich bei der angesprochenen Bezirkshauptmannschaft keineswegs um eine nachgeordnete Bundesdienststelle der Bundesministerien für Inneres oder für Justiz iSd § 3 Z 6 GSchG, sondern um eine erstinstanzliche Landesbehörde, die auch Angelegenheiten der Bundesverwaltung besorgt (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, BVerfG10 Rz 832; vgl auch Vogl, WK-StPO § 18 Rz 57 ff [85]). Darüber hinaus nennt der Beschwerdeführer diesen Geschworenen betreffend keine konkreten Anhaltspunkte für eine Ausgeschlossenheit iSd § 43 Abs 1 Z 3 StPO, denn eine solche wird durch einen aus offenbar ganz anderem Anlass bestehenden beruflichen Kontakt mit der für das gegenständliche Strafverfahren zuständigen Staatsanwältin jedenfalls nicht begründet (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 15).

Soweit im Rahmen der Verfahrensrüge (Z 4) neuerlich die Ausgeschlossenheit des genannten Geschworenen damit begründet wird, dass dieser nach Durchführung des Ortsaugenscheins am 28. November 2008 mit der Vertreterin der Staatsanwaltschaft in deren PKW zum Gerichtsgebäude zurückgefahren sei, scheitert dieses inhaltlich als Besetzungsrüge (Z 1) zu wertende Vorbringen an der unterlassenen Rüge (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 139). Davon abgesehen ist die - vom Beschwerdeführer nicht bekämpfte - Abweisung seines nachträglich gemäß § 271 Abs 7 zweiter Satz StPO gestellten Antrags auf Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls iS einer Erwähnung dieses angeblichen Vorkommnisses für den Obersten Gerichtshof bindend (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 312). Schließlich erfuhr die Behauptung eines derartigen Vorfalls auch inhaltlich durch die von der vorsitzenden Richterin gepflogenen Erhebungen - zu deren Ergebnissen den Parteien übrigens entgegen § 271 Abs 7 vierter Satz StPO keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde - keine Bestätigung: Während sich die Schriftführerin (ON 51), ein beisitzender Richter (ON 52) und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft (ON 1 S 1p) im Detail nicht mehr erinnern konnten, traten der zweite beisitzende Richter (ON 53) und die Vorsitzende (gestützt auf Telefonate mit drei Geschworenen - vgl den unjournalisierten Aktenvermerk vom 24. Februar 2009 in ON 1) dieser Darstellung des Angeklagten dezidiert entgegen. Das Vorbringen (inhaltlich abermals Z 1), wonach die vorsitzende Richterin aufgrund einer nach Schluss der Hauptverhandlung angeblich dem Opfer gegenüber getätigten Äußerung über den Angeklagten ausgeschlossen iSd § 43 Abs 1 Z 3 StPO sei, ist deshalb nicht erfolgversprechend, weil die genannte Bestimmung als innerstaatliche Ausgestaltung des grundrechtlichen Anspruchs auf Entscheidung durch ein unparteiisches Gericht als Teilaspekt des fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 MRK bloß das Tätigwerden eines voreingenommenen Richters, der ungeachtet der Verfahrensergebnisse seine Meinung nicht zu ändern bereit ist, verhindern soll (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 12; Grabenwarter, EMRK3 § 24 Rz 43 und 46). Einen derartigen Fall spricht der Beschwerdeführer jedoch nicht an, wenn er behauptet, die vorsitzende Richterin habe sich - laut Darstellung eines vom Angeklagten beauftragten Detektivbüros - nach der Hauptverhandlung telefonisch abfällig über die angebliche Arroganz des Angeklagten geäußert. Im Übrigen wird ein derartiges Gespräch zwischen der Privatbeteiligten und der vorsitzenden Richterin von diesen beiden entschieden in Abrede gestellt (vgl den Aktenvermerk ON 56 und die vom Beschwerdeführer anlässlich seiner Äußerung gemäß § 24 StPO vorgelegte Mitteilung des Privatbeteiligtenvertreters vom 5. Juni 2009).

Warum anklagekonforme Schuldfragen gegen die in den §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften verstoßen sollen, macht die eine Verletzung des - auf einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt abstellenden, indes inhaltlich nicht zur Anwendung gelangten - § 316 StPO monierende Fragenrüge (Z 6) nicht klar. Inwieweit die Behauptung einer Abweichung der Hauptfrage I in Ansehung der Tatzeit von der in der Hauptverhandlung vom 28. November 2008 modifizierten Anklage (ON 46 S 12) von Bedeutung für die - in diesem Zusammenhang allein relevante - Individualisierung der vorgeworfenen Tat sein soll (vgl RIS-Justiz RS0119082, RS0100686), lässt das weitere Beschwerdevorbringen (Z 6) offen. Indem sich der Rechtsmittelwerber spekulativ mit einer potentiellen Verneinung einer anders formulierten Hauptfrage wegen angeblich zeitlich eingeschränkter Möglichkeiten der Tatbegehung auseinandersetzt, begibt er sich auf das Gebiet einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Als durchwegs prozessordnungswidrig ausgeführt präsentiert sich auch die Instruktionsrüge (Z 8):

Dass der Begriff der „Eventualfrage" in der Rechtsbelehrung zwar verwendet (S 14), jedoch nicht näher erläutert wird, ist schon deshalb ohne Bedeutung, weil eine derartige Frage den Geschworenen gar nicht gestellt wurde (RIS-Justiz RS0101085; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63).

Indem der Beschwerdeführer die Belehrung über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander (§ 321 Abs 2 StPO) mit jener über die Zulässigkeit einer Stimmenthaltung in der Schuldfrage überstimmter Geschworener (§ 331 Abs 1 zweiter Satz StPO) vermengt, wird eine in sich widersprüchliche Rechtsbelehrung schon deshalb nicht behauptet, weil der Inhalt des § 331 Abs 1 StPO nicht zu der von § 345 Abs 1 Z 8 StPO angesprochenen Rechtsbelehrung zählt. Aus diesem Grund geht auch die Kritik an der angeblich für Geschworene unverständlichen Anordnung des § 331 Abs 1 letzter Halbsatz StPO ins Leere. Da die von den Geschworenen gemäß § 331 Abs 3 StPO abgefasste Niederschrift jedenfalls nicht als Bezugspunkt einer Instruktionsrüge (Z 8) taugt (RIS-Justiz RS0100947), erübrigt sich ein näheres Eingehen auf das darauf aufbauende Beschwerdevorbringen. Zudem übergeht die Beschwerde den offen zutage liegenden Bedeutungsinhalt der Niederschrift, welche mit den Worten „Handlung grundlegend ekelhaft" gerade die (neben dem historischen Geschehen) erfragte rechtliche Beurteilung der Geschworenen zum Ausdruck bringt, dass erzwungenes Schlucken von Ejakulat des Vergewaltigers das Opfer iSd § 201 Abs 2 vierter Fall StGB „in besonderer Weise erniedrigt". Was an den in der Rechtsbelehrung über die mit einer Vergewaltigung schon an sich verbundene erhebliche Demütigung hinaus für die Annahme besonderer Erniedrigung iSd § 201 Abs 2 vierter Fall StGB verlangten „weiteren sinnfälligen Komponenten erniedrigender Behandlung des Tatopfers" undeutlich sein soll, lässt die Instruktionsrüge im Dunkeln; ebenso warum „sinnfällig" bedeuten soll: „dazu passend" und im Wort „weitere" eine „richtungsweisende fixierende Darstellung" enthalten sei, welchen Begriff der Beschwerdeführer selbst im gegebenen Zusammenhang nicht erläutert.

Warum es für die Geschworenen unverständlich sein sollte, wenn die Rechtsbelehrung für die Begründung der angesprochenen Qualifikation ein Verhalten verlangt, das über das für den (erläuterten) Tatbestand der Vergewaltigung „an sich schon" Essentielle hinausgeht, bleibt gleichermaßen ungesagt und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung. Dass sich die Rechtsbelehrung zu § 201 Abs 2 vierter Fall StGB in einem Satz erschöpfe, ist falsch, sodass die nur einen Satz der Belehrung herausgreifende Kritik die Gesamtheit der Erläuterungen als gesetzlichen Bezugspunkt der Instruktionsrüge verfehlt.

Weshalb der Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) statt Gegenstand der - ausdrücklich erst im Anschluss an die Rechtsbelehrung - nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung (unter anderem) über das Wesen der freien Beweiswürdigung Inhalt der Rechtsbelehrung hätte sein müssen, bleibt gleichermaßen offen (vgl RIS-Justiz RS0098508). Prozessordnungswidrig ist auch das im Rahmen der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO erstattete Vorbringen, mit welchem der Beschwerdeführer einen Mangel des Wahrspruchs nicht aus diesem selbst, sondern abermals aus der gemäß § 331 Abs 3 StPO abgefassten Niederschrift ableitet (RIS-Justiz RS0100945).

Zur Tatsachenrüge (Z 10a) ist vorweg festzuhalten, dass diese nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel verhindern soll. Rügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780). Soweit der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf behauptete Schwierigkeiten der - ohnehin nicht entscheidenden - zeitlichen Einordnung des Tatgeschehens eigene Schlüsse aus dem Beweisverfahren zieht, überschreitet er gerade die aufgezeigten Grenzen zur im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Gleiches gilt für die weitwendigen, auf das Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Bernhard M***** und selektiv zitierte Aussagen verschiedener - durchwegs nicht zum unmittelbaren Tathergang, sondern zu den Angaben und der Person des Opfers befragten - Zeugen gestützten Ausführungen zur (angeblich mangelnden) Glaubwürdigkeit der Zeugin Michaela S*****, denn der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher ist einer Anfechtung aus der Z 10a des § 345 Abs 1 StPO entzogen (RIS-Justiz RS0099649).

Schließlich eignet sich die gemäß § 331 Abs 3 StPO von den Geschworenen abgefasste Niederschrift auch nicht als Grundlage einer Tatsachenrüge (Philipp, WK-StPO § 331 Rz 10).

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 344, 285d Abs 1 StPO) folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Linz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten (§§ 344, 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Anmerkung

E9156513Os61.09h

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0130OS00061.09H.0723.000

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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