TE OGH 2009/7/30 8Ob53/09s

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling, Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Glawischnig und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Julia R*****, vertreten durch Dr. Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider den Antragsgegner Dr. Martin R*****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl und Dr. Robert Kugler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Unterhalt (Streitwert: 6.023 EUR), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 15. Jänner 2009, GZ 4 R 1/09b-55, womit infolge Rekurses der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 5. November 2008, GZ 3 FAM 12/08s-49, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens auf Sonderbedarf für weitere Ausbildungskosten für die Tourismusschule in V***** in Höhe von 6.023 EUR aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die mittlerweile volljährige Antragstellerin ist neben ihren Geschwistern Franziska R***** und Maximilian R***** Tochter des Antragsgegners und seiner geschiedenen Gattin Cathrin R*****. Sie wird von der Mutter Cathrin R***** betreut, bei der sie auch lebt. Die Mutter bezieht eine monatliche Invaliditätspension in Höhe von zuletzt 1.015,93 EUR, der Antragsgegner hatte in den Jahren 2004 bis 2006 einen privaten Geldverbrauch von monatlich durchschnittlich

3.229 EUR netto.

Die Antragstellerin besucht seit 22. 9. 2004 die ***** Tourismusschule ***** mit Internatsunterbringung während der Woche. Die Ausbildung an dieser Schule dauert fünf Jahre. Die Schulkosten für das erste Jahr an dieser Schule (2004/05) betrugen 4.680 EUR, davon entfielen 3.480 EUR auf Internatskosten und 1.200 EUR auf das Schulgeld. Die Kosten für das zweite Schuljahr (2005/06) betrugen gesamt 4.970 EUR. Die Antragstellerin erhielt vom unterhaltspflichtigen Antragsgegner seit 1. 1. 2003 einen monatlichen Unterhalt von 330 EUR.

Für die damals noch minderjährige Antragstellerin beantragte ihre Mutter eine Erhöhung des Unterhalts sowie die Zuerkennung von Sonderbedarf unter anderem für die im Revisionsrekursverfahren allein noch streitgegenständlichen Ausbildungskosten an der Tourismusschule *****. Der Antragsgegner habe dieser Ausbildung zugestimmt. Während der Woche halte sich die Antragstellerin im Internat der Tourismusschule in V***** auf, an den Wochenenden jedoch im Haushalt der Mutter.

Der Antragsgegner sprach sich gegen die Zuerkennung von Sonderbedarf für die Ausbildung der Antragstellerin an der Tourismusschule aus. Er habe dieser Ausbildung nicht zugestimmt, aufgrund seiner angespannten wirtschaftlichen Situation sei er nicht in der Lage, sich an den Kosten zu beteiligen. Auch werde sich die Kindesmutter im Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit an diesen Kosten zu beteiligen haben, schließlich seien die durch erforderliche Praktika erzielten Eigeneinkünfte der Antragstellerin zu berücksichtigen. Mit dem mittlerweile in Rechtskraft erwachsenen Beschluss des Erstgerichts vom 27. 8. 2007 (U 27) wurde der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin einen Unterhalt von 480 EUR monatlich beginnend ab 1. 10. 2005 zu zahlen. Die festgestellten Eigeneinkünfte der Antragstellerin aus den von ihr absolvierten Praktika seien zu geringfügig, um sie bei der Bemessung des Unterhalts zu berücksichtigen.

Das Erstgericht verpflichtete nunmehr den Antragsgegner zur Zahlung eines einmaligen Sonderunterhalts von 3.627 EUR als Beitrag zu den Ausbildungskosten der Antragstellerin für die Schuljahre 2004/05 sowie 2005/06. Das Mehrbegehren an Sonderunterhalt für die Ausbildungskosten für diese beiden Schuljahre in Höhe von 6.479,50 EUR (richtig: 6.023 EUR) wies es ab. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die Schul- und Internatskosten der Antragstellerin für den Besuch der Tourismusschule ***** Sonderbedarf seien. Allerdings seien diese Kosten je zur Hälfte vom Antragsgegner und der Mutter zu tragen, weil die Mutter durch die schulbedingte Abwesenheit der Antragstellerin von ihrer Betreuungstätigkeit massiv entlastet werde. Darüber hinaus leiste der Antragsgegner seit 1. 10. 2005 monatliche Unterhaltsbeiträge, die den Regelbedarf für Kinder dieser Altersgruppe in Höhe von 363 EUR überstiegen, sodass der aus der Differenz verbleibende monatliche Betrag von 117 EUR zur Abdeckung des Sonderbedarfs heranzuziehen sei. Der dem Antragsgegner auferlegte Sonderbedarf für diese Ausbildungskosten sei vor dem Hintergrund seines durchschnittlichen Einkommens vertretbar.

Über weitere Anträge der Antragstellerin auf Zuerkennung von Sonderbedarf für die Kosten des Schuljahrs 2006/2007 in Höhe von

4.970 EUR sA sowie für die Kosten einer Sprachreise in die Toskana in Höhe von 380 EUR sA (U 26) hat das Erstgericht noch keine Entscheidung getroffen.

Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts über Rekurs der Antragstellerin teilweise ab und erkannte dieser einen im Revisionsrekursverfahren nicht mehr zu behandelnden teilweisen Sonderbedarf für kieferorthopädische Behandlungskosten zu. Im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens der Antragstellerin an Sonderbedarf für Ausbildungskosten (Schule und Internat) bestätigte das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichts (unter ziffernmäßiger Richtigstellung des Abweisungsbetrags auf 6.023 EUR). Rechtlich führte es aus, dass die Ausbildungskosten der Antragstellerin kein Sonderbedarf seien, weil es sich um Kosten handle, die weder außergewöhnlich noch individuell bedingt seien. Fachschulen wie die Tourismusschule ***** gebe es in großer Anzahl, sie würden von vielen tausenden Jugendlichen in Österreich besucht. Eine sachliche Differenzierung zwischen Schülern, die zwischen dem

14. und dem 19. Lebensjahr eine Fachschule besuchten, und Maturanten, die nach Ablegung der Reifeprüfung in einer anderen Landeshauptstadt ein Studium begännen und denen kein Sonderbedarf eingeräumt werde, sei vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht gerechtfertigt. Die Internats- und Schulbesuchskosten der Antragstellerin seien daher nicht als Sonderbedarf, sondern als erhöhter allgemeiner Bedarf zu qualifizieren.

Da diese Auffassung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweiche, erklärte das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

Gegen diesen Beschluss, und zwar im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens an Sonderbedarf für Ausbildungskosten der Antragstellerin für den Besuch der Tourismusschule *****, richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Antragstellerin auch diese Ausbildungskosten als Sonderbedarf zuerkannt werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Antragsgegner beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt. Die Revisionsrekurswerberin führt aus, dass die Tourismusschule ***** mehr als 50 km von ihrem Wohnort entfernt sei und eine gleichartige Berufsausbildung im selben Bundesland nicht existiere, sodass die damit verbundenen Kosten Sonderbedarf darstellten. Auch Kosten einer universitären Ausbildung würden nicht von vornherein als Sonderbedarf abgelehnt werden.

Das Rekursgericht hat selbst zutreffend darauf hingewiesen, dass seine Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht, sodass sie sich zur Wahrung der Rechtssicherheit als korrekturbedürftig iSd § 62 Abs 1 AußStrG erweist.

Den rechtlichen Ausführungen des Rekursgerichts ist entgegenzuhalten, dass die Frage, ob ein Kind während einer beruflichen Grundausbildung nach dem Pflichtschulabschluss oder während einer weiterführenden Berufsausbildung (mangels Selbsterhaltungsfähigkeit) einen Unterhaltsanspruch hat, von der Frage zu unterscheiden ist, ob die Kosten einer solchen Ausbildung Teil des allgemeinen Unterhaltsbedarfs des Kindes sind oder im konkreten Einzelfall Sonderbedarf darstellen. Ob Ausbildungs- und Internatskosten im Zusammenhang mit dem Besuch einer Tourismusschule einen Unterhaltssonderbedarf bilden, lässt sich hiebei nicht generell beantworten, sondern nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beurteilen.

Erwächst einem unterhaltsberechtigten Kind ein Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf („Regelbedarf") eines gleichaltrigen Kindes in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern hinausgeht, bilden diese Kosten einen Sonderbedarf (stRsp RIS-Justiz RS0109908). Der Mehrbedarf ist nur deckungspflichtig, wenn er aus gerechtfertigten, in der Person des Kindes liegenden Gründen entstanden ist. Weiters muss der Bedarf den Kriterien der „Individualität", „Außergewöhnlichkeit" und „Dringlichkeit" entsprechen (RIS-Justiz RS0047539). Eine generelle Aufzählung all dessen, was Sonderbedarf sein kann, ist nicht möglich; maßgeblich sind wie ausgeführt immer die Umstände des Einzelfalls (7 Ob 97/08b; Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 272; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht4, 90 ff).

Die gesonderte Abgeltung von Sonderbedarf hat Ausnahmecharakter, sodass der Unterhaltsberechtigte für die den Sonderbedarf begründenden Umstände behauptungs- und beweispflichtig ist (SZ 63/81; RIS-Justiz RS0047525). Der Anspruch auf Sonderbedarf ist mit der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten begrenzt, dem ein zur angemessenen Lebensführung ausreichendes Einkommen verbleiben muss (RIS-Justiz RS0047543; RS0047544; RS0109907). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang iSd § 140 Abs 2 ABGB weiters, ob der das Kind betreuende Elternteil durch die schulbedingte Abwesenheit des Kindes von der Betreuungs- und Verpflegungstätigkeit entlastet wird und daher Geld für Sonderausgaben zur Verfügung steht, das bei gewöhnlicher Betreuung nicht vorhanden wäre (RIS-Justiz RS0047562 [T2]; RS0047553 [T1, T2]). Eine Überschreitung der „Prozentsatzkomponente", der das Hauptgewicht bei der Unterhaltsbemessung zukommt, ist aber nur bei existenznotwendigem Sonderbedarf oder bei besonders förderungswürdigen Kindern zulässig (1 Ob 150/08b ua). Auch Ausbildungskosten können ebenso wie Kosten einer Internatsunterbringung Sonderbedarf sein, wenn diese aus Gründen der Berufsausbildung erfolgt, eine gleichwertige Berufsausbildung am Ort der Betreuung nicht möglich ist und eine tägliche Zureise vom Wohnort zum Ort der Ausbildung nicht in Betracht kommt oder dem Kind nicht zumutbar ist (SZ 63/121; RIS-Justiz RS0047562).

Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf die Art der Ausbildung an, die der Unterhaltsberechtigte absolviert, sondern immer darauf, ob im konkreten Einzelfall ein Bedarf besteht (Individualbedarf), der nach den dargelegten Grundsätzen über den allgemeinen Bedarf hinaus gerechtfertigt erscheint. So hatte sich der Oberste Gerichtshof bereits mit der Frage eines Sonderbedarfs für ein Studium an einer ausländischen Privatuniversität auseinanderzusetzen (3 Ob 270/98x), aber auch für den Besuch eines ausländischen Internats (Mittelschule in München, 2 Ob 89/03g), ganz allgemein mit Sonderbedarf für die Kosten einer Privatschule (6 Ob 195/04a) und schließlich auch mit Sonderbedarf für die Kosten eines Internats verbunden mit dem - wie hier - Besuch einer Tourismusschule (4 Ob 97/04z).

Dem Revisionsrekurs war daher im Sinn des Aufhebungsantrags Folge zu geben. Das Rekursgericht wird im fortzusetzenden Verfahren neuerlich über den Rekurs der Antragstellerin zu entscheiden und dabei die konkreten Umstände des hier zu beurteilenden Einzelfalls zu berücksichtigen haben.

Die Entscheidung über den Vorbehalt der Kosten des Verfahrens beruht auf § 78 AußStrG.

Anmerkung

E915438Ob53.09s

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0080OB00053.09S.0730.000

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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