Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen Horst M*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs 1. des Vereins VertretungsNetz - Sachwalterschaft Oberösterreich/ Salzburg II, 4910 Ried im Innkreis, Stelzhamerplatz 8/2, 2. des Betroffenen, vertreten durch den Verein VertretungsNetz - Sachwalterschaft Oberösterreich/ Salzburg II, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 12. Mai 2009, GZ 6 R 78/09a-32, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 23. Jänner 2009, GZ 5 P 68/07a-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
I) Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen wird
zurückgewiesen.
II) Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins VertretungsNetz Sachwalterschaft Oberösterreich/Salzburg II wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Für Horst M*****, geboren am 22. Jänner 1952, *****, deutscher Staatsangehöriger, wird der Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft Oberösterreich/Salzburg II, Stelzhamerplatz 8/2, 4910 Ried im Innkreis, gemäß § 1897 Abs 1 dBGB zum Sachwalter bestellt. Der Sachwalter hat folgende Angelegenheiten zu besorgen (§ 268 Abs 3 Z 2 ABGB):
-
Vertretung des Betroffenen vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern
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Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten des Betroffenen
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Vertretung des Betroffenen bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen.
Dem Betroffenen wird ein monatliches Taschengeld in Höhe von 200 EUR
zur freien Verfügung gewährt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Bund.
Dem Sachwalter wird aufgetragen, dem Bezirksgericht Ried im Innkreis mündlich an einem Amtstag oder schriftlich einen Antrittsbericht binnen acht Wochen zu erstatten."
Text
Begründung:
Horst M*****, geboren am 22. 1. 1952, ist deutscher Staatsangehöriger, lebt jedoch im österreichischen T***** im Innkreis. Über eigenen Antrag des Betroffenen vom 19. 8. 2008 leitete das Erstgericht ein Sachwalterbestellungsverfahren ein und bestellte nach Durchführung der Erstanhörung am 3. 10. 2008 den Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft Oberösterreich/Salzburg II zum Verfahrens- und zum einstweiligen Sachwalter.
Nach Durchführung des Bestellungsverfahrens unter Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen bestellte das Erstgericht für den Betroffenen den erwähnten Verein gemäß § 1897 dBGB zum Betreuer und sprach aus, dass der Betreuer gemäß § 1896 Abs 3 dBGB den aus dem Spruch ersichtlichen Aufgabenkreis zu besorgen habe. Es gewährte dem Betroffenen ein monatliches Taschengeld in Höhe von 200 EUR zur freien Verfügung, sprach aus, dass die Kosten des Verfahrens der Bund trägt, und trug dem Verein als Betreuer einen Antrittsbericht binnen acht Wochen auf. Es wendete im Hinblick auf § 15 IPRG und die Staatsangehörigkeit des Betroffenen deutsches Recht an und stellte fest, dass der Betroffene nicht in der Lage sei, die bezeichneten Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich zu besorgen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung über Rekurs des Vereins, der seine Bestellung nicht als Betreuer gemäß § 1897 dBGB, sondern als Sachwalter gemäß § 268 Abs 1 ABGB anstrebt, und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, § 15 IPRG ordne im Einklang mit § 27 Abs 1 IPRG die Beurteilung der Voraussetzungen für die Anordnung und die Beendigung einer Vormundschaft oder Pflegschaft sowie deren Wirkungen nach dem Personalstatut des Pflegebefohlenen an; dies führe hier zur Anwendung deutschen Rechts. § 27 Abs 2 IPRG, der auf österreichisches Recht verweise, sei von verfahrenstechnisch-formalem Charakter geprägt; die Anordnung der Betreuung betreffe jedoch materielle Rechtsfragen.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen ist nicht zulässig, jener des Vereins VertretungsNetz Sachwalterschaft Oberösterreich/Salzburg II ist zulässig und auch berechtigt.
1. Unabhängig von der Frage, ob für einen in Österreich lebenden deutschen Betroffenen ein Betreuer nach § 1896 ff dBGB oder ein Sachwalter nach § 268 ff ABGB zu bestellen ist, richtet sich das Verfahren zu deren Bestellung jedenfalls nach österreichischem Recht; es sind also die §§ 117 ff AußStrG anzuwenden (§ 27 Abs 2 IPRG; 10 Ob 146/05a).
2. Gemäß § 127 AußStrG steht der Rekurs gegen den Bestellungsbeschluss des (endgültigen) Sachwalters beziehungsweise Betreuers dem Betroffenen, seinem Vertreter, dem Verfahrenssachwalter und der Person, die zum Sachwalter bestellt werden soll, zu. Damit wären hier sowohl der Betroffene als auch der Verein rechtsmittellegitimiert; der Betroffene hat allerdings den Beschluss des Erstgerichts nicht bekämpft, sodass ihm nunmehr die Anrufung des Obersten Gerichtshofs verwehrt ist. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vereins ist hingegen auch gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat.
3. Nach § 15 IPRG sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bestellung eines Sachwalters nach dem Personalstatut der betroffenen Person zu beurteilen. Das Personalstatut einer natürlichen Person ist nach § 9 Abs 1 IPRG das Recht jenes Staates, dem die Person angehört. Da der Betroffene deutscher Staatsangehöriger ist, ist deutsches Sachrecht (§§ 1896 ff dBGB) anzuwenden (1 Ob 305/98d SZ 71/198; 10 Ob 146/05a; 10 Ob 60/07g; 10 Ob 102/08k ZfRV-LS 2009/27 [Ofner]), dies jedenfalls insoweit, als es um die Frage der Bestellungsvoraussetzungen geht (vgl auch Oberhammer/Graf/Slonina, Sachwalterschaft für Deutsche und Schweizer in Österreich - Kollisionsrechtliche Fragen am Übergang vom nationalen Recht zum Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, ZfRV 2007/22; ebenso Verschraegen in Rummel, ABGB³ II/6 [2004] § 15 IPRG Rz 1; Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² [2007] § 15 IPRG Rz 1). Das Erstgericht hat somit zutreffend geprüft, ob beim Betroffenen die Voraussetzungen des § 1896 Abs 1 dBGB vorliegen, diese Frage bejaht - was im Revisionsrekursverfahren auch nicht strittig ist - und daher für den Betroffenen eine Person zur Besorgung seiner Angelegenheiten bestellt.
4. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 Ob 146/05a ohne nähere Begründung, jedoch auch ohne Auswirkungen auf die dort entscheidungswesentliche Frage ausgeführt, da die (dort) Betroffene deutsche Staatsangehörige ist, sei deutsches Sachrecht anzuwenden; „eine Rück- oder Weiterverweisung liegt nicht vor (§ 5 IPRG)". Demgegenüber haben Oberhammer/Graf/Slonina (aaO) nachgewiesen, dass nach Art 24 Abs 3 dEGBGB die Wirkungen der Sachwalterbestellung nicht am Heimatrecht des Betroffenen anknüpfen, sondern dem Recht des anordnenden Staates unterstellt werden, weshalb sich „zumindest die meisten alltäglichen Fragen im Zusammenhang mit den Befugnissen eines Sachwalters nach österreichischem Recht richten". Das deutsche (internationale) Betreuungsrecht kennt daher entgegen der in der Entscheidung 10 Ob 146/05a vertretenen Auffassung eine Teilrückverweisung auf österreichisches materielles Sachwalterrecht, die im Hinblick auf § 5 Abs 2 IPRG endgültig ist.
Art 24 Abs 3 dEGBGB spricht vom Inhalt der Betreuung; dazu gehören unter anderem die Auswahl des Betreuers, seine Beaufsichtigung, Vergütung und Haftung, aber auch die Vertretungsmacht des Betreuers und sein Aufgabenkreis sowie die Genehmigungsbedürftigkeit einzelner Handlungen (Oberhammer/Graf/Slonina aaO unter Hinweis auf Oelkers, Internationales Betreuungsrecht 246; Kropholler in Staudinger, BGB [2002] Art 24 EGBGB Rz 33; Klinkhard in MünchKomm, BGB4 [2006] Art 24 EGBGB Rz 22; Heldrich in Palandt, BGB66 [2007] Art 24 EGBGB Rz 4). Damit sind aber die vom zu bestellenden Betreuer beziehungsweise Sachwalter zu erledigenden Angelegenheiten nicht nach § 1896 dBGB, sondern nach § 268 Abs 3 ABGB zu bestimmen. Auch der Umfang der Vertretungsmacht dieser Person, ihre Beaufsichtigung, Vergütung und Haftung sowie ihre sonstigen Verpflichtungen und die allfällige Genehmigungsbedürftigkeit einzelner Handlungen richten sich nach österreichischem Sachwalterrecht.
5. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Anwendungsbereich des § 27 Abs 2 IPRG, wonach die „sonstigen" mit der Vormundschaft oder Pflegschaft verbundenen Fragen, soweit sie die „Führung an sich" betreffen, nach österreichischem Recht zu beurteilen sind, von verfahrenstechnisch-formalem Charakter geprägt (10 Ob 146/05a; 10 Ob 102/08k; ebenso Schwimann, Internationales Privatrecht² [1999] 129; Verschraegen in Rummel, ABGB³ II/6 [2004] § 27 IPRG Rz 10).
Oberhammer/Graf/Slonina (ZfRV 2007/22) weisen darauf hin, dass der inländische Rechtsverkehr weitestgehend nur mit den bekannten Rechtswirkungen einer österreichischen Sachwalterbestellung konfrontiert sein wird. Sie schlagen daher unter anderem aus diesem Grund vor, dass ein österreichisches Gericht, das vor der Frage nach der zutreffenden Bezeichnung für den Betreuer/Sachwalter steht, diesen als Sachwalter bezeichnen sollte, auch wenn die Voraussetzungen für dessen Bestellung nicht dem österreichischen Recht zu entnehmen sind; hier komme es darauf an, die sich nach österreichischem Recht richtenden Wirkungen durch eine im Inland bekannte Bezeichnung verständlich zu machen.
Der erkennende Senat schließt sich diesen Überlegungen nicht nur aus den zu teilenden Praktikabiliäts- und letztlich auch Rechtsschutzüberlegungen (Sicherheit des Rechtsverkehrs; vgl etwa den Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 dBGB [dazu ausführlich Oberhammer/Graf/Slonina aaO], der hier im Hinblick auf Art 24 Abs 3 dEGBGB jedoch gerade nicht zur Anwendung kommt) an; vielmehr ist auch der verfahrenstechnisch-formale Charakter der Bezeichnung der betreuenden Person nach österreichischem Recht als Sachwalter zu betonen.
6. In Deutschland ist zwar am 1. 1. 2009 das Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. 1. 2000 (ESÜ) in Kraft getreten (siehe
http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.status&cid=71#mem). Da Österreich nicht Vertragsstaat dieses Übereinkommens ist, hat sich dadurch im Zusammenhang mit den hier zu beurteilenden Fragen aus der Sicht österreichischer Gerichte jedoch nichts geändert (Oberhammer/Graf/Slonina aaO). Aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die ausgeübte Zuständigkeit nach Kapitel I des ESÜ in seinem Art 13 Abs 1 folgt nämlich, dass nationale kollisionsrechtliche Bestimmungen - wie eben Art 24 Abs 3 dEGBGB - bloß im Anwendungsbereich des ESÜ verdrängt werden und anwendbar bleiben, wenn keine internationale Zuständigkeit eines Vertragsstaats gegeben ist (Siehr, Das Haager Übereinkommen über den Schutz Erwachsener, RabelsZ 65 [2000] 736; Oberhammer/Graf/Slonina aaO; Traar Das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, iFamZ 2009, 113 [117]).
7. Damit war dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins VertretungsNetz Sachwalterschaft Oberösterreich/Salzburg II Folge zu geben und auszusprechen, dass für den Betroffenen ein Sachwalter bestellt und dessen zu besorgende Aufgaben nach § 268 Abs 3 Z 2 ABGB zu umschreiben sind.
Anmerkung
E917476Ob137.09dSchlagworte
Kennung XPUBL - XBEITRDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2009/611 S 379 - Zak 2009,379 = iFamZ 2009/251 S 380 (Fucik) -iFamZ 2009,380 (Fucik) = EF-Z 2009/152 S 235 - EF-Z 2009,235 =EvBl-LS 2010/10 = RZ 2010,41 EÜ21, 22 - RZ 2010 EÜ21 - RZ 2010 EÜ22 =ZfRV-LS 2009/63 (Ofner)XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0060OB00137.09D.0805.000Zuletzt aktualisiert am
24.03.2010